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Blutige Experten

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Beim Thema Sex wird gelogen. Da fragt man Frauen und Männer, ob sie schon mal fremdgegangen sind, und stellt fest, dass es so viel mehr Männer als Frauen sind, die einen Seitensprung zugeben, dass da schon rein statistisch etwas nicht stimmen kann. Dann gibt es eine zweite Fragerunde, diesmal – so behauptet man jedenfalls – mit einem Lügendetektor. Schon tun es Frauen und Männer etwa gleich oft.

Auch im Krieg wird gelogen. Wir haben es heute mit einem besonderen Krieg zu tun – dem Geschlechterkrieg. Da wird gelogen wie in anderen Kriegen auch. Und wie in der Politik. Verdeckte Foulspiele, kleinere und größere Gesetzesübertretungen gehören schon beim normalen Politikbetrieb zum Tagesgeschäft. Für feministische Aktivisten, die außerhalb der »männlichen Logik« unterwegs sind, ist es ein selbstverständlicher Teil ihres Tuns, mit Übertreibungen, Halbwahrheiten und mit künstlichen Aufgeregtheiten zu operieren, die sie für zutiefst berechtigt halten, solange alles dem »guten Zweck« dient.

Was als guter Zweck gilt, geht aus den fünf Punkten hervor, in denen Dale O’Leary die Forderungen der Pekinger Weltfrauenkonferenz zusammengefasst hat. Wir sollten uns nicht täuschen und in dieser Frage etwa einen Streit zwischen konservativen und fortschrittlichen Kräften erwarten. Sie streiten nicht, sie sind sich einig. Der Konsens umfasst alle, er geht über Partei- und Landesgrenzen hinweg. Es ist eines der Kennzeichen totalitärer Regime, dass sie, wie uns Hannah Arendt erklärt, die Frage, ob sie links oder rechts sind, unbedeutend machen.

Für die Konservativen ist das Mitschwimmen mit der Gender-Agenda eine Frage des Machterhalts, für alte Linke und neue Grüne Voraussetzung für die Erfüllung eines Traums aus einer ganz frühen Phase der russischen Revolution – des Traums von Wilhelm Reich, dem »Vater der sexuellen Revolution«. Er war nicht der einzige Träumer. Auch Georg Lukács, ein Vordenker der Frankfurter Schule, der vor allem als Literaturkritiker bekannt wurde, hatte, als er stellvertretender Volkskommissar für Unterrichtswesen der ungarischen Räterepublik war, ein Programm der freien Liebe eingeführt.

Das ist wenig bekannt.

Umso bekannter ist das Schlagwort von der »antiautoritären Erziehung«, das zum Grundbestand der 68er Ideale gehört und schon deshalb großen Widerhall fand, weil man in dem »autoritären Charakter«, wie ihn Erich Fromm beschrieb, genau den Typus erkannte, der für Fremdenhass, Kadavergehorsam und letztlich für den Krieg verantwortlich war. Wenn man der Entstehung so eines »Charakters« entgegentrete, so die Folgerung, wehre man den Anfängen und leiste damit einen Beitrag zum Frieden. Diesen Eindruck vermittelte das 1960 erschienene Buch Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing. Der britische Pädagoge Alexander S. Neill berichtet darin von Erfahrungen, die er schon in den zwanziger Jahren in der von ihm gegründeten Privatschule Summerhill gemacht hatte – einer Schule, die auf Kinder mit Verhaltensproblemen spezialisiert war.

Neill war ein Freund von Wilhelm Reich, der wiederum seinen Sohn Peter zu ihm auf die Schule schickte. Obwohl Neill mit dem Ausdruck »antiautoritär« nicht in Verbindung gebracht werden wollte, veröffentlichte der Rowohlt Verlag die deutsche Taschenbuchausgabe 1969 unter dem Titel Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. So neu und provokant sie wirken mochten, die Methoden der sogenannten antiautoritären Erziehung waren alt und schon fast wieder in Vergessenheit geraten.

Unter »antiautoritär« wurde nicht zuletzt »sexuell freizügig« verstanden. Die Sexwelle, die in den sechziger Jahren heranrollte, erfasste nun auch Kinder, und das galt als – politisch gesehen – gut so. Das berühmte Foto aus der Kommune 1 zeigt nackte Männer und Frauen neben nackten Kindern. In Universitätsstädten wurden »Kinderläden« gegründet, die sich – wie Buchläden von Buchhandlungen – vom Kindergarten dadurch unterschieden, dass sie »fortschrittlich« und mehr oder weniger antiautoritär waren. Auch in jungen Familien setzte sich ein »antiautoritärer« Erziehungsstil durch, der den Eltern das Gefühl gab, auf der Höhe der Zeit zu sein, aber eigentlich nur darin bestand, dass man die Kinder machen ließ, was sie wollten.

