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Montag, 15.58 Uhr, Leadenhall Street 122, London

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Gabriel Malik, nach arabischer Schreibweise Gabriel bin Malik, betrachtete gedankenverloren die vorüberziehenden Wolken. Die Aussicht aus dem dreiundvierzigsten Stock des futuristischen Leadenhall Building war einer der Gründe, warum er sich für diese Büroadresse in London entschieden hatte. Ein anderer war die Geschichte dieser Straße zwischen Cornhill und Fenchurch Street. Früher hatte hier die berühmte East India Company, eine Firma, die wie ein Staat im Staat agierte, ihr Hauptquartier, und diese Vorstellung fand Gabriel Malik inspirierend.

Seinem Vater gefiel dieses Gebäude, im Volksmund Reibeisen genannt, überhaupt nicht. Es war ihm zu modern, zu protzig, zu hässlich und zu teuer, aber letztendlich ließ er seinen Sohn gewähren. Das Büro erfüllte seinen Zweck, und dieser bestand in erster Linie in seiner vornehmen Adresse und der Tatsache, dass es in der City of London lag, dem ältesten Offshore-Gebiet der Welt.

Die gleichen Kriterien galten für die zweite, von seinem Bruder Elias geleitete Niederlassung ihres Familienimperiums in Brüssel. Einzig die Zentrale, die Wiege von allem, wie sein Vater nicht müde wurde zu betonen, stand in Wien und war so ganz anders: konservativ, unauffällig und vergleichsweise sehr bescheiden.

»And now for something completely different«, kündigte die Stimme von John Marwood Cleese seine Video-Konferenz an. Gabriel Malik bestätigte die Verbindung, und am Bildschirm tauchte das Bild seines sichtlich müden Bruders auf.

»Hallo, Bruderherz, wie sieht es bei dir in Brüssel aus?«

»Frage nicht. Abraham hat Fieber und hält uns die ganze Nacht auf Trab. Ich habe fast kein Auge zu gemacht.«

Gabriel Malik schüttelte milde lächelnd den Kopf: »Wofür bezahlst du denn all die Kindermädchen?«

»Das verstehst du erst, wenn du selbst endlich erwachsen wirst und einen Sohn gezeugt hast. Wie auch immer. Ich habe die Runde für das Karussell fertig, in Summe sollte sie uns rund sieben Millionen bringen.«

»Klein, aber fein. Wie besprochen über Deutschland?«

»Ja, über die Green Future geht’s zu unseren Handelsagenturen in Berlin und Hamburg. Dir fällt die Rolle der Bank zu.«

»Gut, und dann wieder von vorn?«

»Im Grunde ja, aber dafür lassen wir es anders laufen. Ich schicke dir die Details später. Wie sieht es mit Vaters Auftrag aus?«

»Unser Mann in Tanger hat bei seinem Leben versprochen, dass die Ware künftig mindestens zehn Prozent THC enthalten wird. Sie haben die neuen Dünger bekommen und ein Ausbildungsprogramm für die Bauern gestartet. Aber im Grunde ist das ein totes Business, und das weißt du.«

»Ja, aber noch ist es in Europa nicht legal, und die Spanne stimmt.«

»Trotzdem. Entweder wir investieren in die legale Zukunft und den medizinischen Bereich, oder wir steigen aus.«

»Bei der Medizin sind die Israelis weit voraus, und unser Abu ist nun mal anderer Ansicht.«

Widerwillig musste ihm Gabriel Malik zustimmen. Das Wort des Vaters war Gesetz. »Ich weiß.«

»Hast du dich um Malta gekümmert? Du weißt, Vater ist in diesen Dingen unerbittlich.«

»Ist erledigt. Ich habe heute die Bestätigung bekommen. Der dortige Finanzschnüffler hat die Botschaft verstanden, und die Österreicher überlassen die Ermittlungen der maltesischen Polizei.«

