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KAPITEL 5

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Sie nahmen das Frühmahl schweigend ein. Kuntz sprang auf und rannte dem Kater hinterher nach draußen. Margret hob noch nicht einmal den Kopf, Elisabeth brummte nur. Figen hatte auch keine Lust, den Jungen zu maßregeln. Sie musste immer wieder an die gestrige Beisetzung denken. Besonders Margret hatte die Beerdigung ihres Gatten zugesetzt. Nach dem kläglichen Totenmahl im Gebäude der Brauerbruderschaft, bei dem nur ein Bruchteil der Brauer der Stadt zugegen gewesen war, hatte Margret kein Wort gesprochen und sich in der Kammer eingeschlossen.

Figen rührte im Hirsebrei. Elisabeth hatte zwei Äpfel hineingeschnitten, trotzdem schmeckte er heute fad. Margret würgte, hielt sich die Hand vor den Mund und stürzte nach draußen. Die Schwangerschaft machte sich bemerkbar.

Elisabeth holte tief Luft. »Gott steh uns bei!« Sie begann abzuräumen, wartete nicht, bis Figen ihren Brei gegessen hatte. Figen schob die eigene Schüssel von sich weg. Auch wenn Bechtolt in der letzten Zeit nicht sonderlich gesprächig gewesen war und sich meist in der Brauerei verschanzt hatte, wirkte das Haus nun noch trostloser.

Figen erhob sich. Heute würde sie die Schenke herrichten. In den letzten Tagen hatte sie keine Zeit dafür gefunden. Sie hatten Weihwasser, Leinentücher und Sterbekerzen besorgt und abwechselnd Totenwache gehalten. Da die Fenster der Brauerei die ganze Zeit über offen standen, damit Bechtolts Seele hinausfliegen konnte, war Figen nach ihrer Wache jedes Mal durchgefroren gewesen und hatte keine Muße mehr gehabt, sich um die Schenke zu kümmern.

Als sie nach draußen trat, schien ihr die Sonne ins Gesicht. Dennoch war es kühl. Sie verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust.

Kuntz lief dem Kater hinterher in den Stall. »Pauli, Pauli«, rief er. Figen schmunzelte. Das Tier schien mal wieder nicht so zu wollen wie der Junge.

Die Tür zur Brauerei war angelehnt. Sie warf einen Blick hinein. In der Mitte stand der Tisch, auf dem sie Bechtolt die letzten Tage aufgebahrt hatten. Die Kerzen drum herum waren allesamt abgebrannt. Die Bodenklappe, unter der vor Kurzem noch die Münzreserven dieses Hauses lagerten, war geöffnet. An der rechten Wand verstaubten die großen Bierbottiche, die seit Monaten nicht mehr gefüllt worden waren. Eine trostlose Brauwerkstatt, aus der ihr eine Flut trauriger Erinnerungen entgegenströmte.

Sie zog die Tür zu und ging zur Schenke. Der Knauf der Hintertür war locker. Darum würde sie sich kümmern müssen. Figen trat in den düsteren Raum. Es roch muffig, nach Staub und altem Bier. Sie zog das Stroh aus den Fensteröffnungen, um Licht und frische Luft hereinzulassen. Die Tische und Bänke standen kreuz und quer, ein paar Schemel waren umgefallen, ein einzelner Krug sah aus, als wäre er nur kurz abgestellt worden und wartete auf die Rückkehr des Trinkers. Abgebrannte Stümpfe ragten aus den Kerzenhaltern an der Wand. Die Kerze auf der Theke hingegen hatte höchstens eine Stunde gebrannt.

Figen strich mit dem Finger über eine Tischplatte. Staub sammelte sich auf ihrer Haut. An einer Ecke fehlte die Staubschicht. Seltsam. Hier musste kürzlich jemand gewesen sein. Margret vielleicht. Möglicherweise hatte sie in Erinnerungen geschwelgt.

Figen räumte auf, richtete Tische und Stühle, holte einen Wascheimer und Lappen und reinigte das Inventar vom Dreck vergangener Zeiten. Sie sah bereits ihre Zöglinge vor sich sitzen. In der Nähe der Hintertür würde sie ihren Platz einrichten, von wo aus sie die Mädchen gut im Blick haben würde. Die Theke war in einer Nische eingelassen, diese würde sie für den Unterricht mit einem Laken abhängen. Sie räumte die Krüge in einen Korb und brachte sie in den Braukeller.

