Читать книгу Yasirahs Erbe - Letzte Zuflucht - Bettina Lorenz - Страница 7
Heimkehr
ОглавлениеGenauso heimlich, still und leise wie sie Fort Kain verlassen hatten, kamen Celina und die Laurents in einer nebeligen, eiskalten Nacht wieder zuhause an.
Naja! Zumindest ist es der Ort, der einem Zuhause am nächsten kommt, dachte Celina bei sich, als sie mit Aarons Wagen das große, schmiedeeiserne Tor zu Laurent Manor passierten.
Laut der Absprachen, die sie mit Samuel und den Anderen getroffen hatte, würde sie in den nächsten Wochen sicher kaum mehr von ihrer Heimat zu sehen bekommen, als den Wohnsitz ihrer neuen Familie.
Das war auch der Grund dafür, dass sich bei Celina keine wirkliche Freude über ihre Heimkehr einstellen wollte.
Sie hatte es bereits geahnt, als sie Anne am Telefon einbläuen sollte, dass niemand von ihrer Rückkehr erfahren durfte und doch war sie sehr enttäuscht, als Samuel ihr eröffnete, dass sie ihr altes Zuhause erst einmal nicht aufsuchen durfte, weil das Risiko unkalkulierbar wäre. Anne hatte sich widerwillig darauf eingelassen. So langsam schien es ihr dann doch alles zu viel zu werden und die Zeiten, in denen Celina zu ihr nur Vertrau mir sagen musste und sie dann einfach alles so hinnahm, steuerten unaufhaltsam auf ihr unvermeidbares Ende zu. Noch mehr verdeutlicht wurde Celinas Annahme durch den lauten Protest ihrer besten Freundin, als sie darum gebeten wurde, sie erst einmal nicht zu besuchen. Das eine hatte sie ja gerade noch so hingenommen, aber diese Bitte war in ihren Augen einfach nur idiotisch. «Was soll denn der Blödsinn? Willst du mir jetzt etwa durch die Blume sagen, dass du glaubst, dass ich dir in irgendeiner Art und Weise gefährlich werden könnte», hatte sie schnippisch gefragt und Celina fehlten im ersten Moment wirklich die Worte. Die Frage war ja schon fast lächerlich und wieder ärgerte sie sich über Samuel, der diese dumme Bedingung gestellt hatte. Deshalb stotterte sie verlegen: «Niemals! Natürlich nicht, aber…aber es wäre doch sehr verdächtig, wenn du zu den Laurents fahren würdest, obwohl doch angeblich niemand hier ist!» Kurze Zeit herrschte eisernes Schweigen zwischen Celina und Anne, doch dann antwortete ihre beste Freundin: «Lass das mal meine Sorge sein. Wer sollte mir schon folgen oder mitbekommen, wohin ich fahre?»
Wir sehen uns, war das Letzte, was Celina hörte, bevor ganz plötzlich aufgelegt wurde und die Diskussion damit beendet war.
Dämonen, Werwölfe oder die Hölle selbst, hatte sie nur traurig gedacht, während das Tuten des Telefons im Gleichklang mit ihren Kopfschmerzen pulsierte.
Irgendwann würde Anne die Wahrheit einfordern und was sollte sie ihr dann bloß sagen?
Auch nach all den Monaten klang es sogar für sie teilweise noch so grotesk und wäre der Mann an ihrer Seite nicht ein leibhaftiger Vampir und sie wüsste nichts von ihrer elfischen Abstammung, würde sie wahrscheinlich lachen, wenn jemand käme und sie damit konfrontieren würde.
Aber leider war dem nicht so.
Für sie war diese mystische Welt nur allzu real und als ob man ihr dies immer wieder aufs Neue beweisen müsste, huschte Kara genau in diesem Augenblick mühelos in übermenschlicher Geschwindigkeit mit drei schweren Reisekoffern beladen an der Windschutzscheibe von Aarons Wagen vorbei. Celina schüttelte nur stumm den Kopf, als die hübsche Vampirin ihr ein freches Lächeln zuwarf, bevor sie die Haustür öffnete und ins Haus flitzte.
