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4. Onkel Toms Hütte

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Die beiden Gestalten starrten Mathida und ihren Bruder gleichermaßen entsetzt an. Es waren Michel und sein dunkelhaariger Freund.

Mathida brach das Schweigen als erste und stimmte ein heiseres Gelächter an. „Was macht ihr hier?“, fragte sie erstaunt, als sie sich wieder etwas beruhigt hatte. „Und wie um alles in der Welt seid ihr hier überhaupt hereingekommen?“

Michel, dessen Selbstvertrauen offenbar zurückgekehrt war, deutete mit einer lässigen Kopfbewegung auf die rückwärtige Wand. Dort hing eine alte, orangefarbene Decke. Sie war oben in ungefähr zwei Metern Höhe mit Nägeln befestigt. „Durch das Loch da“, erklärte er mit seinem breiten Grinsen, das Mathida nun schon kannte. „Und was verschlägt dich hierher in Onkel Toms Hütte?“ Er schaute Mathida herausfordernd an. Sein Freund lachte belustigt auf.

Max hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt alles schweigend angehört, jetzt mischte er sich mit Entrüstung in der Stimme ein: „Das ist nicht die Hütte von irgendeinem Onkel! Wir wohnen hier! Wo ist da ein Loch?“ Er tanzte um den Tisch herum zur hinteren Wand und hob die Decke an.

Zum Vorschein kam eine quadratische Öffnung in der Holzwand, durch die Mathida deutlich die Spanplatten erkennen konnte, die draußen angelehnt waren. Das Loch erstreckte sich nicht bis zum Fußboden, sondern begann erst ungefähr fünfzig Zentimeter höher.

Damit wurde Mathida alles klar: die Spuren, die zu den Platten führten, die verschwundenen Schneehauben und die Tatsache, dass die Spanplatten verrutscht worden waren. Nun ergab alles einen Sinn.

„Ihr wohnt h-i-e-r?“, wiederholte Fred Michel ungläubig. „Aber das Haus steht doch schon seit langem leer!“

„Nein, seit Weihnachten nicht mehr“, korrigierte Mathida ihn. „Seit Weihnachten leben wir in diesem Haus!“

„Du bist doch das Mädchen aus dem Stadtpark“, schaltete sich nun der andere Junge in die Unterhaltung ein.

„Ja, die mit dem Teddy“, ergänzte Michel. „Sie heißt Mathida.“

„Woher weißt du das?“, wollte Michels Freund wissen.

„Weil sie in meine Klasse geht“, erklärte Michel bereitwillig.

Mathida ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Außer dem Tisch gab es noch ein Regal, das nur auf drei Füßen stand und voller kleiner Kistchen und Kartons war. Zudem standen drei Stühle da, die alle unterschiedlich aussahen. Ein kleiner Holzofen, dessen Ofenrohr jedoch nicht an den Schornstein angeschlossen war, diente genau wie die Stühle als Abstellfläche für weitere Schachteln und Kisten. Mit Ausnahme des Tisches waren alle Gegenstände mit einer dicken Staubschicht überzogen. Hier musste erst einmal gründlich Ordnung gemacht werden.

„Und wie heißt ihr?“, erkundigte sich Max. „Ich bin Max Glück und ich gehe schon in den Kindergarten.“

„Der Gartenzwerg kennt sogar seinen Namen“, höhnte Fred grinsend.

Max stampfte zornig auf den Boden und brüllte: „Ich bin kein Gartenzwerg! Ich bin …“

„Also, ich heiße Tom und das ist Fred“, schnitt der Dunkelhaarige ihm das Wort ab und nahm ihm damit den Wind aus den Segeln.

„Fred?“, staunte Max. „Mathidas Teddy hat auch den Namen Fred. Das ist echt witzig!“ Er stimmte ein gackerndes Lachen an.

„Oh, welche Ehre für dich“, ulkte Tom. „Was sagst du dazu, Fred? Du hast also neulich im Park deinen Namensvetter gerettet.“

Michel brummte nur unwirsch und unverständlich vor sich hin und fand das gar nicht lustig.

