Читать книгу Yasirahs Erbe - Letzte Zuflucht - Bettina Lorenz - Страница 9

Auseinandersetzungen

Оглавление

Als sie gegen zwei Uhr mittags endlich zum Anwesen zurückkehrten, hatte Celinas Laune gerade ihren Tiefpunkt erreicht. Cyrus hatte sie mehr als vier Stunden durch den Wald gejagt und ihr währenddessen nur immer wieder erklärt, dass sie zum Scheitern verurteilt wäre, wenn sie nicht schnellstmöglich etwas an ihrer Einstellung ändern würde.

Vielleicht sollte er mal ganz dringend an seiner Einstellung arbeiten?

Auch Aarons Anblick konnte sie nicht von ihren düsteren Gedanken befreien.

Er brauchte nicht zu fragen, ob irgendetwas nicht stimmte.

Ihr Blick sprach Bände und als Cyrus sich nur mit einer entschuldigenden Geste ins Innere des Hauses flüchtete, musste er nur zwei und zwei zusammenzählen.

«Was hat er gemacht? Ich schwör dir, dass ich ihn umbringen werde», fragte er gefährlich leise und war schon drauf und dran seinem Bruder zu folgen.

Eine Aura von unbändiger Kraft und Dunkelheit umgab ihn.

Es war anziehend und abschreckend zugleich, ihn so zu sehen.

Überrumpelt von seiner heftigen Reaktion, blieb Celina einen kurzen Augenblick wie erstarrt stehen. Er hatte schon fast die Tür erreicht, als sie sich endlich gesammelt und ihn eingeholt hatte.

Sie trat vor ihn und legte ihm sanft die Hand auf die Brust um ihm Einhalt zu gebieten. Allein ihre Berührung reichte aus, um ihn innehalten zu lassen, aber sein Blick war starr auf die Tür gerichtet und sie wusste sofort, dass sie ihn davon abhalten musste, diese zu durchschreiten, wenn sie Schlimmeres verhindern wollte.

Seine Augen waren dunkel, fast schwarz, und er atmete heftig.

Nie zuvor hatte sie ihn so erlebt.

Die zweite irrationale Reaktion an nur einem Tag. Der Grund dafür lag auf der Hand: Ein Kampf stand bevor und über Nacht hatten sich anscheinend alle in Nervenbündel verwandelt.

Ein Haus voller nervöser und angriffslustiger Vampire?

Tolle Aussichten!

Das hat mir gerade noch zu meinem Glück gefehlt, dachte sie entnervt und redete dennoch beschwichtigend auf Aaron ein:

«Er hat nichts getan. Ehrlich nicht. Du kennst ihn doch. Er versucht nur, mir zu helfen und mich dazu zu bringen, mein Bestes zu geben. Das kannst du ihm doch jetzt nicht wirklich übel nehmen?»

«Es hat ihn aber keiner gebeten, unfreundlich zu dir zu sein. Ganz im Gegenteil! Ich dachte eigentlich, dass ich klar und deutlich zum Ausdruck gebracht hätte, dass sie sich alle zusammenreißen und nett zu dir sein sollen. Ich wusste schon, warum ich nicht wollte, dass er mit dir allein geht. Von wegen: Ich würde dich nur ablenken und vom Training abhalten.»

Noch immer war er aufgebracht und Celina wusste sofort, dass jetzt nur noch eine Taktik helfen würde. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen sagte sie sanft:

«Aber das hättest du doch auch. Ich bin öfter abgelenkt, wenn du in der Nähe bist.»

Und natürlich verfehlten die Worte ihre Wirkung nicht. Sofort wurde sein Blick klarer, seine Miene hellte sich auf und er zog sie lachend in seine Arme.

Männer!, dachte sie amüsiert und verdreht die Augen.

Um jedoch sicher zu gehen, dass das Donnerwetter nicht nur kurz vorüber gezogen war, fügte sie hinzu:

«Versprich mir, dass du nett zu Cyrus bist. Er hatte wirklich nichts Böses im Sinn.»

Sie konnte sehen, dass er ihr widersprechen wollte, aber sie fixierte ihn mit einem unnachgiebigen Blick.

«Schwöre es!»

Jetzt war es an Aaron die Augen zu verdrehen, aber letztendlich gab er nach:

«Okay, okay. Wenn du es so möchtest? Ich kann dir doch sowieso keinen Wunsch abschlagen.»

