Читать книгу Von hier bis Kim - Bernt Danielsson - Страница 8

5

Оглавление

Da lag sie.

Die Hauptstadt.

Im stillen Regen.

Stockholm.

Zwar nicht The Real Thing, aber dennoch nicht schlecht.

Ich war bisher erst zweimal dort gewesen. Einmal mit meinen Eltern, als wir Tante Agnes besuchten. Dann waren Bengt und ich vor einem Jahr hingefahren, nur für einen Tag. Aber Bengt hatte natürlich alles dadurch verdorben, daß er sich wie ein echter Hinterwäldler aufführte.

(Das mit dem Hinterwäldler dürft ihr nicht so eng sehen, also, ich meine, falls ihr euch davon betroffen fühlt, weil ihr irgendwo daußen im bush wohnt. Meiner Meinung nach gibt es auch eingeborene Stockholmer, die Hinterwäldler sind. Ja, wahrscheinlich gibt es sogar geborene Londoner und New Yorker, die sich als Hinterwäldler aufführen, davon bin ich überzeugt.)

Als ich diesmal auf Bahnsteig 18 aus dem Zug stieg, war es ganz anders. Alles war ganz anders.

Wow, dachte ich, holte tief Luft und begann, meine beiden schweren Koffer zu schleppen.

Ringsum war ein deutlicher Puls zu spüren, er glitt in mich hinein und pflanzte sich durch meinen ganzen Körper fort.

Ich ging durch die Tunnels und kam in die große Bahnhofshalle hinauf, die von Leben und Menschen nur so brodelte. Von dort trat ich auf Vasagatan hinaus.

Der Regen fiel ruhig und stetig und verbreitete einen leichten Nebel.

Die beleuchteten Taxischilder auf den Taxidächern. Die Häuser. Die Schaufenster. Die Leuchtreklame. Frauen. Zwei klapperten auf hohen Absätzen klick-klack direkt vor mir her.

Ich hatte Geld für ein Taxi mitbekommen, wollte aber lieber zu Fuß gehen – ich wollte alles spüren. Also machte ich kehrt und ging wieder in den Bahnhof, schob den einen Koffer in ein Schließfach und steckte den Schlüssel in die Brieftasche. Dann packte ich den anderen Koffer und trabte davon – irgendwie würde ich bestimmt hinfinden ...

Verkehrschaos, Autoabgase, Essensdüfte aus Restaurants und Hamburger-Buden, Theater, Plakate, Gesichter, Kleider, Zeitschriften, Landkarten, Schreibmaschinen, Schuhe, echte südschwedische Mettwurst, Goldschmuck, Biographien, Schallplatten, Teppiche aus der Türkei, Kaffeeduft aus Konditoreien, Pfeifen und Tabakpäckchen, Kristallvasen, Uhren, Bücher, Schmuck, Frauen – Frauen.

Die Frauen.

Die Frauen, die Mädchen, die Mädchenfrauen. Frischgewaschene lange Haare, verwaschene Jeans, weiße T-shirts, Sweatshirts, Röcke, der Rhythmus, die schaukelnden Hinterteile, die prallen Hüften und Brüste. Die Lippen – alle Nuancen von Rot, glänzendes Rot, halboffene Münder, lächelnde Münder, redende Münder, Zungenspitzen und Zähne.

Motorräder, die offene Tür einer Bäckerei, Aktentaschen, blanke Schuhe, gekieste Parkwege, Staßenlampen, Verkehrsampeln, Hotelportiers, die auf Trillerpfeifen blasen, und ein Taxi, das vorfährt, der Fahrer, der herausspringt, die Tasche des Reisenden nimmt und sie in den Kofferraum stellt.

Schließlich wurde ich müde. Ich nahm ein Taxi. Jetzt stellte sich heraus, daß ich in die ganz verkehrte Richtung gegangen war, wir fuhren nämlich denselben Weg wieder zurück, bevor wir in Straßen einbogen, die ich noch nie gesehen hatte.

Völlig ausgepumpt saß ich hinten im Taxi. Meine Augen verschlangen gierig alles, was sie draußen zu sehen bekamen. Ich war hungrig, sehr hungrig und sehr glücklich. Nicht froh oder so, nein – glücklich.

„Meinst du damit, daß du dich okay fühlst?“ hätte Bengt gefragt.

Keine Spur. Glücklich zu sein, ist etwas ganz anderes. Das Wort ist ja leider so mißbraucht und verwässert worden, daß es inzwischen nicht mehr das bedeutet, was es eigentlich bedeutet. Wenn man glücklich ist, pulsiert das Blut in einem völlig einmaligen Rhythmus, die Muskeln und Glieder beginnen schwach zu vibrieren, und die Zunge fühlt sich leicht trocken an.

