Читать книгу Luves - Die Magier von Cimala - Bianca Schäfer - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеVor ihm erstreckte sich ein weitläufiger Platz und der Lärm des täglichen Marktbetriebes schlug ihm entgegen. Er schob sich zwischen den bunten Ständen durch die Menschenmenge, bis er eine freie Fläche in der Mitte des lautstarken Treibens erreichte. Mochte der Markt noch so überfüllt sein, keiner der Menschen betrat den kreisrunden Platz, der sich durch seinen Belag aus schwarzem Marmor abhob. Dies war allein den Magiern der drei Gilden vorbehalten. Luves überquerte die zehn Schritt breite Fläche und näherte sich einer quadratischen Säule, die sich haushoch aus der Mitte erhob. Er legte seine Hände auf den kalten Stein und lehnte sich mit der Stirn dagegen. Auf seiner Haut spürte er das Kribbeln und Brennen der magischen Energien der vier Elemente, die von der Säule gebündelt wurden. Angesichts der Erhabenheit der Urgewalten wurde ihm schmerzlich bewusst, wie klein und unbedeutend er war. All das Leben, das sich lärmend um ihn erhob, bewegte sich nur an der Oberfläche dieser Kräfte. Selbst ihm als Magier, würde es niemals gelingen, all diese Herrlichkeit in ihrer Gänze zu erfassen.
»Mein Dank an die Mächte, die mich erwählten, um an ihren Kräften teilzuhaben«, murmelte er eine kurze Gebetsformel. »Steht mir bei im Kampf gegen das Übel und vergebt mir meine Schwäche.«
Der Wunsch, hier zu verweilen und für seine Sünden Buße zu tun, war übermächtig. Er wollte seine Überheblichkeit gestehen, als er vor dem kleinen Mädchen seine Fähigkeiten präsentiert hatte, als ob er ein dahergelaufener Gaukler wäre. In solchen Momenten dachte er sich nichts dabei, war willkürlich und fahrlässig gewesen, doch dies war unschicklich für jemanden seines Standes. Schließlich war er kein gewöhnlicher Mensch oder wie eine der Wesenheiten, die das Land bevölkerten. Er stand als Magier über ihnen und trug eine Verantwortung, die etwas Höherem diente, nämlich dem Schutz von Aestra, der einzigen Heimat, die er kannte.
Widerwillig löste er sich von der Säule und blinzelte zum wolkenlosen Himmel hinauf. Seine Buße musste bis zum Abend warten, wenn er den Gebetsraum in der Anlage seiner Gilde aufsuchen konnte. Auf seinem Weg hatte er bereits zu viel Zeit vergeudet. Er verließ den Platz und schritt auf das der Säule gegenüberliegende Hauptquartier der Magiergilden zu. Es erhob sich über mehrere Etagen und von den oberen aus konnte man die gesamte Stadt bis über die Stadtmauern hinaus überblicken. Ein imposanter, schmuckloser Bau, der über die gesamte Hauptstadt zu wachen schien und dessen Bewohnern nichts entging, was sich in den Häusern und Gassen zutrug. Luves stieg die breite Treppe hinauf, über die er den Haupteingang erreichte. Zwei Soldaten hielten davor Wache und ließen ihn erst passieren, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass er das Siegel der Magiergilde an sich trug. Diese Wachen waren weit weniger nachlässig als diejenigen, die am Stadttor postiert waren. Er trat durch die Türen aus massivem Holz und befand sich in einem düsteren Korridor, der von schmiedeeisernen Kerzenleuchtern erhellt wurde. Auf seinem Weg ging er an mehreren Türen und abzweigenden Gängen und Treppen vorbei, doch er wusste, wohin er sich zu wenden hatte.
Luves betrat die Halle der Versammlung. Seine Schritte hallten über den hellen, glänzenden Marmorboden und wurden von den Säulen, die den Saal zu beiden Seiten säumten, zurückgeworfen. Zwischen ihnen befanden sich große Feuerschalen, die Licht spendeten. Er hielt inne und sah sich suchend um. Offenbar war er alleine. Nur ein Windhauch wisperte durch die Öffnungen der Belüftungsschächte, die den fensterlosen Raum mit Luft versorgten. Er ging auf ein Pentagramm zu, das im hinteren Drittel mit schwarzem Stein in den Boden eingelassen war. Luves trat hindurch und spürte, wie die Luft um ihn wie in einem Wirbel in Bewegung geriet, als seine Kräfte die des Pentagramms berührten. Der magische Kreis, den das Symbol bildete, schloss sich um ihn, versiegelte seine Kräfte, so dass er sie nicht nach außen wirken konnte. Er kniete sich auf den Boden nieder und neigte den Kopf, bis seine Stirn den Stein berührte. Bewegungslos verharrte er in dieser Position und wartete ab. Seine eigenen Kräfte rebellierten gegen die Beschränkung. Übelkeit und ein Anflug von Panik stiegen in ihm auf. Die Magie schien aus seinem Körper zu fließen, um in dem Stein unter ihm zu versickern. Kalter Schweiß bildete sich in seinem Nacken und er schluckte schwer. Er konzentrierte sich auf den kühlen Marmor unter sich und ließ seine Atemzüge flacher werden. Bedächtig atmete er ein und aus, spürte die Dehnung seines Brustkorbes, die Kühle in seinem Nacken, als ein leichter Luftzug ihn streifte. Langsam beruhigte sich sein Magen. Er versuchte sich zu entspannen, soweit es in dieser Haltung überhaupt möglich war.