«Da hast du wohl Recht. Jetzt sei schön brav und gib mir einen Kuss.»

Sein Lächeln war entwaffnend und ihr blieb die Luft weg, als sich seine Lippen auf ihre senkten.

Da war er wieder!

Der Mann, den sie so bedingungslos verfallen war und so dringend an ihrer Seite brauchte.

Sie hatte im Augenblick wahrlich genug andere Probleme und wollte sich nicht auch noch mit Aarons düsterer Seite herumschlagen müssen.

Es war das erste Mal, seit sie ihn kannte, dass diese in ihrem Beisein zum Vorschein gekommen war und sie hoffte inständig, dass es auch das letzte Mal sein würde.

Jetzt stand er vor ihr und sah so umwerfend aus, dass es sie fast vergessen ließ, was noch vor wenigen Sekunden vorgefallen war.

«Was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag», fragte er leise, während ein sanftes Lächeln seine Lippen umspielte.

Am liebsten hätte Celina gesagt, dass sie gar nichts möchte, aber das hatte schon bei Marie immer nicht funktioniert und Aaron würde sich sicher auch nicht damit zufriedengeben.

Aber vielleicht mit dieser Antwort:

«Eigentlich habe ich alles, was ich mir schon immer gewünscht habe!»

Während sie das sagte, umarmte sie ihn und legte ihren Kopf an seine Brust.

Er drückte sie fest an sich, küsste ihr Haar und bohrte dann aber trotzdem weiter:

«Ich fühle mich mehr als geehrt, aber was wünschst du dir sonst noch?»

«Nichts, was man mir geben könnte.»

Der Satz war ihr einfach so herausgerutscht. Verlegen begegnete sie seinem fragenden Blick und antwortete traurig:

«Ich weiß, dass es unter den jetzigen Umständen unmöglich ist, aber wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es ein bisschen Sonnenschein und Wärme.»

Sie sah, wie es in seinem Kopf arbeitete und nach wenigen Sekunden lächelte er ihr vielsagend zu.

Genau in diesem Moment klingelte ihr Handy.

Pech gehabt! Ganz falscher Zeitpunkt, dachte sie genervt und versuchte das Geräusch einfach zu ignorieren.

Aber Aaron grinste sie an und schüttelte den Kopf.

«Du bekommst kein Wort aus mir heraus. Es soll eine Überraschung werden.»

Sie rollte mit den Augen, zog das störende kleine Ding aus ihrer Jackentasche und schaute aufs Display. Es war Anne.

«Hi. Maus. Ich bin’s. Ich möchte dich unbedingt sehen. Ich komm jetzt zu dir. Bis gleich!»

Noch bevor Celina zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte Anne schon wieder aufgelegt.

Kopfschüttelnd sah sie Aaron an, aber er grinste immer noch und zuckte nur mit den Schultern.

«Es war doch klar, dass sie es nicht lange aushalten würde. Ich geh dann mal die Anderen vorwarnen, dass sie sich gefälligst normal zu benehmen haben. Soweit dies überhaupt möglich ist. Am besten wird es sein, wenn ihr einfach nach oben geht, damit ihr euch in Ruhe unterhalten könnt. Ich werd Cyrus mal einen Besuch abstatten.»

Besorgt sah sie ihm nach.

«Keine Angst. Ich beiß ihn nicht», witzelte er und war schon verschwunden.

Nur fünfzehn Minuten später fuhr Anne auf den Hof.

Mit großen Augen stieg sie aus ihrem Wagen und betrachtete das Haus. Celina musste ähnlich ausgesehen haben, als sie zum ersten Mal Laurent Manor erblickt hatte und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass Anne tatsächlich noch nie hier gewesen war.

Noch bevor es klingelte, öffnete sie die Tür und nur wenige Sekunden später schloss sie die quirlige Person, die ihre beste Freundin war, mit einem breiten Grinsen in die Arme.

Wochen war es her, dass sie sich zuletzt gesehen hatten und damals war noch nicht einmal klar gewesen, ob sie sich überhaupt wiedersehen würden, auch wenn sie immer darauf gehofft hatte.

«Ich wusste ja, dass seine Familie Geld hat und das Aaron dein Traumprinz in Rüstung auf einem weißen Pferd ist, aber dass er in einem halben Palast lebt, hattest du mit keinem Wort erwähnt», begrüßte Anne sie fröhlich.

Ach wie sehr hatte Celina das vermisst!