Ich war glücklich, und ich war geil, ohne geil zu sein. Also, damit meine ich, mein Schwanz lag schlaff an seinem Platz, aber trotzdem vibrierte mein ganzer Unterleib, als ob ich so unerhört geil werden könnte, wie ich es noch nie zuvor gewesen war.

Als das Taxi vor dem Hauseingang in Karlavägen hielt, tropfte meine aufgekratzte Stimmung von mir ab. Mir war klar, daß ich jetzt Tante Agnes treffen würde, und die würde sich wohl nicht so ohne weiteres in diesem geilen, glücklichen feeling unterbringen lassen. Aber das war nicht so schlimm.

Ich bezahlte den Taxifahrer und gab ihm zehn Kronen als Trinkgeld. Das schien er mit gemischten Gefühlen aufzunehmen. Er nahm den Schein mit spitzen Fingern entgegen – wahrscheinlich glaubte er, daß ich ihn geklaut hatte. Typisch ...

Also, eines weiß ich ganz bestimmt – ich möchte nie im Leben „erwachsen“ werden. Das erscheint mir nämlich schrecklich trist und öde. Die einzigen Vorteile sind, daß man mehr Geld verdient, jede Menge Wein und Bier trinken darf und Frauen kennenlernen kann.

Leider finde ich Wein echt zum Kotzen, mir wird schlecht, wenn ich nur daran rieche. Und das ist natürlich weniger gut. Aber eines Tages, eines Tages werde ich lernen, Wein zu mögen, und dann werde ich mir in der Gesellschaft einer schönen, berückenden Frau mit exklusiven Weinen einen angenehm leichten Rausch antrinken.

Tante Agnes war bestimmt nie eine Frau gewesen. Aber sie war trotzdem in Ordnung.

Als sie aufmachte, sah sie mich lächelnd an und sagte:

„Nanu, du bist ja schon wieder gewachsen. Wie lang willst du eigentlich noch werden? Aber komm doch rein, komm rein, du bist ja ganz durchnäßt.“

Und damit trat ich in die große Vierzimmerwohnung, die fast eine Kopie der Wohnung meiner Großmutter war, nur war Großmutters Wohnung viel kleiner. Vielleicht gibt es besondere „Tantenwohnungen“ mit besonderen „Tanteneinrichtungen“?

Tante Agnes hatte in der Küche gedeckt und fragte, ob ich gleich essen oder lieber vorher noch Kakao trinken wolle?

Es gelang mir, ein Stöhnen zu unterdrücken.

„Eine Tasse Kaffee wäre sehr schön“, sagte ich mit freundlicher Lassie-Stimme.

Tante Agnes unterbrach sich mitten in einem Lächeln, sah leicht verlegen aus und nickte dann energisch.

„Aber natürlich, natürlich.“

Dann saßen wir da in ihrer blitzblanken Küche und tranken ihren gelinde gesagt labbrigen Kaffee. Die Aussicht war nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Was man sah, war ein kleiner viereckiger, asphaltierter Hof mit einem einzigen mickrigen Baum.

Aber Tange Agnes’ Zimtschnecken waren ganz große Klasse.

Ich versuchte alle Fragen freundlich zu beantworten.

Eigentlich – während ich so dasaß und quasselte, war ich mächtig enttäuscht. Tief enttäuscht. Aber, okay, klar, Tante Agnes war echt in Ordnung, in jeder Beziehung, nur – sie war eben meine Tante. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, als hielte sie mich dadurch daheim fest. Sie war Familie, und ohne es zu wollen, übertrug sie dieses erstickende Gefühl, das ich doch unbedingt hatte loswerden wollen. Tante Agnes nahm meiner ganzen Befreiungsaktion die Spitze, machte sie zu einer halben Sache, und ich hasse halbe Sachen. All or nothing muß es sein, all or nothing.

Nach ausführlichen Anweisungen und Wegbeschreibungen nahm ich nach dem Kaffee einen Bus zum Bahnhof zurück. Ich holte meinen zweiten Koffer und trabte dann den ganzen Weg nach Östermalm zu Fuß – und diesmal fand ich den Weg ganz ohne Probleme.

Während des Spaziergangs ließ die Enttäuschung nach.

