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VORWORT

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Die Idee zu diesem E-Book hat mehrere Väter und einen klaren Geburtstermin. Am 13. November 2013 saß abends im Restaurant „Il Punto“ in Berlin-Mitte eine kleine Runde von Top-Ökonomen zusammen, um den 70. Geburtstag von Professor Bert Rürup zu feiern, dem ehemaligen Vorsitzenden des Sachverständigenrats und heutigen Präsidenten des Handelsblatt Research Institute. Vorher hatten sie auf einem Symposium des DIW zu Ehren Rürups über Glanz und Elend der ökonomischen Politikberatung in Deutschland diskutiert. Auf dem Podium saßen DIW-Präsident Marcel Fratzscher, der Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie, Justus Haucap, der langjährige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Kanzler-Berater Bernd Pfaffenbach – und der aktuelle Vorsitzende des Sachverständigenrats, Christoph Schmidt, der am gleichen Tag der Bundeskanzlerin Angela Merkel das neue Sachverständigenrats-Gutachten mit dem deutlichen Titel „Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik“ übergeben hatte. Das Symposium, das Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einigen Spitzen gegen die Verzagtheit der Koalitions-Unterhändler eingeleitet hatte, war sich in einem einig: In der Frustration über die Ambitionslosigkeit der sich anbahnenden Großen Koalition.

Diese Frustration bestimmte dann auch das anschließende Tischgespräch im „Il Punto“ – zu dem zu später Stunde Bundesbankpräsident Jens Weidmann hinzustieß – bis Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart eine Idee hatte: Wir setzen der Mutlosigkeit der aktuellen Politik eine „Agenda 2020“ entgegen! Rasch war die Runde von der Idee begeistert, und Rürup macht sich an die Arbeit, die besten Experten für acht Politikfelder kurzfristig von der Mitarbeit zu überzeugen. Denn eins war klar: Die Agenda 2020 musste stehen, wenn die neue Regierung antritt. Das Ergebnis sehen Sie heute vor sich.

Die neun Politikfelder, die wir definiert haben, sind: Staatsfinanzen, Europa, Finanzaufsicht, Arbeitsmarkt, Renten, Gesundheit, Familien, Bildung und Energie. Zu jedem Politikfeld haben wir einen herausragenden Experten um seinen Beitrag gebeten. Insgesamt entsteht so ein Katalog an konkreten Empfehlungen, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und die Nachhaltigkeit der Staats- und Sozialkassen für die nächsten zwei Jahrzehnte sichern lassen.

Den Anfang macht Justus Haucap, der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission. Er fordert, die Förderung von Strom aus erneuerbaren Energien so schnell wie möglich technologieneutral und marktgerecht umzugestalten. Sonst drohe die Energiewende zu einem großen Wettbewerbsnachteil für die deutsche Industrie zu werden. Die Erzeuger müssten sich selber um die Vermarktung des grünen Stroms kümmern. Er plädiert zudem dafür, die Kosten des Netzausbaus und der Netzbereithaltung fair auf alle Verbraucher zu verteilen.

Als Konjunkturlokomotive für Europa will DIW-Chef Marcel Fratzscher Deutschland sehen. Die neue Bundesregierung müsse ihr Bekenntnis zu höheren Investitionen mit einer konkreten Agenda für mehr Infrastruktur-, Bildungs- und Forschungsausgaben untermauern. Berlin muss seiner Ansicht nach ein Motor für die europäische Integration werden, die Bankenunion vollenden, die Basis für eine Fiskalunion legen und zu mehr Hilfen für die Krisenländer bereit sein. Berlin müsse eine langfristige Vision für Europa formulieren und die Menschen überzeugen, warum die europäische Integration gut für Deutschland ist.

Jan Pieter Krahnen, der Direktor des Center for Financial Studies an der Goethe-Universität Frankfurt, hat eine Agenda für die Reform der Finanzmärkte aufgestellt und sie „Mut zu radikaler Ordnungspolitik“ überschrieben. Er wendet sich gegen Denkverbote bei der Neuordnung des Bankenmarktes – weder die Universalbank noch das Drei-Säulen-Modell aus Privatbanken, Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken dürften sakrosankt sein. Ihm schwebt ein echter europäischer Bankenmarkt vor, in dem sich die besten Institute im freien Wettbewerb durchsetzen, der Schattenbankensektor durchleuchtet wird und eine wirklich einheitliche Bankenaufsicht entsteht.

Einiges zu tun gibt es nach Einschätzung von Clemens Fuest, dem Präsidenten des Mannheimer Forschungsinstituts ZEW, auch bei den Staatsfinanzen. Er plädiert für eine kommunale Bürgersteuer, um den Städten und Gemeinden eine verlässlichere Einkommensquelle zu verschaffen. Reformen und Vereinfachungen seien auch bei der Umsatzsteuer, der Erbschaftssteuer und der Unternehmensbesteuerung nötig. Die föderalen Finanzbeziehungen will Fuest umkrempeln, damit auch die Bundesländer die Verschuldungsgrenzen einhalten.