Ihr kleines bisschen Normalität in ihrer neuen Welt des Übernatürlichen. Ohne die Telefonate, die sie mit Anne geführt hatte, hätte sie die letzten Wochen kaum überstanden, ohne dabei dem Wahnsinn zu verfallen und dafür war sie ihr unendlich dankbar.

Sie schaffte es einfach nicht, ihre Gefühle in Worte zu fassen und deshalb war ein leises Hi auch alles, was sie in diesem Moment zustande brachte. Anne musterte sie nur einmal von oben bis unten und schon wich ihre Fröhlichkeit einem sorgenvollen Blick. «Du siehst schrecklich aus. Geben sie dir hier nichts zu essen? Und wann hast du eigentlich zum letzten Mal geschlafen?» «Es ist alles okay. Mir geht es gut. Die letzten Wochen waren nur ein bisschen…naja, du weißt schon…anstrengend», gab Celina kleinlaut zu. Sie versuchte krampfhaft Annes prüfenden Blick auszuweichen, um nicht zu viel preisgeben zu müssen. Noch bevor Celina in die Verlegenheit kam, sich weiter erklären zu müssen, rettete Anne die Situation: «Naja, lass uns erst mal reingehen. Wir können ja drinnen weitersprechen. Hier draußen ist es echt ein bisschen zu kalt für solche Gespräche. Oder darfst du mich nicht hereinbitten?» Misstrauen klang in ihrer Stimme mit und sie warf einen unsicheren Blick in den Flur, aber es war niemand zu sehen. «Natürlich kannst du reinkommen. Musst du sogar! Wir haben uns schließlich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gesehen und wir haben viel zu besprechen», erwiderte Celina schnell und versuchte damit Annes Anspielung auszuweichen. Ob es funktionierte, konnte sie noch nicht so genau sagen, aber zumindest schien Anne erst einmal zufrieden zu sein und betrat, sichtlich erleichtert, das Haus. Nachdem Anne sich aus ihrem dicken Wintermantel geschält hatte, führt Celina sie kurz durch die untere Etage. Von ihrer neuen Familie war niemand in Sicht, was ihr sehr merkwürdig erschien, weil sich sonst immer irgendjemand unten aufhielt, wenn die ganze Familie zuhause war. Ein anerkennender Pfiff von Anne riss sie aus ihrem Gedanken, noch bevor sie sich wirklich zu wundern beginnen konnte. «Das ist mal ne Küche. Die ist ja riesig und top eingerichtet. So etwas will ich auch, wenn ich mal groß bin.» Typisch Anne! Immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. «Ja, Aarons Familie pflegt einen sehr teuren und sehr exklusiven Lebensstil. Es ist ein wenig gewöhnungsbedürftig», sagte Celina entschuldigend. «Das sieht man. Aber wer sich’s leisten kann…», stellte Anne fest, indem sie ihren Blick anerkennend über das Interieur schweifen ließ. Die Bibliothek ließ Celina bewusst bei ihrer kleinen Besichtigungstour aus, weil sie sich ziemlich sicher war, dass sie Samuel dort über den Weg laufen würden. Deshalb führte sie ihre beste Freundin dann auch direkt in die oberste Etage, die Aarons und mittlerweile auch ihr kleines Reich war. «Du kriegst die Tür nicht zu. Das nenn ich mal ein Fenster. Der Ausblick ist einfach fantastisch», war das Erste, was Anne sagte, als sie den großen, modern eingerichteten Raum betrat und die riesige Fensterfront erblickte, die auch Celina bei ihrem ersten Besuch hier bewundert hatte. Nachdem vor ein paar Tagen klar geworden war, dass sich Celinas Aufenthalt auf Laurent Manor länger hinziehen würde, hatte Aaron dafür gesorgt, dass der Raum zusätzlich mit einer großen weißen Ledercouch und einem kleinen Tisch ausgestattet wurde, die nun genau vor besagter Fensterfront standen. Sie sollten ihr die Möglichkeit geben, sich hierhin zurückziehen zu können, hatte Aaron ihr erklärt. Obwohl sie den Sinn zuerst nicht sehen wollte, war sie jetzt jedoch froh, dass er so weitsichtig gehandelt hatte. Zu ihrer Überraschung standen auf dem Tisch auch schon zwei Becher Kakao, ein großer Teller Kekse und andere Leckereien für sie bereit. Aaron musste alles hergebracht haben, als Celina Anne begrüßt hatte. Mit einen warmen Lächeln auf den Lippen setzte sie sich und auch Anne kuschelte sich sofort auf die Couch, nahm geistesabwesend einen der Kekse und begann daran zu knabbern. «Damit wäre dann wohl auch die Frage beantwortet, ob du hier genug zu essen bekommst. Obwohl? Vielleicht lassen sie es auch nur so aussehen, weil ich jetzt hier bin.» Anne biss sich auf die Zunge, aber es war leider zu spät. Die Worte waren raus, bevor sie ernsthaft darüber nachgedacht hatte. Erst jetzt wurde ihr klar, wie sehr sie Celina verletzen könnten und ihr blieb nichts anderes übrig, als sich zu entschuldigen und damit den Schaden zu begrenzen: «Sorry. War nicht so gemeint, aber ich fand es schon merkwürdig, dass du nicht nach Fort Kain kommen kannst und als du dann auch noch angerufen hast und meintest, dass ich dich nicht besuchen darf…» Celina sah sofort, in welche Richtung sich ihr Gespräch entwickelte und sie wusste, dass der Moment gekommen war. Annes Geduld war aufgebraucht und jetzt wollte sie Antworten. Antworten, die Celina nicht bereit war, ihr zu geben und doch hatte sie keine einzige Erklärung für ihr merkwürdiges Verhalten und ihr plötzliches Verschwinden in den letzten Wochen. Sie hatte immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde und doch erwischte es sie kalt. Warum nur war sie nicht besser vorbereitet? Sie hatte wochenlang Zeit gehabt, sich irgendeine Erklärung zurechtzulegen, die ihre beste Freundin beruhigen würde und doch hatte sie das nicht getan.