Eine halbe Sache war schließlich besser als gar keine Sache, dachte ich. Vielleicht sollte ich nicht immer so verdammt kategorisch sein. All or half or nothing, wäre vielleicht vorzuziehen. „All or nothing“ hätte ja bedeutet, daß ich weiterhin im heimatlichen Zombiekaff hätte rumhängen müssen, statt hier die Stockholmer Straßen lang zu latschen. Also mußte auch eine halbe Sache in gewissen Situationen relativ akzeptabel sein.

Abends blieb ich noch ein Weilchen vor dem Fernseher sitzen, dann gähnte ich und sagte, jetzt wolle ich auspakken und ins Bett gehen.

„Ja, du wirst ganz schön müde sein“, sagte Tante Agnes. „Komm, ich mach dir gleich das Bett.“

„Nicht nötig“, wandte ich ein, „das kann ich selbst machen.“

„Nein, nein, laß nur, das mach ich schon.“

Sie schaltete den Fernseher aus, holte Leintücher und Kissenbezüge hervor und begann herumzuwirtschaften. Ich durfte gar nichts tun.

Nach vielem Hin und Her und freundlichen Erkundigungen, was ich zum Frühstück wolle und wann ich geweckt werden wolle, ging sie schließlich und schloß die Tür hinter sich.

Ich lehnte mich dagegen und atmete aus.

Das Zimmer lag abwartend in der Dämmerung vor mir. An strategischen Punkten waren kleine Lämpchen mit irren Schirmen aufgestellt. Auf einem Tischchen neben einem Bücherregal ohne Bücher stand ein altertümliches Radio. Die Regale waren mit zahllosen kleinen Keramikund Glastieren gefüllt – Hunde, Katzen, Giraffen, Löwen, Krokodile, Pferde – und nochmals Hunde.

An den Wänden hingen ein paar Bilder mit grellen Farben, die mir nichts sagten. Ein Bild oberhalb des Radios fing allerdings meinen Blick ein, weil es nicht gemalt war, sondern ein gerahmtes, vergrößertes Schwarzweiß-Foto.

Das Bild war recht vergilbt, und die beiden Mädchen, die dort an einem Zaun lehnten, mußten vor langer Zeit jung gewesen sein. Sie lachten entspannt in die Kamera, und neben der einen war ein Fahrrad zu sehen. Hinter ihnen breitete sich eine urschwedische Wiese aus, und der Himmel war von bauschigen weißen Wolken bedeckt.

Ich trat näher hin und glaubte, bei einem der Mädchen Tante Agnes’ Gesichtszüge zu erkennen. Als ich eines der Lämpchen näher hinschob, erkannte ich, daß es gar nicht Tante Agnes war – es war meine Mutter. My Lord, dachte ich stöhnend, muß man jetzt auch noch seine eigene Ahnfrau an der Wand haben!

Das andere Mädchen war vermutlich Tante Agnes, sie sah sich aber nicht sehr ähnlich. Eigenartig, daß man sich so sehr verändern kann, dachte ich. Und warum soll man überhaupt immer gleich bleiben – das ist doch nicht unbedingt erstrebenswert. Ich hoffte von ganzem Herzen, daß ich mir selbst mit der Zeit ganz schön unähnlich würde – und wenn nicht von allein, dann eben mit großer Anstrengung.

Vermutlich war das Foto irgendwann in den fünfziger Jahren aufgenommen. Allerdings war der Farbfilm da doch schon erfunden, oder nicht? War das Bild etwa noch älter?

Ich knipste die Lampe aus und sah mit großer Dankbarkeit, daß das lachende Gesicht meiner Mutter von der Dunkelheit verschluckt wurde.

Das Uraltradio funktionierte zum Glück. Nach einigem Herumschrauben fand ich das dritte Programm. Ich ließ es leise laufen. Irgendwo im Haus schlug eine Tür, dann ging eine Toilettenspülung.

Ich begann auszupacken.

Der eine Koffer enthielt Kleider, Unterhosen und Strümpfe, und zwar in rauhen Mengen. Den Koffer hatte natürlich meine Mutter gepackt. Ich legte alles in Schubladen und hängte Hemden und Jeans in den Schrank.

Dann öffnete ich den Koffer, den ich selbst gepackt hatte – den Bücher- und Ordnerkoffer.

Zuoberst lag ein dicker Wälzer: Die materialistische Geschichtsauffassung. Nicht schlecht, was? Geschrieben von einem Typ namens Bruch, der wie ein Walroß aussah und mich vom Umschlag mit seinen kleinen Schweinsaugen kalt anstarrte. Mir war nicht ganz klar, warum ich das Buch eingepackt hatte. Gelesen hatte ich es nicht, hatte es daheim aber immer herumliegen lassen, damit meine Mutter es sah, und um Bengt und andere damit zu beeindrucken.