Zurück in der Schenke putzte Figen über ein Bierfass, das als Abstellfläche gedient haben mochte. Dahinter sah sie etwas Weißes aufblitzen. Sie duckte sich und hob den Stoff mit spitzen Fingern auf. Ein Unterrock. Sie schüttelte sich, wollte sich nicht ausmalen, wem der gehört haben mochte. Er musste aus Zeiten stammen, als das Bier reichlich geflossen war und die Gäste auf Sittlichkeit keinen Wert gelegt hatten.

Sie ließ sich auf einem Schemel nieder, holte die Bonner Münze hervor und strich über die Prägung. Der Mörder hatte das Geldstück ebenfalls in Händen gehalten. Der Mann, der das Messer geführt und Bechtolt die Kehle aufgeschlitzt hatte. Sie erschauderte und ließ das Geldstück zurück in den Beutel gleiten. Wer mochte es gewesen sein? Kannte sie ihn? Ihre Hände zitterten. Der Frevler durfte nicht ungestraft davonkommen!

***

Es polterte an der Tür.

»Gehst du?«, fragte Elisabeth. Sie hob demonstrativ die Hände, mit denen sie den Brotteig bearbeitete. Doch bevor Figen an der Tür war, kam ihr Margret zuvor. Sie war nicht sonderlich gesprächig, aber zumindest verschanzte sie sich nicht mehr in der Kammer wie die letzten drei Tage.

Vor dem Haus stand der alte Fassbinder von Blankenberg. Die Gugel war an den Enden über der Schulter ausgefranst und bedeckte seinen kahlen Kopf. Unter den Augen lagen Schatten. »Margret, genau zu Euch wollte ich.« Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Ihr schuldet mir noch Geld.«

»Was?« Sie stemmte den Arm in die Hüfte. »Nicht dass ich wüsste!«

»Dein Mann –«

»… ist selig!«, keifte sie.

»Richtig. Und deswegen will ich jetzt sofort mein Geld. Einen Gulden und fünf Schillinge.«

Figen blieb die Luft weg. So viel?

»Pah, verschwindet!« Margret wollte die Tür zuschlagen, aber er schob den Fuß auf die Schwelle.

»Ich lasse mich nicht von Euch abspeisen!«

»Ich weiß nichts von Schulden!«

»Hätte ich auf dem Kerbholz bestanden, hätte ich den Beweis in der Hand. Aber der Faulpelz meinte, es reiche, es mit der Feder zu vermerken. Also seht in seinen Büchern nach.«

»Er hat seit Wochen keine Fässer mehr gekauft.«

»Er schuldet es mir schon lange! Jetzt brauche ich mein Geld.« Er ballte die Hand, seine Augen funkelten. Figen hatte das Gefühl, er würde Margret gleich die Faust ins Gesicht schlagen.

»Das hättet Ihr mit meinem Mann klären müssen!«

Er lachte bitter auf. »Ihr seid wohl zum Scherzen aufgelegt.«

»Seht Ihr mich etwa lachen?«

»Ich war gutmütig, und nun soll es mich teuer zu stehen kommen? Ich verlange, dass Ihr –«

»Von mir bekommt Ihr keinen Pfennig.«

Zwischen seinen Brauen stand eine tiefe Falte. »Seid gewiss: Ich komme wieder. Wenn Ihr nicht zahlt, gehe ich zu Mergentheim. Er wird Euch schon zur Vernunft bringen.«

Margret drängte ihn von der Türschwelle.

»Und wenn Mergentheim nichts unternimmt, komm ich mit meinen Söhnen wieder und hole mir, was mir zusteht.«

Margret schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Ihre Augen glühten vor Zorn. »Dieser Galgenschwengel!«

»Wir sollten nachsehen, ob es stimmt«, sagte Figen leise.

Margret rauschte brummend an ihr vorbei.

Wenn Bechtolt ihm wirklich noch so viel schuldete, steckten sie in Schwierigkeiten. Ohne einen Mann im Haus wären sie den Plünderern schutzlos ausgeliefert. Figen folgte Margret in die Vorratskammer, wo sie Kisten von links nach rechts räumte.