Warum nur nicht?, fragte sie sich jetzt und suchte fieberhaft nach Worten.

«Anne, bitte! Ich kann einfach nicht», stammelte sie leise und wich dabei ihren Blicken aus, als ob ihr Gegenüber die Wahrheit in ihren Augen lesen könnte.

Eine ganze Weile sagte keiner von beiden auch nur ein Wort, bis Anne es nicht mehr aushielt:

«Es gab Zeiten, da hast du mir alles erzählt. Seit wann hat sich das geändert und warum? Vertraust du mir nicht mehr?»

Sie sagte es unter Tränen und klang dabei so gequält, dass es Celina fast das Herz brach. Voller Entsetzen, dass ihre Freundin tatsächlich in dem Glauben war, dass sie ihr nicht mehr vertrauen konnte, setzte sie verzweifelt zu einer Erklärung an:

«Es ist wirklich nicht so, dass ich dir nicht mehr vertraue… Wie kannst du so etwas überhaupt nur denken? Es ist nur so, dass ich es dir einfach nicht erzählen kann. Du würdest es sowieso nicht glauben…»

Der letzte Satz war ihr einfach nur herausgerutscht und sie hörte, wie Anne scharf die Luft einzog, dann aufsprang und begann im Zimmer umherzuwandern.

«Das meinst du ja wohl nicht wirklich ernst. Hab ich dir schon jemals etwas nicht geglaubt? Wenn du mich verletzen willst, ist dir das tatsächlich gelungen. Wie kannst du nur? Nach allem was ich für dich getan habe…»

Wütend funkelte sie Celina an und diese sprang jetzt ihrerseits auf. Ganz langsam und mit erhobenen Händen ging sie auf Anne zu, blieb eine Armlänge entfernt stehen und sah ihr flehend in die Augen.

«Natürlich will ich dich nicht verletzen. Das würde ich nie tun, niemals», sagte sie ganz leise und dabei so eindringlich, dass an ihren Worten einfach kein Zweifel bestehen konnte, aber Anne war noch nicht fertig mit ihr:

«Aber warum verhältst du dich mir gegenüber dann so merkwürdig? Seit du mit Aaron zusammen bist, erkenn ich dich nicht wieder. Anfangs hab ich mich wirklich für dich gefreut, aber mittlerweile jagt mir die neue Celina eine Heidenangst ein und ich bin mir nicht sicher, ob ich mit ihr überhaupt noch etwas zu tun haben möchte.»

Mit offenem Mund und vor Schreck weit aufgerissenen Augen starrte ihre Freundin sie an und ihr tat sofort leid, was sie gesagt hatte, aber sie war so wütend und verzweifelt, dass sie sich einfach nicht mehr anders zu helfen wusste.

