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Kapitel 2
ОглавлениеDie Sterne funkelten hell am klaren, mitternächtlichen Firmament, und der zunehmende Mond zog in seinem fast vollendeten Rund gelassen seine ewige Bahn über die dunklen, waldreichen Ebenen, welche sich unter ihm in unwegsamer Weite bis tief ins Landesinnere erstreckten. Ein namenloser breiter Fluss, dessen sich träge dahinwälzenden Wassermassen im silberfahlen Mondlicht glitzerten, durchzog, von Nordosten kommend, das von Menschenhand weitgehend unberührte und dem Tag entgegenträumende Land, um endlich in das hinter der dünenreichen Küstenregion seicht anbrandende Meer zu münden.
Doch von einer einsam gelegenen Stelle, die sich in einiger Entfernung flussaufwärts der Mündung befand, erfuhr die ansonsten über dem ganzen Land ruhende, blauschwarze Stille der Nacht eine empfindliche Störung.
Am linken Flussufer befand sich eine recht große, amorphe Ansammlung zumeist baufälliger Häuser und verwahrloster Hütten. Überall auf den kleineren und größeren Plätzen am Hafen, wie aber auch im übrigen Stadtgebiet und sogar auf einigen der stinkenden Gassen, loderten prasselnde Feuer, deren Funken stiebender Schein die Stadt mit einer rötlichgelb wabernden Aura umgab. Um die Feuer, über denen sich noch immer ganze Ochsen, Schweine und Schafe drehten, saßen, lagen oder tanzten grölend lärmende Menschen, die pausenlos Bier oder Wein in sich hineinschütteten. Der andauernde, überreichliche Genuss dieser Getränke und anderer berauschender Mittel hatte schon längst jede Hemmschwelle überwinden lassen, sodass man allerorten über Männer und Frauen stolperte, die, unter den lüstern vernebelten Augen und den frenetischen, obszönen Anfeuerungen des sie umlagernden Mobs, in allen nur denkbaren Stellungen und mit ständig wechselnden Partnern kopulierten.
Aber auch in den Häusern wurde orgiastisch gefeiert, vor allem in den nunmehr völlig heruntergekommenen, einstmals so prächtigen Villen der keftischen Kaufleute, die hier, als das stolze Seereich noch existierte, in üppigem Prunk residiert hatten. Jetzt allerdings dienten sie größtenteils jener sich nicht minder stolz dünkenden nordischen Freibeuteraristokratie als Wohnstatt, die seit dem Zusammenbruch Keftius neben ihrem ureigensten Revier, dem großen nördlichen Meer, ihre Herrschaft nun auch unangefochten über die westlichen Teile des Südmeeres ausgedehnt hatte.
Einst war das kühle, ferne Nordland ihre Heimat gewesen, wo ihre Vorfahren in ihren von saftigen Weiden und fetten Äckern umgebenen Dörfern ein friedvolles Dasein fristeten. Schiffe wurden ausschließlich für den Fischfang und später für die weiten Fahrten der Bernsteinhändler nach Khemet auf Kiel gelegt, nie aber für kriegerische Zwecke.
Doch dann, vor mehr als drei Generationen, wurde ihre ursprüngliche Heimat von einer fürchterlichen Sturmflut heimgesucht, die der friedlichen Idylle ein jähes Ende bereitet hatte.
Viel fruchtbares Land ging und blieb für immer verloren, und die Menschen verließen das verwüstete Land. So kam es, dass viele Nordleute, die mit ihren Schiffen damals der Heimat den Rücken gekehrt hatten, hierher nach Tar’eses kamen, um sich hier eine neue Zukunft aufzubauen. Schon ihre Vorfahren hatten diesen Ort als Zwischenstation auf ihrem langen Wege nach Khemet aufgesucht, wie auch die Kefter und die anderen seefahrenden Völker des Südmeeres.
Doch mit dem Untergang Keftius kam auch der Handel fast vollständig zum Erliegen, und so begannen die Nordleute, die nie gelernt hatten, wie man Äcker zu bestellen hat, der Not gehorchend, mit ihren Schiffen auf Kaperfahrt zu gehen.
Dazu hatten sie ihre schnellen und wendigen Segler mit jener von ihnen entwickelten Waffe versehen, die sehr bald schon sowohl bei den fremden Handelsschiffen als aber auch bei den konkurrierenden Freibeutern des Südmeeres, die es wagten, in ihr Jagdrevier einzudringen, Furcht und Schrecken auslöste. Ihre Schiffbaumeister hatten nämlich die beiden hornartig nach oben gebogenen Holzbalken, in die der Bug ihrer Fahrzeuge auslief und die ursprünglich dazu gedacht waren, die oft sehr hohen Wellen des Nordmeeres zu zerteilen, zugespitzt und mit Bronzeblech verkleidet. Mit diesem doppelten Rammsporn bewehrt, griffen sie, riemenunterstützt, ihre Opfer in schneller Fahrt an der Flanke an und bohrten sie so buchstäblich in den Grund des Meeres.
Die Nordleute in Tar’eses hatten sich, nachdem sie sich dort niedergelassen hatten, einen eigenen, sie einenden Volksnamen gegeben. Sie nannten sich Rasunna und ehrten damit gleichermaßen die Fruchtbarkeit spendende, mütterliche Sonne ihrer verlorenen nordischen Heimat und Ra, den Sonnengott Khemets, der in seinem strafend männlichen Aspekt über ihre neue, dem Süden zugehörige Heimat herrschte.
Untereinander aber teilten sie sich noch einmal grob in zwei große Clans auf. Die einen führten den Stammesnamen Ter’usu, da sie sich der Stadt, in der sie ein neues Zuhause gefunden hatten, verpflichtet fühlten, die anderen nannten sich Pelthtim, zum Andenken an ihren zur Legende gewordenen Urahn Pelthu, der ihre Vorfahren nach der großen Katastrophe und gefahrvollen, entbehrungsreichen Irrfahrten sicher hierher geführt hatte.
Letztere betrachteten sich deshalb auch als die Könige der Meere, was sie äußerlich mit ihren hohen, kronenförmigen Bronzehelmen, die sie in der Schlacht zu tragen pflegten, zum Ausdruck brachten.
