Читать книгу Die Gründer der Stadt - Bernhard von Muecklich - Страница 9

Kapitel 4

Оглавление

Am Nachmittag des folgenden Tages beschloss Tarchunies, in die Stadt zu gehen und seinen Kummer zu ertränken. Zielstrebig schritt er über das steinige Pflaster der breiten, geraden Gassen, welche die Häuserblocks lotrecht in alle vier Himmelsrichtungen durchschnitten und die alle zu dem großen Marktplatz im Zentrum führten.

Dieser Platz, der von etlichen Schänken und Wirtshäusern umsäumt wurde, trennte die Bewohner Tarchnals auch grob in Arm und Reich. In der nordwestlichen Hälfte der Stadt, um den flachen Hügel, auf welchem sich das Heiligtum des Tini erhob, lebten der Adel und die begüterten Kaufherren in ihren weitläufigen, weißen und mit roten Ziegeldächern versehenen Villen, während in der anderen Hälfte die kleinen Handwerker, Sklaven und Tagelöhner in ihren ärmlichen und zumeist strohgedeckten Lehmhütten ein kärgliches Dasein fristeten.

Der größte Teil derjenigen, die an den Feierlichkeiten zu Ehren Velthunes teilgenommen hatten, war inzwischen in die Stadt zurückgekehrt, und so herrschte auf dem Marktplatz wieder die gewohnte brodelnde Geschäftigkeit. Überall priesen die Händler und Bauern laut schreiend und gestikulierend ihre Waren an, und der beißende Geruch von gebratenem, scharf gewürztem Fisch und Fleisch, der aus den vielen Garküchen quoll und sich mit den Ausdünstungen der Menschen zu einer die Nase betäubenden Mischung verband, lastete schwer in der Luft.

Tarchunies kämpfte sich mühsam durch die dichte, wuselnde Menge auf die gegenüberliegende Seite des Platzes, wo er seine Lieblingsschänke wusste, in welche er deshalb gerne einzukehren pflegte, da es dort seiner Meinung nach den besten Wein der Stadt gab.

Die Schänke unterschied sich nicht sonderlich von den anderen, die sich hier dicht an dicht aneinander reihten, nur dass sie wesentlich sauberer und gepflegter erschien. Auf dem rechteckig gemauerten Fundament waren die mit Lehm verputzten und mit Kalk geweißten, fensterlosen Wände aus Flechtwerk errichtet worden. Das mit rot gebrannten Ziegeln gedeckte Dach fiel von der Mitte des länglichen Gebäudes mit einer leichten Schräge ab und ragte über den nach vorne offenen Schankraum, wo es an den Ecken von zwei dicken, runden Pfosten abgestützt wurde. Vor dem breiten Tresen, welcher zwischen den Pfosten verlief, herrschte ein so großer Andrang, als sei es das letzte Mal, dass die Leute etwas zu trinken bekämen, und der Wirt sowie dessen Frau und seine zwei Sklavinnen hatten alle Hände voll zu tun, den lautstark vorgebrachten Wünschen ihrer Gäste eilfertig nachzukommen.

Trotz der hektischen Betriebsamkeit, der er ausgesetzt war, hatte der Wirt Tarchunies in der Menge bemerkt, denn mit einem freundlichen Grinsen deutete er knapp mit dem Daumen über seinen Rücken in den inneren Teil der Schänke.

Tarchunies nickte nur, trat durch den seitlich des Tresens befindlichen Durchlass und setzte sich an den kleinen Tisch in der rechten hinteren Ecke des Raumes, an dem er am liebsten Platz zu nehmen pflegte.

Hier war es angenehm kühl, und als seine Augen sich an das dämmrige Halbdunkel gewöhnt hatten, stellte er zu seiner Erleichterung fest, dass es außer ihm nur wenige vorgezogen hatten, diesen relativ abgeschiedenen Raum aufzusuchen, um dem lärmenden Treiben draußen zu entfliehen und sich in aller Ruhe dem reichhaltigen Angebot an Speisen und Getränken zu widmen.

»Wünscht der edle Herr zum Wein auch etwas zu essen?«, hörte er wenig später die röhrende, kurzatmige Stimme des Wirtes, während dieser gleichzeitig einen bauchigen Krug nebst einem tönernen Becher vor ihm abstellte.

Tarchunies sah zu ihm auf und schüttelte verneinend den Kopf.