In manchen der Kinderläden konnten die Kleinen schon bis vier zählen und lernten die Parole: »Eins, zwei, drei, vier. Kommunisten sind wir!« Eine politische Identität wurde ihnen so früh wie möglich eingetrichtert. Eine sexuelle auch. Theorien, die die Themen Sexualität und Marxismus verbanden, wurden abgestaubt und wiederaufgelegt; Hans-Peter Gente gab die Taschenbücher Marxismus Psychoanalyse Sexpol Band 1 und 2 heraus – das Kurzwort Sexpol steht für den von Wilhelm Reich begründeten Reichsverband für proletarische Sexualpolitik, eine Unterorganisation der damaligen KPD. Im Jahre 1970 schrieb Hans-Jochen Gamm, der bekannt war für eine radikal verstandene pädagogische Parteilichkeit, die sich am Marxismus orientiert: »Wir brauchen die sexuelle Stimulierung der Schüler, um die sozialistische Umstrukturierung der Gesellschaft durchzuführen und den Autoritätsgehorsam einschließlich der Kinderliebe zu den Eltern gründlich zu beseitigen.«

Was ist die Grundidee – damals wie heute? Zuerst wird ein Keil zwischen die Generationen getrieben. Die Kinder werden den Eltern entfremdet, um sie dem Staat zu überlassen, dem sie dann schutzlos ausgeliefert sind.

Können wir das hinnehmen?

Wenn wir jemanden an unsere Kinder heranlassen, der sie für »Vielfalt öffnen« will, können wir dann nicht auch erwarten, dass er seinerseits offenlegt, was für Interessen er hat und wie vielfältig diese sind? Wir sollten Aufklärung über die Aufklärer verlangen. Was wollen sie? Wollen sie die Gesellschaft umstürzen? Bisher verbotene Gelüste legalisieren? Wollen sie bei einer Mode mitmachen, weil sie gewohnheitsmäßig allem nachlaufen, was von oben kommt? Oder wollen sie einfach nur die Chance auf mediale Aufmerksamkeit nutzen und sich in Szene setzen?

Dass es nicht um das Wohl der Kinder geht, ist offensichtlich. Johann Friedrich Herbart, Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Immanuel Kant, gilt als ein Klassiker der Pädagogik. Er gab zu bedenken, dass wir alles, was wir Kindern antun, erst in deren späterem Alter bemerken werden. Ein kluger Gedanke, der nur auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, als bringe die Erziehungswissenschaft lediglich Banalitäten hervor – weil es doch jeder sowieso wisse. Inzwischen sollte es tatsächlich jeder wissen: Schäden, die in früher Kindheit entstehen, zeigen sich erst später und können sich ein Leben lang auswirken. Auch dass die Kindheit »irreversibel« ist, wie Herbart betont, sollte hinreichend bekannt sein. Wir können bei Kindern nicht wie bei einem Computer auf »Neustart« gehen, noch mal von vorn anfangen und kurzerhand alle Dateien, die wir nicht mehr wollen, löschen.

Das heißt in unserem Fall, dass wir das Kindeswohl nicht losgelöst von der späteren Entwicklung beurteilen können. Wer es trotzdem tut, erweist sich als Scharlatan. Studien, die belegen wollen, dass das Kindeswohl nicht gefährdet ist, sind wertlos. Sie können die Problematik überhaupt nicht erfassen, es sei denn, die Forscher wären – wie bei einem Sciencefiction-Film – in eine Zeitmaschine gestiegen und wohlbehalten mit guten Nachrichten zurückgekehrt.