Die Worte trafen Celina hart und unvorbereitet. Sie hatte mit fast allem gerechnet, aber dass Anne sie tatsächlich vor die Wahl stellen würde, zu reden oder sie als Freundin zu verlieren, war wirklich das Letzte, was sie erwartet hatte.

Sie erkannte, dass sie jetzt nur noch zwei Möglichkeiten hatte: Entweder sie würde ihr die Wahrheit sagen oder sie würde im schlimmsten Fall demnächst wohl ohne ihre beste und einzige Freundin auskommen müssen.

Konnte sie ihr alles sagen und damit Gefahr laufen, dass Anne noch weiter in ihre düstere Welt mit hineingezogen wurde?

Annes Leben war so normal und in diesem schrecklichen Moment wünschte sie sich wirklich, dass sie dasselbe von sich behaupten könnte. Aber das Schicksal hatte andere Pläne mit ihr.

Pläne, aus denen sie ihre beste Freundin unter allen Umständen heraushalten musste. Egal, was es kosten würde.

Der Weg lag klar vor ihr und sie hatte sich bis jetzt einfach nur geweigert ihn zu gehen.

Sie hatte gar keine andere Wahl. Es hing zu viel davon ab und sicher war es für Anne sogar besser, wenn sie aus der Schussbahn geriet.

Der Gedanke war aber auch das Einzige, was sie an der ganzen Situation überhaupt noch trösten konnte und sie klammerte sich an den Glauben, dass es das Beste für alle Beteiligten wäre.

Wie ihr ganz persönliches Mantra sagte sie es sich immer wieder, während sie eine Entscheidung fällte.

Celina stand vor Anne wie ein in die Ecke gedrängtes Tier und diese hätte plötzlich so gern alles darum gegeben, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen und sie nur beruhigend in den Arm zu nehmen, bis der gehetzte und gequälte Blick aus ihren Augen verschwinden würde. Zu ihrem Bedauern war das aber nicht möglich. Sie hatte Dinge gesagt, die sich mit einer einfachen Umarmung nicht mehr rückgängig machen ließen.

Warum hatte sie bloß davon angefangen?

Jetzt konnte sie nur hierstehen und hoffen, dass sie nicht zu weit gegangen war.

Noch immer stand Celina wie zu einer Salzsäule erstarrt vor ihr und das Warten war einfach nur schrecklich.

Nach einer Weile, die ihr wie eine Unendlichkeit vorkam, begann Celina sich endlich wieder zu rühren. Sie atmete einmal ganz tief durch, schloss die Augen und als sie sie wieder öffnete, waren sie voller Trauer und Verzweiflung.

Bitte nicht! Sie wird sich doch nicht wirklich dafür entschieden haben, mir die Freundschaft zu kündigen, war der erste Gedanke, der Anne bei dem Anblick durch den Kopf schoss.

Ihr ganzer Körper begann zu zittern und Tränen stiegen ihr erneut in die Augen, als sie die Antwort bekam, von der sie wusste, dass sie ihr endgültig den Boden unter den Füßen wegreißen würde:

«Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die selbst ich nicht glauben würde, wenn ich sie nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, wie böse und gefährlich die Welt sein kann und das ist auch der Grund, warum ich dir nicht die Antwort geben kann, die du vielleicht gerne hören möchtest. Ich wünschte, es wäre anders, aber es geht einfach nicht. Das Einzige, was ich dir sagen kann, ist, dass Aaron und seine Familie mich nur beschützen wollen und dass es ohne sie in meiner Nähe einfach nicht mehr sicher ist. Ich würde alles darum geben, dir die Wahrheit sagen zu können, aber wenn ich das tue, bringe ich auch dich in eine zu große Gefahr und dafür bist du mir einfach viel zu wichtig. Ich würde dich gern bitten, einfach alles so hinzunehmen, wie du es bisher getan hast, aber ich weiß auch, dass ich das eigentlich nicht länger von dir verlangen kann. Du hast mir stets vertraut und ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn du es jetzt nicht mehr kannst. Ich liebe dich wie eine Schwester und ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich für alles bin, was du für mich getan hast, deshalb wäre es nur fair, dich gehen zu lassen. Es wäre das einzig Richtige, auch wenn es mir das Herz brechen würde. Danke, dass du immer für mich da warst und immer an mich geglaubt hast.»

Die Worte klangen leise, aufrichtig und voller Schmerz. Als sie Anne ansah, hatte sie Tränen in den Augen, aber sie sagte nichts weiter, drehte sich um und ging einfach davon.

