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Kapitel 3
ОглавлениеZwanzig Sommer waren seit der Geburt Tarchunies ins Land gegangen, und aus dem Knaben war ein junger, starker Mann geworden, der zur Freude seines Vaters schon in früher Jugend seine Vorliebe für die Seefahrt entdeckt und, kaum dass er das zwölfte Lebensjahr beendet hatte, bei der Flotte Tarchnals angeheuert hatte.
Vieles im Land hatte sich in dieser Zeit auf dramatische Weise verändert.
Als das jeweilige Oberhaupt der Tarchna noch in ungebrochener Folge zum Mechel-Rasnal gewählt worden war, hatte es aufgrund dieser Tradition einen gewissen Zusammenhalt zwischen den Städten der Rasna gegeben, welcher, zumindest oberflächlich betrachtet, als ein Bund betrachtet werden konnte.
Doch mit der Wahl Arnth Spurianas zerbrach dieser Bund vollends, und die Städte begannen nun, da sie sich völlig frei und unabhängig fühlten, ganz offen gegeneinander zu rivalisieren, was immer häufiger in regelrechte Kriege ausartete.
Auch das Amt des Mechel-Rasnal war zum reinen Prestigeobjekt verkommen, das immer demjenigen zuerkannt wurde, der das meiste Gold besaß, um damit die für seine Wahl notwendige Anzahl an Lukomonen zu bestechen.
Das hatte dazu geführt, dass Laris Tarchne dem jährlichen Treffen am Heiligtum Velthunes immer öfter ferngeblieben war, weil ihn das eitle und gotteslästerliche Gebaren der Stadtfürsten, was diese dort auf schamlose Weise zur Schau stellten, zutiefst anwiderte.
Aber es gab noch eine andere üble Entwicklung, die weitaus bedrohlicher für den Bestand der Rasna war und die von den meisten Lukomonen in ihrer arroganten Selbstherrlichkeit überhaupt nicht gesehen wurde.
Schon seit langem hatten die Craeces damit begonnen, Kolonien südlich des Territoriums der zwölf großen Rasnastädte zu gründen, was dazu führte, dass sie durch den Strom ihrer luxuriösen Waren immer mehr an Einfluss gewannen, sodass sie fast ausschließlich den Handel zu Lande und zur See beherrschten.
Unter den Rasna, die bis dahin ein eher bescheidenes und einfaches Leben geführt hatten, galt es nun aufgrund der scheinbar hoch überlegenen Kultur der Fremden als besonders erstrebenswert, sie in allem nachzuahmen. Jeder, der etwas auf sich hielt oder es auch nur meinte, frönte dem Lebensstil der Craeces, und die Handwerker und Künstler schufen Bilder, Schmuck und selbst die einfachsten Gebrauchsgegenstände nach ihrem Vorbild.
Dies, für sich genommen, stellte keine große Gefahr dar, denn immerhin profitierten die Craeces davon, indem sie von den Rasna im Tausch für diese Güter die von ihnen so heiß begehrten Metalle, wie Kupfer und Erz geliefert bekamen, die ihnen im Lande selbst abzubauen auch weiterhin verweigert wurde.
In jüngster Zeit jedoch waren andere Craeces übers Meer gekommen, welche auf eine sehr aggressive Weise danach trachteten, sich die reichen Erzvorkommen anzueignen, die es auf den beiden großen, der westlichen Küste vorgelagerten Inseln gab und die zum Machtbereich Fufluns und Vethluns zählten.
Diese Craeces stammten aus Phokäa, einer Stadt, die am östlichen Rand des Meeres gelegen war. Auf ihrer Suche nach Erz waren sie mit ihren schnellen, von fünfzig Rudern getriebenen Schiffen bis weit nach Westen vorgedrungen und hatten dabei keine Skrupel, selbst ihre Stammesverwandten zu Lande oder zu Wasser anzugreifen, wenn diese sich ihren Interessen entgegenstellten.
Vor zwei Jahren geschah es nun, dass Gesandte aus Fufluns und Vethluns nach Tarchnal gekommen waren, um Laris und den Rat der Stadt für einen Beistandspakt gegen die Phokäer zu gewinnen.
