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Hintergrund

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Die Energiewende ist eines der ambitioniertesten Projekte der deutschen Politik. Die Energieversorgung soll schon bald ohne Kernkraftwerke und langfristig möglichst auch ohne Kohle- und Gaskraftwerke durch eine möglichst dezentrale Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erfolgen. Bis spätestens 2020 sollen mindestens 35 % des Stroms durch erneuerbare Energien erzeugt werden, bis spätestens 2050 sollen sogar mindestens 80 % des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen kommen. Der Koalitionsvertrag hat nun weitere Zwischenziele für einen Ausbaukorridor der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien definiert: 40 bis 45 % im Jahr 2025, 55 bis 60 % im Jahr 2035.

Im Zentrum der öffentlichen Kritik stehen in jüngster Zeit zu Recht insbesondere die steigenden Strompreise und somit die Energiekosten insbesondere für private Haushalte. Seit dem Jahr 2000 sind die Strompreise für Privathaushalte kontinuierlich gestiegen, sie sind nominell nun mehr als doppelt so hoch wie 2000, Tendenz weiter steigend.

Eine ganz ähnliche Entwicklung wie die Preise haben, bei weitgehend stabilem Stromverbrauch, auch die Ausgaben der Letztverbraucher für Strom genommen. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt ist von 2000 bis 2011 von 1,7 % auf 2,5 % gestiegen, das entspricht somit einem Anstieg von etwa 50 %. Strom ist nicht nur absolut, sondern auch relativ, erheblich teurer geworden.

Für den Großteil der Industrie- und Gewerbekunden sieht die Preisentwicklung ganz ähnlich aus wie die der Haushaltskunden, wenn auch auf niedrigerem Niveau. Im internationalen Vergleich gehören die deutschen Strompreise inzwischen zu den höchsten in Europa. Nur Italien und Zypern haben nach jüngsten Angaben des VIK noch höhere Industriestrompreise als Deutschland. Auch in den USA und in den meisten asiatischen Staaten sind die Energiepreise deutlich niedriger als in Deutschland.

Ein ganz wesentlicher Treiber für die steigenden Strompreise ist die steigende EEG-Umlage, welche von 1,13 Cent/kWh im Jahr 2009 über 2,047 Cent/kWh (2010), 3,530 Cent/kWh (2011), 3,592 Cent/kWh (2012) und 5,277 Cent/kWh im Jahr 2013 nun auf 6,240 Cent/kWh in diesem Jahr angestiegen ist. Die Umlage hat sich in fünf Jahren somit mehr als verfünffacht, sie ist um etwa 450 % gestiegen.