Anne war so fassungslos, dass sie sie nicht einmal aufhielt.

War das gerade wirklich passiert?

Sollte das jetzt das Ende ihrer Freundschaft gewesen sein?

Eine Freundschaft die schon in Kinderschuhen begann und von der sie geglaubt hatte, dass nichts und niemand sie zerstören könnte?

Das Allerschlimmste daran war, dass es Anne selbst gewesen war, die das Ende herbeigeführt hatte. Oder?

Noch einmal ließ sie die ganze absonderliche Situation Revue passieren und kam zu dem Schluss, dass es tatsächlich so gewesen sein musste. Sie hatte Celina gedrängt und dabei alles auf eine Karte gesetzt. Mit wenig Erfolg, wie sie nun feststellen musste. Sie hatte alles verloren!

Ihre beste Freundin war weg und das nur, weil sie einfach nicht ihre Klappe halten konnte.

Was hatte sie bloß geritten?

Toll gemacht Anne! Ganz große Leistung! War das jetzt wirklich nötig, dachte sie bei sich und verstand die Welt nicht mehr.

Gleichzeitig fragte sie sich, was Celina so Schreckliches passiert sein musste, dass sie sich ihr einfach nicht anvertrauen konnte. Die wildesten Gedanken gingen durch ihren Kopf, aber sie kam einfach zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Fakt war, dass sie es gründlich verbockt hatte und sie jetzt vor den Scherben ihrer Freundschaft stand.

Ihr Atem ging schneller und schneller, als ihr die ganze Tragweite ihres Verhaltens bewusst wurde. Sie musste ganz dringend raus hier. Weg von diesem Ort!

Wie lange hatte sie eigentlich schon hier gestanden?

Sollte sie einfach gehen oder sollte sie Celina suchen und sich von ihr verabschieden?

Oder dich vielleicht einfach mal bei ihr entschuldigen, weil du so viel Mist gebaut hast, knurrte eine kleine, wütende Stimme in ihrem Kopf.

Es war ohne Zweifel ihr Gewissen, das sich zu Wort meldete. Völlig zu recht, wie sie sich leider eingestehen musste. Sie hatte nie gewollt, dass es so weit kommt, aber würde Celina ihr das verzeihen können? Sie entschied, dass sie erst einmal in Ruhe über alles nachdenken musste, bevor sie sich auf ein weiteres Gespräch mit ihrer ehemals besten Freundin einlassen konnte.

Schweren Herzens setzte sie ihre Füße in Bewegung.

Leise und unendlich langsam stieg sie die Treppe hinab.

Die Tränen nahmen ihr die Sicht und sie hatte das Gefühl, dass sie jeden Moment in tausend Teile zerspringen könnte, wenn sie auch nur eine zu hastige Bewegung machen würde.

Auf der letzten Stufe angekommen, versagten die Beine ihr den Dienst und sie musste sich hinsetzen. Den Kopf in ihre Hände gestützt, blieb sie einfach so sitzen. Anne fühlte sich um Jahre gealtert. Was hatte sie bloß getan?

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie etwas sanft an der Schulter berührte. Neben ihr saß ein wunderschönes, schwarzhaariges Mädchen und streichelte ihr jetzt sanft über den Rücken.

«Nana, so schlimm ist es nicht, alles wird wieder gut», sagte sie mit der samtenen Stimme eines Engels und sah sie dabei voller Mitleid an.

Zuerst konnte Anne sie nicht einordnen, aber dann fiel ihr ein, dass es sich bei der Person neben ihr sicher um eine von Aarons Schwestern handeln musste. Krampfhaft versuchte sie sich zu erinnern, ob Celina vielleicht irgendwann einmal ihren Namen erwähnt hatte.

Natürlich nicht! Sie hat mir ja fast gar nichts erzählt. Ich sollte schleunigst zusehen, dass ich von hier verschwinde, bevor ich mich noch komplett blamiere! Kann es etwas Schlimmeres geben, als neben einer Fremden zu sitzen und sich auszuheulen?

Sie wischte sich die Tränen weg und wollte gerade aufstehen, als das Mädchen abermals zu sprechen begann:

«Ich weiß, dass man eigentlich nicht lauschen sollte, aber ich kam nicht umhin deinen und Celinas Disput zu verfolgen», sagte sie leise und sah sie dabei prüfend an.