Tarchnal hatte zwar nach der spektakulären Wahl des Arnth Spuriana zum Mechel-Rasnal seine Vormachtstellung an Chaisrie verloren, verfügte aber immer noch über die stärkste Flotte.
Trotz des vehementen Protestes von Seiten des in Tarchnal lebenden Zweiges der Spuriana, die sich mit ihren regierenden Vettern in Chaisrie, die mit den Phokäern sympathisierten, solidarisch erklärten, schloss Laris mit der überwiegenden Mehrheit des Rates das Bündnis mit den beiden Städten, und seither tobte ein blutiger Seekrieg, der von allen Beteiligten mit erbarmungsloser Härte geführt wurde.
Die Kriegssegler aus Tarchnal, die die Schiffe der Craeces an Kampfkraft und Wendigkeit bei weitem übertrafen, waren mittlerweile dazu übergegangen, jedes Schiff fremder Bauart anzugreifen, ganz gleich, ob es sich dabei um ein phokäisches, euböisches oder phoinikisches handelte.
Tarchunies hatte anlässlich seines zwanzigsten Geburtsfestes für einige Tage Urlaub von der Flotte genommen und war am gestrigen Abend im Hause seines Vaters eingetroffen. Er hatte lange geschlafen, doch dann hatten ihn die wärmenden Strahlen der vormittäglichen Frühlingssonne wachgekitzelt. Nachdem er sich gewaschen und danach ein kleines, behagliches Frühstück gemeinsam mit seinen Eltern und Brüdern eingenommen hatte, war er in den Stall gegangen und hatte sich seine Lieblingsstute aufgezäumt.
Dann war er ausgeritten, hinaus in die Wiesen und Felder vor der Stadt, um sich in der weiten herrlichen und sonnenbeschienenen Landschaft, die sich um seine Heimatstadt erstreckte, ausgiebig von den Strapazen auf See zu erholen.
Lange ritt er so traumverloren dahin und ließ den leisen Wind in seinen langen braunen Haaren wehen, bis er schließlich zu jener einsamen und verborgen gelegenen Stelle kam, welche er schon in seiner frühesten Jugend entdeckt und immer dann aufgesucht hatte, wenn er mit sich und seinen Gedanken allein sein wollte.
Es war eine kleine Wiesenmulde, die geschützt zwischen den sie umgebenden, sanft ansteigenden Hügeln lag, welche von Schatten spendenden Zypressenhainen gekrönt waren. Das Grün des schon recht hohen Grases verschwand nahezu unter dem Blütenmeer aus Mohnblumen und Margeriten, die zu dieser späten Zeit des Frühlings ihre üppige weiß und rot leuchtende Pracht entfaltet hatten.
Tarchunies glitt vom Rücken seiner Stute herunter, nahm ihr das Zaumzeug ab, damit sie ungestört weiden konnte, und ließ sich mit einem wohligen Aufseufzen und ausgebreiteten Armen rücklings in das duftende, weiche Bett aus Gras und Blumen fallen. In tiefen Zügen sog er genüsslich die warme, vom würzigen Duft der Blüten und Kräuter geschwängerte Luft in seine Lungen und ließ seinen nur von einem knappen Lendenschurz bekleideten Körper von den Strahlen der milden Mittagssonne umschmeicheln, die von dem wolkenlosen, blassblauen Himmel auf ihn herabschien.
Das monotone Summen der Bienen und das leise Zirpen der Zikaden, welches die friedvolle Stille, die um ihn herrschte, angenehm erfüllte, lullten ihn allmählich so ein, dass er die Augen schloss und selig in einen leichten Schlummer hinüberdämmerte.
»Was machst du auf meiner Wiese?«, drang es plötzlich wie von fern in seine Ohren.
Tarchunies öffnete langsam die Lider, und was er dann sah, ließ ihn wähnen, weiterhin im Reich seiner Träume gefangen zu sein.