An der Spitze dieser Clans stand ein von den jeweiligen Schiffsführern auf Lebenszeit gewählter oberster Kriegsherr, Mechel genannt, welchem zudem der Titel Lukomo, der Erleuchtete also, zustand, da er nach einem uralten, aus dem Norden überlieferten Brauch in seiner Jugend den Schlag eines Blitzes unversehrt überstanden haben musste, was für die Wahl von entscheidender Bedeutung war. Bei den Ter’usu war es Tarkun, Sohn des Tarkun und dessen Frau Iineferti. Die Pelthtim wurden von Truns, Sohn des Larth und dessen Frau Avla, geführt. Die beiden waren schon als Kinder in ihrer Freundschaft unzertrennlich gewesen, was sich natürlich für den Zusammenhalt der Clans als äußerst förderlich erwies. Jetzt waren sie Mitte dreißig und hatten, seit sie vor sechs Jahren gewählt worden waren, bereits das Doppelte an Beute eingefahren als ihre Vorgänger während der halben Amtszeit.
An diesem Morgen waren sie wieder von einem reichen Fischfang zurückgekehrt. Mit nur vier Schiffen waren sie zunächst weit in das Gebiet der Sherdanu eingedrungen und hatten dort zwei von deren bereits voll mit Beute beladenen Raubschiffen aufgebracht und anschließend versenkt. Danach hatten sie den Sheklu einen Besuch abgestattet und nacheinander fünf ihrer Dörfer an der Küste geplündert. Auf der Rückreise war ihnen dann noch mal ein fettes Sherdanuschiff vor den Bug gefahren, womit dessen Schicksal ebenfalls besiegelt war.
Und seither wurde in der Stadt ausgelassen gefeiert.
Die beiden Mechel hatten sich in Tarkuns Haus eingefunden, einer ehemaligen Keftervilla, die noch einigermaßen gut erhalten war und deren farbenfrohe Wandfresken noch nicht gänzlich abgeblättert waren. Im Kreise ihrer Schiffsführer gaben sie sich dort seit dem frühen Nachmittag gänzlich den Freuden des Leibes hin. Fünf schon vor längerer Zeit von den Sherdanu »entliehene« Musiker, darunter zwei Frauen, welche ursprünglich aus Khemet stammten, spielten in einer schattigen Ecke des Innenhofs unverdrossen ihre Weisen. Tarkun, der jeder Art von Kunst zugetan war, hatte ihnen aufgrund ihres Talentes schon sehr bald nach ihrer Ankunft die Freiheit wiedergegeben, aber offenbar gefiel den Exoten das ungezwungene Leben, das die Menschen hier führten, so sehr, dass sie beschlossen hatten, in der Stadt zu bleiben und ihre Dienste den hiesigen Menschen gegen ein angemessenes Entgelt anzubieten.
Die Tische bogen sich unter der Last der in ununterbrochener Folge aufgetragenen Speisen und Getränke, sodass ein jeder der Gäste nach Herzenslust zulangen konnte, und wenn einer meinte, keinen Bissen mehr zu sich nehmen zu können, steckte er sich einfach eine Feder in den Schlund, erbrach sich und begann sich aufs Neue den Bauch voll zu schlagen.
Auch an weiblicher Gesellschaft herrschte an diesem Freudentag kein Mangel in Tarkuns Haus. Wenn diese nackten oder allenfalls mit einem knappen Tuch um die Hüften bekleideten jungen und ausnahmslos attraktiven Frauen nicht gerade damit beschäftigt waren, den Männern mit Fleisch und anderen Köstlichkeiten aus der Küche aufzuwarten oder Wein nachzuschenken, ließen sie ihre mit duftendem Öl eingeriebenen, biegsamen Körper zu den aufpeitschenden Rhythmen, die die Musiker ihren Instrumenten und ihren Kehlen entlockten, in wilder, die Sinne verwirrender Laszivität zwischen den Zechenden umherwirbeln.
Natürlich schauten die Männer, so weit sie noch nicht selig berauscht und schnarchend am Boden lagen, diesen wild erotischen Tanzdarbietungen nicht lange tatenlos zu, sondern versuchten unausgesetzt, der Mädchen habhaft zu werden, um sie sich auf eine nicht gerade sanft zu nennende Art und Weise für die lustvollen Freuden der Nacht gefügig zu machen. Anfänglich entzogen sich die Mädchen zwar immer wieder geschmeidig den wollüstigen Zugriffen der Männer, doch später dann, als sie selbst von ihrem Tanz und dem reichlich genossenen Wein euphorisiert waren, kamen sie den derben Annäherungsversuchen ihrer Freier umso willfähriger nach, indem sie ihnen entweder in ihre Behausungen folgten oder sich ihrem Trieb an Ort und Stelle hingaben.
Der Morgen graute schon, und die Musikanten hatten Tarkuns Haus längst verlassen.
Der schwach glimmende Rest in den Kohlepfannen tauchte den rauchgeschwängerten Raum in dunkelrotes Wabern.
Statt der Musik waren jetzt nur noch die brünftigen Geräusche der sich paarenden Menschen zu hören, die allenthalben über den ganzen Raum verstreut umherlagen. Truns und Tarkun hatten sich zu diesem Vergnügen jeweils eins der Sheklu-Mädchen ausgesucht, die sie von ihrem gerade beendeten Raubzug mitgebracht hatten. Nachdem man diese nämlich nach einem gründlichen Bade von dem krustenden Schmutz, der ihre Haut bedeckte, und den in ihren Haaren nistenden Läusen befreit hatte, zeigte es sich, dass sie nicht nur ausgesprochen hübsch, sondern über ihre Entführung alles andere als traurig waren.
Während Truns das Fest schon relativ früh mit seiner »Beute« verlassen hatte, hatte sich Tarkun mit seiner Gespielin erst lange nach Mitternacht in sein Schlafgemach zurückgezogen.
Das Mädchen erwies sich als so heißblütig und ausgehungert, dass Tarkun immer wieder aufs Neue erregt wurde und nicht müde wurde, mit ihr all die raffinierten Spielarten der körperlichen Liebe auszuprobieren, die ihrer beider Fantasien mannigfaltig erwuchsen.
Er hatte sich gerade hinter sie gekniet und begann keuchend in den vibrierenden Schoß des unter seinen Stößen hell aufstöhnenden Mädchens einzudringen, als unvermittelt der trennende Vorhang an der Tür ziemlich heftig zur Seite gerissen wurde und zwei Männer den Raum betraten.