«Ist alles okay bei dir», fragte Aaron leise und die Sorge stand ihm, wie in den letzten Wochen schon viel zu oft, in sein viel zu attraktives Gesicht geschrieben.
Von Nein, gar nichts ist okay bis zu einem absoluten Heulkrampf wäre Celina alles als Antwort passend erschienen, aber sie entschied sich lieber für eine unverfängliche Variante, weil ihr einfach die Kraft zu mehr fehlte.
«Da hat’s aber jemand eilig», versuchte sie zu scherzen, obwohl sie ganz genau wusste, dass er sie durchschaute.
Natürlich tat er das!
Sie konnte es seinem leicht gequälten Gesichtsausdruck entnehmen, aber auch er vertagte das Thema erst einmal.
«Lass uns reingehen und dann sehen wir weiter!»
Celina nickte nur und stieg aus. Nachdem sie sich ausgiebig gestreckt hatte, nahm sie Aarons Hand und gemeinsam betraten sie das Haus.
Zu ihrer Überraschung befand es sich in einem ganz anderen Zustand als sie erwartet hätte. Nach ihrer immerhin zweimonatigen Abwesenheit hatte sie eigentlich damit gerechnet, dass sich eine dicke Staubschicht über die Möbel gelegt haben müsste, aber in Wirklichkeit war das Haus immer noch genauso strahlend sauber, wie an dem Tag an dem sie es verlassen hatten.
«Habt ihr fleißige Hausgeister, die für euch putzen», fragte sie verdutzt.
Jetzt konnte Aaron sich ein kleines Lachen doch nicht verkneifen.
«Nicht ganz, aber so ähnlich. Wir haben halt auch unsere Leute, die sich um das Anwesen kümmern, wenn wir mal nicht da sind. Da so etwas häufiger vorkommt, ist das schon notwendig.»
«Was soll das heißen: So etwas kommt häufiger vor?»
Jetzt wirkte Aaron leicht verlegen.
«Nun ja, schon. In den letzten Monaten zwar nicht, aber davor passierte es schon öfter mal, dass das Haus für mehrere Wochen unbewacht geblieben wäre, wenn sich niemand anders darum gekümmert hätte.»
Celina gab einen Laut der Missbilligung von sich, ließ Aaron einfach stehen und marschierte auf direktem Weg ins Wohnzimmer.
Aaron folgte ihr. Er war sichtlich irritiert und brachte das jetzt auch zum Ausdruck:
«Kannst du mir bitte mal erklären, was eigentlich los ist? Deine Gedanken hältst du ja anscheinend vor mir verschlossen und mit mir reden möchtest du auch nicht…»
Jetzt war es Celina, die ihn verwirrt ansah:
«Ich halte gar nichts verschlossen. Ich ärgere mich nur.»
«Über mich?»
«Nein, über diese ganze blöde Situation. Wie soll das denn bitte die nächsten Wochen laufen? Soll ich mich hier wie eine Gefangene fühlen?»
Sie hatte Aaron noch nie so betroffen dreinblicken gesehen.
«Nein, natürlich nicht. Du kannst jederzeit raus gehen, wenn du es möchtest. Es wäre nur gut, wenn dich niemand sehen würde und deshalb müssen wir vorsichtig sein. Wir können nicht einschätzen, wie viele Späher Ammon da draußen hat. Noch weiß er hoffentlich nichts von deiner Existenz und deshalb ist Achtsamkeit geboten. Hier will dir doch keiner etwas tun und ich möchte auf keinen Fall, dass du unglücklich bist», sagte er beschwichtigend und kam vorsichtig ein paar Schritte näher.
Schnell ging sie auf ihn zu und warf sich ihm an die Brust.
«Es tut mir leid. Ich weiß, dass ihr mir nichts Böses wollt, aber ich hab so langsam das Gefühl, dass ich durchdrehe.»
«Aber warum sagst du mir das nicht einfach? Wir hätten es doch sofort klären können, wenn du nur ein Wort gesagt hättest. Keiner will dich hier wie eine Gefangene behandeln.»
«Aber Samuel hat gesagt, dass ich Anne nicht sehen darf und jetzt erzählst du mir, dass ihr Leute habt, die theoretisch auch wissen müssten, dass ihr wieder zurück seid. Das find ich unfair. Die tratschen das doch sicher auch aus. In einer Kleinstadt bleibt nichts geheim.»