»Willst du nicht wissen, ob er die Wahrheit spricht?«

»Hast du seinen Atem gerochen?« Sie machte eine Geste, die andeutete, dass er zu viel getrunken hatte. »Der will sich nur wichtigtun.«

Figen hatte nicht den Eindruck gehabt. Wenn Margret keine Lust hatte, den Dingen auf den Grund zu gehen, würde sie es selbst tun. Sie ging in die Brauwerkstatt und öffnete die Kiste in der Ecke. Ein zerknülltes Leinenhemd lag obenauf. Sie fand unzählige Notizen und Briefe. Sie würde Tage brauchen, um alles zu sichten.

Sie klaubte drei Bücher hervor und schlug das erste auf. Es handelte sich um ein Verkaufsbuch, in dem Bechtolt eingetragen hatte, wie viel Bier er wem verkauft und wie viele Münzen er erhalten hatte. Das zweite war ein Ausgabenheft. Mit klopfendem Herzen legte sie es auf den Tisch und durchforstete die Eintragungen. Je weiter sie nach hinten blätterte, desto unleserlicher wurde Bechtolts Handschrift. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich zurechtfand. Bisher hatte sie nur Luthers Schriften oder Briefe von Jonata gelesen, aber noch nie Geschäftsbücher.

Bechtolt hatte öfter Fässer von dem Fassbinder gekauft, doch ob er sie bereits bezahlt hatte, war nicht notiert. So konnte von Blankenberg nicht belegen, dass sie ihm noch Geld schuldeten. Figen legte das Buch zurück und griff nach dem letzten. In diesem waren die Einträge durchgestrichen. Es schien sich um ein Erinnerungsbuch zu handeln. Einige Posten am Ende waren offen. Darunter drei an den Fassbinder von Blankenberg. Die Summe stimmte. Außerdem Zahlungen an den Hufschmied und den Barbier.

Figen ließ sich auf den Boden sinken und lehnte sich an die Kiste. Nicht auszudenken, wenn der Hufschmied und der Barbier auch bald vor ihrer Pforte auftauchten und auf ihrem Geld beharrten. Wie sollten sie die Schulden begleichen? Figen musste zusehen, dass sie die Schule eröffnete. Und sie musste mit Seitz sprechen. Sie nahm das Buch und lief ins Haus.

Margret saß in der Stube und stickte. Figen legte ihr das Buch vor. »Hier!« Sie zeigte auf die Zeilen. »Der Fassbinder hat recht.«

»Was fällt dir ein, in Bechtolts Sachen zu wühlen?« Margret ließ das Stickzeug auf den Schoß sinken und sah sie finster an.

»Einer muss es tun. Wir schulden von Blankenberg wirklich noch über einen Gulden.«

»Nicht wir, sondern Bechtolt. Was kümmert’s uns?« Sie senkte den Blick und stach die Nadel durch den Stoff.

»Hast du ihm nicht zugehört?« Figen konnte nicht fassen, dass Margret so sorglos war.

Margret blickte auf, ihre Augen funkelten böse. »Wie redest du mit mir? Erinnere dich daran, welche Stellung du in diesem Haus hast.«

Figens Kiefer mahlten. Vor zwei Jahren hatten sie noch Schulter an Schulter in der Küche geschuftet. Wenn Margret sich auf ihre höhere Stellung berief, sollte Figen auf ihrem ausstehenden Lohn beharren. Sie atmete tief ein. Nein, das hatte keinen Sinn. Sie war froh, wenn sie im Winter genug Holz für den Kamin hatten. Und wenn sie Schulgeld erhielt, war sie nicht mehr auf Margrets Gunst angewiesen, aber dafür brauchte sie die leer stehende Schenke. Sie sollte Margret nicht gegen sich aufbringen, nicht auszudenken, wenn sie ihr den Unterricht verbot.

»Entschuldige«, presste sie hervor. Sie nahm den Mantel vom Haken und verließ das Haus, um mit Seitz zu sprechen. Je eher sie mit dem Unterricht begann, desto eher wurde ihr Beutel mit Münzen gefüllt.