»Wenn du nur darauf achtest, dass mein Becher immer voll bleibt.«

»Verstehe! Ich werde dafür sorgen, dass ihr ungestört bleibt, Herr!«, brummte der korpulente Mann gutmütig und stapfte wieder davon.

Als Tarchunies sich eingeschenkt hatte und gerade den Becher zu seinem Mund führen wollte, nahm er aus den Augenwinkeln heraus die riesenhafte Gestalt eines Mannes wahr, der an einem der vorderen Tische an der gegenüberliegenden Wand saß und, auf seine Ellenbogen gestützt, mit sichtlichem Behagen an einem ganzen gebratenen Hähnchen nagte.

Seinem Aussehen und seiner Kleidung nach zu urteilen, gehörte dieser Fremde weder zu den Rasna noch zu den Craeces oder einem anderen in diesem Land ansässigen Volke. Staunend und verwirrt ließ er den Becher wieder sinken und begann den Hünen unauffällig näher zu betrachten.

Das Erste, was ihm neben dessen ungeheurer Körpergröße auffiel, war der mächtige, reusenartige Schnauzbart unter der breitrückigen, fleischigen Nase, dessen Enden ihm lang bis zum Kinn hingen. Sein dichtes, auf der Mitte des Kopfes streng gescheiteltes rotblondes Haar fiel ihm offen über die Schultern und bildete zu beiden Seiten des Scheitels jeweils einen Wirbel, sodass sich zwei lange Strähnen über seinen Brauen wölbten. Die Farbe seiner Augen war nicht zu erkennen, da er sie, während er aß, genüsslich geschlossen hielt. Um den Hals trug er einen dünnen, in sich gedrehten Goldreif, dessen wulstige Enden sich unterhalb der Kehle trafen, und seine muskelbepackten Oberarme, die aus dem voluminösen nackten und haarigen Oberkörper herauswuchsen, wurden von zwei breiten Bändern aus demselben Material umfangen.

Am sonderbarsten aber erschien Tarchunies das Kleidungsstück, welches den Unterleib und die Beine des Fremden umhüllte. Die Beine steckten in zwei weiten, aus Wolle gewobenen Röhren, die um die Knöchel von einem schmalen Lederriemen geschlossen und unter dem Schritt bis zu den Hüften hinauf zusammengenäht waren. Ein handbreiter Ledergürtel mit einer goldenen Schließe, an welchem ein langes Schwert mit den hörnerartigen Fortsätzen am Knauf angebracht war, hielt das mit leuchtendem Rot und Blau scheckig gefärbte Stoffgebilde am Leibe fest.

Tarchunies richtete den Blick wieder kopfschüttelnd auf den klaren Inhalt seines Bechers und fragte sich für einen Moment, woher dieser merkwürdige Fremde wohl stammen könnte, doch dann besann er sich auf den eigentlichen Grund seines Hierseins und ließ den fruchtigen Wein in einem Zug durch seine Kehle gleiten.

Als er gerade dabei war, sich über den zweiten Krug, den der Wirt ihm wortlos gebracht hatte, herzumachen, schreckte ihn ein pfeifendes Geräusch, gefolgt von einem dumpfen Einschlag neben ihm, aus seinen Gedanken.

Vor seinem Becher stak zitternd ein Dolch im Holz des Tisches.

Verwundert schaute er als Erstes zu dem Fremden hinüber, aber der saß ruhig da und kaute schmatzend an einer Lammkeule herum. Dann erst registrierte er, dass sich ihm fünf Männer näherten, die sich wie Schatten vor dem vom Sonnenlicht erhellten vorderen Teil des Raumes abhoben, weshalb er sie nicht sogleich erkennen konnte. Doch als sie schließlich seinen Tisch umringt hatten, wusste er, wer ihm die Ehre gab.

Es handelte sich um die drei Brüder Vel, Avle und Arnth, die Söhne des Venel Spuriana, welcher das Oberhaupt des hiesigen Zweiges der mit den Tarchna verfeindeten Familie war. Die anderen beiden waren Acle Titele und Larth Seianta, ebenfalls Söhne adliger Familien dieser Stadt, die mit den Spuriana sympathisierten. Ihre düsteren Mienen verrieten ihm, dass sie nicht gekommen waren, um ihn zu einem Krug Wein einzuladen, und da er den Grund ihrer Anwesenheit erahnte, tastete er vorsichtig nach seinem Dolch, den er aber, wie er zu seinem Schrecken feststellen musste, offenbar zu Hause gelassen hatte.

