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2. Die Polizei, kein Freund und Helfer

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Da saß ich nun, keine halbe Stunde später, im Hauptgebäude der Polizeidirektion. In der Nähe von Tante Mariebelles Wohnung wäre zwar auch eine Wache gewesen, aber ich hielt mein Anliegen dafür zu wichtig, zu dringlich. Es sollte an der höchstmöglichen Stelle bearbeitet werden.

Gleich nach der Anmeldung, im großen Warteraum, wurde ich mehr oder weniger unfreundlich abgekanzelt, als ich mich nach dem Prozedere einer Vermisstenanzeige erkundigen wollte.

»Um wen handelt es sich denn bei dem Gesuchten?«, fragte der Wachtmeister am Schalter.

»Meine Patentante, Mariebelle Puttensen, ist unauffindbar. Allerdings bin ich keine direkte Angehörige. Ist das ein Problem?«

Der Wachtmeister schüttelte den Kopf.

»Sie hat nämlich keine direkten Angehörigen. Deshalb mache ich mir ja Sorgen.«

Ich schilderte ihm kurz die geplatzte Verabredung im Bistro und was später Herr Ullmann, ihr Nachbar, über ihr überfälliges Urlaubsende angedeutet hatte. Dass der Wachtmeister keines meiner Worte notierte und mir auch kein Papier zum Ausfüllen reichte, wunderte mich. Wollte der sich all diese Informationen merken? Ich sprach ihn darauf an.

»Das alles mag auf Sie nicht überzeugend wirken, trotzdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mein Gesuch bearbeiten würden, statt nur dazustehen und zuzuhören. Oder müssen Sie 24 Stunden warten, ehe eine Person als vermisst gilt?«

»Die 24-Stunden-Regel gibt es bei uns nicht«, antwortete der Wachtmeister ungerührt. »Viele Leute denken das, weil sie es im Fernsehen so gehört haben. Ist aber Quatsch.«

»Na, dann tun Sie doch was!«

Ich spürte, wie meine Halsschlagader wieder anschwoll. Vor diesem Typen würde ich mich allerdings nicht wegdrehen, falls sie platzte! Wieso musste ich ausgerechnet an das lethargischste Exemplar eines Polizisten geraden, das jemals in diesem Revier tätig war?

»Sie verstehen nicht, Frau…?«

»Endesfelder.«

»Frau Endesfelder.«

Er wiederholte meinen Namen in einem Ton, als ob er zu einer Grundschülerin spräche, und faltete die Hände.

»Wir können eine Vermisstenanzeige nur entgegennehmen, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht. Ist das denn bei Ihrer Patentante der Fall, Frau Endesfelder?«

»Das weiß ich doch nicht!«

Beinahe hätte ich hinzugefügt, welch blöde Frage das sei. Aber ich riss mich zusammen und sagte nur:

»Deshalb bin ich ja hier, damit Sie das herausfinden.«

Der Wachtmeister hob abwehrend die Hände.

»Sie verstehen mich nicht, Frau Endesfelder. Leidet Ihre Patentante an Demenz? Ist sie Diabetikerin und hat ihre Medikamente vergessen? Verfolgt sie möglicherweise eine Selbsttötungsabsicht?«

Ich schüttelte den Kopf. Nichts davon traf zu.

»Dann besteht auch keine Gefahr für Leib und Leben«, sagte der Wachtmeister, »und die Polizei darf nicht eingreifen. Erwachsenen Menschen, Frau Endesfelder, ist es nämlich durchaus erlaubt, ihren Aufenthaltsort ohne Nachricht an Freunde und Angehörige frei zu wählen. Vielleicht will Ihre Patentante zurzeit einfach in Ruhe gelassen werden?«

Er lächelte mich mitleidig an, als ob ich jetzt gefälligst erkennen sollte, wie dumm mein Anliegen wäre. Aber ich war noch nicht bereit, diesen Kampf mit der Behörde aufzugeben.

»Herr Wachtmeister«, sprach ich, »würde meine Tante in Ruhe gelassen werden wollen, hätte sie dann extra im Bistro einen Tisch für sie und mich reserviert? Bestimmt nicht. Es ist mit Sicherheit etwas passiert.«

Der Polizist runzelte für einen Augenblick die Stirn. Offenbar erkannte er die Stichhaltigkeit meines Arguments. Ein bisschen versöhnlicher fuhr ich fort:

»Ich wäre Ihnen ja schon sehr dankbar, wenn Sie mit Ihren polizeilichen Möglichkeiten mal kurz in Ihrem Computer nach ihr suchen würden. Sie kriegen da doch bestimmt heraus, ob es kürzlich einen Unfall gab, in den sie verwickelt war, oder ob sie in irgendein Krankenhaus aufgenommen wurde oder dergleichen.«

Ich setzte einen mädchenhaften Bettelblick auf. Ich fand, da er mit mir ohnehin wie mit einem Kind sprach, durfte ich diesen Trick anwenden. Und er wirkte!