Es waren Truns und sein Bruder Gaelath, der als der beste Schiffsführer und Kämpfer der Pelthtim galt. Gaelath war ein vierschrötiger Hüne, der allein mit seinem muskelbepackten Körper das Zimmer auszufüllen schien und seinen nun auch nicht klein geratenen Bruder um Haupteslänge überragte. Er trug einen nach chattischem Vorbild gewobenen, knielangen Fransenrock aus schwarz gefärbter Wolle, welcher unterhalb seines mächtigen, mit vielen Narben übersäten Brustkorbs von einem handbreiten Ledergürtel gehalten wurde. Die von einer dichten blonden Haarmähne und einem gleichfarbigen Vollbart umrahmten, stets irgendwie verdrossen erscheinenden Züge seines breitflächigen Gesichtes täuschten leicht darüber hinweg, dass ihm im Grunde ein gutmütiger Charakter innewohnte. Er liebte die ihm anvertrauten Männer wie seine eigenen sechs Kinder, die ihm seine Frau Iula in den letzten Jahren geboren hatte.
Truns verfügte zwar nicht über den riesenhaften Wuchs seines um zwei Jahre älteren Bruders, doch war seine Erscheinung nicht minder beeindruckend, jedoch auf eine ganz andere Art und Weise. Er war schlank und hochgewachsen, und die durchtrainierten Muskelpartien seines Körpers waren wohlproportioniert, wenn auch nicht so voluminös ausgebildet wie bei Gaelath.
Was den Betrachter allerdings sofort in Bann zog, waren seine großen, leuchtend blauen und leicht schräg stehenden Augen, die sein an einen Wolf erinnerndes, glatt rasiertes Antlitz über der schmalen, geraden Nase beherrschten. Der jetzt zu einem sarkastischen Grinsen verzogene volllippige Mund und das spitze, energische Kinn taten ein Übriges, um diesen Eindruck zu verstärken. Sein langes dunkelblondes Haupthaar hatte er sich zu einem Zopf geflochten und über dem linken Ohr zu einem schneckenartigen Knoten zusammengebunden.
Ähnlich wie sein Bruder war auch er nur mit einem weißen wollenen Rock bekleidet, welcher allerdings um seine Taille von einem prachtvollen, zwei Spannen breiten, rot gefärbten Ledergürtel gehalten wurde, der zudem mit kunstvollen, massiven Goldornamenten besetzt war.
Die Füße beider Männer steckten in schweren, ebenfalls in Chattusa gefertigten, wadenhohen, ledernen Schnürstiefeln, deren Spitzen, wie dort üblich, nach oben gebogen waren.
In seinem wollüstigen Eifer hatte Tarkun das Eintreten der beiden zunächst gar nicht bemerkt, da seine Sinne in diesem Moment vollständig seinem Trieb unterworfen waren, der unbändig danach trachtete, in einem baldigen, ekstatischen Höhepunkt Erlösung zu finden. Erst als das Mädchen vor ihm mit einem spitzen, erschreckten Aufschrei hochfuhr, nahm er allmählich die im Halbdunkel des Raumes vor seinem Bett stehenden Männer wahr.
Sichtlich verwirrt, doch ohne die geringste Spur von Scham zu zeigen, schob er das verängstigte Mädchen mit einer fahrigen Bewegung neben sich aufs Bett. Während er ob seiner so jäh unierbrochenen körperlichen Anstrengung noch heftig nach Atem rang, begann er den unverhofften Besuch aus zusammengekniffenen, leicht verquollenen Lidern ungläubig zu mustern.
»Welch schöne Überraschung!«, sagte er schließlich mit kratziger, immer noch atemloser Stimme. »Was verschafft mir die Ehre eurer stets geschätzten, wenngleich doch sehr unerwarteten Anwesenheit?«
»Wir wollten uns nur davon überzeugen, dass du die Nacht mit dieser Wildkatze gut überstanden hast!«, gab Truns ihm anzüglich grinsend zur Antwort.
Tarkun kletterte daraufhin umständlich und mit wackligen Beinen aus seinem Bett und baute sich, nackt wie er gerade war, vor den beiden Eindringlingen auf. In Körperbau und Größe glich er Truns wie ein Zwilling, doch sein länglich ovales, fein geschnittenes Gesicht, über welches ihm gerade einige schweißverklebte, wellige Strähnen seines üppigen, schulterlangen, schwarzblauen Haarschopfes herabfielen, bewiesen, dass er der Sohn einer anderen Mutter war.
Seine Mutter Iineferti stammte nämlich aus Khemet und hatte ihm, neben der samtbraunen Hautfarbe, die diesem Volk gemeinhin zu Eigen ist, auch ihre dunklen, mandelförmigen Augen und die schmalrückige, dünnflügelige Nase über dem sinnlich schwellenden Lippenpaar vererbt.
Während er sich mit beiden Händen mehrmals durchs Haar fuhr, um sich der lästigen Strähnen vor seinem Gesicht zu entledigen, ließ er seine Blicke mit einer Mischung aus Ärger, aber auch Neugier zwischen den beiden hin und her schweifen.
»Also … ähem … wirklich!«, unterbrach er dann gereizt die gespannte Stille, da weder Truns noch Gaelath, die immer noch mit einem süffisanten Gesichtsausdruck dastanden, irgendwelche Anstalten trafen, ein erklärendes Wort zu ergreifen. »Ihr wollt mir doch nicht im Ernst erzählen, dass euch nur die bloße Sorge um mein Wohlergehen hierher getrieben hat! Was ist? Steht der Feind im Land, oder brennt einfach nur die Stadt ab, hm?«
Truns wies mit dem Kinn gegen das Mädchen, das sich mittlerweile verschüchtert in ein Laken gehüllt hatte und im Hintergrund am Kopfende des Bettes kauerte.
»Ihr braucht sie nicht zu beachten! Sie versteht kein Wort!«, beruhigte ihn Tarkun. »Wollt ihr übrigens Wein?«
»Was für eine Frage, mein Freund!«, bejahte Truns beglückt das Anerbieten. »Allein der freudige Anlass unseres Störens verlangt, wie du gleich erfahren wirst, nach diesem herrlichen Getränk!«
Tarkun besorgte daraufhin einen Krug Wein und zwei weitere Becher und rückte für seine Gäste zwei Schemel vor das Bett, auf welchem er es sich dann ihnen gegenüber mit überkreuzten Beinen bequem machte.
