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Am Abreisemorgen regnete es.

Die Götter waren auf meiner Seite.

An einem regnerischen Morgen Ende August wanderte ich also zum Bahnhof, stieg in einen Zug und verließ mein altes Leben.

Ich habe schon immer etwas für Bahnhöfe übrig gehabt. Der Bahnhof in meinem Zombiekaff ist natürlich kaum der Rede wert, aber dennoch. Ein bißchen Stil hat er immerhin, auf jeden Fall ist er eindeutig der flotteste Kasten der ganzen Stadt, irgendwann Anfang des Jahrhunderts gebaut, ganz aus Backstein – und im Regen sieht er noch eindrucksvoller aus. Grand Central Station ist er zwar nicht, aber immerhin ...

„Also, tschüs“, sagte ich, „jetzt geh ich.“

Und dann ging ich.

Ich weiß nicht mehr genau, was ich dachte. Ein bißchen nervös war ich schon, das muß ich zugeben. Mein Magen hatte morgens natürlich Schwierigkeiten gemacht (um the understatement of the decade zu machen).

Die Koffer waren schwer, aber der Regen war leicht.

Als ich den hallenden Wartesaal betrat, roch es dort nach nassen Kleidern und Tabak.

Ihr versteht doch, was ich meine, nicht wahr?

Habt ihr schon mal Cohen gehört? Leonard Cohen? Der hat eine Reihe Songs geschrieben, die ziemlich enorm sind, u. a. einen, der „Stranger Song“ heißt und so sentimental ist, daß der Plattenspieler fast zu bluten anfängt, aber gut ist er trotzdem, er hat genau das richtige feeling. Cohen weiß, um was es geht. Ihr müßt ihn euch unbedingt anhören.

Da war ich nun. Im Wartesaal. Die Lautsprecher knackten, und eine metallisch dröhnende Stimme verkündete, daß

„der Zug aus Sundsvall, der nach Stockholm weiterfährt, in ungefähr zehn Minuten auf Gleis Zwei ankommt. Beachten Sie die Gleisänderung – Gleis Zwei ...“

Als ob das eine Rolle spielte – insgesamt gab es nur fünf Gleise, also müßte man eigentlich selbst in der Lage sein festzustellen, auf welchem Gleis der Zug einfuhr ...

Aber der Besitzer der Stimme wäre vielleicht – genau wie ich – viel lieber auf einem ganz anderen Bahnhof gewesen. Gare du Nord in Paris zum Beispiel, oder Euston Station in London oder Grand Central.

Ich hatte es mir angewöhnt, ziemlich oft zum Bahnhof runterzugehen, nur so, um den Duft von Menschen einzuatmen, die irgendwohin unterwegs waren. Die Reisenden, die ankamen, interessierten mich kein bißchen – die waren ja nur tragisch. Nein, es ging ausschließlich darum, von hier Wegzufahren – to get out of that place.

Manchmal stand ich im Wartesaal oder draußen auf dem Bahnsteig und rauchte eine Zigarette. Und da verwandelte sich dieser Bahnhof tatsächlich in Gare du Nord oder Grand Central Station. Ich konnte die französischen oder amerikanischen Stimmen geradezu hören. Die Zigarette verwandelte sich in eine Gauloise oder eine Chesterfield. Das Feuerzeug, ein billiges Ding, das für Börjes Grill Reklame machte, verwandelte sich in ein Dupontoder Dunhill-Feuerzeug.

(Falls ihr es bisher noch nicht entdeckt haben solltet, ist es jetzt an der Zeit, es zu tun: Auf die Details kommt es an im Leben. Die kleinen Details sind es, die das große Ganze erzeugen. Und mir ist es sehr wichtig, die Dinge bei ihrem richtigen Namen zu nennen. Man sagt nicht einfach Feuerzeug, man erwähnt, ob es z. B. ein Ronson ist. Robby – der nie mehr erwähnt werden wird, ihr könnt ihn also gleich wieder vergessen – Robby sagte einmal in der Mittagspause zu mir, ich sei

„ein ganz übler Objektfetischist“.

Von mir aus, sagte ich und grinste überlegen, von mir aus.)

An diesem regnerischen Augustmorgen gefiel mir der Bahnhof, so, wie er war, weil ich ja von ihm wegfahren würde. Ich brauchte mir keine englischen oder französischen Stimmen einzubilden, und die Zigarette – eine weiße Prince – durfte sie selbst sein. Alles war auch so echt gut.

I was going places.