Vor ihm stand, die Arme in die Hüften gestemmt, die ranke, von einem weißen, knielangen und ärmellosen Kittel bekleidete Gestalt eines etwa gleichaltrigen Mädchens, das auf ihn mit ihren blitzend blauen, langwimprigen Augen argwöhnisch herabblickte. Ihr über der hohen Stirn sorgsam gescheiteltes, hellblondes Haar, fiel ihr offen über die Schultern bis zu ihrer schmalen Taille, die von einem breiten, mit goldenen Ornamenten versehenen Lederband umgürtet war. Über dem fein gerundeten Kinn schmollte ein volles, kirschrotes Lippenpaar, über welchem sich ihre kleine, filigrane Nase keck nach oben reckte. Die Spitzen ihrer vollen, festen Brüste hoben sich deutlich unter dem sich über ihnen spannenden leinenen Gewebe ihres Gewandes ab und ließen dem Betrachter zusammen mit dem aufreizenden Anblick ihrer langen, wohlgeformten Schenkel das Blut in den Lenden wallen.
Jetzt erst wurde Tarchunies gewahr, dass dieses wunderbare Wesen kein aus der mittäglichen Hitze geborenes Trugbild war, sondern wahrhaftig aus Fleisch und Blut bestand. Er richtete umständlich seinen Oberkörper auf und blinzelte sie, von der Sonne und ihrer seltenen Schönheit geblendet, entgeistert an.
Solange er zurückdenken konnte, hatte er an diesem entlegenen Ort noch keine Menschenseele zu Gesicht bekommen, und so fragte er sich für einen Augenblick, ob es nicht Turan, die Göttin der Liebe selbst war, die hier vor ihm menschliche Gestalt angenommen hatte.
»Hörst du schwer? Ich wollte von dir wissen, was du auf meiner Wiese machst!«
Der arrogante Unterton, der in ihrer Stimme lag, enthob ihn allerdings jeder weiteren diesbezüglichen Überlegung, und er beschloss, sie als das zu nehmen, was sie zweifellos war, nämlich ein zwar überaus schönes, aber leider dazu auch noch überhebliches, anmaßendes und offenbar völlig verzogenes Mädchen aus reichem Hause.
»Wie kannst du sagen, dass diese Wiese dir gehört?«, entgegnete Tarchunies ihr süffisant. »Soviel ich weiß, liegt dieses herrliche Fleckchen Erde im Stadtbereich von Tarchnal, und ich, der ich von dort stamme, habe dich weder in der Stadt noch hier jemals gesehen.«
Jetzt erst bemerkte er die kurze Reitgerte, die sie in der Rechten trug, und schaute sich kurz suchend nach dem Pferd um, mit dem sie hierher gekommen sein musste. Es war ein prachtvoller Rapphengst, der gerade traulich die Nüstern am Hals seiner Stute rieb.
»Wie du siehst«, wies er grinsend mit dem Kopf zu den beiden Tieren, »benimmt sich dein Hengst gerade weitaus freundlicher zu meiner Stute als seine Herrin mir gegenüber.«
Verdutzt fuhr sie herum und ließ ihren Blick eine Zeit lang auf der idyllischen Szene ruhen. Dann, als die Pferde damit begannen, ausgelassen und sich gegenseitig jagend über die Wiese zu tollen, wandte sie sich ihm verlegen lächelnd wieder zu und machte es sich ihm gegenüber im Gras bequem.
Ihr anfänglicher Unmut war augenscheinlich von ihr gewichen, und sie musterte Tarchunies nun eine Weile mit wohlwollend erwachender Neugier, denn sie musste sich insgeheim eingestehen, dass dieser Fremde ihr, zumindest von seinem äußeren Eindruck her, ausnehmend gut gefiel.
Es waren vor allem seine ernsten, grünlich schimmernden Augen, die sie sofort in ihren Bann schlugen. Neben dem Ansatz der geraden, scharfrückigen Nase, unter deren etwas weit auseinander stehenden Flügeln sich der sinnliche Mund schwang, schauten diese sie aus ihren seitlich leicht zu den hoch angesetzten Wangenknochen gezogenen Lidern unverwandt an. Seine markanten Gesichtszüge mit den sich spöttisch kräuselnden Lippen hatten etwas Wölfisches, und auch die spitz zulaufenden Ohren sowie die schwellenden Muskeln, die unter seiner sonnengebräunten Haut spielten, erinnerten an den scheuen, wilden Räuber.