Aaron zuckte zusammen und erwiderte dann kleinlaut:
«Ich glaube kaum, dass sie irgendwem etwas erzählen werden. Sie kommen nicht aus Fort Kain und Kara hat sie so manipuliert, dass sie kein Wort über ihre Tätigkeit hier verlieren. Sie bekommen immer pünktlich ihr Geld und unsere Geheimnisse sind bei ihnen absolut sicher. Du möchtest doch sicher nicht, dass wir mit Anne dasselbe machen?»
«Untersteh dich…»
«Natürlich würde ich das nicht tun», warf Aaron schnell ein und sie entspannte sich wieder.
«Ich wollte dir ja nur verdeutlichen, dass es nicht dasselbe ist.»
«Aber Anne hat gesagt, dass sie zu mir kommt und es ihr egal ist, was irgendwer davon hält. Es darf ihr keiner etwas tun. Auch David nicht… um genauer zu sein: Besonders David nicht! Versprich es mir.»
«Auch das hättest du mir einfach nur sagen müssen. Natürlich darf sie zu dir kommen und niemand wird ihr etwas tun. Ich schwöre es bei allem was mir lieb ist. Sie ist absolut vertrauenswürdig und ich fand Samuels Vorschlag von Anfang an, entschuldige den Ausdruck, bescheuert. Aber du musst es ihm nachsehen. Er hat Menschen noch nie wirklich vertraut. Er findet sie zu selbstsüchtig und selbstzerstörerisch veranlagt. Ich hatte mich schon gewundert, dass du sein Anliegen einfach so hingenommen hast.»
«Ich wusste nicht, was ich machen soll. Er hat ja Recht, wenn er sagt, dass wir kein Risiko eingehen dürfen und deshalb habe ich nicht widersprochen.»
«Ich weiß, dass es gerade sehr schwierig ist, aber du musst deshalb nicht alles hinnehmen. Es gibt Dinge, denen man nicht entrinnen kann, aber ich möchte niemals sehen, dass du einfach aufgibst. So bist du doch gar nicht. Glaub mir, ich muss es wissen. Immerhin war ich derjenige, der tatenlos zusehen musste, wie du dich gegen einen Werwolf gestellt hast. Du bist stark und ich habe noch keine Situation erlebt, mit der du nicht klargekommen bist. Ergib dich bitte jetzt nicht so einfach…»
Seine Worte waren ein einziges Flehen und Celina wusste, dass er sie nicht nur im Bezug auf ihr gerade geführtes Gespräch meinte. Wenn man es ganz genau nahm, waren sie eigentlich schon längst überfällig gewesen. Seit Wochen hatte er sich angesehen, wie sie immer mehr in einer Tatenlosigkeit versunken war, die sie selbst nicht von sich kannte.
Wann genau war sie eigentlich so wehleidig geworden? Schrecklich!
Noch immer sah Aaron sie bittend an, aber sie schaffte es nicht, ihm zu antworten, weil sich ihr Mund staubtrocken anfühlte und sie auch nach dem hundertsten Versuch zu Schlucken keinen einzigen Ton herausbrachte. Das Einzige, was ihr gelang, war ein müdes Nicken.
Zum Glück schien ihm das zu reichen:
«Ich wollte es dir ja nur nochmal gesagt haben. Ich glaube an dich. Immer! Und jetzt mal was anderes, auch wenn es gar nicht passt: Der Kühlschrank müsste gut gefüllt sein. Ich werde jetzt kochen und du wirst es aufessen. Ich lasse auch keine Widerrede gelten! Deine Essgewohnheiten in letzter Zeit gehen ja wohl keinen Meter. Also mit wenig bis gar nichts essen kann man keinen Krieg gewinnen.»
Tatsächlich hatte Celina es wieder einmal geschafft, den ganzen Tag keinen Krümel Nahrung zu sich zu nehmen. Sie hatte es auf ihre Nervosität geschoben, aber jetzt war sie sich nicht mehr sicher, ob das der einzige Grund gewesen war. Aarons Plan, sie abzulenken, ging in der Tat auf:
«Ist ja schon gut, aber eins wollte ich dir noch sagen: du bist nicht meine Mutter!»
