Читать книгу Michelle - Bernt Danielsson - Страница 8
The Amigo Factor
ОглавлениеIch wurde von einem wütenden Sonnenstrahl geweckt, der mir ein Loch ins linke Augenlid zu brennen versuchte. Als ich die Augen aufschlug, wurde ich geblendet und schloß sie daher sofort wieder, rückte ein Stück zur Seite und machte einen neuen Versuch.
Der Lasersonnenstrahl kam von einem Spiegel draußen im Flur, der das schräg einfallende Sonnenlicht von der Terrasse auffing.
Halt, was war denn das – demnach lag ich im Wohnzimmer? Auf dem Sofa? Seltsam. Ich war fest davon überzeugt, daß ich oben im Schlafzimmer ins Bett gegangen war.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis das Gehirn und das Gedächtnis die Situation gemeinsam geklärt hatten.
Ja, stimmt, natürlich... So war das. Peinlich. Sehr peinlich. Als ich die Nachttischlampe nachts um eins ausgemacht hatte, überfiel mich plötzlich diese Wahnsinnsangst.
Ganz plötzlich war mir aufgegangen, daß in jedem Film, wo jemand allein daheim ist und einschläft, dieser jemand gleich von klirrendem Glas und Schritten aufgeweckt wird.
Und da wurde mir bewußt, daß ich hier oben tatsächlich in einer Falle steckte. Abgesehen von der Tür, die zur Treppe rausführte, gab es in dem Zimmer nur ein Fenster, und wenn man aus dem Fenster sprang, segelte man erst mal fünf, sechs Meter durch die Luft, bevor man auf den tödlich spitzen, schroffen Felsen endete.
Ich warf sofort die Decke von mir und nahm das Leintuch mit nach unten.
Du Hornochse, dachte ich, du hättest dir die Videos nicht reinziehen sollen. Goldfinger hätte ja nichts ausgemacht, aber den ‚Amigo Factor‘, den hätte ich mir sparen können. Unten auf dem Sofa hatte ich wenigstens zwei Fluchtwege. Einmal durch die Haustür oder durchs Küchenfenster, falls sie von der Terrasse kämen. Oder auf die Terrasse hinaus, wenn sie aus der anderen Richtung kämen. Draußen könnte ich die Treppe runterrennen und dann den Pfad entlang, der zu den beiden Nachbarhäusern führte. In beiden Häusern war erfreulicherweise Licht gewesen.
Mann, wie idiotisch darf man denn sein? dachte ich, riß mir das Leintuch vom Leib und trat auf die Terrasse hinaus.
Ein wolkenloser Himmel, und ohne die erfrischende Brise von der Bucht wäre es unerträglich heiß gewesen. Jetzt schon, morgens um Viertel vor neun. Heiliger Pharao!
Was mach ich jetzt? überlegte ich.
Frühstücken wäre kein schlechter Anfang, schlug mein Magen vor. Ich war zur Küche unterwegs, als ich jemand am Küchenfenster scharren hörte.
Jemand scharrte am Küchenfenster!
Mann, bleib cool, schließlich ist es hellichter Tag.
„Hallo?“ krächzte ich und stapfte in die Küche.
Da scharrte es noch mehr, und dann hörte ich kratzende Geräusche auf dem Fensterblech und sah nur kurz etwas Braunes, Buschiges, das im Affentempo runterglitt und verschwand. Ein Eichhörnchen.
Es war ein Eichhörnchen. Ich trat ans Fenster und schaute hinaus, sah aber nichts. Gleich darauf hörte ich, wie es direkt neben dem Fenster an die Wand klopfte, dann kam es angeklettert, hüpfte aufs Fensterblech und spähte mit großen schwarzen Augen zu mir herein.
„Du hast mich ganz schön erschreckt“, sagte ich und bildete mir ein, daß es mir direkt in die Augen starrte.
Dann wurde es ihm zu dumm, worauf es davonhoppelte.
Ich füllte die Kaffeemaschine mit Wasser, warf Kaffee ein und schaltete das Ding an. Dann schaltete ich die Ministereoanlage ein, die zwischen einer italienischen Espressomaschine (die völlig unbenutzt aussah) und einem Mikrowellenherd eingeklemmt war.