»Jetzt lasst mal hören, was es so Unaufschiebbares gibt, dass ihr mich zu dieser nachtschlafenden Zeit um meine wohlverdiente Ruhe bringt!«
»Na ja, Ruhe?«, spöttelte Truns gedehnt. »Aber im Ernst!«, fuhr er dann sachlich fort. »Wir haben gerade hohen Besuch bekommen. Von wem, das wirst du mir nicht glauben!«
»Ich habe jetzt keine Lust, Rätsel zu lösen! Wenn du es mir einfach und ohne weitere Umschweife sagen würdest!«
»Ist ja gut! Also, ein königlicher Gesandter aus Chattusa ist eingetroffen und an seinem golden gefransten Rockzipfel die Anführer der Tjeker, Sherdanu und Sheklu! Was sprichst du?«
Tarkun, der gerade einen kräftigen Zug aus seinem Becher genommen hatte, verschluckte sich ob dieser Worte derart, dass er einen Hustenanfall bekam.
»Du ... du hast doch gerade etwas von einem ... freudigen Anlass verkündet«, röchelte er. »Ich weiß nicht, was daran erheiternd sein soll! Die werden, nehme ich an, ihre Flotte mitgebracht haben, um uns ein herzliches Dankeschön dafür zu sagen, dass wir vor einigen Tagen so nett bei ihnen vorbeigeschaut haben!«
»Wenn du fünf Schiffe eine Flotte nennst, magst du Recht haben«, begegnete Truns fröhlich Tarkuns Befürchtung.
»Nein, die Herren sind hierher gekommen, um mit uns über einen Friedens- und Beistandspakt zu verhandeln! Wenn das kein freudiger Anlass ist?«
»Zumal man bereit ist, in jeder Beziehung auf unsere Wünsche und Vorstellungen einzugehen, vor allem, was das Militärische betrifft!«, mischte sich jetzt auch Gaelath ins Gespräch.
In seiner Verblüffung über diese ungeheuerliche Neuigkeit nahm es Tarkun gar nicht wahr, dass ihm zunehmend Wein auf seinen Schoß troff, da seine den schweren Goldbecher umklammernde Hand sich unkontrolliert zur Seite neigte. Er beugte sich leicht nach vorne und fixierte seine Freunde aus schmalen Lidern.
»Da ist doch ein ganz krummer Haken bei der Sache!«, spie er misstrauisch aus. »Ich meine, seit Generationen dringen wir immer wieder ganz ungeniert in den Machtbereich der Sheklu und Sherdanu ein, um ihre Schiffe auszurauben, ihre Städte zu brandschatzen und ihre Leute zu massakrieren, was uns naturgemäß mit der Zeit deren unversöhnlichen Hass und unstillbare Rachegelüste beschert hat. Und jetzt kommen sie einfach daher und bieten uns ihre Freundschaft an! Ihr verzeiht, wenn ich lache!«
»Du vergisst offenbar, dass sie im Gefolge eines hohen Beamten aus Chatti gekommen sind, welcher uns im Auftrag seines Königs einige wirklich interessante Angebote zu unterbreiten hat!«, erinnerte ihn Truns nachdrücklich.
Tarkun schloss daraufhin die Augen und lehnte sich zurück, wobei er bemerkte, dass er keinen Wein mehr hatte. Nachdem er sich nachgegossen und mehrmals intensiv nachdenkend an seinem Becher genippt hatte, wandte er sich wieder den beiden Brüdern zu.
»Hm, mag wohl sein«, sagte er bedächtig. »Nur möchte ich in diesem Zusammenhang gerne wissen, weshalb sich auch Abgesandte der Tjeker, mit denen wir doch bislang so gut wie nichts zu schaffen hatten, hierher bemüht haben!«
»Sollst du erfahren, wenn du dich nur endlich dazu bequemen würdest, dir etwas überzuziehen und uns zu unseren Gästen zu begleiten«, schlug ihm Truns aufgeräumt vor.
»Wo sind sie untergebracht?«, wollte Tarkun noch wissen.
»In meiner bescheidenen Hütte!«, beantwortete Truns die Frage. »Ich denke, sie laben sich gerade an kaltem Braten und kühlem Bier!«
Nachdem Tarkun sich eilig gewaschen und sich mit einer tiefblau gefärbten, mit Goldfäden durchwirkten Leinentunika bekleidet hatte, machten sie sich gemeinsam auf den Weg zu Truns’ Haus, welches nur wenige Gassenzüge entfernt gelegen war.
Die Sonne war gerade aufgegangen, und ihre vom Morgendunst gefilterten Strahlen ließen die weiß getünchten Wände von Truns’ gepflegtem Anwesen in einem zarten Blassrosa erstrahlen.
Als sie den lichten Speisesaal, der direkt an den offenen Innenhof angrenzte und gleichzeitig als Empfangsraum diente, betraten, erhoben sich die bis dahin um einen reichlich mit Speisen und Getränken gedeckten Tisch lagernden Fremden und verneigten sich achtungsvoll vor dem Hausherren und seinen zwei Begleitern. Es waren vierzehn Männer, von denen zwei sich allein schon durch ihre äußere Erscheinung ziemlich deutlich von den anderen abhoben.
Bei dem einen war es Tarkon sofort klar, dass es sich um den Gesandten Chattusas handeln musste, wohingegen er den zweiten zunächst nicht zu identifizieren vermochte.
»Meine Herren, darf ich Euch mit Tarkun bekannt machen, dem Mechel-Rasnal der Tur’usu aus dem hoch achtbaren Geschlecht der Maeknies!«, gab Truns in diesem Moment mit erhobener Stimme kund, worauf sich die Männer ein weiteres Mal verbeugten. Dann begann er, Tarkun die Führer der vier Gesandtschaften der Reihe nach vorzustellen.
»Tarkun, begrüße als Erstes Fürst Arsili, den Abgesandten seiner Majestät Hattusili, des mächtigen Königs in Chatti.«
Nach chattischer Gepflogenheit überkreuzte Tarkun höflich seine Arme zum Gruße vor der Brust und neigte leicht den Kopf, ohne indes den Blickkontakt zu seinem es ihm gleichtuenden Gegenüber zu verlieren.