»Nein, wen haben wir denn hier?«, säuselte Arnth, der älteste der drei Brüder. »Der junge Herr Tarchne, wenn ich nicht irre. Der junge Herr hat Landurlaub und geruht sich ein wenig beim Wein zu vergnügen. Wie ist das werte Befinden?«

Tarchunies beschloss, sich fürs Erste auf das böse Spiel einzulassen und lehnte sich gemächlich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurück, wobei er aber den Blick unter halb geschlossenen Lidern wachsam auf die Hände seiner Gegner geheftet ließ.

»Ooch, mir geht’s prächtig!«, erwiderte er betont fröhlich. »Wollt ihr mir nicht Gesellschaft leisten? Der Wein ist gut, und es ist genug da. Es würde mir eine Freude sein.«

»Tot wirst du bald sein, du Schwein!«, zischte ihn Larth Seianta daraufhin an, riss die Klinge aus der Tischplatte und hielt sie ihm unter die Nase.

Tarchunies tat so, als ignoriere er die Drohung. Stattdessen wandte er sich in gespielter Unschuld an Arnth.

»Dieser junge Herr da, seinem üblen Geruch nach, wie ich vermute, ein Seianta, ist offenbar gerade dabei, die Beherrschung zu verlieren. Nur kann ich mir beim besten Willen nicht erklären, was an meinen freundlichen und einladenden Worten sein Missfallen erregt hat. Vielleicht sagt ihm ja die Qualität meines euch angebotenen Weines nicht zu? Aber ich versichere euch, dass dem Abhilfe geschaffen werden kann. Ich werde sogleich einen anderen köstlichen Tropfen bestellen, der euch gewiss besser munden wird.«

Mit einem wütenden Aufschrei wollte sich Larth daraufhin mit erhobener Waffe auf Tarchunies stürzen, doch Acle und Avle fielen ihm gerade noch rechtzeitig in die Arme, entwanden ihm den Dolch und hielten den Rasenden fest umklammert. Inzwischen war der Wirt auf das Geschehen in seiner Schänke aufmerksam geworden und herbeigeeilt.

»Beruhigt euch, ihr Herren!«, rief er begütigend und stellte sich mit erhobenen Armen vor Tarchunies. »Wenn ihr euch unbedingt schlagen wollt, dann bitte nicht hier. Vor der Stadt ist genug Platz dafür.«

»Für dein Grab auch!«, fuhr ihm Arnth kalt ins Wort. »Wenn ich als Edelmann dir, der du niedrig geboren bist, einen wohlwollenden Rat geben darf: Halte dich aus unseren Angelegenheiten besser heraus, du fettes Nichts, sonst fürchte ich, dass deine liebenswerte Frau sich bald Witwengewänder zulegen muss. Außerdem hat es schon lange nicht mehr geregnet, und du weißt ja, wie leicht bei dieser heißen Witterung ein Feuer ausbrechen kann. Es wäre doch wirklich schade um deine schöne Schänke, sollte das ausgerechnet hier passieren.«

Derart eingeschüchtert erblasste der arme Mann, tupfte sich fahrig den perlenden Schweiß von seinem kahlen Schädel und trollte sich mit weichen Knien wieder zu seinem Tresen.

»Nun wieder zu dir, mein Freund!«, richtete Arnth sich erneut an Tarchunies und strich sich affektiert eine Locke seines schwarz glänzenden Haares aus der Stirn. »Zunächst möchte ich mich bei dir für das wahrlich ungebührliche Verhalten meines hitzköpfigen jungen Freundes hier entschuldigen. Wer wird denn auch gleich mit dem Messer auf jemanden losgehen, der einen auf so nette Art und Weise zu einem gemeinsamen Umtrunk eingeladen hat. Aber auf der anderen Seite kann ich Larth wiederum verstehen, denn wie würdest du wohl reagieren, wenn du dem Mann gegenüberstehst, der versucht hat, sich an deine Verlobte heranzumachen? Wir halten dir natürlich zugute, dass du nicht wissen konntest, dass Tanachvil dem Larth Seianta versprochen ist, und es würde uns Spuriana unter anderen Umständen auch nicht weiter interessieren, wenn sie nicht zufälligerweise unsere Verwandte wäre! Das lässt die Angelegenheit natürlich in einem anderen Licht erscheinen, und ich denke, dass dir eine gehörige Abreibung gut tun würde, damit du keine Lust mehr verspürst, deine gierigen Tarchnafinger nach einer Spuriana auszustrecken. Und was deinen Wein betrifft, er ist wirklich schlecht! Probier selbst!«

Während seiner Rede hatte sich Arnth einen Becher gefüllt, dessen Inhalt er nun Tarchunies ins Gesicht schleuderte.