Ihr Blick wanderte zu seinen Händen. Sie waren nervig und schwielig – und erinnerten sie damit an ihre eigenen.
»Verzeih mir, dass ich so barsch zu dir war. Natürlich gehört mir diese Wiese nicht, aber schon als kleines Mädchen habe ich, wann immer ich konnte, diesen wundersamen Ort aufgesucht, um seine einsame Schönheit zu genießen. Und da ich hier niemals zuvor auf ein menschliches Wesen getroffen war, habe ich mir diesen Platz in meiner Fantasie als mein Eigen vorgestellt.«
Tarchunies nickte nachdenklich mit dem Kopf.
»Ich kann dich gut verstehen«, stimmte er ihr zu, »mir geht es ebenso. Nur ist es seltsam, dass wir uns in dieser Zeit nie begegnet sind. Wo lebst du eigentlich?«
»In Chaisrie, aber von Zeit zu Zeit besuche ich Verwandte, die in der Nähe von Tarchnal ein Landgut besitzen. Dort finde ich Ruhe und Erholung von dem oft rauen Alltag, dem ich ansonsten ausgesetzt bin.«
Irritiert von ihren letzten Worten sah er sie darauf noch einmal genauer an, wobei ihm jetzt auch ihre Hände auffielen, die, wie er zu seiner Verwunderung feststellte, offenbar gewohnt waren, harte Arbeit zu verrichten.
»Was ist es wohl, dass dich, ein schönes Mädchen aus adliger Familie, zwingt, einen rauen Alltag zu erleben, wie du sagst? Denn deiner Kleidung und deinem Auftreten nach bist du weder eine Sklavin noch eine bäuerliche Dienstmagd.«
Sie warf den Kopf zurück und lachte kurz und silberhell auf.
»Gut und richtig beobachtet!«, erwiderte sie und ließ ihn ihre makellos weißen Zahnreihen bewundern. »Nur zwingt mich nichts und niemand zu meinem Tun, sondern ich habe mir dieses Leben freiwillig ausgesucht.«
»Und was für ein Leben ist das?«, insistierte er gespannt.
»Ich fahre zur See und führe ein Kriegsschiff meines Vaters!«, antwortete sie freimütig und nicht ohne Stolz.
Es brauchte eine ganze Weile, bis Tarchunies schließlich vollends begriff, was sie ihm gerade so leichthin eröffnet hatte. Einigermaßen verwirrt und gleichermaßen verblüfft starrte er sie unter seinen hochgezogenen Brauen ungläubig an.
»Das ... das kann doch nicht wahr sein!«, murmelte er mehr zu sich selbst.
»Wie, höre ich da Zweifel an meinen Worten, oder zählst du auch zu denen, die meinen, dass die Seefahrt allein den Männern vorbehalten sei?«
Der leise Spott, der in ihrer provozierend girrenden Stimme schwang, war unverkennbar.
»Hör gut zu, junger Herr!«, fuhr sie weiter fort, ohne ihn erst zu Wort kommen zu lassen. »Ich habe schon auf den schwankenden Planken unserer Schiffe gestanden, als du vielleicht gerade erst das Reiten gelernt hast. Ich habe so manchen schweren Sturm überstanden und so manches gute Schiff samt seiner Besatzung auf den Grund der See gebohrt. Ich habe auch«, und dabei erschien ein harter, grausamer Zug um ihre Lippen, »ich habe auch schon so manch guten Krieger im Kampf Mann gegen Frau zu den Schatten geschickt.«
Nachdem sie ihm dies mit klaren Worten, denen keinerlei Emotion zu entnehmen waren, verdeutlicht hatte, betrachtete Tarchunies sie eine geraume Weile mit staunender Bewunderung, was sie mit großer Genugtuung registrierte. Er wusste instinktiv, dass sie die Wahrheit gesprochen hatte, denn ihre klaren Augen hielten seinem ernst prüfenden Blick unverwandt stand.
