Читать книгу Wie die Swissair die UBS rettete - Bernhard Weissberg - Страница 5
Vorwort
ОглавлениеAm 16. Oktober 2008 wacht die Schweiz auf und erschrickt: Die grösste Schweizer Bank, die UBS, muss vom Staat gerettet werden. Das melden die Medien. Grund sei die «Verschlechterung der Märkte» und die «zunehmende Verunsicherung», wie CEO Marcel Rohner an einer Telefonkonferenz frühmorgens an jenem Tag sagt. Man habe nun gemeinsam mit der Schweizerischen Nationalbank eine Lösung gefunden.
Rohners bügelfreie Aussagen sind in Wahrheit ein unschönes Geständnis: Die Bank mit Hauptsitz an der Zürcher Bahnhofstrasse steht vor der Zahlungsunfähigkeit. Verschiedene Divisionen haben sich unabhängig voneinander mit Hypothekenpapieren in den USA ins Elend spekuliert. Weil der Bank nun das dringend benötigte Kapital fehlt, muss sie der Bund retten. Offiziell nennt sich das «Stabilisierung» – es klingt etwas gnädiger.
Die Öffentlichkeit jedoch lässt sich nicht täuschen: «UBS auf Betteltour» schreibt der am gleichen Tag erscheinende Blick am Abend, «Staat muss UBS retten» titelt der Blick am nächsten Tag. Nur die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) bleibt rücksichtsvoll gegenüber der Finanzwirtschaft. Sie vermeidet es, die Marke UBS im Titel überhaupt zu nennen, und überschreibt ihre Darstellung der Ereignisse mehr als sachlich: «Staatliches Hilfspaket für den Finanzplatz».
Damit endet schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts der Versuch von Schweizer Managern, ihre Firma an die Weltspitze zu katapultieren. «Wir möchten in der Weltliga der Finanzindustrie an vorderster Front mitspielen», kündigt 1997 der neue CEO Marcel Ospel vollmundig an, als er seinen Basler Bankverein (SBV) mit der Bankgesellschaft (SBG) aus Zürich zur UBS zusammenschliesst. Und Ospel kauft deshalb kräftig zu, vor allem in den USA: den Asset Manager GAM im Jahr 1999, den Vermögensverwalter PaineWebber im Jahr 2000, vier Jahre später die Kapitalmarktdivision von Charles Schwab.
Ebenfalls im Jahr 1997 beschliessen die Führungsgremien einer anderen Schweizer Firma, der Swissair, eine Strategie namens «Hunter»: Die Schweizer Airline-Manager wollen auch zukaufen, in ihrem Fall viele kleine und mittlere Fluggesellschaften, um in der Europaliga, also gegen British Airways und Lufthansa, mithalten zu können. Geplanter langfristiger Effekt: Die Swissair soll ein attraktiver Partner für eine der grossen US-Airlines werden. Zusammen würde man eine weltweit führende Allianz bilden.
Zwei Mal innerhalb von zehn Jahren enden diese Weltmachtspläne im Desaster: bei der Swissair 2001 im Grounding, und auch die UBS steht sieben Jahre später vor dem Abgrund. Beide Male lässt ein Grossereignis in den USA die schwelende Krise ausbrechen. Beide Male müssen die Chefs an der Spitze gehen. Und beide Male ist die Nachfolge-Crew zu wenig stark, um ihr Unternehmen alleine vor dem Untergang zu retten. Zwei Mal wird der Staat dadurch gezwungen, einzugreifen.
Es gibt allerdings einen Unterschied: Der erste Fall, die Swissair-Krise, erwischt die Regierung auf dem linken Fuss. Sie ist unvorbereitet, auch weil Bundesrat und Chefbeamte hoffen, dass «die Wirtschaft» ihr Problem selbst löst. Das zweite Mal hingegen, im Fall UBS, sind die Politiker zwar weiterhin passiv, aber die Verwaltung ist inzwischen gerüstet und mehr als gewillt, nicht noch einmal in ein Debakel hineinzuschlittern.
Beide Unternehmen sind heute kleiner, schlanker – und vor allem erfolgreicher. Die UBS ist dank der Konzentration auf ihre Kernkompetenzen grösster Vermögensverwalter der Welt, die Swiss als Teil der Lufthansa mit zweistelligen Umsatzrenditen der grösste Gewinnbringer im deutschen Luftfahrtkonzern. Beide Firmen wollen sich die führende Stellung nun nicht erkaufen, sondern erarbeiten.