Dann nahm ich ein paar Taschenbücher heraus, Gedichtanthologien, die ich manchmal durchblätterte.

Na ja, und dann kamen die Bücher, die ich wirklich las:

Mein ist die Rache von Mickey Spillane,

Reiter des Todes von Christopher Montfort.

Der geheimnisvolle Stern und Tim in Tibet lagen ganz unten.

In den Ordnern – vier Stück – hatte ich Zeitungsausschnitte und meine Aufzeichnungen gesammelt. In einem der Ordner befand sich mein 86 Seiten langer „Roman Nummer zwei“, mühselig auf einer alten Schreibmaschine getippt und voller Fehler und durchgestrichener Passagen. Im selben Ordner war auch mein Tagebuch aufbewahrt (auf das ich vielleicht später noch zurückkomme). Alles schön säuberlich mit alphabetischem Register geordnet. Wenn es drauf ankommt, bin ich verdammt ordentlich, müßt ihr wissen.

Unter der Rubrik Verschiedenes im roten Ordner hatte ich eine Plastikmappe eingeheftet, die acht Seiten, 47 bis 55, aus dem vergangenen Oktoberheft von Penthouse enthielt.

Die Bilder zeigten alles andere als „Verschiedenes“, wie ihr euch wohl schon gedacht habt. Sie zeigten Carol. Laut Bildunterschrift studierte Carol Innenarchitektur, sie war 26 Jahre alt, hatte eine glückliche, idyllische Kindheit in Boston verbracht und ihre Unschuld in einer Kirche in Los Angeles verloren, und jetzt pendelte sie zwischen New York und Washington und war blah blah blah bla bla bla. Ja, ihr wißt ja, was die so schreiben. Ich war vor allem an einem Zitat interessiert, das unter einem der Bilder stand, auf dem Carol – oder Cool Carol, wie sie hier bezeichnet wurde – in einem sehr zerwühlten Bett lag und einen Telefonhörer ans Ohr preßte.

Das spiralenförmig gedrehte Telefonkabel wand sich an ihr hinunter, durch ihr krauses Haardreieck und verschwand zwischen ihren Schenkeln. Rechts neben ihrer Hüfte wand es sich wieder heraus und verschwand dann zum Telefon hinüber, das auf dem seidig glänzenden Bettuch lag.

Also, unter diesem Bild stand folgendes Zitat:

„I prefer young lovers. Their eagerness and sexual appetite turns me on.“

Na?

Mannomann!!

Ich klappte den Ordner zu und stellte ihn neben die anderen ins Bücherregal.

Dann öffnete ich das Fenster, das ebenfalls auf den tristen Hof hinausging, und rauchte eine Zigarette. Die meisten Fenster im Haus gegenüber waren erleuchtet, aber leider waren überall Jalousien und Vorhänge vorgezogen, so daß ich auch dort keine Frauen zu sehen bekam.

Als ich schließlich das Licht ausmachte und in meinem Bett einzuschlafen versuchte, war ich doch sehr dankbar, daß es Tante Agnes gab. Doch, das ist ehrlich wahr. Ich war Sehr froh darüber.

Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich jetzt vermutlich als Untermieter in irgendeinem fremden kleinen Kabuff gelegen. Und natürlich hätte ich wahnsinnig Angst gehabt. Die traurige Wahrheit ist nämlich die, daß ich mich im Dunkeln fürchte. Ja, zugegeben, das ist ziemlich lächerlich, but I can’t help it. Wenn ich jetzt irgendwo allein in einem fremden Zimmer wäre, würde ich jedesmal zu Tode erschrecken, wenn jemand durchs Treppenhaus ging oder irgendeine Stimme durch die Nacht hallte. Ich habe eine sehr ausgeprägte Phantasie – leider nicht nur, wenn es um Sex geht.

Vor Gespenstern habe ich mich nie gefürchtet, so was finde ich eher bescheuert. Vor Menschen dagegen habe ich immer Angst gehabt. Und mit Recht, man braucht ja nur an irgendeinem beliebigen Morgen in die Tageszeitung zu schauen und diese kurzen kleinen Telegrammnachrichten zu lesen. Da gibt es doch jedesmal so einen übergeschnappten Irren, der einem anderen den Kopf abgehackt hat oder einen unschuldigen armen Teufel erschossen hat, der nichts weiter im Sinn hatte, als friedlich im Dunkeln einzuschlafen – genau wie ich.

