Читать книгу Soul Surfer - Bethany Hamilton - Страница 6

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1. Am Morgen des Halloween

Es kam buchstäblich aus heiterem Himmel.

Es gab keinerlei Vorwarnung; nicht das kleinste Anzeichen einer Gefahr am Horizont. Das Wasser war kristallklar und ruhig – es wirkte eher wie ein Pool als die tiefe See von Kauai, Hawaii, wo ich jeden Morgen mit meiner Freundin Alana Blanchard oder den anderen Mädchen vom Mädchen-Surfteam von Hanalei surfen gehe. Die Wellen waren klein und brachen dauernd in sich zusammen. Ich ließ mich von ihnen tragen, hatte meinen rechten Arm an der Nase meines Surfbretts und den linken Arm locker im kühlen Wasser. Ich weiß noch, dass ich dachte: „Hoffentlich kommt die Welle bald mal auf Touren ...“, als plötzlich ein grauer Schatten auftauchte.

Der Bruchteil einer Sekunde – das war alles. Ich nahm einen großen Druck und mehrmaliges blitzschnelles Zerren wahr. Ich konnte keine Details ausmachen, aber ich wusste, dass ein über vier Meter langer Tigerhai seine gewaltigen Kiefer vorne in mein Surfbrett und meinen linken Arm geschlagen hatte. Dann sah ich unter Schock zu, wie sich das Wasser um mich herum hellrot färbte. Irgendwie schaffte ich es, ruhig zu bleiben und Richtung Strand zu paddeln. Mein linker Arm war fast bis zur Achsel weg, ebenso wie ein halbmondförmiges Stück aus meinem rot-weiß-blauen Surfbrett ...

Ein Morgen wie jeder andere

Es war noch dunkel, so gegen fünf Uhr früh, als meine Mutter Cheri die Zimmertür aufstieß, hineinlugte und rief: „Na, wie wärs mit surfen?“

Bevor ich auch nur meine verschlafenen Augen öffnen konnte, sprang Ginger, unser Sharpei, auf mein Bett und gab mir ihren feuchten Guten-Morgen-Kuss.

Ich hoffte, es würde ein perfekter Morgen zum Surfen. Die letzten drei Tage hatte es geschüttet, aber jetzt hörte ich keine Regentropfen auf die großen Pflanzen vor meinem Fenster platschen. Ja! Vielleicht hatte sich der Sturm verzogen und die warme Tropensonne kam heute wieder zum Vorschein.

Ich blieb noch ein paar Minuten im Bett und hörte meiner Mutter bei ihren morgendlichen Ritualen zu: Zuerst schaltet sie den Fernseher im Wohnzimmer ein und lauscht dem Wetterbericht für unsere Insel, während sie einen starken Kaffee aufbrüht. Sie hört sehr aufmerksam zu, und zwar nicht nur der Vorhersage, sondern auch den Buoy Reports, den Berichten von den Bojen draußen im Meer, die etwas über die „Swell“, die Dünung der Wellen, aussagen.

Ich knipste meine Nachttischlampe an. Meine Lampe ist ziemlich cool: Sie hat einen durchsichtigen Fuß, den ich mit Muscheln gefüllt habe. Eigentlich ist mein ganzes Zimmer voll von Muscheln. Keine Frage: Ich habe jede Menge coolen Schnickschnack und Dutzende Pokale von Amateur-Surfwettkämpfen. Aber ich bin mir sicher, das Erste, was ich mir schnappen würde, wenn das Zimmer in Flammen stünde, wären meine hübschen Sunrise Shells, die ihren Namen von ihren Farben – wie ein Sonnenaufgang – haben. Sie sind selten und unbeschädigt nur schwer zu finden, aber sie sind die atemberaubendsten Muscheln, die ein Strandurlauber auf Kauai finden kann.

Ich weiß, viele Mädchen machen sich Gedanken, was sie in der Schule oder zu einer Verabredung anziehen sollen. Und ich? Meine größte Sorge ist immer, welchen Badeanzug ich zum Surfen anziehe. An meinen Garderobenhaken hängen mindestens ein Dutzend verschiedene Modelle (tja, das sind die Vorteile, die man genießt, wenn man von einer großen Bekleidungsfirma gesponsert wird – in meinem Fall Rip Curl).

