Читать книгу Soul Surfer - Bethany Hamilton - Страница 9
ОглавлениеMein Leben verläuft beinahe normal.
Beinahe normal, weil ich weitestgehend dieselben Interessen habe wie die meisten Fünfzehnjährigen: Musik, Filme und meine älteren Brüder zur Verzweiflung bringen. Aber es gibt auch deutliche Unterschiede. Beispielsweise den, dass ich fast fünftausend Kilometer vom Rest meines Heimatlandes USA entfernt wohne.
Auf einer winzigen Insel mitten im Pazifischen Ozean zu leben ist nicht jedermanns Sache. Es gibt keine großen Einkaufszentren, nur einige wenige Kinos, keine Eisstadien, keine Minigolfplätze oder Gokart-Bahnen. Wir können uns nur auf einer einzigen Straße fortbewegen, und wenn es einen Unfall gibt, läuft auf der halben Insel für lange, lange Zeit gar nichts mehr.
Hier kennt fast jeder jeden und man kann auf der ganzen Insel Freunde haben. Wenn ein Kind in der Schule Ärger hat – so ein gängiger Joke –, wissen die Eltern Bescheid, noch bevor das Kind aus dem Schulbus steigt. Doch die übersichtliche Größe hat auch Vorteile: Wenn man am Straßenrand eine Panne hat, stehen die Chancen gut, dass irgendein Bekannter in Kürze vorbeikommt und einem hilft.
Wer schon immer in einer Großstadt lebt, hat kaum Verständnis für mein Leben hier – oder warum ich nicht nach, sagen wir mal, L. A. oder New York oder in eine andere schnelllebige Stadt ziehen würde, wo es jede Menge Action und Abwechslung gibt. Meiner Meinung nach macht sich jeder sein Abenteuer selbst. Und ich glaube ernsthaft, dass man, wenn man die Augen für das eigene Umfeld öffnet, etwas Schönes entdeckt, ganz gleich, wo man lebt.
Für mich ist das Gras nirgends grüner als auf Hawaii. Und wenn ich nach meinen Lieblingsdingen zu Hause befragt werde, fallen mir Dutzende ein. Aber meine drei Allerliebsten sind folgende:
1. Es ist niemals kalt. Ich trage fast das ganze Jahr über Shorts und T-Shirts. Sogar an Weihnachten ist es warm. Traditionsgemäß stehen wir an Weihnachten früh auf, gehen surfen, kommen heim und packen die Geschenke aus. Das machen wir gerne, weil es um diese Jahreszeit fast immer gute Wellen gibt und die besten Surfstrände menschenleer sind, weil alle anderen zu Hause unterm Weihnachtsbaum sitzen!
2. Es gibt immer etwas zu tun. Vor allem, wenn man Sand und Surfen liebt, so wie ich. Wenn es keine Wellen gibt oder wenn ich fertig bin mit Surfen, gehe ich gerne Muscheln sammeln am Strand, schnorcheln über dem Riff, schwimmen mit den Wasserschildkröten oder in einem Schwimmbecken aus natürlichem Lavagestein namens Queen’s Bath, das bei jeder Flut mit Salzwasser gefüllt wird. Manchmal machen meine Freundinnen und ich einen Ausflug zum Wasserfall von Hanakapi’ia.
3. Bananen und Papayas. Sie wachsen hier überall, sogar bei uns im Garten. Und ehrlich: Ich könnte sie sieben Tage die Woche zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot essen. Es gibt nichts Besseres als eine schöne reife Papaya frisch vom Baum. Ich könnte zu allem Papaya essen – es schmeckt einfach besser. Das soll nicht heißen, dass ich ein Gesundheitsapostel bin. Weit entfernt: Ich habe eine Schwäche für Vanilleeis mit Bananenscheiben und etwas Zimt, Kräuterlimonade und Schokolade, Schokolade, Schokolade!