Auch Mathida wollte nichts mehr von ihrem Teddy hören. „Und wie kommt ihr ausgerechnet in diese Hütte?“, fragte sie erneut. „Wohnt ihr da drüben?“ Sie zeigte in die Richtung, in der das zweistöckige Gebäude stand, das zu dem Anwesen mit der alten Werkstatt gehörte.

„Nur ich“, erläuterte Tom ihr. „Wir sind vor einem halben Jahr eingezogen. Vorher haben wir ein paar Straßen weiter zur Miete gewohnt. In demselben Häuserblock wie Fred.“

„Dieses Häuschen haben wir schon vorher entdeckt“, berichtigte Fred. „In dieser Gegend standen vor zwei Jahren viele Häuser leer, weil die Lackfabrik geschlossen wurde. Viele von den Arbeitern konnten in ein anderes Werk wechseln. Da sind die Leute weggezogen und die Häuser waren leer. Wir haben die Grundstücke erkundet und dabei die Hütte gefunden. Seitdem ist sie unser Quartier.“

„Euer – Was?“, hakte Max nach.

„Ihr Ort, wo sie ein Dach über dem Kopf haben, wenn sie sich zusammensetzen“, erklärte Mathida.

Die beiden Jungen erzählten ihr, dass sie die Hütte als ruhiges Plätzchen nützten, wenn sie sich ungestört unterhalten wollten, was zuhause nicht möglich war. Bei Fred war es ohnehin zu eng, da er sich ein Zimmer mit seinem zweijährigen Bruder teilen musste.

Tom hatte zwar seit dem Umzug sein eigenes Reich, aber zwei neugierige Schwestern und eine noch aufdringlichere Großmutter, die mit im Haushalt lebte. Die Oma ließ sich nicht einmal durch eine geschlossene Zimmertür fernhalten, vor allem dann nicht, wenn Tom Besuch von Freunden hatte.

Mathida hörte interessiert zu und beobachtete dabei Fred. Er benahm sich anders als in der Schule: Er war wesentlich freundlicher und man konnte sich sogar vernünftig mit ihm unterhalten. In der Schule nannten ihn alle nur Michel, aber Tom nannte ihn bei seinem Vornamen.

„Aber warum könnt ihr euch nicht in dem alten Flachbau in eurem Garten treffen, Tom?“, erkundigte sich Mathida. „Dies hier soll unser Spielhaus werden. Wir werden es reparieren und dann dürft ihr nicht mehr einfach so herein!“

„Ja, ich brauch unbedingt eine Räuberhütte. Da kann ich dann mit Nils Cowboy und Indianer spielen“, rief Max enthusiastisch dazwischen.

„Hey Mini, ein Cowboy braucht doch keine Räuberhöhle! Da hast du wohl was verwechselt!“, sagte Michel in ironischem Ton. „Artur hat auch immer so wirre Ideen. Wie Babys eben.“

„Wer ist Artur?“, fragte Max patzig.

Tom musste lachen. „Artur ist Freds kleiner Bruder und ihr zwei würdet wirklich gut zusammenpassen. Also, die Werkstatt würde uns …“

„Ich werde aber schon vier! Ich bin kein Baby mehr!“, unterbrach Max ihn misslaunig.

„Jetzt sei endlich still und lass Tom aussprechen“, ermahnte Mathida ihren Bruder. „Was ist mit der Werkstatt?“ Sie hielt Max den Mund zu und blickte zu Tom.

„Na ja, wir würden uns lieber in der Werkstatt aufhalten. Darin ist viel Platz und wir könnten werkeln und bauen. Aber vorher muss die Tür herausgebrochen werden. Und das macht mein Vater garantiert erst, wenn kein Schnee mehr liegt.“ Er seufzte.

„Klemmt die Tür?“, hakte Mathida nach.