Mein Blick fiel auf etwas Schwarzes in meinem Kleiderschrank: Eine schwarze Hose, die ich wenige Tage zuvor in einem Secondhand-Laden erstanden hatte und die zu einem Halloween-Kostüm gehörte. Meine beste Freundin Alana kaufte sich auch eine. Und dazu kauften wir uns noch tolle schwarze Schuhe, die richtig gut dazu passten. Wir wollten als „mexikanische Mafia“ gehen, weil sich das albern anhört. Zuerst wollten wir dann in unseren Zwillingskostümen zur Halloween-Party unserer Gemeinde gehen und dann in der Nachbarschaft umherziehen. Auf einmal fiel es mir ein: Heute ist ja Halloween.

Halloween auf Hawaii ist ein bisschen kompliziert. Anders als auf dem Festland, wo die Leute ihre Kürbisse eine Woche vor dem Feiertag aushöhlen, ist es hier so warm und feucht, dass ausgehöhlte Kürbisse höchstens ein, zwei Tage stehen können, bevor sie sich einen Schimmelbart wachsen lassen oder von alleine schlapp machen.

Als ich mich fertig machte, wachte auch der Rest meiner Familie auf. Ich hörte meinen Vater Tom oben durchs Schlafzimmer poltern. Mein Vater ging oft mit mir surfen (er und Mama haben mir das Surfen beigebracht), doch heute musste er wegen einer Knieoperation ins Krankenhaus. Nichts Kompliziertes – am Abend würde er sogar wieder zu Hause sein. Allerdings müsste ihn jemand – meine Mutter oder einer meiner älteren Brüder, Noah oder Timmy – ins Krankenhaus bringen und wieder abholen.

Ich zog einen rot-weiß-blauen Badeanzug (passend zu meinem rot-weiß-blauen Surfbrett) an und ging ins Wohnzimmer. Meine Mutter wartete schon mit Schlüsselbund, Geldbörse, Sonnenbrille, Videokamera und meinem Frühstück für unterwegs auf mich. Sie ist, glaube ich, genauso begeistert vom Surfen wie ich. Sie ist ja auch schon eine Surfnärrin, seit sie so alt war wie ich jetzt.

„Die Bojen zeigen kaum Wellentätigkeit an“, informierte sie mich. „Wir können ja mal schauen, wie es in Pauaeaka ist – gestern soll es da ganz gut gewesen sein.“

Ich mag Pauaeaka sehr. Es liegt an der Nordküste von Kauai. Es hat seinen Namen von den kreisrunden Wellen, die hohl sind und richtig schnell. Beim Surfen fühlt man sich oft, als würde man aus einem Kanonenrohr herausgeschossen kommen. Das ist nur was für Profis, denn die Wellen können sehr gewaltig und ein bisschen gefährlich sein.

Surfer beurteilen die Qualität einer Welle nach ihrer Form; je hohler und schneller der obere Rand zum Wellental hin abfällt, desto besser. So bildet die Welle eine kleine Röhre – auch „tube“ (englisch ausgesprochen!) genannt –, in die der Surfer hineingleiten kann.

Meine Hündin Ginger wollte mit uns nach Pauaeaka kommen – sie fährt immer gerne Auto. Also bugsierte ich sie nach hinten und suchte meine Badelatschen (auf dem Festland nennt man sie Flip-Flops). Sie steckten irgendwo zwischen den ganzen Schuhen vor unserer Haustür.

Auf Hawaii gilt die feste Regel, dass man seine Schuhe vor dem Betreten des Hauses auszieht. Niemand hat Schuhe im Schrank; alle stehen draußen im Vorbau. Diese Tradition ist vielleicht noch ein Überrest aus früheren hawaiischen Zeiten, oder die japanischen Einwanderer, die vor langer Zeit hier auf den Zuckerrohrfeldern arbeiteten, haben sie hier eingeführt.