Nachdem das geklärt wäre, hört sich der Rest meines Alltags vermutlich nicht besonders an. Ich sehe gerne alte Fernsehsendungen. Eine meiner Lieblingsshows ist Erwachsen müsste man sein (Leave it to Beaver). Ich weiß nicht, warum, aber ich mag die Sendung richtig gern. Beaver ist ein süßes, unschuldiges Kind, das andauernd Probleme bekommt. Darüber muss ich einfach lachen. Ich sehe auch gerne Tierdokumentationen, Mr. Ed, Die Simpsons, Malcolm mittendrin und Sponge-Bob Schwammkopf.
Da die ganze Familie gerne surft, schauen wir uns manchmal gemeinsam Surferfilme an. Damit meine ich nicht die hohlen Hollywood-Versuche, das Surfen zu zeigen, sondern reine Surffilme ohne Handlung, nur mit lauter Surfing von den besten Surfern der Welt. Und ich schaue mir unheimlich gern den Film Findet Nemo an!
Wir machen viel in der Clique zusammen: Kayla, Noelane, Michelle, Camille und Jackie, Kaylee, Kyae, Summer und natürlich Alana. Bei Alana zu Hause bespritzen wir manchmal das Trampolin mit Wasser und schütten Schmierseife darüber. Dann ziehen wir uns Plastiktüten über die Füße und springen – oder versuchen zu springen. Meistens schlittern wir dann überall herum und lachen uns kaputt.
Wenn wir uns treffen, spielen wir oft Fußball mit einer Blechbüchse. Einmal schossen wir sie in eine kleine Grünanlage. Wir jagten hinterher und zertrampelten alles – auch bei jemandem im Garten. Ich glaube nicht, dass die Leute entzückt darüber waren, dass wir ihre Pflanzen verwüstet haben, aber ich schwöre, wir hatten so viel Spaß, dass wir davon gar nichts mitbekamen!
Manchmal spielen wir auch Klingelmännchen. Also, man klingelt irgendwo an der Tür und rennt weg, so schnell man kann, damit man nicht erwischt wird. Einmal machten wir das auch bei Andy Irons, der gerade den Weltmeistertitel im Surfen gewonnen hatte und der nur ein paar Häuser von Alana entfernt wohnt. Er hat uns schließlich erwischt, aber er war nicht sauer. Wahrscheinlich hat er wenige Jahre zuvor als Teenager noch denselben Quatsch gemacht.
Ich halte mich selbst für einen Witzbold. Bei unseren Winter-Camps spielen wir anderen verrückte Streiche, wie beispielsweise die Jungs mit Rasierschaum zu überfallen. Gelegentlich bekomme ich Ärger, weil ich es etwas übertrieben habe, und muss mich bei jemandem entschuldigen. Doch die Camp-Leiter verstehen Spaß und spielen auch selbst Streiche.
Wenn es viel regnet (und manchmal regnet es wochenlang am Stück), rutschen wir mit Bodyboards große, steile, nasse, grasbedeckte Abhänge hinunter. Das nenne ich Rodeln auf hawaiianische Art!
Natürlich mache ich auch etwas mit meiner Gemeinde, der North Shore Community Church. Mit meinen christlichen Freunden etwas zu unternehmen, ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, denn es ist wirklich ermutigend, dass es noch andere gibt, die, genau wie ich, Gott nahe sein wollen.
Auch meine Eltern und meine Brüder engagieren sich in der Gemeinde, aber ich würde auch hingehen, wenn sie es nicht täten. Einmal die Woche machen wir einen bunten Abend mit Spielen und Wettkämpfen, oder wir grillen. Am Ende machen unsere Gruppenleiter Sarah Hill, Troy und Maila Gall noch eine kurze Bibelarbeit mit uns, meist über etwas, das Jesus gesagt oder getan hat.