Soviel zum Thema „sich blamieren“…

Anne wurde sofort knallrot und stammelte:

«Entschuldige, bitte…Ich wusste nicht…Tut mir leid, wenn wir dich gestört haben.»

Ein glockenhelles Lachen erklang neben ihr und sie sah überrascht zu dem Mädchen hinüber.

«Mein Name ist übrigens Liza. Du hast überhaupt nicht gestört, aber ich würde gern mal mit dir reden.»

«Ah… Okay», stotterte Anne und erwartete sich nichts Gutes von diesem Gespräch.

Immerhin wusste sie, dass die Laurents Celina zu ihrer Familie zählten und sie sich jetzt sozusagen mit der Quasi-Schwägerin ihrer besten Freundin konfrontiert sah.

Ehemals beste Freundin, korrigierte sie sich selbst und bei dem Gedanken kamen ihr schon wieder fast die Tränen.

Doch bevor sie wieder zu weinen beginnen konnte, ergriff Liza erneut das Wort:

«Du darfst mich jetzt bitte nicht falsch verstehen, aber bevor du den Fehler machst und einfach so gehst, solltest du etwas wissen. Vielleicht verstehst du dann manches besser, als du es bisher getan hast…»

Liza legte eine bedeutungsschwere Pause ein und Anne sah sie verwundert an.

Sollte sie jetzt tatsächlich doch noch die Wahrheit erfahren?

«…wie Celina dir bereits gesagt, gibt es Dinge die du nicht wissen darfst…»

Natürlich nicht!

«…aber du musst verstehen, dass es überhaupt nicht in ihrem Ermessen liegt, dir davon zu berichten. Sieh dich nur um! Meine Familie hat alles, wovon man nur träumen kann- Geld und Macht und einen nicht ganz unerheblichen Einfluss… um nur einiges davon zu benennen. Aber wie jede Familie, haben auch wir Geheimnisse - Letztere hüten wir unter allen Umständen und mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Als Celina sich für Aaron entschieden hat, wurde sie automatisch zu einem Teil dieser Welt und als Mitglied unserer Familie hat sie, genau wie jeder andere von uns, gewisse Verpflichtungen, die sie unter gar keinen Umständen vernachlässigen darf.»

Anne war verwirrt.

Warum sprach Liza so geschwollen und was, um Himmels Willen, versuchte sie ihr hier eigentlich, so wage, wie sie sich ausdrückte, klar zu machen?

Sie konnte einfach nicht verstehen, was sie ihr mit ihrem ganzen Gerede über Geld, Macht und Geheimnisse sagen wollte.

«Aber was hat das Ganze denn mit Celina und meinem Problem zu tun», fragte sie verdattert und Liza schüttelte nur den Kopf.

«Du möchtest es nicht begreifen, oder? Muss ich es jetzt wirklich sagen?»

Anne fühlte sich angegriffen und ihr fiel in diesem Moment eine Menge ein, dass sie diesem überheblichen wir-sind-ja-ach-so-reich-Mädchen an den Kopf knallen wollte, aber das würde sie wahrscheinlich auch nicht näher an eine Lösung heranbringen. Sie hatte heute schon einmal einen Streit provoziert und war hoffnungslos gescheitert.

Letztendlich nickte sie einfach nur.

Liza rollte mit den Augen, aber sie gab ihr tatsächlich eine Antwort:

«Wer Teil dieser Familie sein möchte, ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das ist der Preis, den Celina zahlen muss, um mit Aaron zusammen sein zu können.»

Annes Augen weiteten sich vor Überraschung und noch ehe sie darüber nachdenken konnte, rutschte ihr heraus:

«Soll das jetzt heißen, dass sie eine Art Verschwiegenheitsvereinbarung mit euch hat und deshalb nicht mit mir reden kann? Wie unfair ist das denn? Ihr könnt doch nicht verlangen, dass sie mit niemanden mehr über ihre Probleme reden darf, nur damit sie mit dem tollen Aaron Laurent zusammen sein kann. Das meint ihr ja wohl nicht wirklich ernst…»

Sie wusste, dass ihre Worte beleidigend waren, aber es war ihr in diesem Moment total egal.

Erst als sie sah, wie Lizas Blick sich von einer Sekunde auf die andere verdunkelte, blieben ihr die Worte im Hals stecken und sie hielt die Luft an.