Zwei Krisen also. Doch wie kommt es überhaupt zu einer Krise? Und vor allem: Wie geht man sie an? Wie kommt man aus ihr heraus? Wer hilft – und wer nicht? Gibt es Netzwerke, die nützen, solche, die schaden? Und fast noch wichtiger: Gibt es griffige Rezepte aus der Geschichte? Oder anders formuliert: Was kann man aus der Geschichte für die Bewältigung von Krisen lernen?
Diese Fragen standen am Anfang des Buchs.1 Dabei bildeten die zwei Krisen, welche die Schweiz in den Nullerjahren beschäftigten, das Zentrum der Überlegungen: das Grounding der Swissair 2001 und die Rettung der taumelnden UBS im Jahr 2008. Die Schlüsselfrage war, ob es eine Beziehung zwischen diesen beiden Ereignissen gibt, und wenn ja, welche. Anders gesagt: Hat das Grounding der Swissair die Rettung der UBS beeinflusst? Barry Eichengreen ist Ökonom und Politikwissenschaftler. Der Amerikaner lehrt als Professor an der Berkeley-Universität nahe San Francisco. Eichengreen analysierte nach der Finanzkrise das Krisenmanagement. Er zeigt auf, dass sich Handelnde in Momenten, in denen wenig Zeit ist – in Krisen ist das fast immer der Fall –, mit Analogien aus der Geschichte behelfen, dass sie also zum Beispiel auf frühere Krisen zurückblicken, um daraus Lehren zu ziehen. Das alleine allerdings reicht oft nicht aus, sagt Eichengreen. Aber Einfluss auf die Gegenwart und die Zukunft hat der Blick zurück alleweil.
Dies gilt auch für die zwei hier geschilderten Krisen in der Schweiz, das sei schon jetzt gesagt: Ja, die Swissair-Krise hatte Einfluss auf die Art und Weise, wie die Stabilisierung der UBS angegangen wurde. Aber der Weg dorthin war nicht mühelos und die Schlussfolgerungen nicht immer eindeutig. Um herauszufinden, wie stark der Bezug der Ereignisse zueinander ist, reicht es nicht, die heute zugänglichen Akten zu studieren. Es braucht den Zugang über mündliche Quellen, über die Nacherzählung von Beteiligten. Sechs von ihnen waren bereit, Auskunft zu geben. Andere der damals Handelnden wollten die Zeitreise zurück nicht mitmachen. Der Dank gilt deshalb den sechs Herren, die sich der Erinnerung stellten. Zwei waren bei beiden Ereignissen in massgeblichen Rollen mit dabei: Peter Kurer, Anwalt und General Counsel der UBS im Jahr 2001 und sieben Jahre später, im Jahr 2008, Verwaltungsratspräsident der Grossbank. Peter Siegenthaler war in beiden Krisen Leiter der Finanzverwaltung der Eidgenossenschaft, also oberster Finanzchef des Bundes. Wichtige Auskunft gaben des Weiteren Alt-Bundesrat Kaspar Villiger, ungewollt mit dabei im Zentrum der Swissair-Krise, und René Lüchinger, der den Untergang der Swissair als Publizist und Chronist ganz nah begleitete. In der UBS-Krise in wichtigen Rollen tätig waren Philipp Hildebrand, damals Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, und Daniel Zuberbühler, Direktor der Eidgenössischen Bankenkommission, der damaligen Aufsichtsbehörde über die Banken und Vorgängerin der heutigen Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma.
Die Leserinnen und Leser sollten sich bei der Lektüre des Buchs bewusst sein, dass Erinnerungsarbeit – sowohl der Befragten wie des Autors – immer lückenhaft ist. Und nicht nur das: Der Mensch schafft sich seine eigenen Realitäten, rückt sich die Ereignisse im Rückblick oft etwas zurecht, bewusst und unbewusst. Genauso willkürlich ist die Auswahl der vom Autor verwendeten Zitate: Ein anderer Schreiber hätte möglicherweise eine andere Gewichtung vorgenommen. Mir schien sie die richtige zu sein. Weil wir ja in einer Welt der Transparenz leben, finden Sie am Ende des Buchs die Transkripte der von mir geführten Gespräche.2 Damit können Sie sich nochmals ein eigenes, Ihr ganz persönliches Bild machen. Und so können Sie «Ihre» Geschichte lesen – eine besondere Art von Exklusivität. Dabei wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.