Um sich abzulenken, dachte er über eine Frage nach, die er bisher gemieden hatte: Warum hatte der Rat ihn hierher bestellt? Die Gründe dafür konnten vielfältig sein. Die neun Veteres bestellten immer wieder einzelne Anwärter zu sich, um sie für herausragende Leistungen zu belohnen oder sie für Verfehlungen zu bestrafen. Er selbst trieb sich nicht in den verrufenen Vierteln herum oder suchte Streit mit anderen Anwärtern. Auch seinen Ausbildern gegenüber verhielt er sich in angemessener Weise. Nie hatte er gegen sie aufbegehrt. Er war ein pflichtbewusster, fleißiger Schüler, stach jedoch nicht durch besonders ausgeprägte Fähigkeiten hervor. Seine Talente in der Beherrschung der Urgewalten blieben mittelmäßig, egal wie hart er an sich arbeitete. Er studierte die Zaubersprüche so eifrig wie kein anderer Anwärter seines Alters, doch die Kräfte, die er damit freisetzte, lernte er nur mühsam zu kontrollieren. Auch bei der Herstellung magischer Gegenstände erwies er sich als wenig geschickt. Seine Zauber pflegten sich zu verflüchtigen, noch bevor er sie an einen Gegenstand zu binden vermochte. Damit brachte er seine Ausbilder in diesen Bereichen der Magie beinahe zur Verzweiflung. Dies war schon bitter genug für ihn, vor allem, da sein Ehrgeiz seit seiner Kindheit ungebrochen war. Nur durch seine Beharrlichkeit war es ihm bisher gelungen, alle erforderlichen Prüfungen zu meistern. Wobei immer noch ein Quäntchen Glück dazugehört hatte. Luves wusste darum und dankte den Mächten bei jedem abendlichen Gebet dafür, dass sie ihm derart gnädig gestimmt waren. Eines Tages würde er einen passablen Jäger abgeben. Doch es würden sicherlich noch einige Jahre vergehen, bis man ihn in die Welt aussandte, um dort Aufträge zu erfüllen.
Das Geräusch leiser Schritte riss ihn aus seinen Gedanken. Er wollte automatisch den Kopf heben, unterließ es jedoch im letzten Moment. Er durfte sich erst aus seiner unbequemen Position erheben, wenn die Veteres ihn dazu aufforderten. Alles andere stellte eine Respektlosigkeit ihnen gegenüber dar und Luves wollte sie auf keinen Fall provozieren. Es handelte sich um mehrere Personen, zumindest glaubte er, dies anhand der unterschiedlichen Geräusche zu erahnen. Sie bewegten sich am Pentagramm vorbei und schienen sich vor ihm aufzustellen.
»Wir grüßen dich, Anwärter Luves«, hörte er einen der Ältesten sagen.
»Seid gegrüßt, ehrenwerte Veteres«, erwiderte er die Begrüßungsfloskel.
»Möge die Urgewalt der Elemente dir stets dienlich sein, Anwärter Luves.«
»Möge die Urgewalt stets an der Seite der ehrenwerten Veteres sein und unser Land beschützen.«
Die Tatsache, dass er die Stimmen der Ratsmitglieder hörte, aber nicht sah, um wen es sich dabei handelte, gab der Szenerie etwas Unwirkliches. Ihm war unwohl dabei, dass die Magier auf ihn herabblickten. Sie beobachteten jede seiner Regungen, während er nicht einmal die Säume ihrer Umhänge erkennen konnte.
»Dein Ausbilder, Meister Zudu, hat uns über deine Fortschritte informiert«, erklang eine zweite Stimme. »Du zeichnest dich durch Ehrgeiz, Folgsamkeit und Wissbegierde aus, obwohl der Umfang deiner Talente zu wünschen übrig lässt.«
»Ich bemühe mich nach Kräften …«, versuchte er sich zu verteidigen.