Bei einer EEG-Umlage von 6,240 Cent/kWh zahlt eine vierköpfige Familie mit einem Verbrauch von 4000 kWh pro Jahr als Teil ihrer Stromrechnung etwa 250 Euro pro Jahr für die Förderung der erneuerbaren Energien (noch ohne Netzausbaukosten und Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung). Berücksichtigen wir jedoch, dass auch die EEG-Umlage-Kosten, die aktuell von Industrie, Handel und öffentlichem Sektor gezahlt werden, ultimativ doch von Verbrauchern durch höhere Preise oder von den Steuerzahlern (in dem Ausmaß, in dem öffentliche Einrichtungen von der EEG-Umlage betroffen sind) getragen werden, so ergibt sich bei einem prognostizierten Fördervolumen von etwa 23 Mrd. Euro für das Jahr 2014 eine Pro-Kopf-Belastung von über 280 Euro pro Jahr – für eine vierköpfige Familie sind das dann über 1100 Euro EEG-Zusatzkosten pro Jahr. Zum Vergleich: Die EEG-Förderung pro Jahr ist somit mehr als dreimal so hoch wie die jährlichen Kosten für den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Abgesehen davon, dass die Kosten der Energiewende unnötig hoch sind und gesenkt werden könnten, wird auch die Verteilung der Lasten intensive diskutiert. Erstens entstehen erhebliche Umverteilungseffekte zwischen Bundesländern, zweitens sind die Kosten und Profite der Energiewende in der Bevölkerung sehr ungleich verteilt, und drittens werden Unternehmen in sehr unterschiedlicher Weise belastet. Was die Umverteilungseffekte zwischen Bundesländern angeht, sind nach Angaben des BDEW im Jahr 2012 über 1,2 Mrd. Euro netto nach Bayern geflossen, während Bürger und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen mit netto mehr als 1,8 Mrd. Euro belastet wurden. Die Umverteilung erreicht zwar noch nicht das Volumen des Länderfinanzausgleichs, ist aber doch inzwischen so bedeutsam, dass sachgerechte Reformen erschwert werden. In der Bevölkerung findet durch die Energiewende eine Umverteilung vor allem von unten nach oben statt, also anders als ansonsten gewünscht. Während Grundbesitzer wie Landwirte (z.B. über die Pacht für ihre Flächen in Windgebieten oder das Aufstellen von Solarpanelen) sowie Immobilienbesitzer (durch die Installation von Solarpanelen) erhebliche Profite einstreichen können, müssen Mieter und verschiedene Gewerbe (wie z.B. Handwerksbetriebe) die Kosten der Energiewende im Wesentlichen tragen. Im Zentrum der öffentlichen Diskussion stehen aktuell vor allem die Ausnahmen für stromintensive Unternehmen des produzierenden Gewerbes. In der Tat wird nach Angaben des BDEW nur 47 % des industriell verbrauchten Stroms mit der vollen EEG-Umlage belastet, während 53 % des industriell verbrauchten Stroms nicht mit der vollen EEG-Umlage belastet wird. Letztere haben insbesondere 2013 sogar von gesunkenen Großhandelspreisen profitiert und können – solange diese Ausnahmen aufrechterhalten werden – sogar als Gewinner der Energiewende bezeichnet werden. Es ist allerdings festzuhalten, dass, selbst wenn sämtliche Industrieanlagen ausnahmslos mit der vollen EEG-Umlage belastet werden würden, die EEG-Umlage nur um maximal 1,5 Cent/kWh gesenkt werden könnte.

Die Große Koalition hat die Kostenproblematik erkannt. Im Koalitionsvertrag wird ausgeführt, dass die Energiewende nur dann bei Bürgern und Wirtschaft Akzeptanz finden wird, „wenn Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit gewährleistet sowie industrielle Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätze erhalten bleiben.“

Eine Entlastung der Wirtschaft und der Bürger ist jedoch nicht nur geboten, um die Akzeptanz für die Energiewende in Deutschland zu sichern. Auch in einer internationalen Perspektive ist davon auszugehen, dass es Nachahmer dieses deutschen Sonderwegs nur geben wird, wenn wir demonstrieren können, dass die Energiewende bezahlbar ist. Wird hingegen international die Energiewende als eine sehr teure Veranstaltung wahrgenommen, die auch noch Arbeitsplätze gefährdet, dann wird es auch kaum Nachahmer geben. Wenn aber die Energiewende ein deutscher Sonderweg ohne Nachahmer bleiben sollte, dann werden sich auch die erhofften Wirkungen für den Klimaschutz nicht einstellen. Das Projekt müsste global als vorerst gescheitert gelten. Gerade im Sinne des globalen Klima- und Umweltschutzes müssen also unbedingt Kosteneffizienz und Wirtschaftlichkeit stärker als bisher beachtet werden. Es ist deshalb gut und wichtig, dass die Große Koalition sich des Kostenthemas stärker annehmen will. Die aktuell im Koalitionsvertrag angelegten Reformvorhaben werden das Ziel einer spürbaren Kostendämpfung jedoch nicht erreichen. Notwendig ist eine wirklich grundlegende Reform der EEG-Förderung.

Agenda 2020 - Was jetzt zu tun ist!

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