Als ich dort im Wartesaal stand, vermißte ich eigentlich kaum etwas. Höchstens jemand, den ich hätte anrufen können. Jemand, den ich an einem regnerischen Morgen von einer Telefonzelle auf dem Bahnhof aus hätte anrufen können, jemand, dem ich

„Don’t worry, kid“,

hätte sagen können, und der sofort verstanden hätte, wenn ich

„It’s too late to be grateful, it’s too late to be late again“,

sagte.

Natürlich müßte dieser Jemand ein Mädchen sein, oder noch lieber eine Frau.

Von mir aus dürfte sie gern sowohl als auch sein.

Eine Mädchenfrau, ein Frauenmädchen.

Gibt es so etwas?

Klar gibt es das.

Mmm, eine Mädchenfrau, das wäre eigentlich das Ideal. Also, ehrlich gesagt, der einzige Haken an diesen reifen, verständnisvollen, erfahrenen Frauen ist ja, daß sie wohl oder übel ungefähr zehn Jahre älter als Yours Truly sein müssen. Und dagegen ist ja eigentlich nichts einzuwenden, aber trotzdem, irgendwo weit hinten im Kopf wußte ich, daß eine solche Beziehung von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Ich hatte den Verdacht, daß zu der ganzen Sache ein viel tieferes feeling gehörte, damit Es – The Love, meine ich – ein wirklicher Superknüller wurde. Man mußte sich wenigstens vorstellen können, daß man (The Two of Us) Always zusammenblieb. Und mit jemand, der zehn oder zwölf Jahre älter war, ging das ganz einfach nicht. Oder vielmehr, natürlich ginge es trotzdem, aber ich konnte mir die Möglichkeit einfach nicht vorstellen, wenn ihr versteht, was ich meine. Und wenn man sich die Möglichkeit nicht vorstellen konnte, für immer zusammenzubleiben, würde all das andere wahrscheinlich auch nicht so gut werden – die Beziehung, das Bumsen, meine ich, einfach alles. Und das wäre schade. Verdammt schade. Wie dem auch sei: Die Summe meiner Überlegungen war eben dies, daß eine Mädchenfrau das Ideal wäre.

Jetzt kam der Zug aus Richtung Norden angedonnert. Er keuchte, fuhr langsamer und blieb schwerfällig stehen. Leute stiegen aus und ein. Der Bahnsteig glänzte im Regen. Ich zwängte mich durch den Korridor, bis ich meinen Platz gefunden hatte. Natürlich lag er in einem dieser trüben Großraumwagen zweiter Klasse. Stöhn.

Ich sah mich um. Weit und breit keine Frau. Keine einzige. Keine, die in Vogue blätterte. Keine, die zerstreut mit einer erlesenen Perlenkette spielte. Keine, die ihre bereits feucht glänzenden, rotgeschminkten Lippen befeuchtete.

In einer Ecke saß eine Spinatwachtel, die wohl nicht älter als fünfundzwanzig war, aber manche werden ja schon nach ihrer ersten Periode zu Spinatwachteln. Sie blätterte in „Das Goldene Blatt der Frau“.

Der Zug ruckelte los, ließ langsam den Bahnsteig hinter sich und fuhr auf die Brücke hinaus, von wo aus der südliche Teil der Stadt im Blickfeld auftauchte.

Da lag sie und duckte sich zu beiden Seiten des trüben, stinkigen Flusses im Regen.

Bye, bye, dirty old town,

dachte ich, und in diesem Augenblick fuhr mir ein schneidender Schmerz durch die Magengrube. Es war, als hätte ich einen Japaner verschluckt, der jetzt mit seinem Samuraischwert auf meine Innereien losging.

Ich stöhnte halblaut und krümmte mich vor Schmerzen.

Die Spinatwachtel hob den Blick von ihrem Käseblatt und starrte mich an (wie diese Landpomeranzen es so an sich haben – sie Glotzen, und sehen dabei völlig tot aus). Ich begegnete ihrem Blick, und obwohl es immer noch höllisch weh tat, grinste ich sie breit an. Da kniff sie die Lippen zusammen und widmete sich wieder ihren Prominenten, blätterte rasch an den Schlankheitskuren vorbei und gelangte glücklich zu den Koch- und Backrezepten.

Was mochte das wohl sein?

Krebs? Magengeschwüre? Hunger?

(Mein Magen hatte sich ja am Morgen mit frenetischer Heftigkeit entleert, also müßte ich Hunger haben.)

Dann dachte ich:

Oder Geilheit?

Doch diesen Gedanken fertigte ich natürlich sofort ab, wie es sich gehörte.

Es ist doch wirklich komisch, daß man nicht entscheiden kann, ob einem der Bauch vor Hunger, Angst oder Geilheit weh tut. Kann man eigentlich jemals ganz sicher sein, was genau es ist?

Vermutlich nicht.

Von hier bis Kim

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