Wie kann jemand, der in einem Moment wie das Covergirl eines Hochglanzmagazins aussieht, plötzlich so gefährlich und bösartig wirken, hatte sie sich kaum gefragt, als Lizas Miene sich auch schon wieder aufgehellt hatte und sie wieder wie der Engel in Person neben ihr saß.

Ihre Stimme war immer noch glockenhell, aber ihre Worte klangen jetzt eiskalt und schneidend:

«Niemand hat gesagt, dass es fair ist, aber das sind die Bedingungen. Die Frage ist doch eigentlich, warum du dich darüber so aufregst? Celina hat von Anfang an akzeptiert, dass die Dinge nun mal so laufen und wenn du klug bist, nimmst du dir ein Beispiel an ihr. Das ist der Preis und Celina bezahlt ihn gerne, auch wenn es nicht immer leicht ist…oder siehst du das irgendwie anders?»

Natürlich sah sie das anders! Es stand außer Frage, dass Celina Aaron liebte und das hieß auch, dass es nur wenig gab, dass sie nicht für ihn tun würde.

Auch wenn sie dabei riskiert, dass sie ihre beste Freundin verliert, nur um sich an irgendeine hirnrissige Abmachung zu halten. Oh Celina, ich hoffe, dass er das wirklich wert ist und das er dich nie enttäuscht, dachte Anne bitter.

Liza riss sie aus ihren Gedanken, indem sie ihr abermals über den Rücken streichelte. Ihre Stimme war jetzt wieder samtweich:

«Anne? Ich kann mir vorstellen, dass das alles nicht leicht für dich ist, aber ich möchte dir jetzt einen Rat geben und ich hoffe, dass du genau zuhörst und ihn annimmst: Lauf nicht davon! Auch wenn sie jetzt mit Aaron zusammen ist, glaube ich, dass deine Freundschaft zu ihr ein wichtiger Eckpfeiler ihres Lebens ist. Sie kann dir zwar nicht mehr alles erzählen, aber ich denke, dass sie dich braucht.»

«Das sah aber eben ganz anders aus...»

«So etwas solltest du nicht denken. Es war nicht deine Absicht, aber du hast sie in eine wirklich schwierige Situation gebracht und ich kann mir kaum vorstellen, dass du anders reagiert hättest, wenn du an ihrer Stelle gewesen wärst, oder?»

Anne dachte kurz darüber nach, wie Celina sich gefühlt haben musste. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie sie eigentlich indirekt vor die Wahl zwischen Aarons Liebe und ihrer Freundschaft gestellt hatte. Hätte sie das alles früher gewusst, wäre es niemals so weit gekommen.

Nein, sie hätte definitiv nicht anders reagiert!

Plötzlich schämte sie sich für ihr Verhalten.

«Wie konnte ich bloß so dumm sein? Celina wird mir das niemals verzeihen», sagte sie kleinlaut.

«Nach allem, was ich in den letzten Monaten über Celina gelernt habe, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie dir diesen kleinen Fehltritt aus Unwissenheit nicht verzeihen wird. In diesem Haus wirst du niemanden finden, der so nett, großherzig und so wenig nachtragend ist, wie deine Freundin. Wir können uns alle glücklich schätzen, sie zu kennen. Jetzt sei ein braves Mädchen. Steh endlich auf, geh zu ihr und entschuldige dich.»

Mit diesen Worten stand sie auf und zog Anne auf die Beine.

«Vielen Dank für das Gespräch.»

«Gern geschehen. Ach eins noch: Celina ist vielleicht nicht nachtragend, aber ich bin es sehr wohl. Mach so etwas nie wieder mir ihr, wenn du weißt, was gut für dich ist! Verstanden?»

Der letzte Satz kam einer Drohung gleich und Anne machte instinktiv einen Rückwärtsschritt und nickte mit ängstlichem Blick.

Als Liza sah, dass sie ihren Standpunkt sehr deutlich gemacht hatte und die Botschaft angekommen war, zwinkerte sie ihr noch einmal zu, als ob nichts gewesen wäre und stolzierte dann, mit dem elegantesten Abgang, den Anne jemals gesehen hatte, davon.

Sie war wirklich dankbar dafür, dass Aarons Schwester sich ihrer angenommen hatte. Trotzdem war sie erleichtert, als das Mädchen in einem der Zimmer verschwand und die Tür hinter sich schloss.

Sie konnte wirklich beängstigend sein!

Yasirahs Erbe - Letzte Zuflucht

Подняться наверх