Читать книгу Wie die Swissair die UBS rettete - Bernhard Weissberg - Страница 12
Scheitern mit Ankündigung
ОглавлениеZeit ist relativ. Auch für Mario Corti. Er wird später sagen, er sei die Probleme der Swissair zügig angegangen. Das mag stimmen – in seinen Zeitrelationen. Für die Swissair agiert er nicht schnell genug. Ja, Corti geht den Ausstieg aus den ausländischen Beteiligungen an. Aber nicht ohne zum Beispiel für die deutsche LTU 250 Millionen Franken auf die Seite zu legen – Geld, das damit für das Kerngeschäft verloren ist. Später wird man ihm das vorwerfen: Er habe die Mittel falsch eingesetzt. Er habe es verpasst, den Notausstieg zu suchen und den Geldabfluss zu stoppen. René Lüchinger glaubt ebenfalls, dass ein Ausstieg aus den Auslandsbeteiligungen sinnvoll gewesen wäre. Einfach wäre dies sicherlich nicht gewesen, «aber möglich». Corti aber will korrekt bleiben gegenüber allen. Auch gegenüber dem Personal. Er schnürt ein erstes Sparpaket, streicht Flüge, mottet Flieger ein. Und denkt erstmals laut über den Verkauf von Firmen aus dem Beteiligungsportfolio nach. Ende August kündigt er an, dass die Abfertigungsfirma Swissport und die Duty-free-Firma Nuance verkauft werden sollen – bis Ende Jahr. Von 71 000 Beschäftigten soll die Swissair auf 47 000 schrumpfen, davon sind 1300 Arbeitsplätze direkt bei der Swissair betroffen: «Swissair schockt mit Stellenabbau» empört sich der Zürcher Tages-Anzeiger am 31. August 2001. Hintergrund der Sparübung: Die neue Finanzchefin entdeckt Bilanzmanipulationen, das Unternehmen steht noch viel schlechter da als gedacht. Der bisherige Finanzchef Georges Schorderet, von der Neuen abgeschoben, wird nun definitiv gefeuert.
Chefpilot Corti muss zu Notmassnahmen greifen. «Knapp vor dem finanziellen Abgrund» stehe die Swissair, muss auch der Tages-Anzeiger konstatieren, Corti habe gar keine andere Wahl. Im Blick verströmt der Konzernchef Optimismus: 2002 werde ein tolles Jahr, es gehe nicht um den radikalen Abbau des Netzes, nein, wenn die Konjunktur anziehe, würden auch die Passagierzahlen wieder steigen. Um sich dann mit den Journalisten über das neue Terminal am Zürcher Flughafen, die neue Zuschauerterrasse dort und die Verpflegung in der Economy-Klasse auszutauschen. Und siehe da, auch der so aufrechte Herr Corti arbeitet mit Buchhaltungstricks. So werden plötzlich «vermutlich verfallene Flugscheine» mit 251 Millionen Franken gutgeschrieben. Sie sind bezahlt, aber nicht abgeflogen worden. «Niemand würde nun Corti im Ernst vorwerfen, er wolle irgendetwas verstecken», schreibt die Berner Zeitung. Er tue nur, was jeder Konzernchef tun würde: Optimismus verströmen, «er bemüht sich, mehr noch: er müht sich ab». Der Angesprochene erklärt sich und die Bilanzanpassungen: Nicht er, Corti, sei verantwortlich für die Ticketgutschrift, sondern die Revisionsgesellschaft habe dies veranlasst. Ein Schurke, wer Böses denkt …
Die Schweizer Medien spielen in dieser Phase eine interessante Rolle: Für die einen ist Mario Corti der Herkules, der das nationale Monument Swissair rettet. Für die anderen hat Corti viel zu grosse Illusionen und steht zu wenig in der Gegenwart. Die positive Lesart zeigt sich in der Anlegerzeitung Finanz und Wirtschaft: Sie will «die Swissair Group nicht aufgeben», wie sie am 1. September titelt, und sie kommentiert, das präsentierte Zahlenwerk «lässt erschauern, gleichzeitig aber auch Hoffnung schöpfen». Trotz der Tatsache, «wie nah die Swissair Group am Abgrund steht», gebe es doch «Anlass zu gewissen Hoffnungen». Und begründet dies mit: «Wer sich daran erinnert, wie Cortis analytisches Regime die Nestlé-Divisionen auf Vordermann brachte, sieht deshalb einen Lichtschimmer am Swissair-Horizont.» Die Zahlengläubigkeit von Corti stösst beim SonntagsBlick auf Skepsis: «Corti allein kann nicht Swissair sein», kommentiert die damals auflagenstärkste Zeitung der Schweiz. Sie zweifelt, dass Corti das Unternehmen in die richtige Richtung treibt. Der von ihr befragte Marketingchef der Billig-Airline Ryanair sagt klipp und klar: «Corti lebt in einer Welt von vorgestern.» Die Zukunft im Kurz- und Mittelstreckenverkehr gehöre den kostengünstigen Airlines: «Die Leute sind nicht bereit, für ein besseres Glas Wein und ein knuspriges Sandwich einen Aufpreis zu zahlen.» Die inzwischen eingegangene Westschweizer Sonntagszeitung dimanche.ch fragt denn auch als erste Publikation: «Und wenn Swissair Konkurs geht?» Ein vom Blatt befragter Bankenanalyst sagt, mit 15 Milliarden Franken Schulden «kann man nicht überleben». Nur die Deutsche Bank empfiehlt ihren Kunden in dieser Situation, die Aktie zu kaufen.