Wir haben auch Camps und Freizeiten, die recht verrückt und auch interessant sind. Wir tun uns dann mit einer Jugendgruppe von der Kauai Christian Fellowship aus dem Süden zusammen. Damit sind wir deutlich über hundert Jugendliche! Jedes Jahr steht das Camp unter einem anderen Motto. Dieses Jahr waren die Mitarbeiter als Piraten verkleidet und haben auf dem Freizeitgelände ein Schiffswrack aufgebaut. Wir haben sogar eine Plane über den Swimmingpool gebaut. Der Haken daran: Wir füllten den Pool mit Wasser und über dreißig Kilo Hundefutter. Wer also den Wettbewerb verloren hatte, musste über die Planken balancieren und lief immer Gefahr, in einer ekelhaften Brühe zu landen!
Wir spielen auch grobe Spiele wie „Turkey Football“ (hast du jemals versucht, ein tiefgefrorenes Wiesenhof-Hähnchen durch die Gegend zu schleudern? An alle Kinder: nicht mit dem Essen spielen! ...). Das Spielfeld ist eine riesige Plastikplane mit einer glitschigen Flüssigkeit darüber, auf der man die ganze Zeit schlittert und ausgleitet. Aber wir machen nicht nur Spiele. Wir haben auch tolle Rock-’n’-Roll-Gottesdienste und super Redner sowie stille Zeit und Andachten.
Von Zeit zu Zeit mache ich mit meiner Familie Urlaub auf dem Festland. Bei der Gelegenheit gehe ich immer gerne in die Vergnügungsparks. Mein Magen verträgt so ziemlich alles. Ich kann mich richtig schnell im Kreis umherwirbeln lassen, ohne dass mir schlecht wird. Mein Vater geht dagegen nur auf die normalen Achterbahnen.
Ich werde zu Hause unterrichtet. Dadurch ist es einfacher, berufsmäßig zu surfen und zu reisen. Meine Mutter ist meine Lehrerin und einen Großteil meiner Aufgaben erhalte ich online. Mein Arbeitspensum ist in der Regel genauso hoch wie das anderer Mittelstufenschüler, nur dass ich mir die Zeiten selbst aussuchen kann. Viele Freundinnen von mir werden auch zu Hause unterrichtet (wie meine Freundin Alana). Damit haben wir denselben Zeitplan für Surfen, Reisen und Hausaufgaben.
Wäre ich in einer öffentlichen Schule, ich wette, mein Lieblingsfach wäre Kunst (nach Sport natürlich). Ich bin sehr gerne kreativ. Ich schaffe gerne Kunstwerke und verziere sie mit meinen Muscheln. Ich liebe es, mit Muscheln, Farbe und Naturmaterialien zu arbeiten. Aber durch das Surfen und die Hausaufgaben bin ich so beschäftigt, dass ich kaum noch Zeit für mein Hobby habe.
Manchmal werde ich auf Jungs angesprochen. Jungs sind ganz in Ordnung, aber ehrlich gesagt bin ich im Moment so beschäftigt, dass ich überhaupt keine Zeit habe, darüber nachzudenken.
Auch Musik ist eine große Leidenschaft von mir. Meine Brüder schenken mir stapelweise CDs. Meine Lieblingsgruppe heißt Switchfoot: Sie sind Surfer, Christen, und sie machen die Musik, die ich mag. Ihre Lieder sind schnell und klingen nach Punk, aber in den Texten geht es um Gott. Auf Kauai gibt es ebenfalls richtig gute Bands. Sie nennen sich beispielsweise Chandelle und Pennylane. Ich mag auch Lobpreislieder.
Manche Leute glauben, Kirchenmusik besteht nur aus schwerfälligen Liedern mit Orgelbegleitung. Quatsch! Natürlich handeln alle Lieder davon, wie groß Gott ist. Aber in unserer Gemeinde haben wir echt moderne Musik: elektrische Gitarren, Schlagzeug und Bass. Die meisten Lieder sind so flott, dass man klatschen und mit den Füßen stampfen möchte.
Manchmal weiß ich einfach nicht, wie ich alles in einen Tag packen soll. So ungefähr müssen sich Teenager-Schauspieler fühlen: Du musst aufstehen und dich an die Arbeit machen, aber dir auch noch Zeit lassen, Kind zu sein. Wenn ich nicht surfe, trainiere ich. Und wenn ich nicht trainiere, mache ich Hausaufgaben. Das bisschen Zeit, das mir dann noch bleibt, verbringe ich mit Freunden und der Familie.