Gretlin Denntzer, die Frau des Eisenschmiedes von gegenüber, kam ihr entgegen. Sie warf Figen einen abschätzigen Blick zu. »Mörderin!«, fauchte sie im Vorbeigehen.

Figen blieb stehen und sah der Nachbarin fassungslos nach. Sie wollte etwas erwidern, doch die Worte blieben ihr in der kratzigen Kehle stecken. Frau Denntzer spazierte erhobenen Hauptes davon und warf ihr einen weiteren verächtlichen Blick über die Schulter zu, bevor sie im Hofeingang verschwand.

Glaubten die Bürger Kölns, sie hätte Bechtolt umgebracht? Wie schnell wurde das verleumderische Gassengeschwätz zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung! Dann war es nicht mehr weit, bis der Erste sie bei der Obrigkeit denunzierte.

Figen zog den Mantel enger um sich und lief geschwind weiter. Nie könnte sie einen Menschen töten, niemals wollte sie anderen Angehörigen das Leid zufügen, das sie selbst hatte durchleben müssen. Jahrelang hatte das Bild ihrer erblassten Mutter sie bis in ihre Träume verfolgt, und nun war es Bechtolts seelenloses Gesicht, das sie in der Nacht heimsuchte. Sie erschauderte, wollte an etwas anderes denken, hoffte, Seitz würde sie aufheitern.

Am Haus der Rosenbergs öffnete ihr die Mutter. »Ihr sucht meinen Sohn Seitz, nehme ich an.« Sie zwinkerte ihr zu.

»Ja«, sagte Figen und blickte zu Boden. Die Frau konnte ihr wirklich direkt ins Herz sehen.

»Komm. Er ist in der Werkstatt.«

Figen folgte ihr durch einen dunklen Gang in den hinteren Teil des Hauses. Schon im Flur roch es nach Holz und Talgkerzen. Als sie den Arbeitsraum betraten, war sie beeindruckt von den Dutzenden Laternen, die in einer Reihe an den vier Wänden hingen. Sie sahen alle unterschiedlich aus, einige waren aus Metall, andere aus Holz, einige leuchteten hell, andere spendeten nur wenig Licht. In jeder zweiten brannte eine Kerze. Noch nie hatte Figen einen Raum so hell erleuchtet gesehen. Die Rosenbergs mussten sehr reich sein, wenn sie es sich erlauben konnten, so viele Kerzen gleichzeitig brennen zu lassen.

Seitz sah auf und lächelte breit. »Figen, was für eine Überraschung! Wollt Ihr mir bei der Arbeit zusehen?« Er nahm ihre Hand und zog sie zu seinem Platz. Er trug eine eng anliegende Strumpfhose und darüber ein Leinenhemd, dessen Verschnürung offen war und einen Blick auf seinen muskulösen Oberkörper freigab. Figen zwang sich, nicht hinzustarren, und fühlte die Hitze in sich aufsteigen.

»Euch muss man wohl alleine lassen«, sagte seine Mutter und verließ schmunzelnd die Werkstatt.

Am anderen Ende des Raums schnitt ein jüngerer Bruder eine Hornplatte zurecht. Er hob kurz den Kopf und stellte sich als Georg vor.

»Seht her«, sagte Seitz. »Das wird der Boden der Laterne.« Er hielt ihr einen hölzernen Kreis hin. »Und das die Oberseite.« Ein zweiter Kreis mit einem Loch darin lag auf der Werkbank. Figen schob mit dem Schuh ein paar Sägespäne zur Seite und trat näher heran.

Seitz zeigte ihr, wie er die beiden kreisförmigen Holzstücke für eine runde Laterne mit Stäben zusammenstecken wollte. »Hier werde ich die Hornplatten befestigen«, erklärte er.

Welch ein glückliches Geschick, dass sich aus Holzkanten und Hornplatten ein Gebilde formen ließ, das den Wind ausschloss und das Licht hinauswarf. Damit ließ sich bei Dunkelheit der Weg in den Garten leuchten, falls sie ein paar Kräuter für eine Suppe vergessen hatte, ohne dass ein Luftzug die Flamme auspusten würde. Doch woher sollte sie das Geld für eine Laterne nehmen?