Es war noch ganz dunkel, als wir in unseren „Beater“ kletterten. Viele Leute meinen, Surfer fahren mit solch alten holzverkleideten Kombis, wie man sie in Surfer-Zeitschriften oder alten Beach-Boys-Videos sieht. In Wirklichkeit fahren die meisten hartgesottenen Surfer auf Hawaii einen so genannten „Surf Beater“. Das ist ein altes Auto mit viel Rost, verblichener Farbe und, wenn man Glück hat, ohne Ungeziefer! Um solche Autos ist es nicht schade, wenn man sie mit Sand, nassen Handtüchern, Badeanzügen, geschmolzenem Wachs und Surfbrettern belädt. Das verleiht dem Auto nur noch mehr Charme. Unseres ist ein ’88er Dodge Caravan mit einer gesprungenen Windschutzscheibe (durch ein zu langes Surfbrett), den mein Vater für dreihundert Dollar gekauft hat. Er versuchte (nicht allzu erfolgreich!), es mit dick aufgetragener blauer Farbe vor Rost zu schützen.

„Wie scheußlich!“, verkündete Mama, als sie Papas Werk betrachtete. Wir verpassten ihm den Spitznamen „Blue Crush“ nach einem Film über surfende Mädchen. Und weil wir alles – crush! – hineinquetschen: Familie, Freunde und die ganze Gang.

Unser Auto mag ja heruntergekommen sein, aber immerhin funktioniert die Stereoanlage sehr gut. Meine Brüder und ich sind musikbegeistert. Ich mag Switchfoot, 12 Stones und moderne geistliche Musik. Meine Mutter mag sie ebenfalls. An jenem Morgen entschieden wir uns für eine CD von der David Crowder Band. Ich drehte sie auf, als das Lied „O Praise Him“ anfing. Mama ermahnte mich: „Nicht so laut! Wir wollen doch nicht die ganze Nachbarschaft wecken.“

Wir platschten auf der langsamen Fahrt durch ein paar Pfützen, vorbei an Princeville, unserer Stadt an der Nordküste. Alles war ruhig und pechschwarz, als wir die windige Straße von den Steilufern zu den Surf-Spots in und um Hanalei Bay entlangfuhren.

Wir ratterten über die einspurige Stahlbrücke, den offiziellen Beginn des North Shore. Diese Brücke ist zu schmal und zu niedrig für große Lastwagen, sodass in diesem Teil der Insel nur Pkw unterwegs sind. Manchmal ist die Brücke wegen starker Regenfälle gesperrt. Die Menschen auf der anderen Seite sind dann von der Außenwelt abgeschnitten. Ich persönlich glaube, dass es den Kindern dort nichts ausmacht: Sie verpassen eben die Schule!

In der Dunkelheit kamen wir an sehr vielen Surf-Spots vorbei: Bay, Bowl, Pavilions, Pine Trees, Middles, Chicken Wings, Wai Koko. Wir steuerten auf das hinterste Ende der Straße namens Pauaeaka zu. Es war zwar noch dunkel, aber bei geöffneten Fenstern konnten wir die Schönheit Hawaiis riechen: duftende Blüten, nasser Boden, Gras und salzige Luft. Ich atmete tief ein und schloss die Augen, damit ich es mir im Geiste ausmalen konnte.

Hawaii kann einen mit allen Sinnen betören. Hier ist es wahrlich zauberhaft und ich möchte an keinem anderen Ort der Welt leben. Ich schaute hinüber zu meiner Mutter, die auch vor sich hinlächelte – ihr ging es genauso wie mir.

Wir fuhren an der alten Waioli-Kirche und dem Missionshaus vorbei, wo einige der ersten Missionare auf Hawaii lebten, arbeiteten und starben. Schließlich überquerten wir am Ende unserer Fahrt eine sehr schmale Holzbrücke.

Die Ruhe vor dem Angriff

Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ich stieg aus dem Auto und schaute aufs Wasser, aber es war noch zu dunkel, um etwas zu erkennen. Zu hören war ebenso wenig. Wenn die Brandung richtig groß ist, hört man sie schon von Weitem auf das Riff klatschen. „Ist anscheinend nicht viel los heute“, sagte ich zu meiner Mutter.