»Na gut, Ihnen zuliebe«, sagte er und wandte sich an seinen PC. »Wie lautete der vollständige Name gleich noch?«

»Florentine Endesfelder.«

»Nicht Ihrer! Der von Ihrer Patentante.«

»Ach so, entschuldigen Sie. Mariebelle Puttensen.«

Ich buchstabierte, während er tippte, damit sich kein Fehler einschlich. Leider war der Bildschirm nur ihm zugedreht, sodass ich keinen Einblick auf das gewinnen konnte, was vor den Augen des Wachmeisters aufflimmerte. Er blieb auffallend still und begann, sein Kinn zu reiben. Kein gutes Zeichen, fürchtete ich, und meine Sorge wuchs erneut.

»Was ist los?«, fragte ich.

Statt mir direkt zu antworten, griff der Wachtmeister zum Telefon, wählte eine Nummer und sprach:

»Hallo Sieglinde? Hier ist Wolfgang… Ja, hallo… Geht so… Warum ich anrufe: Ist jemand vom Kommissariat zu sprechen? Tork oder Unger?«

Durch die Sprechmuschel konnte man eine laute Frauenstimme hören, die unentwegt zu schnattern schien.

»…Ah, gut. Würdest du mich durchstellen? Danke dir, Sieglinde…«

Es gab eine kleine Pause, in der er mich unverbindlich anlächelte. Dann redete er weiter in den Telefonhörer hinein. Diesmal konnte man den Sprecher am anderen Ende der Leitung nicht hören.

»Herr Kriminalhauptkommissar, ich habe hier eine junge Dame, die eine Vermisstenanzeige aufgeben will. Ich weiß, das gehört nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich, aber… Genau, es gibt da eine Kleinigkeit… Mariebelle Puttensen. Vor mir sitzt ihr Patenkind. Ich würde Ihnen die Dame mal kurz raufschicken, ja? Und ich sende Ihnen gleich per Mail einen Screenshot… Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen. Entschuldigen Sie bitte im Voraus, wenn sich das als Trugschluss meinerseits entpuppt… Danke, vielen Dank!«

Er legte auf.

»Kriminalhauptkommissar Tork möchte mit Ihnen sprechen.«

Er nannte mir die Zimmernummer seines Büros.

»Sie müssen in den Ostflügel, dann ins zweite Geschoss. Das Kommissariat 1 ist ausgeschildert. Falls jemand fragt, sagen Sie, zu wem Sie wollen und dass Wolfgang von der Anzeigenerstattung sie geschickt hat.«

Er reichte mir einen kleinen Notizzettel mit den wichtigsten Eckdaten, damit ich mich auf dem Weg durch das riesige Gebäude nicht verlaufen würde. Erschrocken darüber, plötzlich zu einem Kommissar von der Kripo geschickt zu werden, schlich ich durch die Gänge. Zwar hielt ich mein Haupt hoch, den Blicken der Beamten wich ich jedoch aus. Im Kommissariat 1 wurde ich von einer molligen Frau in schrillen Farben begrüßt, die wohl die Sekretärin war.

»Sie sind die Dame, die zu Kriminalhauptkommissar Tork will, stimmt's? Ich bringe Sie in sein Büro.«

Von wollen kann nicht die Rede sein, dachte ich im Stillen. Aber was blieb mir übrig?

Als ich schließlich Kommissar Tork gegenüber saß, beruhigte ich mich ein wenig. Er schaute mich freundlich an, die Arme auf seinen Schreibtisch gestützt. Neben seinem rechten Ellenbogen stand ein Flachbildschirm, der offensichtlich eingeschaltet war. Allerdings stand auch er mit der Rückseite zu mir, sodass mir ein Blick aufs Display erneut verwehrt blieb.

»Sie sind also auf der Suche nach Mariebelle Puttensen«, stellte er fest.

»Muss ich mit dem Ärgsten rechnen?«, fragte ich kleinlaut. »Ist sie etwa irgendwo tot aufgefunden worden?«

Tork lächelte und schüttelte mit dem Kopf.

»Uns liegen keine Auskünfte vor, die solch schreckliche Vermutung nahe legen«, sagte er.