Wir haben es mit »Experten« vom Schlage einer Bettina Wulff zu tun, einer Anna-Maria Philipps oder einer pädagogischen Blindgängerin wie Prof. Dr. Luise F. Pusch, nach deren Vorgaben sich die Anhänger der »geschlechtergerechten« Sprache richten. Sie machte 1991 anlässlich einer Kindergärtnerinnensynode, bei der ausgerechnet sie als »Expertin« geladen war, den Vorschlag, den »Buben« – wie man in Winterthur sagt, wo das Treffen stattfand –, »Wunden« zuzufügen, falls sie sich »frauenfeindlich« zeigen; denn diese »Verletzungen heilen sowieso wieder zu schnell.«

Wir sprechen von einem »blutigen Laien«, wenn jemand keine Ahnung hat. Günther Anders hat vorgeschlagen, lieber von »blutigen Experten« zu sprechen, weil es gerade die Fachidioten seien, an deren Fingern Blut klebe. Nicht alle Experten sind Fachidioten, aber viele sind nützliche Idioten.

Die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung – Pro Familia bildet neuerdings Teenager zu sogenannten »Sexperten« aus. Das sind Vierzehn- oder Fünfzehnjährige, die vor Gleichaltrigen über verschiedene Sexualpraktiken referieren und durch ihre jugendlich unbefangene Art dazu beitragen sollen, Hemmungen zu überwinden.

Ein Experte ist heute nicht etwa jemand, der wissenschaftlich arbeitet und sich auf seinem Fachgebiet besondere Qualifikationen erworben hat, er muss vielmehr in der Lage sein, genau den Moment abzupassen, wenn die Politik dabei ist, ein neues Terrain abzustecken, auf dem sie sich ausbreiten will. Der Experte von heute meldet sich immer dann zur Stelle, wenn neue Opfergruppen erfunden werden und nach neuen Maßnahmen gerufen wird. Er gilt als besonders kritisch – und damit als mutig und glaubwürdig –, wenn er im großen Stil Vorwürfe gegen die gesamte Gesellschaft erhebt und ihr ein schändliches Versagen vorhält, das nicht länger zu ertragen sei. Zum »Beweis« werden dann Betroffene präsentiert, die sich aber oft nicht gut genug darstellen und ihre Nöte nicht richtig formulieren können. Dafür gibt es dann die Experten, die sich dadurch ausweisen, dass sie mit Begriffen, die wir noch nie gehört haben, auftrumpfen und neue Abkürzungen in die Welt setzen – wie LSBTTIQ.

Was ist das?

Es ist ein überparteilicher und weltanschaulich nicht gebundener Zusammenschluss von lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuellen und »queeren« Gruppen, Vereinen und Initiativen, LSBTTIQ also. Die Buchstabenkombination erinnert an Zungenbrecher, wie sie Kinder mögen; der Volksmund spricht sie »Lesbo-Titti-Kuh« aus. Um diese Kuh wird bei der Durchführung der »Bildungsplanreform 2015« in Baden-Württemberg ein Tanz veranstaltet, als wäre es der Tanz um das Goldene Kalb: Alles dreht sich um die Lesbo-Titti-Kuh, deren Interessen fächerübergreifend berücksichtigt werden sollen. In Zukunft sollen Lehrkräfte die Schüler an eine neue Sexualethik heranführen, in der sämtliche LSBTTIQ-Lebensstile ohne ethische Beurteilung als gleichermaßen erstrebenswert hingestellt werden. Alle Varianten der Sexualität werden dadurch als neue Norm angesehen und der Ehe zwischen Mann und Frau gleichgestellt.

Solche Initiativen sollte man nicht leichtfertig als »Lobby-Gruppen« bezeichnen. Sie halten sich nämlich gar nicht erst in der Lobby – also im Vorraum – auf, wo sie darauf warten müssten, irgendwann vorgelassen zu werden. Sie haben längst in der guten Stube der Politik Platz genommen. Sie sind die neuen Günstlinge, die es geschafft haben, die Gunst der Stunde zu nutzen.

Es hat sich in zweierlei Hinsicht eine »Verantwortungslücke« aufgetan. Zum einen gibt es keine Personen, die Verantwortung übernehmen könnten. Zum anderen erlaubt der Faktor Zeit, auf den Herbart hingewiesen hat, unverantwortliches Handeln. Man kann also in unserem Fall nicht sagen, dass irgendjemandem »die Zeit davonläuft«, vielmehr erlaubt die Zeit allen Tätern und Mittätern davonzulaufen. Erst mitlaufen, dann weglaufen – so machen es die, die es nachher nicht gewesen sein wollen. Wann sollte denn auch der richtige Zeitpunkt für eine kritische Überprüfung der Maßnahmen zur sexuellen Verfügbarmachung der Kinder sein? Wen sollte man dann für die seelischen Verwundungen verantwortlich machen?