Arsili besaß die kräftige, muskulöse Statur eines kampferprobten Kriegers. Er mochte vielleicht um die fünfzig Jahre zählen, doch war sein wahres Alter aufgrund seines straffen, jugendlich wirkenden Körperbaus nur schwer schätzbar. Bekleidet war er mit einem knapp sitzenden, bis zur Mitte seiner Oberschenkel reichenden schwarzen Wollrock, der mit goldenen Fransen betresst war. Dazu trug er goldverzierte Schnabelstiefel in der gleichen Machart, wie sie auch Truns und Gaelath besaßen. Sein über der Stirn streng gescheiteltes goldblondes Haar, welches an den Schläfen schon einige graue Strähnen aufwies, hatte er sich im Nacken zu einem wulstigen Knoten zusammengebunden. Über der kühn geschwungenen Raubvogelnase seines bartlosen, sonnengebräunten Gesichtes funkelten zwei stechend blaue Augen, in denen sowohl verschlagene Intelligenz als auch schneidende Arroganz zu lesen waren.
Für einen Moment blieben ihre Blicke ineinander verhaftet, und Tarkun spürte fast schon körperlich die kalt berechnende Intensität, mit welcher der Chatti versuchte, auf mentalem Wege seine Persönlichkeit abzutasten. Doch Tarkun ließ sich davon nicht beeindrucken, sondern lächelte ihn nur wissend an, um sich dann in aller Ruhe dem nächsten Gast zuzuwenden.
Es war dies jener unbekannte Fremde, der ihm bei seinem Eintreten neben dem Gesandten aus Chattusa sogleich aufgefallen war. Der Mann war starkknochig und untersetzt und trug einen aus mehreren sich überlappenden Bronzeblechen geschmiedeten, ungefügig wirkenden Brustharnisch, dessen ragende Halsberge ihm fast bis zu den Ohren reichte.
Vor ihm auf dem Tisch lag sein ebenfalls aus Bronze gefertigter, kalottenförmiger Helm, an dessen sich nach oben verjüngender Spitze ein rot gefärbter Rossschweif befestigt war.
Zusätzlich war der Helm außen mit flach geschliffenen Eberhauern verstärkt worden, was wohl die diesem Tier zugesprochene, brachiale Aggressivität versinnbildlichen sollte. Daneben lagen in ihren Scheiden ein kurzes Schwert und ein Dolch, deren Griffe mit stilisierten Tierfiguren aus Perlmutt intarsiert waren. Das rotbraune Haupthaar fiel dem etwa vierzigjährigen Mann lang hinter den Ohren und den ausrasierten Schläfen bis über die Schulterblätter. Das breitflächige Gesicht mit den grün schimmernden, tief unterhalb der niedrigen Stirn liegenden Augen und der offenbar durch einen Schwerthieb gebrochenen, ehemals wohl geraden, nun aber unförmig fleischig wirkenden Nase, wurde von einem sorgsam gestutzten Bart geziert, welcher ihm von den Wangen herab über Kinn und Oberlippe wuchs.
»Das ist Ajas, ein Polemarch der Tjeker, oder besser Achäer, wie sie sich in ihrer Sprache zu nennen pflegen«, erklärte Truns.
Rasch ergriff Tarkun die ihm dargebotene, nervige Rechte des Mannes, der ihn dabei freundlich lächelnd aus seinen faszinierenden grünen Augen ansah.
»Ich habe schon viel von dir gehört, Tarkun, Sohn des Tarkun!«, sagte der Tjeker mit seiner rauchigen Bassstimme. »Du wirst bei uns als tollkühn und verwegen im Kampf gerühmt! Wir schätzen diese Eigenschaften sehr, denn sie zeichnen den wahren Krieger aus. Und tapfere und wagemutige Krieger werden bei unserem Volk als Helden hoch geehrt. Nun bin ich glücklich, dir endlich einmal persönlich die Hand reichen zu können!«
»Ich habe zwar noch nie etwas von deinen zweifellos ruhmvollen Taten vernommen«, erwiderte Tarkun ein wenig überrascht die unerwartet wohlwollende Begrüßung des Polemarchen, »doch auch ich freue mich, dich kennen zu lernen, zumal ich aufgrund dieser Zusammenkunft ahne, dass ich schon sehr bald die Gelegenheit haben werde, dich im Kampfe zu sehen, um so ebenfalls von deinem Kriegermut berichten zu können!«
»Deine Ahnung trügt dich nicht«, bestätigte ihm Ajas. »Doch hoffe ich, dass du dies nach unseren Verhandlungen nicht als mein Gegner erleben musst, sondern als mein Waffengefährte im Krieg gegen einen gemeinsamen Feind!«
»Und damit diese Verhandlungen endlich beginnen können, bitte ich dich, nun auch Lunus von den Sheklu und deinen geliebten Feind Triskes von den Sherdanu willkommen zu heißen«, unterbrach Truns lachend die Unterhaltung der beiden Männer.
Widerstrebend und mit sehr gemischten Gefühlen trat Tarkun darauf seinen zwei Erzfeinden gegenüber, wobei er sich, nach den dunklen Andeutungen Ajas, allerdings gleichzeitig zu fragen begann, um welchen ominösen Feind es sich wohl handeln könnte, der offenbar so Furcht erregend war, dass die bislang mit dem Nimbus der Unbezwingbarkeit behafteten Chatti sich herabließen, einen hochrangigen Diplomaten zu entsenden, der ausgerechnet mit den von ihnen so verachteten Seevölkern einen Bündnispakt abschließen sollte. Mit den Tjekern und den Rasunna allein wäre das auch kein großes Problem gewesen, da sich die beiden Völker in der Vergangenheit kaum ernsthaft ins Gehege gekommen waren. Aber dass sie auch die Sherdanu und Sheklu, die nicht nur untereinander völlig zerstritten waren, sondern darüber hinaus auch noch seit Menschengedenken mit den Tjekern und Rasunna in Blutfehde lagen, in diese Bündnisverhandlungen mit einbezogen, zeugte entweder von ignoranter Unwissenheit der großmächtigen Herren in Chattusa, oder aber es war ihnen tatsächlich ein Feind erwachsen, der für sie eine ernst zu nehmende Bedrohung darstellte. Letzteres würde allerdings erklären, warum sie sich gezwungen fühlten, sich mit einem Male mit Völkerschaften zu verbünden, die sie bislang eher mit Geringschätzigkeit betrachtet hatten, denn aufgrund ihres aggressiven Machtstrebens, mit dem sie in der Vergangenheit ihre Nachbarn brutal unterjocht hatten, verfügten sie über so gut wie keine Freunde.