Gewiss, die Frauen waren in der Gesellschaft der Rasna den Männern weitgehend gleichgestellt und genossen von jeher Freizügigkeiten, die von den Craeces beispielsweise, seit sie in dieses Land gekommen waren, mit missbilligendem und argwöhnischem Unverständnis zur Kenntnis genommen worden waren. Deren Frauen nämlich blieben vom Leben der Männer grundsätzlich ausgeschlossen und hatten sich lediglich um den Haushalt und die Erziehung der Kinder zu kümmern. Außerhalb der Häuser waren sie so gut wie nie anzutreffen und nahmen auch nicht am öffentlichen Leben teil. Auch den Gastmählern, zu denen die Craeces einluden, hatten sie fernzubleiben, den es galt bei ihnen als unschicklich, mit Frauen bei Tische zu liegen, was bei den Rasna im Gegensatz dazu eine übliche Sitte war. Die Craeces sahen ihre Frauen als ihren persönlichen Besitz an, über den sie nach Gutdünken verfügten, während die Frauen der Rasna ihren Männern ebenbürtige Partnerinnen waren, die sich selbstbewusst in der Öffentlichkeit zu bewegen verstanden.
So war es fast schon selbstverständlich, dass eine Frau ein hohes öffentliches Amt bekleidete, einen Minenbetrieb führte oder an harten sportlichen Wettkämpfen wie etwa Faustkämpfen oder Wagenrennen teilnahm, aber Tarchunies hatte noch nie davon gehört, dass eine Frau jemals den kräftezehrenden und auch gefährlichen Dienst auf einem Schiff oder gar auf einem Kampfsegler ausgeübt hatte und überdies auch noch mit dessen Führung betraut worden war.
Das war es, was ihm hohen Respekt vor dieser in jeder Hinsicht außergewöhnlichen jungen Frau abnötigte und ihn auch auf eine noch nie erlebte erotische Art und Weise zu ihr hinzog.
Sie schien seine Gedanken erraten zu haben, denn sie schmunzelte amüsiert ob seiner betroffenen Wortlosigkeit.
»Nun ... ähem ... du musst mein Betragen dir gegenüber entschuldigen«, räusperte er sich schließlich verlegen. »Es ist nicht so, dass ich dir nicht glaube oder dass ich Anstoß an dem nehme, was du tust, aber, na ja, auf irgendeine Weise ist es schon merkwürdig, dass es da wieder etwas gibt, was uns verbindet, denn auch ich fahre zur See und zwar ebenfalls auf einem Kriegsschiff, welches allerdings der Flotte Tarchnals angehört. Du musst einsehen, dass mich diese neuerliche Gemeinsamkeit etwas nachdenklich gestimmt hat.«
Für einen Moment zogen sich ihre Augenbrauen zweifelnd zusammen, und sie bedachte ihn mit einem kurzen, scharfen Blick, doch dann entspannten sich ihre Züge, und beide fingen schallend an zu lachen.
»Tja, jetzt könnte ich wie du vorhin fragen, weshalb wir uns auf See noch nie getroffen haben!«, prustete sie, nachdem sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte. »Aber im Ernst, es ist in der Tat ein sonderbarer Zufall, der uns heute hier zusammengeführt hat. Stell dir vor, da haben wir über so viele Jahre hinweg denselben abgelegenen Ort aufgesucht, um an ihm Ruhe zu finden und sich an seiner Schönheit zu erfreuen, und erst heute dürfen wir uns hier begegnen.«
»Das mag daran liegen, dass heute mein Geburtstag ist und ein schöneres Geschenk, als deine Bekanntschaft gemacht zu haben, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«
Sie errötete darauf leicht und sah verschämt auf ihre Füße.
»Habe ich ... habe ich etwas Falsches gesagt?«, beeilte er sich, ihre Reaktion missdeutend, sie zu fragen.
Sie schüttelte heftig den Kopf und blickte ihn aus feuchten Augen an.