Noch bevor er reagieren konnte, hatten die Fünf ihn schon vom Stuhl gezerrt und begonnen, wie wild auf ihn loszuprügeln. Er konnte sich kaum wehren, so schnell und hart schlugen sie mit ihren Fäusten auf ihn ein. Bald spürte er den Geschmack seines Blutes im Mund, das ihm von den aufgesprungenen Lippen und der mehrfach getroffenen Nase auf die Zunge rann. Am Ende, nachdem sie ihm noch zwei Hiebe in die Magengrube versetzt hatten, erhielt er noch einen gezielten Schlag unter das Kinn, sodass er benommen zurücktaumelte und mit dem Rücken schwer auf einen Tisch fiel, welcher unter seinem Gewicht krachend zusammenbrach. Klirrend zerbarst das herabfallende Geschirr, das darauf gestanden hatte, und eine Mischung aus Wein und Bratensaft ergoss sich über sein geschundenes Gesicht.

Es war der Tisch des Fremden, denn als er die Augen wieder aufschlug, blickte er in dessen erstauntes Antlitz.

»Dich hatte ich nicht zum Nachtisch bestellt!«, flüsterte er ihm mit einem schelmischen Blick und einem gutturalen Akzent zu, während er ihm behutsam auf die Beine half. »Ich werde von euch zwar als ein unzivilisierter Wilder aus dem Norden angesehen, doch selbst wir pflegen kein Menschenfleisch zu essen. Jetzt werde ich erst einmal mit denen da ein Wörtchen wechseln.«

Sprach’s und drehte sich mit grimmiger Miene zu Tarchunies’ Widersachern um.

»Na! Was sind denn das bloß für Manieren?«, grollte es aus ihm heraus, wobei er sich mit leicht ausgestreckten Armen behäbig auf sie zubewegte. »Es ist ja schon schlimm, dass ihr zu fünft auf einen Wehrlosen losgeht und ihn brutal zusammenschlagt. Aber dann habt ihr etwas getan, was ich auf gar keinen Fall verzeihen kann: Ihr habt mich beim Essen gestört! Mehr noch, ihr habt meinen saftigen Braten mit dem Staub des Bodens besudelt und meinen köstlichen Wein verschüttet! Seht nur, wie meine schöne Brucha aussieht! Alles voller Flecken! Das ist eine Beleidigung, die ich ungestraft nicht hinnehmen werde!«

»Das Tier kann ja sprechen!«, wandte sich Arnth übertrieben belustigt an seine Gefährten und versuchte so, seine eigene Verunsicherung ob der imposanten Erscheinung des Fremden und dessen selbstsicheres Auftreten zu überspielen.

»Wie beliebtest du mich eben zu nennen?«, fragte der Hüne sanft nach.

»Na ja, ich nannte dich ein Tier! Immerhin ...«

Weiter kam er nicht, denn die schallende Ohrfeige, die der Fremde ihm in sein fein geschnittenes Aristokratengesicht verpasste und die ihn fast zu Boden gehen ließ, setzte seinem spöttischen Hohn ein jähes Ende.

Für einen Moment sahen sich die vier anderen entgeistert an, doch dann besannen sie sich, dass sie ja eigentlich in der Überzahl waren.

Unterdessen hatten sich die meisten Gäste, die zuvor draußen den Tresen umlagert hatten, hier eingefunden und verfolgten das Geschehen mit hämischer Schadenfreude, denn die fünf Unruhestifter waren in der Stadt nicht sonderlich beliebt. Kein Mädchen war vor ihren lüsternen Nachstellungen sicher, und wann immer es zu einer handfesten Rauferei kam, die nur zu oft einen tödlichen Ausgang nahm, konnte man sicher sein, dass sie daran beteiligt waren. Allerdings konnte man nichts gegen ihre bösartigen Umtriebe unternehmen, denn über ihnen lag die schützende Hand ihrer reichen und einflussreichen Familien.