Mit diesen Überlegungen trat er nun seinen beiden Todfeinden, gegenüber. Sich innerlich überwindend streckte er Lunus und Triskes wortlos seine Hand entgegen, die diese wahrscheinlich ebenso widerwillig ergriffen.
Es war schon ein seltsamer Zug des Schicksals, dachte er bei sich, dass er heute mit zwei Männern an einem Tisch sitzen sollte, mit denen er noch vor einigen Tagen bis aufs Blut die Klinge gekreuzt hatte.
Während Lunus den Gruß mit steinerner Miene entgegennahm, loderte aus Triskes schwarzen Augen unverhohlener Hass.
»Nachdem nun alle Formalitäten erledigt sind, sollten wir wieder Platz nehmen und hören, was Fürst Arsili bewogen hat, eine so lange und gefahrvolle Reise zu unternehmen und uns hier zusammentreffen zu lassen«, schlug Truns vor, während er sich gleichzeitig auf seinen Stuhl setzte, sich entspannt zurücklehnte und die Arme hinter dem Kopf verschränkte.
Der Chatti, der sich unterdessen bereits wieder niedergelassen hatte und gerade an einem Hühnerbein nagte, erhob sich daraufhin und begann, die Zeigefinger an die Nasenflügel gelegt, um den Tisch herumzuwandern. Dann, nach einigen nachdenklichen Runden, stellte er sich neben Truns und breitete wie beschwörend die Arme aus.
»Mein Gebieter hat mich mit einer äußerst heiklen Mission beauftragt!«, begann er, seine Worte behutsam wählend. »Es ist ja kein Geheimnis, dass unser Volk sich seit einiger Zeit der unausgesetzten und immer dreister werdenden Überfälle assyrischer Truppen erwehren muss. Es ist zwar noch nicht zum offenen Krieg gekommen, doch das ist nur noch eine Frage der Zeit. Nun wäre das für sich gesehen kein Anlass, dass wir uns nach Verbündeten umschauen müssten, da Assur allein gegen uns kaum bestehen kann. Wie unsere Spitzel aber jüngst herausgefunden haben, erhalten die Assyrer von Khemet, mit dem wir offiziell einen Freundschaftsvertrag haben, massive Unterstützung in Form von Gold und Getreide, aber auch von militärischen Beratern, was zwar keinen direkten Bruch dieses Vertrages bedeutet, ihn aber auf eklatante Weise unterläuft. Wir haben uns deshalb entschlossen, diesem unsauberen Treiben Khemets nachhaltig einen Riegel vorzuschieben, indem wir Uaset mit den gleichen Methoden unter Druck setzen, wie sie es mit uns versuchen, ohne dabei unsererseits den Vertrag zu verletzen.«
Während Arsili seine Ausführungen an dieser Stelle bedeutungsvoll unterbrach, um genüsslich von seinem Wein zu trinken, konnte er zu seiner Zufriedenheit feststellen, dass seine Worte erwartungsgemäß auf fruchtbaren Boden gefallen waren, denn in den Gesichtern seiner Zuhörer begann sich mehr und mehr ein Ausdruck von wölfischer Gier abzuzeichnen. Er wusste sehr genau, dass diese Nomaden der Meere schon immer danach trachteten, das alte und unsagbar reiche Land am Hapi endlich einmal im großen Stile zu überfallen, in sein Herz vorzudringen und seiner märchenhaften Schätze zu berauben. Nun bot er ihnen die Gelegenheit dazu, denn in diesem Sinne zum ersten Male vereint und ausgerüstet mit dem Besten, was die chattischen Waffenschmieden zu bieten hatten, nämlich Schwerter und Lanzen aus Eisen, jenem grauen, harten Metall, dessen Herstellung zu den bestgehüteten Geheimnissen Chattis zählte, wären sie durchaus im Stande, den Koloss am Hapi in die Knie zu zwingen. Oder ihn zumindest so weit zu schwächen, dass er nicht mehr in der Lage wäre, irgendwelche Hilfeleistungen nach Assur zu entsenden.
Natürlich beinhaltete dieser ausgeklügelte Plan noch einen andren, für die Chatti weitaus wichtigeren Aspekt. Sollte die Saat nämlich aufgehen, wären die Seevölker aller Wahrscheinlichkeit nach gleichermaßen angeschlagen und würden den nachrückenden chattischen Truppen keinen nennenswerten Widerstand mehr leisten können, wenn diese, wie es der Plan in seiner zweiten Stufe vorsah, Khemet endgültig annektieren und in das chattische Reichsgefüge eingliedern würden.
»Wenn ich deine Worte richtig deute, so ermunterst du uns Barbaren, wie ihr uns zu bezeichnen pflegt, mit eurer selbstlosen Unterstützung eine Invasion Khemets vorzubereiten und es, wenn uns damit Erfolg beschieden wäre, hernach unter den wohlwollend geschlossenen Augen deines Herrschers Hattusili ausgiebig zu plündern!«, ergriff Truns schließlich das Wort und beendete damit die von Arsili absichtlich herbeigeführte Gesprächspause.