Verantwortungslücken sind brandgefährlich; denn sie erlauben, wie es Günther Anders nennt, die »Möglichkeit zur unbestraften Unmenschlichkeit«, sie locken speziell Leute an, die so eine Chance nutzen wollen, um das auszuleben, was ihnen sonst untersagt wäre. »Schwärmer, wie bist du getäuscht, nimmst du die Menschen für gut!«, sagt Goethe in einer Zeile aus den Xenien.

Das Gute ist nicht selbstverständlich.

Das Böse schon. Es gibt einen Bodensatz von Feindseligkeit in jeder Beziehung, der durch besondere Umstände aktiviert werden könnte. Darauf hinzuweisen ist banal und müßig. Um das Schlechte und Böse zu vermeiden, müssen Verantwortungslücken sorgsam beobachtet und nach Möglichkeit geschlossen werden. An die neuen »Aufklärer« und »Befreier«, die oft selber keine Kinder haben und sich fremden Kindern zuwenden, müssen wir besonders hohe Ansprüche stellen, wenn uns das Kindeswohl etwas wert ist.

Ist es das? Den meisten Eltern gewiss, aber im Streitfall ist es ein Muster ohne Wert. Jugendämter und Gerichte agieren in einem unübersichtlichen Verschiebebahnhof von Zuständigkeiten: Da treten selbstgerechte Vereine und Interessengruppen auf, gelangweilte Richter (die sich hinter Gutachtern verstecken), teure Gutachter (die sich hinter Richtern verstecken), überforderte Prozessbegleiter (die sowieso nicht zuständig sind) und angeberische Rechtsanwälte (die ihr eigenes Geld verdienen wollen). Wenn ein Kind bei diesem grausamen Schauspiel den Eindruck hat, dass alle aus Eigeninteresse über seinen Kopf hinwegreden, dann trügt er nicht.

Das Kindeswohl ist in diesem Drama so etwas wie ein Joker und eine Karo Sieben zugleich. Einerseits sticht die Karte bei Familienstreitigkeiten, andererseits ist sie nichts wert. Familienrichter wissen, dass sie über das Kindeswohl substantiell nichts wissen können. Sie müssten eigentlich im Zweifel stets im Interesse der Kinder handeln und möglichen Schaden von ihnen abhalten. Doch gerade das tun sie nicht. Sie wissen, dass Scheidungen einem Kind Wunden zufügen; sie wissen, dass die Ausgrenzung eines Elternteils das Kind quält. Sie wissen, dass Prozessverzögerungen dem Kind schaden – und sie wissen, dass es letztlich um Geld geht.

Auch für die von der Politik abhängigen »Wissenschaftler«, »Experten« und Verfasser von Expertisen ist das Kindeswohl terra incognita. Es wird nicht einmal eine vorläufige Bestandsaufnahme gemacht. Wenn einzelne Studien bekannt werden, die das Elend dokumentieren, werden sie ignoriert. Wer wissen will, wie es Scheidungskindern geht und wie sich Kukkuckskinder fühlen, muss sich an Selbsthilfeorganisationen und private Initiativen wenden. Die Politik beschränkt sich darauf, Schaden anzurichten. Würde sie ihn zur Kenntnis nehmen, dürfte sie nicht mehr so weitermachen.

Ginge es nach dem Willen der Politik, dürften Kinder bei der Non-Stop-Sex-Party der Erwachsenen mitmachen, wenn sie auf ihre Kindheit verzichten, wenn sie sich sexualisieren und schon im Kindergarten auf ein »vielfältiges« Sexleben vorbereiten lassen. Neuerdings wird behauptet, Kinder hätten ein »Recht« auf Sexualität, es wird aber »vergessen«, dass sie zunächst einmal ein Recht auf Identität haben, ein Recht darauf zu wissen, wer der Vater ist.

Es wird so getan, als gäbe es die seriösen Forschungen zu dem Thema nicht mehr und als könnte man alles über Bord werfen, was Pädagogik und Psychologie hervorgebracht haben, alles, was man an Lehren aus der literarischen Überlieferung und der Geschichte – und aus den Erfahrungen unserer Eltern – ziehen könnte. Als könnten wir unser Schiff noch ein Weilchen vor dem Sinken bewahren, indem wir es leichter machen.

Frau ohne Welt. Teil 2: Der Krieg gegen das Kind

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