»Du hast die Telefone angezapft?«

»Ja, und den Mailverkehr, aber über Dritte. Zu uns gibt es keine Verbindung.«

»Hast du Vater bereits unterrichtet?«

»Ja, er hat nur ›gut‹ gesagt und aufgelegt.«

Elias Malik musterte das Gesicht seines Bruders am Bildschirm und versuchte, dessen Gedanken und Gefühle zu erahnen. Gabriel war zwei Jahre jünger als er und immer der Liebling ihres Vaters gewesen. Aber mit der Zeit hatte sich dieses innige Vater-Sohn-Verhältnis abgekühlt. Im Grunde waren sie sich zu ähnlich. Beides Alphatiere, die sich schwertaten, Macht abzugeben oder sich unterzuordnen. Und über allem stand das Familiengesetz: Der Vater hat das Sagen, und alle wichtigen Positionen werden innerhalb der Familie besetzt. Die Familie ist unsere Festung. Wie oft hatte er als Kind diesen Satz von seinen Eltern gehört. Ob jemand Alkohol trank oder nur noch sporadisch gegen Mekka betete, war ihrem Vater im Grunde egal, aber wer es ihm gegenüber an Respekt mangeln ließ oder seine Anweisungen auch nur in Zweifel zog, lebte gefährlich. Das galt selbst für sie als Söhne.

Ihr Vater hatte als Jugendlicher Tindouf, die Wüstenregion im Grenzgebiet zwischen Algerien und Marokko, verlassen, aber die Familiengesetze ihrer nomadischen Vorfahren mit nach Europa genommen. Archaisch, mitunter brutal, aber gerade in einem zunehmend bindungs- und identitätslos werdenden Europa erfolgreich. Elias Malik konzentrierte sich wieder auf das Gespräch mit seinem Bruder. »Aber du behältst Malta weiter im Auge?«

»Sicher. Allerdings sollten wir uns mittelfristig eine andere Adresse für die Holding suchen, beispielsweise in Nevada.«

»Vergiss es.«

Widerwillig antwortete Gabriel Malik: »Ich weiß, Vater will es nicht.«

»Und dabei solltest du es belassen.«

»Das tue ich, vorläufig. Ja, unser Abu ist mit seinen Methoden und Geschäften groß geworden, aber die Zeiten haben sich geändert. Wir verdienen mit Förderungen, der Umsatzsteuer und den CO2-Zerifikaten mehr als mit allen anderen Zweigen, und das weitgehend risikolos.«

Insgeheim stimmte Elias Malik seinem Bruder zu. Ihr Vater hatte das Familienimperium aufgebaut und hielt nach wie vor an den alten Geschäftsmodellen und seinem kleinen Notizbuch fest. Aber Cannabis, Einkaufszentren, Ferien- und Wohnimmobilien warfen nur mühsam Gewinne ab und waren arbeitsintensiv. Die virtuellen Möglichkeiten, richtig Geld zu machen, hatte ihr Vater nie verstanden – nie verstehen wollen.

»Ich weiß, aber du kennst Vaters Grundsatz: Nur was ich in die Hand nehmen kann, hat einen Wert. Davon wirst du ihn nicht abbringen.«

Frustriert erwiderte Gabriel Malik: »Aber die Millionen, die wir damit verdienen, kann er sehr wohl in die Hand nehmen, gesteht es sich aber nicht ein. Er kann nicht zugeben, dass ich recht habe und er zum alten Eisen gehört.« Er stöhnte frustriert. »Aber lass uns jetzt Schluss machen. Ich muss ohnehin noch zu Anderson & Sheppard und bin schon spät dran.«

»Neue Anzüge?«

»Im Grunde eine ganz neue Garderobe. Ich habe in letzter Zeit viel trainiert und drei Kilo Muskeln aufgebaut.«

Elias Malik schüttelte den Kopf, während er die Kosten der neuen Garderobe überschlug. Mindestens ein Dutzend Anzüge, dazu Smoking, Mäntel und Hemden, beim exklusiven Geschmack seines Bruders dürften da schnell einhunderttausend Pfund zusammenkommen. Aber das spielte keine Rolle. Viel wichtiger war, dass sich die Laune seines Bruders dadurch verbessern würde.

»Na dann, viel Vergnügen.«

»Danke, Bruderherz, und grüß mir deinen Junior.«

Der Malik

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