»Ich bin beauftragt worden, euch genau darum zu bitten«, bestätigte Arsili gelassen. »Und mehr noch! Die zum Besten gefüllten Waffenkammern Chattusas stehen euch offen, solltet ihr euch während dieser Zusammenkunft einig werden, eure Zwiste vergessen und unseren Vorschlägen zustimmen!«
»Nun mal sachte«, wandte sich nun Tarkun an Arsili. »Das, was du uns vorgeschlagen hast, klingt in der Tat so verlockend, dass ...«, er hielt kurz inne und bedachte Lunus und Triskes mit einem verächtlichen Seitenblick, »dass wir uns sogar vorstellen können, zu diesem zweifellos gewinnträchtigen Zwecke eine Allianz mit den Sheklu und Sherdanu einzugehen. Doch«, und dabei wurde seine Stimme schärfer, »doch traue ich dem uns angebotenen Braten nicht! Ich kenne dein Volk zu gut, um nicht zu wissen, dass sich hinter deinem uneigennützigen Angebot etwas verbirgt, was uns auf kurz oder lang nur zum Nachteil gereichen wird!«
Er ließ seine Worte wirken, während er gleichzeitig in die Runde schaute und zu seiner Genugtuung feststellen konnte, dass alle, bis auf Arsili, ihm beifällig zunickten. Davon bestärkt, setzte er seine Rede weiter fort.
»Weißt du, was ich vermute, Fürst Arsili, treuer Hofhund seiner Majestät Hattusili? Ich denke, dass wir für euch die Drecksarbeit machen sollen, und wenn alles zu eurer Zufriedenheit geregelt ist, marschiert ihr seelenruhig nach Khemet, entledigt euch dessen, was von uns übrig geblieben ist, und heimst die Früchte ein, die wir für euch gepflückt haben! Und deshalb ...«, er fasste dabei den mit ausdrucksloser Miene zuhörenden Chatti scharf ins Auge, »deshalb fordere ich als Gegenleistung für unsere Bemühungen einen geschützten und unabhängigen Stützpunkt für unsere Schiffe an der Südküste eures Reichsgebietes. Zum einen wäre ein solcher, Khemet nahe gelegener Hafen schon deshalb wichtig, damit wir von dort aus, sollten wir überhaupt auf deinen Vorschlag eingehen, unsere Heere und den Nachschub für die Invasion bereitstellen können, und zum anderen würde er ein wertvolles Faustpfand für uns darstellen, wenn ihr wirklich auf die Idee kommen solltet, uns in den Rücken zu fallen.«
»Ich finde die Forderung Tarkuns absolut vernünftig und nur billig, gemessen an dem Aufwand und den Kosten, die uns für die Vorbereitung und Durchführung eines so gewaltigen Unternehmens entstehen werden«, pflichtete ihm Ajas begeistert bei. »Ich meine, es handelt sich immerhin um das mächtige Khemet, lass es zu erobern gilt! Auch teile ich die Bedenken, die Tarkun in Bezug auf eure Loyalität hat, in vollem Maße, und deshalb verlange ich sogar noch ein weiteres Entgegenkommen speziell für die Achäer, denn, im Gegensatz zu den vornehmlich in Seegefechten geübten Rasunna, Sheklu und Sherdanu, verfügen allein wir über eine im Landkampf erprobte Streitmacht, die es gut und gerne mit den Soldaten des Per-hau aufnehmen kann.«
Während sich die meisten der Anwesenden nach diesen Worten erregt von ihren Plätzen erhoben und eine lautstarke Debatte über das Für und Wider eines so kühnen und gewaltigen Unternehmens eröffneten, lehnte sich Arsili, der äußerlich völlig ruhig wirkte, auf seinem Stuhl zurück und faltete die Hände vor dem Gesicht, während unter seinen verengten, halb geschlossenen Lidern ein gefährliches Glitzern erschien.
Es dauerte eine geraume Weile, bis alle sich schließlich einig geworden waren und allmählich wieder Ruhe eintrat. Verlockt durch die Vorstellung, sich vielleicht bald schon an den sagenhaften Reichtümern Khemets erfreuen zu können, hatten sich die Sheklu und Sherdanu sogar dazu durchgerungen, ihre uralte Feindschaft mit den Rasunna zu begraben, um fürderhin als treue Bundesgenossen, Seite an Seite mit ihnen und den Tjekern, den gewaltigen Plan in Angriff zu nehmen.
Nachdem die Männer sich wieder um den Tisch versammelt hatten, teilte Truns Arsili mit knappen Worten das Ergebnis ihrer Besprechung mit, worauf sich aller Augen erwartungsvoll auf den Chatti richteten.
Arsili, der die hitzige Diskussion die ganze Zeit über stumm und wie teilnahmslos auf seinem Stuhl lehnend verfolgt hatte, ließ plötzlich die Kuppen seiner Zeigefinger unterhalb der Nasenflügel leise gegeneinander klopfen und wandte seinen Kopf dabei unmerklich Ajas zu, der rechts neben ihm saß. Es war ihm klar, dass er einen schweren Fehler gemacht hatte, indem er davon ausgegangen war, es würde diesen primitiven Barbaren in ihrer Gier nach Gold gar nicht auffallen, dass sie im Grunde nur als Handlanger der Interessen Chattusas angeheuert und letztendlich geopfert werden sollten. Spätestens als dieser Fuchs Tarkun seine Forderung nach einem Flottenstützpunkt auf dem heiligen Boden Chattis gestellt hatte, die ihn völlig überrumpelte und überdies tief erschreckte, war ihm schmerzlich bewusst geworden, dass er diese Leute gehörig unterschätzt hatte. Nun galt es, wenn ihm nicht alle Felle davonschwimmen sollten, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Und er hätte wahrlich einen schlechten Diplomaten abgegeben, wäre ihm aufgrund dieser für ihn neuen und unerwarteten Sachlage nicht geistesgegenwärtig eine für alle Beteiligten halbwegs gangbare Lösung eingefallen. Es kam jetzt vor allem darauf an, welches »Entgegenkommen« der Tjeker erwartete, denn davon machte er es abhängig, wie er weiter zu verhandeln hatte.
»Ich bin glücklich und dankbar zu hören, dass ihr euch einig entschlossen habt, das Hilfeersuchen, welches ich euch im Namen meines Herren Hattusili zu unterbreiten hatte, anzunehmen«, begann er in heiterem Tonfall zu sprechen. »Ich bin mir sicher, dieses kühne Unternehmen mit vereinten Kräften zu einem erfolgreichen und am Ende für alle lohnenden Abschluss bringen zu können. Dass ich eingangs sträflich versäumt habe, euch einen Stützpunkt auf unserem Territorium anzubieten, bitte ich mir nachzusehen, da wir, als reine Landmacht, bei unseren Überlegungen überhaupt nicht bedacht haben, dass Völker, die das Meer ihre Heimat nennen und überdies so weit entfernt von uns leben, selbstverständlich einen sicheren Hafen an unseren Küsten benötigen, um eine Invasion Khemets vorzubereiten. Ungeachtet dessen, dass ich diese durchaus berechtigte Forderung zunächst meiner Regierung vorzulegen habe, hege ich keinerlei Zweifel, dass man diesem Wunsche bedingungslos nachkommen wird. Allerdings würde es mich nun in diesem Zusammenhang interessieren, an welches Entgegenkommen unsererseits der edle Ajas eigentlich gedacht hat.«
Dieser räusperte sich daraufhin mehrmals und begann umständlich an den Lederriemen seiner Rüstung zu nesteln.
