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Kapitel 6
Оглавление13. August. Museum für Naturkunde. Nachmittag.
Am nächsten Tag beschloss Ever, dem neuen Wächter Lukas Drake einen Besuch abzustatten. Bislang kannte sie ihn nur vom Hörensagen – es wurde Zeit, dass sie sich persönlich ein Bild von ihm machte. Immerhin fand Issy ihn nett, das war vielleicht ein Anfang. Außerdem hatte sie Fragen, die wohl nur er beantworten konnte.
Drake studierte gerade konzentriert die Auslagen einer Vitrine mit verschiedenen Gesteinsbrocken, als Ever den Hauptraum des Museums betrat. Der Wächter richtete sich auf und musterte die junge Frau mit undurchdringlichem Blick.
„Guten Tag“, sagte er höflich, aber ohne den Hauch einer Emotion.
„Hallo. Ich bin Ever Crest. Sie müssen der neue Wächter sein“, stellte Ever sich ihm vor. Sie hatte sich vorgenommen, unvoreingenommen zu bleiben, doch Drake war ihr auf Anhieb unsympathisch. Seine veilchenblauen Augen waren kalt und er betrachtete sie auf eine Weise, die sie erschauern ließ.
Zwar war der Wächter durchaus attraktiv, was Ever sehr überraschte. Im Gegensatz zu ihrem Mentor, dem väterlichen James Nathan, sah Drake deutlich jünger aus, schätzungsweise fünfundzwanzig, war groß, schlank und fast schon sportlich gebaut. Seine hellbraunen Haare waren ordentlich frisiert und der perfekt sitzende Nadelstreifenanzug, den er trug, zeugte von seinem anspruchsvollen Geschmack. Trotzdem hatte der neue Wächter etwas an sich, das Ever bei James nie hatte spüren können – eisige Kälte.
„Du bist die Gestaltwandlerin, ich weiß“, antwortete er. „Ich dachte mir schon, dass du mich früher oder später besuchen kommen würdest.“
„Tatsächlich?“ In der Tat war es nicht verwunderlich, dass Ever ihm einen Besuch abstattete: Drakes Vorgänger James war schließlich mehr gewesen als nur der Wächter von Torch Creek, er war ihr Mentor gewesen, ihr Lehrer, ihr Vertrauter. Von ihm hatte sie gelernt, was sie über ihre Fähigkeit wusste. Was Ever jedoch ärgerte, war die Art, wie er es sagte – als käme sie wie eine Bittstellerin zu ihm. Unwillkürlich kochte Wut in ihr hoch und sie spürte, wie ihr Körper einige Zentimeter in die Höhe wuchs und auch ihre Haare wurden einen Tick dunkler; eine Art Nebenwirkung ihres besonderen Talentes, das sie noch nicht zu einhundert Prozent im Griff hatte.
Drake nahm die Veränderung mit einer hochgezogenen Augenbraue und unverhohlenem Interesse zur Kenntnis. „Erstaunlich“, er legte den Kopf schief und schien sie weiter zu analysieren.
„Ich dachte, ich sei nicht der erste Gestaltwandler, den Sie treffen“, bemerkte Ever schnippisch.
„Das bist du nicht.“ Drake verzog den Mund zu einem freudlosen Lächeln. Seine vollen Lippen bekamen grausame Züge. „Ich bin nur immer wieder aufs Neue fasziniert von dieser seltenen Gabe.“
Ever trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Sie wurde das Gefühl nicht los, für Drake eine Art seltenes Insekt zu sein – nicht besonders wertvoll, aber dennoch interessant. Bei dem Gedanken, dass dieser Mann nun für das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse hier in Torch Creek und der Gegend rund um den Sunset Crater verantwortlich sein wollte, zog sich ihr unangenehm der Magen zusammen. Sie wünschte sich James zurück, mit aller Macht.
„Wie lange wird James noch fort sein?“, fragte sie ohne Umschweife.
Drake lachte kurz auf. „Sehr lange. Du solltest nicht davon ausgehen, ihn noch einmal in deinem Leben wiederzusehen. Allerdings …“, er starrte einen kurzen Moment gedankenverloren zum Fenster hinaus und wandte dann seinen Blick wieder Ever zu, „kann ich das nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe es noch nicht bis ins letzte Detail berechnet. Es gibt wichtigere Dinge als das.“
„Wichtigere Dinge?“, entgegnete Ever fassungslos. Drake sprach mit einer Gleichgültigkeit, die sie schmerzte.
Er bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. „Ob und wann James Nathan zurückkehrt, ist für das Weltgeschehen völlig irrelevant. Daher ja. Es gibt weitaus wichtigere Dinge.“
Erneut kochte Wut in ihr hoch, doch diesmal schaffte sie es, ihre Emotion zu bezwingen. Ihr Äußeres blieb unverändert. Ever atmete einmal tief durch. Sie hasste diesen Mann. Er würde ihr keine Hilfe sein und nicht an ihrer Seite stehen, so wie James noch vor kurzem. Drake war schlicht kaltherzig, arrogant und berechnend.
Doch er war auch ein Wächter – so alt wie die Zeit selbst und schier allwissend – es konnte gut möglich sein, dass er dennoch die eine oder andere Antwort für sie hatte.
Ever nahm sich zusammen und fuhr fort: „Das alte Haus in der Baker Street. In dem zwei Selbstmorde geschahen. Ich nehme an, Sie wissen darüber Bescheid.“
Lukas Drake hob das Kinn und sah Ever an. Er wusste nicht, worauf sie hinaus wollte und war auf der Hut. „Ich weiß über alles Bescheid, was es über Torch Creek zu wissen gibt“, erwiderte er schließlich unverfänglich.
„Spukt es dort?“, fragte Ever rundheraus. „Ich meine, die beiden Frauen, die dort starben. Wandern sie als Geister umher?“
„Nein. Das tun sie nicht“, antwortete der Wächter knapp. „Die Frauen haben ihren Frieden.“ Seine Stimme hatte wieder den beiläufigen Tonfall angenommen, die sie bereits zu Beginn ihres Gesprächs gehabt hatte. „Du musst jetzt gehen“, fügte er dann hinzu und wandte sich wieder zu der Vitrine um, die er bei Evers Eintreffen betrachtet hatte. „Meine Zeit ist wertvoll und ich habe viel zu tun.“
Ever sog scharf die Luft ein. Es erschien ihr nicht so, als sei Lukas Drake sehr beschäftigt; er wollte sie einfach loswerden, das war alles. Sie betrachtete seinen Rücken. Nun, wenn er wollte, dass sie ging, konnte er das haben; sie verspürte keine Lust, noch länger in der Gesellschaft dieses undurchsichtigen Mannes zu verweilen.
Ohne ein Wort des Abschieds machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ mit einem schalen Gefühl das Museum.