»Wenn die Bruderschaft auf der nächsten Versammlung zustimmt, werde ich bald wieder als Geselle zugelassen.« Seitz strahlte übers ganze Gesicht. Dann wäre er wieder vollends in das bürgerliche Leben Kölns aufgenommen.

Nach der Verbrennung von Luthers Schriften vor zwei Jahren auf dem Domhof war der Kampf gegen Luther ein geistiger in Form des gedruckten Wortes geworden. Der Inquisitor Hochstraten hatte dieses Jahr ein Buch herausgebracht, in dem er die lutherischen Irrtümer aufzuzeigen glaubte. Außerdem verhöhnten zahlreiche Flugschriften Luther und riefen die Bevölkerung zur kirchentreuen Haltung auf. Aber es tauchten auch immer wieder Flugblätter auf, die nach lutherischer Gesinnung die Kirche und den Papst als teuflisch darstellten. Nach Seitz’ Verbannung war niemand mehr an den Pranger gestellt worden. Ein gutes Zeichen für ihre Entscheidung, Luthertexte als Lehrmaterial zu nutzen.

»Und wann werdet Ihr die Meisterprüfung ablegen?«, fragte sie.

»Puh!« Er pustete sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Er trug die Haare heute offen, sie reichten ihm bis über die Schultern. »Ich muss noch fünf Jahre als Geselle arbeiten.«

»So lange?« Ihr Herz sank. Als Geselle würde er nicht heiraten können. Aber was machte sie sich darum überhaupt Gedanken? Als ältester Sohn des Hauses würde er keine Magd heiraten können, die als Waise vom Lande gekommen war. Vor allem, wenn er gesellschaftlich gerade wieder aufstieg, in den Gesellenstatus zurückkehren konnte und seine Ketzerei langsam in Vergessenheit geriet.

Seitz nickte ernst. »Ich habe vier Jahre verloren, als ich bei meinem Oheim auf dem Lande bleiben musste. Aber Ihr seid doch sicherlich nicht gekommen, um mich nach meiner Meisterprüfung zu fragen.« Er hob die Augenbrauen und sah Figen verschmitzt an.

Sie schüttelte den Kopf. »Die Schulstube ist fertig, und ich möchte bald mit dem Unterricht beginnen.«

»Wunderbar. Wann soll ich meine Schwestern schicken?« Er grinste breit. Wie sie seinen Enthusiasmus liebte!

»Sie werden als Erste in meinen Bänken sitzen. Aber …« Figen atmete tief durch. »Es sollten noch weitere Mädchen zum Unterricht erscheinen. Und Ihr wolltet doch … also in der Versammlung …«

Er zwinkerte ihr zu. »Macht Euch darum keine Gedanken. Heute Abend treffe ich mich mit ein paar Freunden in einem Bierzapf und werde –«

Die Tür sprang auf und knallte an die Wand. Herr von Rosenberg rauschte herein und warf ihnen einen vernichtenden Blick zu. »Was macht ein Weib in der Werkstatt?« Er war ein stattlicher Mann, hatte die gleichen braunen Haare wie Seitz und eine große, spitze Nase, die sein Sohn Gott sei Dank nicht geerbt hatte.

»Wir sind schon weg.« Seitz machte ihr mit einer Kopfbewegung deutlich, dass sie ihm folgen sollte. Sie verließ mit ihm die Werkstube.

»Drück dich nicht vor der Arbeit. Ich erwarte dich umgehend zurück«, rief sein Vater ihnen in ärgerlichem Ton hinterher.

Seitz brachte sie zur Tür. »Beachtet ihn nicht! Ihn plagt ein raues Gemüt.«

Sie nickte. »Bitte denkt dran, wenn Ihr Euren Freunden von meiner Schule erzählt, dass ich Luthertexte –«

»Selbstverständlich.« Er beugte sich zu Figen hinunter, sodass sie seinen Atem an ihrem Hals spüren konnte. Sie hielt die Luft an. »Darum nenne ich sie Freunde«, sagte er in verschwörerischem Ton. »Ich werde Euch nicht den Leibhaftigen in die Schule schicken.« Er richtete sich auf und lächelte sie an.

Figens Herz machte einen beschwingten Satz. Ach, könnte sie doch nur die Tochter einer angesehenen Bürgersfamilie sein!

Das Geheimnis der Reformatorin

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