Joachim Möller, international anerkannter empirischer Wirtschaftsforscher und Leiter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, spendet den Koalitionspartnern für ihre arbeitsmarktpolitischen Beschlüsse ein verhaltenes Lob, beklagt aber die Vagheit vieler Vorhaben und warnt aber davor, bei den erfolgreichen Reformen der Agenda 2010 das Rad zurück zu drehen. Einen gesetzlichen Mindestlohn hält er für erforderlich, aber er hätte sich noch britischem Vorbild ein vorsichtigeres Herantasten an die Höhe gewünscht. Zumindest für Ostdeutschland seien die beschlossene 8,50 Euro die Stunde zu hoch. Priorität müsse neben einem Aufweichen des harten Kerns der Arbeitslosigkeit, eine Verbesserung der Qualität der Beschäftigung und intelligentere Anreizmechanismen sein.

Bert Rürup, der Präsident des Handelsblatt Research Institute, setzt sich mit den Beschlüssen der Großen Koalition zur Rentenpolitik auseinander. Er lobt die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und die Lebensleistungsrente. Harsch kritisiert er die Mütterrente und die erweiterten Möglichkeiten des Renteneintritts mit 63 Jahren. Denn beide Projekte führen zu hohen dauerhaften Zusatzausgaben und machen so einen beträchtlichen Teil der Rentenreformen der letzten zwei Jahrzehnte zunichte. Rürup fordert, stattdessen die kapitalgedeckte Vorsorge zu fördern, vor allem über einen Ausbau der Betriebsrenten. Außerdem plädiert er dafür, nicht anderweitig versorgte Selbständige einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen.

Auch im Gesundheitswesen dürften die gegenwärtigen Überschüsse der Kassen nicht zur Sorglosigkeit verleiten, warnt Martin Albrecht, Geschäftsführer und Leiter des Bereichs Gesundheitspolitik des Berliner Forschungsinstituts IGES. Mittel- und langfristig droht weiterhin eine Finanzierungslücke in der gesetzlichen Krankenversicherung. Albrecht plädiert dafür, sie durch eine zuverlässige stärkere Steuerfinanzierung von Gesundheitsleistungen zu schließen. Mindestens genauso wichtig ist es aber die Ausgaben im Zaum zu halten: Er will mit einer Reform der Krankenhausfinanzierung Überkapazitäten abbauen und mit einer integrierten Versorgung ein effizienteres Zusammenwirken von stationärer und ambulanter Versorgung sowie Pflege erreichen.

Die Direktorin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Heike Solga, fordert die Politik zu mehr Anstrengungen auf, alle jungen Menschen angemessen zu fördern. Sie müsse die frühkindliche Bildung verbessern, das Angebot an Ganztagsschulen erweitern und deren Qualität steigern, die Einbeziehung von Schülern mit Behinderung verbessern und den Einstieg in die Berufsausbildung stärker fördern. Auch durch die vermehrte Weiterbildung gering qualifizierter Berufstätiger seien noch große Potenziale zu heben.

Große Reformen statt kleiner Schritte fordert C. Katharina Spieß, Professorin für Familien- und Bildungsökonomie an der Freien Universität Berlin und Leiterin der Abteilung Bildungspolitik am DIW Berlin, für die Familienpolitik. Negative Anreize, die die Berufstätigkeit von Frauen unterminieren, müssten konsequent beseitigt werden, schreibt sie und nennt das Betreuungsgeld, das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Familienpolitik müsse endlich die Zielkonflikte beseitigen, die die Vielfalt familienpolitischer Fördermaßnahmen mit sich brächten.

Würde wenigstens ein großer Teil dieser Vorschläge umgesetzt, dann könnte Deutschland bis 2020 einen neuen Modernisierungsschub erleben. Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft würde durch die Einbeziehung aller Arbeitskräftepotenziale, bezahlbare Energie, ein stabiles Finanzsystem und eine weitere europäische Integration gesichert. Unsere Sozialsysteme und Staatsfinanzen auf allen Ebenen blieben trotz der demografischen Herausforderungen nachhaltig solide. Doch dafür bedarf es – wie vor der Agenda 2010 – eines Rucks, der durch das Land geht. Ein Ruck, der uns diesmal nicht aus dem Selbstzweifel, sondern aus der Selbstzufriedenheit aufrüttelt. Der Selbstzufriedenheit, die sich dank der Erfolge der Agenda 2010, der Stärke der deutschen Industrie und der soliden Staatsfinanzen breitmacht.

Nun zeigt die historische Erfahrung, dass Reformen zwar theoretisch in guten Zeiten angepackt werden sollten, weil damit eventuell verbundene Zumutungen dann viel leichter zu ertragen sind, sie praktisch aber nur in schlechten Zeiten eine Chance haben, wenn der Leidensdruck die Mehrheitsbeschaffung erleichtert. Vielleicht schafft die Bundesregierung es dieses Mal ja, aus einer Position der Stärke heraus einen Reformschub einzuleiten. Zugegeben, der Koalitionsvertrag enthält dafür wenige Anzeichen. Aber gerade zu dieser Jahreszeit kann einem niemand das Wünschen verbieten. Wenn Sie so wollen, ist dies ein wirtschaftspolitischer Wunschzettel zu Weihnachten 2013.

Ich wünsche Ihnen nun eine ertragreiche Lektüre.

Ihr

Dirk Heilmann

Chefökonom des Handelsblatts und

Geschäftsführender Direktor des Handelsblatt Research Institute

Agenda 2020 - Was jetzt zu tun ist!

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