Schon bald wurde der Himmel im Osten heller und ich konnte sehen, dass die Brandung auch nicht annähernd so stark war wie am Vortag. Die kleinen Wellen dümpelten in das spitze Korallenriff, anstatt darüber hinwegzutosen. Es juckte mich, aufs Brett zu steigen, doch das Wasser würde nicht mitspielen. Wenn man viel surft, gewöhnt man sich an so etwas. Die Insel bietet einige der besten Wellen überhaupt, aber meine Freundinnen und ich werden manchmal an der Nase herumgeführt. Nichts zu machen: Man geht wieder heim und beschäftigt sich anderweitig.

„Kehren wir um“, seufzte meine Mutter. Sie war genauso enttäuscht. „Vielleicht kommt die Brandung ja morgen.“

Ich wusste, wenn ich jetzt nicht surfen ging, würde ich mich mit Sozialkunde, Englisch oder Mathematik befassen müssen. Ich will zwar Profi-Surferin werden und werde zu Hause unterrichtet, um dieses Ziel zu erreichen, aber doch überhäufen mich meine Eltern mit Hausaufgaben.

Als wir losfuhren, machte ich einen letzten Vorstoß: „Lass uns doch mal schauen, wie es am Tunnels Beach aussieht“, schlug ich vor. Tunnels ist nicht weit von Pauaeaka. Er heißt Tunnels, weil sich sandgefüllte Gänge durch die seichten Stellen des Riffs ziehen. Für Touristen ist er eine beliebte Stelle zum Schnorcheln. Surfer lieben ihn, weil es etwas hinter dem Riff eine blitzschnelle Welle gibt, die im Sommer wie im Winter toll ist.

„Na klar, schauen können wir ja mal“, erwiderte meine Mutter. Sie machte unter den Bäumen eine Kehrtwende und fuhr in die letzte freie Parkbucht. Ich ging über den kleinen Sandweg und schaute eine Zeit lang den Wellen zu. Auch nicht viel los. Und entsprechend entwickelte ich auch gar keine Lust, selbst hinauszupaddeln. Ich war also dazu verurteilt, Schularbeiten zu machen, und trabte wieder zu unserem Wagen.

Plötzlich bog ein schwarzer Pick-up auf den Parkplatz ein. Es waren Alana Blanchard, meine beste Freundin, ihr sechzehnjähriger Bruder Byron und ihr Vater Holt. Sie waren wie ich unterwegs, um eine Stelle zum Surfen zu finden. „Okay“, dachte ich, „wird das Ganze doch nicht eine totale Pleite.“

Die Wellen waren zwar lausig, aber alles andere lief glatt: Es war sonnig, das Wasser war warm und ich konnte hier mit meinen Freunden abhängen.

„Mama, kann ich hier bleiben?“, fragte ich. „Wir paddeln vielleicht zu den kleinen Wellen hinaus.“

Man musste nur das Beste daraus machen.

„Dann klär doch bitte mit Holt, ob er dich nach Hause bringt“, rief sie, und damit rannte ich mit meinen Freunden über den Dschungelpfad zum Tunnels Beach. Ich grub meine Zehen in den warmen Sand und betrachtete die aufgehende Sonne, die das blaue Meer anstrahlte. Hier hatte der Regen das Wasser erstaunlicherweise nicht getrübt. An anderen Surf-Spots ergossen sich schlammige Flüsse ins Meer, aber diese Stelle hier war glasklar.

Holt wachste sein Brett ein (damit seine Füße nicht abrutschten). Ich befestigte die Fangleine an meinem linken Fuß und nahm mein Surfbrett von Tim Carroll unter den Arm. Ich freute mich aufs Surfen; ich freute mich, bei meinen Freunden zu sein. Ich spürte das warme Wasser an meinen Knöcheln. Bevor ich hineinsprang, schaute ich auf die Uhr.

Es war 6.40 Uhr an einem wunderschönen Halloween-Morgen.

Soul Surfer

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