Als ich klein war – also gut, von mir aus, ein bißchen kleiner –, dachte ich immer, wie schön es sein müßte, „erwachsen“ zu werden, weil man sich dann nicht mehr vor der Dunkelheit zu fürchten brauchte.

Bullshit!

Es wimmelt von sogenannten „Erwachsenen“, die genau so viel Schiß vor der Dunkelheit haben wie ich, mit dem einzigen Unterschied, daß sie es nie zugeben würden.

Also, wenn man „erwachsen“ wird, scheint man vor allem eine Sache gelernt zu haben, nämlich zu lügen. Und zwar was das Zeug hält. Man lügt seine Kinder an, seine alten Eltern, seine Freunde und Bekannten. Es ist eine einzige Lügerei, tagaus und tagein. Wie meine Mutter, zum Beispiel wenn Carlssons anrufen und meine Eltern zum Abendessen einladen, dann sagt meine Mutter am Telefon:

„Ach ja, wie reizend, wie lieb von dir. Ja, abgemacht – bis morgen abend, so gegen sieben. Wir freuen uns schon sehr.“

Dann legt sie auf, seufzt tief und sagt:

„O Gott, diese gräßliche Person, und kochen kann sie schon gar nicht. Ihr Essen schmeckt jedesmal ganz fürchterlich, und dann muß man auch noch dasitzen und ihrem Mann, diesem besoffenen Hanswurst, zuhören.“

Und im nächsten Augenblick schon kann sie mich anfahren:

„Lüg nicht – hast du von meinen Zigaretten geklaut oder nicht?“

Also ehrlich, wie wollen sie’s eigentlich haben?

Und schaut doch bloß diese Kanonenfabrikdirektoren, Kernkraftverantwortlichen, Politiker, Lehrer, Polizisten und der Teufel weiß was alles an. Ein einziges großes Lügenpack, sonst nichts. Der ganze Haufen.

Oder der Zahnarzt zum Beispiel, der immer beteuert:

„Das hier wird überhaupt nicht weh tun!“

Wenn das kein notorischer Lügner ist!

Und Angst haben sie auch, die Erwachsenen. Obwohl sie die ganze Zeit lügen und mit honigsüßer Stimme sagen:

„Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut gehen, du brauchst keine Angst zu haben.“

Nun gut, ich fürchte mich also im Dunkeln. Manchmal habe ich die fürchterlichsten Wachträume, die sich immer kurz vor dem Einschlafen einstellen. Das Allerschlimmste aber ist, mitten in der Nacht mit einem Ruck aufzuwachen und dringend pissen zu müssen. Dann weiß ich nie, ob ich nicht vielleicht an irgendeinem Geräusch aufgewacht bin – eine Tür, die aufgebrochen oder ein Fenster, das eingeschlagen wurde.

Also liege ich ganz still, halte die Luft an und wage nicht aufzustehen. Ich sehe ganz deutlich vor mir, wie dieser irre Einbrecher eine Knarre an den Kopf meiner Mutter hält, ich sehe, wie sich der Finger am Abzug bewegt und sich krümmt, ich warte auf den Knall ...

Manchmal gelingt es mir, wieder einzuschlafen, aber oft muß ich ganz einfach aufstehen und aufs Klo gehen. Dann versuche ich jedesmal, soviel Lärm wie möglich zu machen, um den Irren wissen zu lassen, daß ich wach bin. In der Dunkelheit kann er ja nicht sehen, wie jung ich noch bin oder daß meine Muskeln alles andere als die von Mr. Universum sind. Ich hab mir angewöhnt, wenn ich im Flur bin, laut zu zischen:

„Psst, Devil, bleib liegen!“

Und wenn der Irre hört, daß ich einen Wolf habe, der Devil heißt, muß ihm ja sofort klar werden, daß ich das Phantom persönlich bin. Da macht er vor Angst in die Hose, sichert seine große Magnum, öffnet das Fenster, springt raus und landet neun Meter weiter unten auf einem gußeisernen Zaun mit scharfen Speerspitzen.

Dann kann ich in aller Ruhe pissen. Und wieder einschlafen.

An diesem ersten Abend bei Tange Agnes schlief ich auch ein.

Tatsache ist, daß ich schon lange nicht mehr so ruhig eingeschlafen war. Glücklich zu sein, ist offensichtlich anstrengend.

Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen schlief ich auf einem weichen, sauber duftenden Daunenkissen ein.

Von hier bis Kim

Подняться наверх