Nun schlossen die Beobachter Wetten ab, wer wohl aus diesem Treffen siegreich hervorgehen würde, und es zeichnete sich bald ab, dass der Riese aus dem Norden ihr erklärter Favorit war.

»Dieser Wilde hat es gewagt, einen Spuriana zu schlagen!«, schrie Arnth mit überschnappender Stimme. »Los, auf ihn, Freunde, wir sind fünf gegen einen!«

Noch ehe er sich’s versah, hatte eine weitere Maulschelle des Fremden ihn vollends niedergestreckt.

»Du solltest endlich anfangen, dich in Höflichkeit zu üben, Freundchen!«, grölte der Riese lachend. »Ich mag vielleicht ein Wilder in euren Augen sein, aber deshalb darfst du das noch lange nicht zu mir sagen!«

»Außerdem bin ich auch noch da!«, stellte sich ihm Tarchunies mutig zur Seite.

»Lass mal gut sein, mit denen werde ich allein fertig!«, raunte der Fremde ihm zu und strahlte ihn aus seinen grünblauen Augen siegesgewiss an.

Wie ein Mann stürmten nun die anderen brüllend auf ihn ein, doch der Riese stand unerschütterlich wie ein Fels in der Brandung und wehrte den Angriff scheinbar mühelos mit seinen wirbelnden Fäusten ab.

Geifernd vor Wut zückten die fünf nun ihre Dolche und tänzelten mit lasziver Mordlust in ihren Augen um ihn her.

»Steckt eure lächerlichen Spielzeuge wieder weg, Messer sind nichts für kleine Kinder!«, rief er ihnen amüsiert zu und blieb ostentativ mit ausgebreiteten Armen stehen.

»Ha, hast wohl Angst gestochen zu werden?«, japste Larth heiser.

»Nur zu, du Held, versuch’s nur!«

Hasserfüllt warfen Avle und Larth gleichzeitig ihre Klingen gegen ihn, doch mit einer blitzschnellen Bewegung hatte der Fremde sie mit seinen Händen an den Griffen aufgefangen.

»Wollt ihr kämpfen oder Spielchen mit mir treiben?«, lachte er dröhnend. »Stellt euch vor, ich würde euch auf die gleiche Weise antworten! – So, jetzt ist Schluss! Ich habe keine Lust mehr, mich mit unreifen Knaben herumzuschlagen! Außerdem habe ich Hunger!«

Daraufhin sprang er mit einem gewaltigen Satz, dem man seiner gewaltigen Körpergröße gar nicht zugetraut hätte, mitten unter sie und schmetterte – ähnlich einem Hammer, der auf einen Amboss trifft – die Fäuste reihum auf ihre Köpfe, sodass sie wie von der Axt des Metzgers getroffene Opferstiere gefällt wurden.

Das alles war so schnell gegangen, dass die Umstehenden einige Zeit brauchten, um zu begreifen, dass der Kampf längst entschieden und vorüber war. Doch dann, als die bewundernde Erstarrung von den Leuten gewichen war, brandete ihr johlend klatschender Beifall zunächst verhalten, dann aber in aller Stärke auf und wollte für eine geraume Weile gar kein Ende nehmen, bis der Fremde schließlich besänftigend die Arme hob und um Ruhe heischte.

»Wir alle haben unseren Spaß gehabt, denke ich«, sagte er. »Jetzt aber möchte ich mein unterbrochenes Mahl fortsetzen und mich dabei mit meinem neuen Freund unterhalten. Wirt, wenn du nur gütigst dafür sorgen würdest, dass dieser Unrat hier«, und dabei zeigte er auf die fünf Verlierer, die sich gerade torkelig aufrappelten, »beseitigt und uns ein guter Braten aufgetischt wird, so wäre ich dir zutiefst verpflichtet!«

»Aus ganzem Herzen, ja, Fremder, wer immer du auch sein magst! Und es soll dich auch nichts kosten!«, erwiderte der beleibte Inhaber der Schänke bewegt und drückte damit seine dankbare Hochachtung aus, die er nach der erlittenen und nunmehr gerächten Schmach für ihn empfand.