Eine breiige Stimme quakte etwas über Schiffe, glitzernde Sonne und Buchten. Ich stellte den Lärm sofort wieder ab und holte eine meiner ‚selected‘–Kassetten aus dem Schlafzimmer – das sind Kassetten, wo ich selbst die Songs ausgewählt und gemixt hab. Vor allem ältere Songs, die gefallen mir nämlich besser als dieser ganz Mist, der zur Zeit auf den Markt kommt.
Ich drückte die Kassette rein.
‚Relax and swing‘, sang David Sylvian.
„Genau das hab ich vor“, sagte ich.
Ich öffnete den Kühlschrank und holte Margarine und ein großes Stück Käse raus. Brot gab es auch. Dann suchte ich mir einen kleinen Kochtopf für mein Frühstücksei.
Ein Glück, daß ich keine Alpträume bekommen habe, dachte ich. Aber ich hatte verdammt lange gebraucht, bis ich eingeschlafen war.
Warum ist man so viel ängstlicher, wenn es dunkel ist? Hat das was mit Fernsehen und Kino und Krimis und Horrorfilmen zu tun? Oder kommt man mit eingebauter Angst vor der Dunkelheit auf die Welt? Oder bin ich der einzige, dem es nachts im Bett so richtig wahnsinnig eiskalt vor Entsetzen wird? Am nächsten Morgen fällt es mir immer schwer, ‚Ich selbst im Morgenlicht‘ mit dem erregten, leicht hysterischen ‚Ich selbst in der Nacht‘ zusammenzufügen. Das klappt einfach nicht. Wir scheinen nichts gemeinsam zu haben.
‚The Amigo Factor.‘
Nein, den Streifen hätte ich mir nicht anschauen sollen. Aber er war verdammt gut. Ein paar Szenen hatten sich mir für immer eingeprägt. Granger Harris in der Rolle des Philip Reardon war absolut souverän. Ohne ihn wäre der Film nur halb so gut gewesen.
Komisch, daß manche Filme auch ohne eine Menge Blut und Gewalt so beklemmend und unheimlich wirken können. Während andere, wo man den Leuten alle zwei Minuten den Hals abschneidet, bloß lächerlich sind.
In ‚The Amigo Factor‘ war es die Stimmung, die so unangenehm war – ein angespanntes, verschwitztes ‚feeling‘, das einen die ganze Zeit wie auf Nadeln sitzen ließ, weil man dauernd erwartete, daß jetzt gleich etwas ganz Abscheuliches passieren würde, und das war ja dann auch der Fall.
Genau in diesem Augenblick hatte meine Mutter angerufen, und ich hatt vor Schreck fast in die Hose gemacht. Ich fuhr hoch vom Sofa und ließ meine Fluppe fallen, erwischte sie dann aber doch auf dem Teppich unterm Tisch, und dann fummelte ich noch eine gute Weile an der Fernbedienung rum, bis ich endlich den Stop-Knopf gefunden hatte. Mit meiner nervösen Mutter zu sprechen, machte mich nicht gerade weniger nervös – im Gegenteil. Um mich zu beruhigen, rauchte ich auf dem Balkon eine Zigarette, und bei dieser Gelegenheit sah ich, daß in den beiden Nachbarhäusern Licht war. Das beruhigte mich ein wenig.
Obwohl mir klar war, daß ich es lieber bleiben lassen sollte, sah ich mir auch noch den Rest des Films an.
Das hätte ich nicht tun sollen – dann wäre ich vielleicht gleich eingeschlafen. Na ja, unten auf dem Sofa bin ich dann ja doch irgendwann eingenickt, dachte ich und strich mir ein paar Brote.
Die Eieruhr klingelte, ich holte das Ei mit einem Löffel heraus und mußte ziemlich lange suchen, bis ich einen Eierbecher fand. Dann stellte ich alles auf ein großes Tablett und trug es auf die Terrasse hinaus.
„I always have breakfast on the patio – rain or shine“, sagte ich der schönen jungen Journalistin, die mir in ihrer ganzen Unsichtbarkeit gegenübersaß.
Zwischen den Bissen erzählte ich dann von meiner Büchersammlung und meinen Gemälden, von meinen Reisen, meinen Milliarden, meinen überall auf der Welt verstreuten Häusern, und von meiner streng disziplinierten Arbeitsroutine.
Ehrlich gesagt wurde es ziemlich eintönig und klang eher fad. Was soll man eigentlich werden?
Was zum Henker will ich hier auf der Welt überhaupt tun?