»Nein, ganz im Gegenteil«, kam es leise über ihre bebenden Lippen. »Ich fand es sogar wunderschön, zumal ich es ebenso empfinde. Es ist nur ...« Sie verstummte für einen Moment, schluckte ein paarmal und fuhr dann mit festerer Stimme weiter fort. »Es ist nur, dass ich solches noch nie aus dem Munde eines Mannes vernommen habe.«
Als sie das blanke Unverständnis bemerkte, dass sich in seiner Miene spiegelte, huschte ein scheues Lächeln um ihre Mundwinkel.
»Ich weiß sehr wohl, dass man mich für eine schöne, begehrenswerte Frau hält«, versuchte sie ihm zaghaft zu erklären, »aber trotzdem hat es bisher kein Mann gewagt, mir das zum Ausdruck zu bringen oder gar sich mir werbend zu nähern. Manchmal denke ich, dass sie einfach Angst vor mir haben, vielleicht weil ich ihnen zu kalt und abweisend erscheine.«
Tarchunies nickte zustimmend.
»Damit könntest du Recht haben. Auch ich war anfangs dieser Meinung, als du vorhin so herrisch vor mich hintratest, doch irgendwie, vielleicht durch den Zauber dieses Ortes, fühlte ich mir dir auf einmal im Herzen vertraut. Aber es ist schon wahr: Starke, selbstbewusste Frauen, zumal wenn sie von seltener körperlicher Schönheit sind, so wie du, erscheinen den meisten Männern eher suspekt, weil sie vielleicht fürchten, ihnen auf die eine oder andere Art und Weise unterlegen zu sein.«
»Da bin ich aber froh, an dich geraten zu sein, denn du gehörst offenbar nicht zu dieser Sorte Mann!«, rief sie fröhlich und befreit aus, während sie übermütig aufsprang. »Wie ist es? Sehen wir uns wieder? Vielleicht am Tage des nächsten Vollmonds?«
Enttäuscht schaute er zu ihr hoch.
»Musst du schon fort? Wieso bleibst du nicht noch etwas hier? Wir haben doch gerade erst angefangen, uns kennen zu lernen, und der Tag ist noch lang!«
»Ja, leider! Aber ich muss heute noch nach Chaisrie zurückkehren«, erwiderte sie bekümmert. »Wir laufen morgen in aller Frühe aus, und bis dahin gibt es noch viel für mich zu tun. Tröstlich ist es nur, dass es bis zum nächsten Vollmond nicht mehr lange währt.«
Sie beugte sich zu ihm herab und hauchte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn.
»Also, ich werde dich dann hier erwarten, wenn die Sonne im Mittag steht. Du wirst doch kommen?«, vergewisserte sie sich.
»J... ja, natürlich!«
»Dann ist es gut! Leb wohl bis dahin!«, sagte sie lachend, rannte leichtfüßig zu ihrem Hengst und schwang sich aus dem Lauf auf seinen Rücken. Juchzend ergriff sie die Zügel, trieb das Tier mit ihren Fersen an und galoppierte winkend an Tarchunies vorbei, der ihr mit offenem Mund und von dem unerwarteten Kuss noch immer verwirrt nachschaute.
Da fiel ihm siedend heiß ein, dass er noch nicht einmal ihren Namen wusste – und sie nicht den seinen. Stolpernd rappelte er sich auf und lief ihr hinterher.
»Wie heißt du?«, schrie er ihr nach. »Mein Name ist Tarchunies!«
Sie zügelte das Pferd so hart, dass es auf die Hinterhand ging, und wandte sich ihm mit blitzenden Augen zu.
»Tanachvil! Ich heiße Tanachvil!«
Dann stob sie in einer duftenden Wolke aus aufgewirbeltem Blütenstaub davon.
Als Tarchunies später, am Abend, gemeinsam mit seiner Familie um den reich gedeckten Tisch lag, wollte in ihm keine rechte Feierstimmung aufkommen, denn seine Gedanken kreisten nur um die schöne Unbekannte, der er heute begegnet war und von der er nur den Namen wusste. Er aß kaum etwas, und auch von seinem Lieblingswein, den er sonst in vollen Zügen zu genießen pflegte, nippte er nur fahrig und lustlos. So bemerkte er auch zunächst nicht, dass die Gespräche um ihn auf einmal erstarben und alle ihn besorgt ansahen.