Dass sich die Aussichten für die Airline schwer eingetrübt haben, ist noch vor den Anschlägen vom 11. September 2001 vielen klar. Die SonntagsZeitung rechnet ihren Leserinnen und Lesern nur gerade zwei Tage vor den Terrorakten vor, dass 15 Milliarden Schulden 750 Millionen Franken Zinsen pro Jahr bedeuten, dass das Fluggeschäft einen Verlust von 400 Millionen Franken mache, von den Zahlungen an die ausländischen Airline-Beteiligungen nicht zu sprechen. «Das Loch ist nicht zu stopfen», kommt die Zeitung zum Schluss, da hälfen auch die «gewieftesten Bilanztricks» nicht. Deshalb gebe es nur eine Lösung: einen Schuldenverzicht der Bank, sonst sei die «Swissair am Ende». Das Sonntagsblatt holt sich bei dieser Argumentation Hilfe von SVP-Mann Christoph Blocher. Der vergleicht die Situation mit der Lage der Uhrenindustrie Ende der 1970er-Jahre. Es brauche deshalb einen Schuldenverzicht und eine Aufstockung des Eigenkapitals. Blocher: «Damals [bei der Uhrenindustrie, Anm. des Autors] verzichtete man auch auf viel Geld, im Nachhinein stellte sich das aber als sehr lohnendes Geschäft für die Banken heraus.» Eine Staatshilfe lehnt der SVP-Vordenker jedoch strikt ab, genauso eine Bürgschaft: «Das ist keine nationale Airline, das ist eine private Fluggesellschaft», stellt Blocher seine Sicht der Dinge klar. Und sagt bei der Frage nach Cortis Plänen: «Bei Sanierungen dieser Grössenordnung darf man nicht zu zögerlich vorgehen. Da braucht es wohl eher den Vorschlaghammer.»
Am 10. September 2001, einen Tag vor den Anschlägen in Amerika, lässt sich also folgende kurze Zwischenbilanz ziehen: Corti ist die Sanierung der Swissair mit der ihm eigenen Gründlichkeit angegangen, will die Probleme Schritt für Schritt und ganz sauber lösen. Sowohl die Geschäftsentwicklung und neue Informationen aus dem Bauch der Firma zwingen ihn im Sommer, das Tempo zu erhöhen. Aber er glaubt immer noch, genügend Zeit zu haben, will keinen Notverkauf von Beteiligungen einleiten, sondern einzelne Unternehmen bis Ende Jahr loswerden. Erwarteter Ertrag: rund fünf Milliarden Franken. Damit liesse sich die Schuldenlast reduzieren, allerdings fielen dann auch die Betriebseinnahmen dieser rentablen Firmen weg. Und dann kommt der Schock am 11. September 2001: Ein Passagierflugzeug rast in einen Tower des World Trade Center im Süden Manhattans. Und als die New Yorker noch mit vor Staunen offenem Mund zur Rauchwolke, die aus den obersten Stockwerken quillt, hochstarren, rast bereits die zweite Maschine in den anderen Tower. Stunden später kollabieren beide Hochhäuser, brechen in sich zusammen. Zudem kommt die Nachricht, dass ein weiteres Flugzeug in das Pentagon geflogen und eine vierte Maschine vor dem Erreichen ihres Ziels abgestürzt ist. Bei diesen koordinierten Anschlägen von islamistischen Terroristen sterben fast 3000 Menschen. Sie senden Schockwellen rund um die Welt. Und sie bringen innerhalb von Stunden den gesamten Flugverkehr in und nach den USA zum Erliegen. Die Erkenntnis dringt langsam durch: Mit den Ereignissen von 9/11 sind alle Pläne und alle Szenarien Mario Cortis für die Swissair Makulatur. Zwar titelt die Finanz und Wirtschaft noch am Tag nach den Anschlägen «Swissair Group auf dem Weg zum Turnaround». Allen anderen aber ist klar, dass die Anschläge «mindestens kurz- und mittelfristig gravierende Auswirkungen auf die Airline-Industrie haben» werden, wie der Tages-Anzeiger am 13. September schreibt. Der Blick meint: «Für die Swissair ist es eine Katastrophe.» Gegen aussen gibt sich die Airline bedeckt, man rechne «verschiedene Szenarien» durch. Sicher ist, dass der geplante Verkauf der Tochterfirmen nicht die erwarteten Erlöse bringen wird. Der Finanzexperte und SVP-Nationalrat Hans Kaufmann orakelt, es bleibe nur noch die Umwandlung von Fremd -in Eigenkapital, getreu der Parteilinie, dass die Wirtschaft ihre Probleme selbst lösen muss. Nur einer aus dem bürgerlichen Lager kann sich auch einen anderen Weg vorstellen: Wirtschaftsminister Pascal Couchepin. In den USA berät der dortige Kongress über eine Bundeshilfe für die darniederliegende Airline-Industrie. Deshalb sagt der freisinnige Bundesrat aus dem Wallis eine Woche nach den Anschlägen: «Wir können nicht heiliger sein als das Heilige Land der freien Wirtschaft.» Und funkt damit gleich zwei Regierungskollegen in ihre Arbeit hinein: Für die Fluggesellschaft ist eigentlich der SP-Mann und Verkehrsminister Moritz Leuenberger zuständig, und die Bundesfinanzen hütet Couchepins Parteikollege Kaspar Villiger.