»Schweig!«, donnerte eine weitere Stimme über ihn hinweg und Luves zuckte erschrocken zusammen.
Hektisch schnappte er nach Luft und ein kalter Schauer rann über seinen Rücken. Die Energien innerhalb des Kreises luden sich auf, knisterten statisch. Er wagte es nicht, sich zu rühren, aus Furcht davor, von einer Entladung getroffen zu werden.
»Trotz deiner offensichtlichen Defizite ist der Rat der neun Veteres mit deiner Entwicklung zufrieden«, sprach der Magier, der zuerst gesprochen hatte.
Erleichtert atmete Luves auf und die Spannung in der Luft ließ merklich nach.
»Erhebe dich!«, wies ihn derjenige an, dessen Stimme ihn erschreckt hatte.
Umständlich richtete sich Luves auf, denn seine Glieder waren durch die unbequeme Haltung steif geworden. Vor ihm standen drei Mitglieder des Rates, somit ein Vertreter jeder einzelnen Gilde. Er vermied es, sie direkt anzusehen und heftete seinen Blick auf einen imaginären Punkt in der Luft knapp über ihren Köpfen.
»Sag uns, welche die oberste Aufgabe der Jäger ist.«
»Der Schutz von Aestra, seinen Bewohnern und der Magiergilden.«
»Welche ist deine Aufgabe als Anwärter?«
»Zu lernen und zu gehorchen.«
Die Veteres schwiegen und Luves befürchtete, die falsche Antwort gegeben zu haben, obwohl er diese Floskel bereits vor Jahren als Schüler gelernt hatte. Fieberhaft überlegte er, wie er die Situation noch retten konnte. Vor Aufregung zitterten ihm die Knie. Seine Kehle war wie ausgetrocknet. Gerade wollte er das Wort ergreifen, da kam ihm einer der Ältesten zuvor.
»Wir haben beschlossen, dir deinen ersten Auftrag zu erteilen. Erfülle ihn und du wirst als Jäger in die Gilde aufgenommen.«
Luves stockte der Atem und ein leichter Schwindel breitete sich in seinem Kopf aus. Er war erst achtzehn Jahre alt und sollte bereits die letzte Prüfung ablegen, die ihn davon trennte, ein vollwertiges Mitglied seiner Gilde zu werden. Normalerweise geschah dies nicht vor dem zwanzigsten Lebensjahr.
»Du wirst Meister Friebert begleiten, um ihm zu helfen, einen Faun aufzuspüren. Dieser hält sich nahe einem Dorf in der Ebene der Sommerfelder auf und geht dort seinen schändlichen Taten nach. Fangt diese Kreatur und bringt sie nach Cimala, damit ihr der Prozess gemacht werden kann. Seid ihr erfolgreich, hast du deine letzte Prüfung bestanden und die Bewohner dieses Landes vor einer großen Gefahr bewahrt«, fuhr der erste Sprecher fort. »Meister Friebert wird dir genaue Instruktionen erteilen.«
Mit einer Handbewegung deutete er auf einen weiteren Mann, der sich außerhalb von Luves' Sichtfeld befand, so dass er sich umwenden musste. Unter der dunklen Kapuze der großen Gestalt war lediglich die verbissene Miene und seine markante Hakennase zu erkennen. Mit unverhohlenem Missfallen sah der Magier ihn schweigend an und Luves nickte ihm zaghaft zu. Erneut zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen und Unbehagen breitete sich in ihm aus.
Meister Friebert war ihm als ein langjähriges Mitglied seiner Gilde bekannt und man sagte ihm nach, ein unerbittlicher Jäger zu sein. Er war gewieft, überaus bewandert in der Anwendung von Zaubersprüchen und gefürchtet im Schwertkampf. Einen besseren Lehrer hätte Luves sich für seine erste Mission nicht wünschen können, wenn Friebert nicht ein mürrischer, wortkarger Einzelgänger gewesen wäre. Er begegnete den Schülern und Anwärtern der Gilde nur mit Abneigung und einem Spott, der ätzender Säure glich. Für seine Mission hätte Luves sich einen angenehmeren Begleiter gewünscht. Er schluckte schwer, bei der Aussicht mehrere Tage auf den Meister angewiesen zu sein.
»Beweg dich. Wir haben viel zu erledigen«, knurrte Friebert mürrisch.
Luves nickte zaghaft und wandte sich den Veteres zu. Mit einer Geste entließen sie ihn. Er verneigte sich respektvoll vor den Mitgliedern des Rates. Gerade wollte er sich umwenden, als ihn einer der drei ansprach.