Unter dem höhnischen Gelächter der Anwesenden traten die fünf Streithähne, denen der zuvor geschwollene Kamm auf diese höchst unrühmliche Weise gehörig geschoren worden war, gedemütigt und wortlos den Rückzug an.

Als Tarchunies und der Fremde wieder alleine waren, setzte dieser sich zu ihm an den Ecktisch und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen.

»Ich heiße Cairteach, Sohn des Cataman vom Stamme der Senonen, und wem hatte ich das Vergnügen aus der Klemme geholfen zu haben?«, stellte er sich vor.

Tarchunies ergriff seine Hand drückte sie fest.

»Mein Name ist Tarchunies, Sohn des Laris Tarchne. Mein Vater ist der Lukomone dieser Stadt. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann! Auf jeden Fall stehe ich tief in deiner Schuld!«

»Ach, lass es gut sein! Nicht der Rede wert!«, winkte Cairteach bescheiden ab. »Wie ich schon sagte, die kleine Rauferei hat mir sehr viel Spaß gemacht. Aber wir haben etwas gemeinsam, denn auch mein Vater ist der Führer unseres Stammes.«

»Wo lebt dein Volk?«, wollte Tarchunies wissen, nachdem sie sich ausgiebig zugetrunken hatten. »Ich muss gestehen, dass ich noch nie etwas von den Senonen gehört habe. Auch deine Kleidung ist mir gänzlich unbekannt.«

Cairteach lachte herzhaft auf. »Kann ich mir denken! Meine Heimat liegt weit jenseits des großen Gebirges, welches euer Land im Norden begrenzt. Es ist bei uns alter Brauch, dass die jungen Krieger für ein paar Jahre auf Wanderschaft gehen, um sich beispielsweise für eine gewisse Zeit bei anderen Stämmen unseres Volkes zu verdingen und sich im Kampf zu bewähren. Ich habe mich indes einer weitaus größeren Herausforderung gestellt. Seit vielen Jahren schon kommen Händler aus den Südlanden über die Berge und bringen uns die herrlichsten Dinge. Also habe ich meinen Vater gefragt, ob ich die Wanderjahre nicht dazu nutzen sollte, die Heimat dieser Leute zu erkunden und mehr über ihre Sitten und Gebräuche in Erfahrung zu bringen. Schon über ein Jahr bin ich nun unterwegs und lerne jeden Tag neu hinzu, so wie heute. Was wollten diese Schnösel eigentlich von dir?«

Tarchunies klärte ihn umfassend über den Sachverhalt auf, wonach ihn Cairteach verständnislos ansah.

»Wegen so einer Lappalie rücken sie zu fünft an und belästigen dich?«, sagte er dann gedehnt. »Also, wenn du sie geschändet oder gar ermordet hättest, könnte ich ja noch einsehen, dass ihre Brüder oder eben ihr Freund sich an dir rächen würden, aber da deiner Schilderung nach gar nichts Ernsthaftes zwischen euch passiert ist, was sollte der ganze Aufwand dann? Außerdem scheint mir die wehrhafte junge Dame, wenn es stimmt, was sie dir über sich erzählt hat, durchaus in der Lage zu sein, ihre Probleme selbst zu lösen, was sie übrigens mit unseren Frauen gemein hat. Bei uns ist es nämlich so, dass sich die Frauen ihren Gemahl erwählen, oft auch gegen den Willen ihrer Familien, und sollte es zu einer Vergewaltigung kommen, so wird der Täter entweder von einem der Brüder, vom Vater oder dem Freund oder Ehemann des Opfers zu einem Zweikampf auf Leben und Tod gefordert.«

»So wird es üblicherweise auch bei den Rasna gehandhabt«, ließ Tarchunies seinen neuen Freund wissen. »Auch unsere Frauen entscheiden in aller Freiheit darüber, wem sie sich zuwenden und wem nicht, und die Männer respektieren das von alters her. Diese fünf aber haben sich aus ganz anderen Gründen gegen mich verschworen. Es ging ihnen in Wahrheit gar nicht darum, dass ich mich zufällig mit Tanachvil, die noch nicht einmal in dieser Stadt lebt, getroffen habe, sondern es war ihnen nur ein willkommener Anlass, den Hass, der seit langem zwischen den Familien der Tarchna und der Spuriana schwelt, wieder aufleben zu lassen!«

»Oho! Das ist ja hochinteressant!«, entfuhr es dem Senonen, und er pfiff überrascht. »Ich dachte bislang, dass es solche unseligen Familienfehden nur bei uns armen Wilden geben würde, nicht aber in einer Kultur, die der unseren doch so weit überlegen ist! Also, mein Clan – das ist unser Wort für Familie – ist seit undenklichen Zeiten mit dem Clan der Duntoil verfeindet. Zwar kennt keiner mehr die Ursache dafür, aber wo und wann immer zwei aus diesen Clans aufeinander treffen, fließt Blut.«

Die treuherzig vorgebrachten Worte Cairteachs rangen Tarchunies ein gequältes Lächeln ab, denn sein zerschlagener Kiefer schmerzte ihn sehr.