Anzüglich zog er die rechte Augenbraue nach oben und zwinkerte ihr zu.
«Wohl eher nicht! Aber wenn du möchtest, können wir sie gerne anrufen und sie fragen, was sie davon hält», konterte er dann frech.
Jetzt war er wieder ganz der Alte. Noch während er das sagte, griff er in seine Hosentasche und zog sein Handy heraus, aber sie ging zu ihm und riss es ihm mit den Worten Denk nicht mal dran aus der Hand.
Als sie eine Stunde später in der Küche saßen und Celina gerade den letzten Bissen gierig verschlang, betrat Cyrus durch eine Seitentür den Raum. Pfeifend schwang er sich auf den Küchentresen.
«Während ihr hier gemütlich speist, hab ich mich mal draußen umgesehen. Es waren tatsächlich Werwölfe im Wald, aber sie haben sich anscheinend nicht aufs Grundstück gewagt.»
Celina wäre fast das Essen im Hals stecken geblieben, aber der Vampir sprach unbeirrt weiter:
«Ist halb so wild. Die Spuren sind schon mehrere Wochen alt. Frische hab ich nicht gefunden!»
Die ganze Zeit wirkte er absolut entspannt und Celina platzte fast der Kragen, als sie sich vom ersten Schock erholt hatte:
«Unglaublich!»
«Find ich auch. Dass diese Drecksköter sich auch nur in die Nähe unseres Grundstücks trauen, ist eine absolute Frechheit…»
«Nicht die! Du bist unglaublich! Wie kannst du nur so ruhig bleiben, während du solche Hiobsbotschaften verkündest und übrigens, nur falls es dir noch nicht aufgefallen ist: ich esse hier gerade», beschwerte sie sich, aber er grinste sie nur an.
«Schön für dich!»
Gekünstelt schob sie den leeren Teller von sich und verschränkte die Arme.
«Und nun?»
Cyrus war noch immer die Ruhe in Person.
«Jetzt bleibt mal ganz ruhig. Es war doch fast klar, dass sie sich hier herumtreiben würden. So wie’s aussieht, waren sie dabei nicht gerade geduldig. Was soll’s? Manche Sachen ändern sich halt nicht und Warten war ja noch nie ihre Stärke…»
Celina unterbrach ihn schnell, bevor er sich wieder einmal in eine seiner alle-Werwölfe-gehören-verboten-Reden hineinsteigern konnte.
«Ich hab wirklich keine Lust schon wieder wegzulaufen. Also was machen wir jetzt», wollte Celina von ihm wissen und wappnete sich schon innerlich für die nächste Flucht, aber die Antwort fiel dann doch ganz anders aus, als sie erwartet hatte:
«Ist doch ganz einfach! Hier bleiben und kämpfen! Sollen die Viecher doch kommen. Ich bereite ihnen gerne einen gebührenden Empfang und wenn es das Letzte ist, was ich tue.»
Während Cyrus das sagte, ließ er nur einen winzigen Augenblick seine wahre Natur blicken, aber es reichte, damit sich Celina die Nackenhaare aufstellten. Es gefiel ihr auch nicht, wie hoffnungsvoll und selbstzerstörerisch die Worte aus seinem Mund klangen. Noch bevor sie beginnen konnte, sich ernsthafte Sorgen um Cyrus machen zu können, trug sein Gesicht schon wieder die anmutige, engelsgleiche Maske, die er stets zur Schau stellte. Fragend sah er sie an.
Sie seufzte nur erleichtert.
Erst jetzt war ihr klar geworden, wie sehr sie das Versteckspiel in den letzten Monaten belastet hatte und dass es jetzt endlich ein Ende nehmen würde.
Dann sollen sie halt kommen. Ich werde sicher nicht kampflos aufgeben. Die Wölfe haben keine Ahnung, worauf sie sich da einlassen…
Sofort regte sich der Kampfgeist in ihr, den sie in den letzten Wochen schon fast verloren geglaubt hatte. Egal was passieren würde, sie würde bereit sein!