Ich atmete erleichtert auf. Eine Pause entstand. Tork schien nach Worten zu suchen und fuhr erst nach einer Weile fort:

»Um genau zu sein, liegt uns überhaupt nichts vor, das Ihnen bei der Suche nach ihrer Patin helfen könnte. Freilich bedauern wir das sehr. Aber vielleicht können Sie uns noch ein paar weitere Angaben zu Frau Puttensen machen?«

»Was für Angaben?«

»Nun, was sie nach ihrem Urlaub vorhatte, zum Beispiel.«

»Ich wusste ja nicht einmal, dass sie verreist ist!«

»Oh«, machte Tork.

Er hatte wohl nicht mit dieser Aussage gerechnet.

»Dementsprechend kann ich Ihnen auch nicht sagen, was Tante Mariebelles Pläne für nach ihrem Urlaub waren«, fügte ich hinzu, vor Aufregung in schlechte Grammatik verfallend.

»Vielleicht wollte sie Freunde aufsuchen? War sie Mitglied in einem Reiseclub? Oder ging sie einer Vereinstätigkeit nach?«

Verdutzt fragte ich, was diese Nachforschungen zu bedeuten hätten. Sie schienen nichts mit Tante Mariebelles Verschwinden zu tun zu haben. Tork schielte kurz auf den Flachbildschirm, dann sah er wieder mich an.

»Es wäre ja möglich«, lenkte er ein, »dass Ihre Patin dringende Termine hatte, von denen Sie etwas wussten.«

»Hören Sie«, erwiderte ich und meine Ungeduld meldete sich zurück, »ich bin zur Polizei gekommen, um Antworten zu finden. Stattdessen fragt man mich hier Dinge, die ich gar nicht wissen kann – und würde ich sie wissen, bräuchte ich nicht erst zur Polizei gehen, sondern könnte selber nach Tante Mariebelle suchen. Verzeihen Sie, Herr Kriminalhauptkommissar, aber dieses Gespräch erscheint mir witzlos. Weshalb bin ich denn extra hierhergeschickt worden?«

Tork ließ sich von meiner Aufregung nicht anstecken, sondern antwortete gleichbleibend freundlich:

»Der Beamte, mit dem Sie unten sprachen, hat es nur gut gemeint. Er glaubte, über etwas gestolpert zu sein, was für die Kripo von Bedeutung sein könnte, aber dem ist nicht so. Sehen Sie es ihm bitte nach, Frau Endesfelder. Wir Polizisten führen eine Überprüfung lieber einmal zu viel als zu wenig durch.«

Anders als Wolfgang von der Anzeigenerstattung war Torks Ton nicht gönnerhaft. Er sprach ernsthaft und ich fühlte mich respektiert. Das beruhigte mich und ich erinnerte mich daran, dass vorhin von einem Screenshot die Rede gewesen war. Hatte der Wachtmeister auf der Suche nach Tante Mariebelles Namen etwas in den Polizeidaten entdeckt, das ihm verdächtig vorkam? Was könnte das gewesen sein? Ich sprach Tork darauf an, doch der schüttelte bedauernd den Kopf.

»Da war nichts von Belang, Frau Endesfelder.«

Na, das glaubte ich ihm nicht! In dem Fall würde ich ja nicht im Kommissariat sitzen.

Schneller, als Tork es erfassen konnte, sprang ich auf, beugte mich über seinen Schreibtisch und erhaschte einen Blick auf seinen Computerbildschirm. Was ich sah, ließ meinen Atem stocken.

»Ich glaube es nicht!«, rief ich aus.

»Frau Endesfelder, dieser Anblick war nicht für Sie bestimmt«, sagte Tork. »Setzen Sie sich bitte wieder hin!«

»Das ist mir klar, dass ich sowas nicht sehen soll!«, gab ich zurück. »Aber genauso wenig sollten Sie… In Ihrer Dienstzeit… Und überhaupt!«

Mir fehlten die Worte – beinahe.

»Ich werde Ihre Vorgesetzten von dieser Ungeheuerlichkeit unterrichten«, drohte ich. »Wer ist das in Ihrem Fall, na?«

»Das wäre Kriminaldirektor Hummel«, erwiderte Tork und sein Ton war plötzlich hart, »aber der…«

Doch ich hörte ihm nicht weiter zu, denn ich war viel zu empört, um mich auf weitere Diskussionen einzulassen. Von wegen, ich würde respektiert! Mit einem ebenso harten Ton wie dem seinen wünschte ich ihm einen guten Tag, stürmte aus seinem Büro und verließ augenblicklich die Polizeidirektion.

Liebreiz, Mord und Kaktusstiche

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