»Sag nie mehr, dass du ein primitiver Wilder bist, mein Freund!«, mahnte er ihn. »Du hast heute mehr Mut und Ehre bewiesen als meine lieben Landsleute. Keiner von denen hätte mir vorhin beigestanden. Allein der selbstlose Fremde ist mir zu Hilfe geeilt. Das werde ich dir nie vergessen! Hast du übrigens eine Bleibe für die Nacht?«

»Nein, wie sollte ich auch?«, erwiderte Cairteach ihm unbedarft. »Ich bin doch gerade erst hier angekommen. Dann wollte ich essen und dann ... na ja, alles Weitere weißt du.«

»So ist es entschieden! Du wirst in unserem Hause wohnen – wenn du damit einverstanden bist. Es gibt noch so vieles, was du mir von deiner Heimat erzählen musst.«

»Das ist überaus großherzig von dir, und auch dich möchte ich von nun an Freund nennen. Nur – werden das deine Leute gutheißen?«

»Was denkst du wohl? Meine Eltern und meine Brüder werden dich mit offenen Armen empfangen, nach alldem, was du für mich getan hast. Und morgen werden wir ausreiten, damit ich dir die Gegend zeigen kann. Kannst du überhaupt reiten?«

Cairteachs Brauen schoben sich zusammen, und seine Augäpfel rollten himmelwärts.

»O Epona! Schutzgöttin der Pferde! Hörst du, was er mich gefragt hat? Mann, ich konnte eher reiten als laufen, und mein Vater besitzt eine der berühmtesten Zuchten meiner Heimat. Wie, glaubst du, bin ich wohl hierher gekommen?«

»Ja ... aber ich habe nirgendwo ein Pferd vor der Schänke entdecken können!«

»Ich bin ja nicht blöd und bringe mein wunderbares Ross in die Stadt, damit es mir bei erstbester Gelegenheit gestohlen wird. Nein, ich habe es bei einem Bauern vor der Stadt untergebracht.«

»Gut, dann werden wir es morgen früh holen und es nach unserem Ausflug in unseren Stall stellen.«

Als sie später am Abend dann im Hause der Tarchna eingetroffen waren, fanden sie die Familie noch wach und bei Tische liegen. Nachdem Tarchunies ihnen seinen Begleiter vorgestellt und von dessen wagemutigem Einsatz für ihn berichtet hatte, erhoben sich alle von ihren Liegen und schüttelten Cairteach nacheinander hochachtungsvoll die Hand. Dann geleitete ihn Squria persönlich zu einer freien Liege und bot ihm Früchte und Wein in einer goldenen Trinkschale.

»Ich bitte dich, Cairteach, dich ab jetzt zu unserer Familie zu zählen, nachdem du dein Leben für meinen Sohn so edelmütig riskiert und ihn vor Schande bewahrt hast«, dankte ihm Laris bewegt. »Als erste kleine Gabe möchte ich, dass du die Schale, aus der du gerade trinkst, als dein Eigentum betrachtest.«

Cairteach drehte die Schale bewundernd in seinen Händen.

»Eine kleine Gabe nennst du das? In meinem Land ist diese Schale so viel wert wie drei Pferdeherden. Ich weiß nicht, ob ich das annehmen darf.«

»Du musst, sonst beleidigst du meinen Vater!«, belehrte ihn Thevarie lachend, der neben ihm lag.

Bis tief in die Nacht hinein blieben sie wach und wurden nicht müde, den wahrhaft abenteuerlichen und oft auch lustigen Geschichten zu lauschen, die Cairteach ihnen von seiner Heimat und von seinen Erlebnissen wortgewaltig und mit viel Witz erzählte.

Die Gründer der Stadt

Подняться наверх