„Nein, sie ist abgesperrt und der Schlüssel ist meinem Vater im Schloss abgebrochen.“

„Es ist eine schwere Metalltür“, ergänzte Michel. „Wenn sie aus Holz wäre, könnten wir einfach das Schloss heraussägen.“

„Und woher wisst ihr dann, wie es in der Werkstatt aussieht?“, mischte sich Max nun neugierig wieder ein.

„Weil Tom schon drinnen war, bevor der Schlüssel abgebrochen ist, du kleiner Schlaumeier“, entgegnete Michel.

„Außerdem kann man auch durch die Fenster hineingucken. Habt ihr Lust dazu?“, bot Tom an. Er schaute Mathida und Max abwartend an.

„Au ja!“, quietschte Max und auch Mathida war einverstanden und nickte.

Mathida verließ die Hütte durch die Tür und sperrte ab. Michel, Tom und Max krabbelten durch das Loch in der Rückwand. Hinter dem Häuschen trafen sie sich. Gemeinsam marschierten sie zum Gartentürchen und dann in den Nachbargarten hinüber. Draußen merkte Mathida, dass es bald dunkel werden würde, aber noch schien die Sonne vom blauen Himmel und tauchte die Schneelandschaft in ein sanftes gelbliches Licht.

„Wieso seid ihr eigentlich in der Hütte geblieben, als wir kamen? Max war doch bereits von weitem zu hören!“, wollte Mathida wissen, während sie zu viert durch den Schnee stapften.

„Weil wir dachten, der Raum sei ein gutes Versteck. Draußen hättet ihr uns beim Wegrennen bemerkt. Wir wussten doch nicht, dass ihr einen Schlüssel habt“, entgegnete Michel.

Sie erreichten die Werkstatt. Im Inneren des alten Gemäuers war es bereits ziemlich finster. Die Vier mussten ihre Nasen fest an die großen Glasscheiben pressen, um überhaupt etwas sehen zu können. Nach einer Weile jedoch gewöhnten sich ihre Augen daran.

Mathida erkannte die verschiedenen Einrichtungsgegenstände immer genauer und klarer. Da standen alte Schränke, Regale, die bis an die Decke reichten, und verschiedene Werkbänke. Auch einige alte Maschinen gab es. Und in der Mitte der großen Halle war ein riesiges Ungetüm, das sich unter mehreren Planen vor ihnen verbarg. Mathida hatte keine Ahnung, was das sein konnte. Es war länglich und füllte beinahe zwei Drittel der gesamten Grundfläche des Raumes aus.

Auch Max‘ Augen blieben an diesem Planenberg hängen, doch er wirkte ebenfalls ratlos. „Was ist denn das?“ Er deutete darauf.

„Das ist ein fleischfressendes Monster! Es frisst besonders gerne ganz kleine Jungen“, erwiderte Michel mit tiefer Stimme.

„Was das ist, erzählen wir dir morgen“, fügte Tom geheimnisvoll hinzu. „Das ist nämlich eine längere Geschichte. Und ich muss zuhause sein, wenn es dunkel wird.“

„Oh, wir auch!“, erklärte Mathida. „Seid ihr morgen wieder in der Hütte?“

„Ja, solange ihr uns nicht rausschmeißt…“, gab Michel zurück.

Die Kinder verabschiedeten sich voneinander und Mathida lief mit ihrem Bruder zurück zum eigenen Garten und durch ihn hindurch zum Wohnhaus. Max erzählte alles, was er erlebt hatte, aufgeregt der Mutter und später auch dem Vater. Mathida korrigierte ihn da, wo seine Fantasie mit ihm durchging, und gab einige ergänzende Erklärungen ab.

Die Eltern fanden es beide schön, dass Mathida offenbar gleich neue Spielkameraden gefunden hatte.

Mathida selbst wünschte sich vor allem eine beste Freundin. Auf der anderen Seite war sie froh, überhaupt so schnell die Bekanntschaft mit einem Nachbarskind gemacht zu haben. Und schließlich hatte Tom zwei Schwestern erwähnt. Vielleicht war ja eine der beiden ungefähr in Mathidas Alter und ihre zukünftige Freundin. Wer wusste das schon?


Mathida und das Geheimnis des Russen

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