»Ist dir nicht wohl, Kind?«, hörte er seine Mutter fragen. »Oder schmeckt dir das Essen nicht? Heute ist dein Geburtsfest, doch scheinst du dich nicht darüber zu freuen. Was ist es, dass dich so abwesend von uns sein lässt?«
»Nein ... äh, das Essen ist hervorragend«, stotterte er heiser. »Ich ... ich habe nur einfach keinen Hunger, weißt du.«
»Sehr gesprächig bist du auch nicht«, stellte sein Vater unmutig fest. »Normalerweise muss man deinen Redefluss bremsen, aber gerade heute bist du ausgesprochen mürrisch und abweisend. Haben wir dir irgendetwas unwissentlich getan, was dich beleidigt hat?«
Seine Eltern und seine Brüder sahen ihn darauf erwartungsvoll an.
Er wusste, dass er nun, ob er wollte oder nicht, gezwungen war, eine plausible Erklärung für sein ungewohntes Verhalten abzugeben – und zwar wahrheitsgemäß, denn zumindest bei seiner Mutter konnte er mit Sicherheit davon ausgehen, dass diese ihn mit ihrem unnachahmlichen Gespür jeder geringsten Unehrlichkeit überführen würde.
Also fügte er sich in das Unvermeidliche, setzte sich auf die Kante seiner Liege und begann seufzend und zuerst ein wenig stockend von seinem nachmittäglichen Erlebnis zu berichten, ohne allerdings näher auf das Aussehen und den Namen seiner neuen Bekanntschaft einzugehen.
Nachdem er geendet hatte, wechselten seine Zuhörer belustigte Blicke, und Nerie, sein zweitältester Bruder, brach sogar in schallendes Gelächter aus.
»Hat man Worte!«, spöttelte er. »Mein kleiner Bruder ist verliebt! Nein, wie anrührend!«
»Nun mach es nicht so spannend, Bruderherz, und sag uns, wie deine Angebetete aussieht!«, forderte ihn Thevarie, der Erstgeborene, augenzwinkernd auf.
Tarchunies bekam einen hochroten Kopf, leckte sich über die Lippen und schaute betreten von einem zum anderen.
»Sie ist ... wie soll ich sagen ...«, wand er sich, verzweifelt nach den passenden Worten suchend. »Also, sie ist schlank und hoch gewachsen, hat helle blonde Haare und blaue Augen ...«
»... und heißt Tanachvil, nicht wahr?«, unterbrach ihn sein Vater, der plötzlich unvermittelt ernst geworden war.
»Nun, ja ... woher ... ?« Tarchunies verstummte abrupt, als er die düstere Miene seines Vaters bemerkte.
Auch die anderen blickten verstört auf das Familienoberhaupt.
Laris führte indes seinen Becher zum Mund und trank ihn in hastigen Zügen leer.
»Sie heißt Tanachvil«, hustete er, da er sich in seiner Erregung verschluckt hatte. »Tanachvil Spuriana! Ausgerechnet an die muss mein Sohn sein unschuldiges Herz verlieren. Sie muss es sein, denn mir ist sonst keine blonde Frau bekannt, die dazu noch zur See fährt. Du wirst sie jedenfalls nicht wiedersehen, hast du mich verstanden?«
Über Tarchunies brach eine Welt zusammen. Zum ersten Male in seinem Leben hatte er eine Frau getroffen, zu der er sich in Liebe hingezogen fühlte, und dann musste er erfahren, dass sie die Tochter des Erzfeindes seines Vaters war. Ein eiskalter Schmerz durchfuhr sein Herz, aber es wurde ihm auch gleichzeitig bewusst, dass er, schon um der Familienehre willen, gehorchen musste.
»Ja, mein Vater!«, presste er gequält hervor. »Ich werde mich deinem Willen beugen.«