»Ich bin kein Mann vieler Worte«, sagte er endlich, und es klang trotzig. »Wenn die Achäer sich an diesem Kriegszug beteiligen sollen, fordern wir Wilusa!«
Jetzt war es heraus, und Arsili hatte Mühe, seine Erleichterung zu verbergen. Wilusa war eine große, befestigte Stadt, die an der nordwestlichen Grenze Chattis gelegen war. Die Stadt kontrollierte eine Meerenge, die die Handelsschiffe passieren mussten, welche sich auf dem Weg zu oder von den Völkern befanden, die an den namenlosen Gestaden des sich hinter der Meerenge weit nach Osten erstreckenden Meeres lebten.
Die Einwohner Wilusas waren keine Chatti, sondern ein aus dem Westen zugewandertes Volk und mit den Achäern verwandt, doch ihr Stadtoberhaupt war ein treuer Vasall Chattusas, der immer darauf bedacht war, seine nicht unbeträchtlichen jährlichen Tribute pünktlich zu entrichten. Durch die hohe Maut, die Wilusa den Händlern für die Durchfahrt abverlangte, war die Stadt reich geworden, und der blühende Handel zwischen Ost und West garantierte, dass sie immer reicher wurde. Doch obwohl Wilusa den Hof Hattusilis ständig mit großzügigen Geschenken bedachte, waren die Derdanu, wie sie von den Chatti genannt wurden, nicht sonderlich beliebt. Seit ein paar Jahren wurden die hohen Mauern Wilusas in regelmäßigen Abständen von seeräubernden Horden, darunter vor allem Tjeker, berannt, bislang allerdings ziemlich erfolglos, da die Stadt im schlimmsten Falle Hilfe aus Chattusa erwarten konnte. Wenn also die Tjeker so sehr erpicht darauf waren, Wilusa in ihre Hände zu bekommen, so mochten sie es haben! Chattusa hatte zurzeit andere Sorgen, als sich helfend um eine Stadt zu kümmern, die zwar viele Steuergelder einbrachte, aber alles in allem doch sehr lästig war.
Arsili schmunzelte in sich hinein. Er hatte geglaubt, Ajas würde Berge von Gold verlangen oder, was viel wertvoller gewesen wäre, das Geheimnis des Eisens für sein Volk erfahren wollen. Das Erstere hätte zu dieser Zeit arge Probleme bereitet, da Hattusili fast alle seine Goldreserven verbraucht hatte, um gegen Assur und Khemet zu rüsten. Das Zweite wäre schlichtweg unmöglich zu erfüllen gewesen, da es nicht nur ein tödliches Sakrileg bedeuten, sondern vor allem den Lebensnerv der Chatti bedrohen würde. So aber wollte er nur den Fall von Wilusa. Wenn die Tjeker für diesen leicht zu verschmerzenden Preis ihr Leben nach Khemet tragen würden, so wäre damit seine Mission doch noch von Erfolg gekrönt, denn die vage Zusage über ein paar Hufe Küstenland für einen Hafen konnte er vor Hattusili leicht vertreten, wenn damit nur die Invasion Khemets durch die Seevölker besiegelte Sache war. Danach konnte man immer noch sehen ...
Er ließ sich seinen Triumph nicht anmerken, sondern tat eine Weile so, als müsste er angestrengt nachdenken. Schließlich drehte er sich ganz zu Ajas herum, breitete seine Arme aus und täuschte eine hilflos wirkende Miene vor.
»Nun, Wilusa ist uns ein treuer Verbündeter, ich glaube nicht, dass ...«
»Rede nicht lange herum, Arsili!«, unterbrach ihn Ajas hart. »Gehst du auf meine Forderung nicht ein, wird kein Achäer nach Khemet ziehen!«
»Ich müsste das aber erst einmal meinem König vortragen! Du wirst verstehen ...«
»Ich verstehe nur, dass du Zeit schinden willst. Zeit, die die Chatti nicht mehr haben!«, fuhr der Polemarch ihm wieder heftig ins Wort. »Entweder du entscheidest dich jetzt und hier, oder wir vergessen das Ganze!«
Wieder tat Arsili so, als dächte er nach. Schließlich aber schlug er mit der Faust auf den Tisch.
»Du hast Recht, Ajas! Ich habe für einen Moment vergessen, dass ich nicht nur Diplomat, sondern in erster Linie Soldat bin«, sagte er mit fester Stimme. »Ein Mann also, der gelernt hat, lebenswichtige Entscheidungen notfalls ganz allein fällen zu müssen. Und so sage ich dir, dass ihr Wilusa haben könnt! Ich brauche dafür keine Rücksprache mit meinem König, denn als sein Gesandter vertrete ich ihn ja an diesem Ort.«
»So gefällst du mir, Arsili!«, erwiderte Ajas lachend und schlug dem Chatti derb auf die Schulter. »Die Sprache der Krieger ist einfach und ehrlich! Abgemacht also, wir werden nach Khemet kommen!«
»Dann sollten wir alle auf unser neues Bündnis trinken!«, rief Truns und erhob seinen Becher, den er gleich den anderen in einem einzigen Zuge leerte.
»Wenn ihr erlaubt!«, meldete sich Arsili noch einmal zu Wort. »Ich darf mich jetzt zurückziehen und die Verträge vorbereiten, sodass sie euch heute Abend zur Besiegelung vorgelegt werden können. Sicher habt ihr aber untereinander auch noch Einzelheiten zu besprechen, die meiner Anwesenheit nicht bedürfen!«
Er erhob sich, verneigte sich und verließ gemessenen Schrittes den Raum, wobei es ihm sehr schwer fiel, nicht in lautes Lachen auszubrechen.