»Ich weiß, dass du ein vielversprechender Jungmagier bist, Luves«, sagte der Älteste und lächelte ihm milde zu. »Enttäusche uns nicht.«
»Ich werde mich nach besten Kräften bemühen, der Gilde der Jäger gerecht zu werden und Meister Friebert zu unterstützen«, sagte er hastig, doch sein Herz machte einen Sprung vor Freude über das kleine Lob.
»Du wirst dich nicht bemühen, sondern siegreich sein«, korrigierte der Vetere ihn. »Folge schnell deinem Meister, ansonsten hängt er dich bereits ab, noch bevor eure Reise begonnen hat.«
Luves fuhr erschrocken herum. Meister Friebert entfernte sich bereits von ihm, hatte knapp die Hälfte der Halle durchschritten, ohne dass er auch nur einen Laut seiner Schritte gehört hatte. Erneut verbeugte er sich eilig vor den Veteres und eilte Friebert nach.
Unbeirrt schritt der voran, ohne Anstalten zu machen, auf seinen Schützling und zukünftigen Begleiter zu warten.
»Du gehst in die Bibliothek zu Meister Bukov«, sagte der Meister über seine Schulter hinweg. »Sieh dir die Landkarte von den Sommerfeldern genau an und überlege, welche Zaubersprüche du auffrischen solltest. Danach begibst du dich in die Siedlung der Kesselrührer. Meister Riudan wird dir einige Schutzamulette geben, die deinen dürren Arsch retten sollen, falls dir Gefahr droht. In der Zwischenzeit werde ich dir ein Pferd aus den Stallungen zuweisen lassen und dem Quartiermeister Bescheid darüber geben, welche Ausrüstung du benötigst. Wir brechen im Morgengrauen auf und wage es ja nicht, Zeit mit irgendwelchen Dummheiten zu vergeuden.«
»Welche Art von Zauber werde ich benötigen?«, fragte Luves kleinlaut.
Abrupt blieb Friebert stehen und drehte sich zu ihm um. Kaltherzig musterte er den jungen Magier, der beinahe ängstlich zu ihm aufsah.
»Wie war noch einmal dein Name?«
»Luves.«
»Hör gut zu, Luves, oder wie immer du auch heißen magst, denn ich werde es nur einmal sagen: Unsere Mission ist kein Spaziergang. Wir jagen eines der geächteten Wesen und führen es seinem gerechten Schicksal zu. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir deine Gesellschaft angenehm wäre. Einen Schüler am Hals zu haben, ist mir mehr als lästig, dessen solltest du dir stets bewusst sein. Wenn wir in Gefahr geraten, werde ich dir nicht helfen. Du musst zusehen, wie du alleine zurechtkommst. Wenn dir dein Leben lieb ist, bereite dich bestmöglich auf deine Aufgabe vor.«
»Ich bin ein Anwärter und kein Schüler«, wagte Luves tapfer einzuwenden und erhob beinahe trotzig den Kopf.
»Solange du nicht das Siegel eines Jägers trägst, bist du für mich nur ein rotznäsiger Schüler. Erweise dir selbst einen Gefallen und geh mir so wenig auf die Nerven wie nur irgend möglich. Jetzt tu endlich, was ich dir gesagt habe! Schwing deinen Hintern in die Bibliothek, bevor ich mich vergesse.«
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ Meister Friebert den Korridor und schritt durch das Portal. Die Wachen, die ihr Gespräch ungewollt mitgehört hatten, warfen dem jungen Magier verstohlene Blicke zu. Luves stand da wie erstarrt, gefangen in kaltem Unbehagen.
Unbewusst zog er seinen Umhang fester um sich zusammen. Er sollte von Freude und Aufregung über die Mission erfüllt sein, die man ihm aufgetragen hatte. Stattdessen fühlte er sich niedergeschlagen und kraftlos.
»Du hast gehört, was dein Meister gesagt hat«, blaffte ihn einer der Wachposten an und der andere grinste hämisch.
Erschrocken zuckte Luves zusammen und sah die Männer finster an.
»Kümmert euch lieber um eure eigenen Angelegenheiten!«, wies er sie streng zurecht. »Sonst melde ich euch bei eurem Vorgesetzten.«
Einfache Soldaten, wie sie es waren, hatten einem Magier respektvoll zu begegnen, selbst wenn er ein Anwärter war. Wenn nicht einmal diese Männer ihn achteten, wie sollte er dann gegen Meister Friebert bestehen können? Er konnte nur hoffen, dass sie ihren Auftrag rasch erfüllen würden und er so schnell wie nur irgend möglich nach Cimala zurückkehren konnte. Er atmete tief durch und straffte seinen Rücken. Mit stolz erhobenem Haupt schritt er an den Soldaten vorbei und wandte sich in die Richtung des Marktplatzes.