Manche Leute kapieren das mit dem Homeschooling, dem Unterricht zu Hause, nicht so richtig. „Bethany“, sagen sie, „vermisst du denn gar nicht das ganze Drumherum mit dem Schulhof und so?“ Na ja, die meisten meiner Freunde werden zu Hause unterrichtet. Ich bin entweder mit eingefleischten Surfern oder mit Jugendlichen aus der Gemeinde zusammen. Also nein, für mich ist das ganz normal. Das bedeutet nicht, dass ich später, wenn ich etwas älter bin, nicht vielleicht die Abschlussbälle oder Klassenfahrten und all das vermisse. Aber im Ernst: Ich könnte nie in eine Regelschule gehen und gleichzeitig Profi-Surferin werden. Leider hat der Tag nur 24 Stunden! Und lasst euch gesagt sein: Homeschooling ist auf gar keinen Fall einfacher als Unterricht im Klassenzimmer. Ich schreibe Arbeiten und ich habe eine Mutter, die sehr streng darauf achtet, dass ich in die Bücher schaue und Einsen schreibe.
Durch das Surfen hatte ich noch nie viel Freizeit. Aber jetzt, nach dem Unfall, ist mein Kalender zehn Mal voller. Diese Woche zum Beispiel bin ich nach Kalifornien geflogen, um einen Preis entgegenzunehmen, und gleich darauf nach Portugal, um eine Volvo-Werbung zu drehen.
Glücklicherweise gibt es dort auch Wellen.
Womit wir bei den Dingen wären, die ich nicht mag. Ich hasse Spinnen und Schlangen. Auf Hawaii haben wir keine Schlangen. Aber wenn ich irgendwo auf dem Festland bin, wo es dieses kriechende Viehzeug gibt, mache ich mich so verrückt, dass ich nachts kaum schlafen kann! Wir haben auf Hawaii bestimmte Hundertfüßer, die wie Schlangen gleiten und einen unangenehm beißen können. Aber allein der Gedanke an echte Schlangen lässt mich schaudern. Komisch, was? Ich denke, jeder hat so etwas, das ihn echt ausflippen lässt.
Ich mag auch nicht das Essen an Schulen ... würg! Seit ich zu Hause unterrichtet werde, muss ich es selbstredend auch nicht mehr dort essen. Aber jahrelang bekam ich angebrannte Hähnchenteile, ekelhaft süßes Dosenobst und Kartoffeln mit Gummigeschmack vorgesetzt. Wenn ich nur daran denke ... das ist ja noch schlimmer als Schlangen!
Das hört sich vermutlich alles ganz normal an. Fast jeder hat Sachen, die er mag oder eben nicht, fast jeder hängt mit einer Clique ab und hat Lieblingsessen, -musik und -filme.
Und in vielerlei Hinsicht bin ich ein typischer Teenager. Und in mancherlei Hinsicht bin ich es seit meinem Unfall nicht. Beispielsweise kann ich bestimmte Sachen nur anziehen, wenn mir jemand beim Zuknöpfen hilft. Schuhe binden mit einer Hand ist ganz schön mühsam. Eine Orange zu schälen, ohne sie mit den Füßen zu halten, ist nahezu unmöglich.
Ich denke nicht viel darüber nach oder mache mir Sorgen, wie ich mit einem Arm aussehe. Die Leute hier kennen mich und denken auch nicht darüber nach – also muss ich es nicht mehr erklären. Ich könnte ja meine Armprothese tragen, aber dann müsste ich auch mehr Kleidung anziehen, weil man sie festschnallen muss. Außerdem hängt sie nur einfach herunter und macht gar nichts. Sie nützt mir also nichts. Womöglich sehe ich ohne sie etwas anders aus, aber das ist okay. Ich bin cool so, wie ich bin.