Читать книгу Luves - Die Magier von Cimala - Bianca Schäfer - Страница 9
Kapitel 6
ОглавлениеEs war ein seltsames Gefühl, sich dem Gelände der Gilde der Jäger zu nähern. Toge ging neben ihm her und plapperte munter vor sich hin. Luves hörte nur halbherzig zu und nickte gelegentlich. Stattdessen blickte er auf die grauen Mauern, die die Gebäude und Anlagen von der Außenwelt abschirmten. Dahinter lag sein Heim und er fragte sich, ob er es vermissen würde. Der Wachposten öffnete ihnen das massive Holztor. Sie betraten den Innenhof, der erfüllt war von den Rufen der Schüler und Anwärter, die sich noch immer im Schwertkampf übten. Das helle Klirren der aufeinander treffenden Klingen stach ihm in die Ohren. Sie bewegten sich am Außenrand des Platzes entlang, um nicht zwischen die Kämpfenden zu geraten. Vielleicht würde es heute einem Schüler gelingen, einen Anwärter zu besiegen und so eine der Prüfungen zu absolvieren. Luves lächelte, als er daran dachte, wie er seinerzeit diese Aufgabe bewältigt hatte. Sein damaliger Gegner hatte nur für die Dauer eines Wimpernschlages seine Deckung vernachlässigt. Er dachte, Luves wäre erschöpft und würde sich jeden Moment ergeben. Doch Luves hatte ihn überlistet. Er hatte dafür gesorgt, dass der Kampf lange genug andauerte und so getan, als ob er die Waffe kaum noch halten konnte. Dann hatte er die Lücke in der Deckung erkannt und dem Anwärter das Schwert aus der Hand geschlagen.
So ähnlich war es bei allen seinen Prüfungen abgelaufen. Mit Geduld, Fleiß und Schläue hatte er sich mühsam vorangearbeitet. Nun erhielt er die Belohnung für die jahrelange Plackerei. Abenteuer und Ehre. Das war es, was nun auf ihn wartete. Der Großteil seiner Vorbereitungen war getroffen und er verabschiedete sich von Toge, um das Hauptgebäude zu betreten. Er musste lediglich noch seinen Ausbilder, Meister Zudu, aufsuchen. Der lange Korridor mit den Gemälden, die die großen Taten längst verstorbener Jäger darstellten, führte ihn auf direktem Wege zu dessen Dienststätte. Sein Blick schweifte über die Abbildungen der Kämpfe gegen Drachen, Bergriesen und Rudel von Gestaltwandlern. Eines Tages würde vielleicht eines der Bilder eine seiner eigenen großen Taten darstellen. Der Gedanke daran ließ ihn verstohlen lächeln.
Am Ende des Ganges hielt er vor der Tür inne und sammelte sich für dieses letzte Gespräch. Während seiner gesamten Ausbildung war es nie mit etwas Gutem verbunden gewesen, die Räumlichkeiten des Meisters aufzusuchen. Selbst heute breitete sich ein mulmiges Gefühl in seinem Magen aus. Zögerlich klopfte er an und der Meister rief ihn ungeduldig herein, als ob er nur auf ihn gewartet hätte. Luves betrat den kleinen, schmucklos eingerichteten Raum, der von zwei Feuerschalen beleuchtet wurde. Zudu erhob sich hinter seinem massiven Arbeitstisch aus dunklem Holz. Ehrfürchtig verneigte sich Luves und entbot ihm seinen Gruß.
»Du kommst spät«, wies Zudu ihn streng zurecht.
»Vergebt mir, Meister. Ich habe zuvor Meister Bukov und Meister Riudan aufgesucht und von ihnen Instruktionen und meine Ausrüstung erhalten.«
»Diese Schwätzer!«, knurrte Zudu.
Erstaunt hob Luves den Kopf, denn er hatte niemals zuvor erlebt, dass sein Meister sich derartig abfällig über andere Magier äußerte. Er biss sich verstohlen auf die Unterlippe, um ein Grinsen zu unterdrücken, doch seine Miene entging Zudu nicht und er sah ihn strafend an. Schnell senkte Luves wieder seinen Kopf und starrte auf den Steinboden.
»Wie man dir bereits mitgeteilt hat, sollst du zu den Sommerfeldern reisen. Hast du dir die Karten gut eingeprägt?«
»Ja, Meister.«
»Das Gebiet, in dem der Faun gesehen wurde, ist sehr groß. Auch wenn Meister Friebert dich begleitet, musst du dich genau umhören und auf jede Kleinigkeit achten. Hast du dazu noch Fragen?«
»Meister Bukov sagte, es gäbe keine Beschreibung des Wesens …«
»Nur, weil er sie nicht kennt, heißt es nicht, dass sie nicht vorhanden ist. Die Informationen des Händlers sind spärlich, aber dennoch geben sie dir einige Anhaltspunkte«, unterbrach Zudu ihn ungehalten. »Bei dem Wesen handelt es sich um ein recht junges Exemplar, das ungefähr in deinem Alter ist. Lass dich davon jedoch nicht täuschen, denn ein Faun ist bereits in jungen Jahren hinterhältig und verschlagen. Sie geben vor, arglos und schwach zu sein, um das Mitgefühl der Menschen zu erregen. Doch sie nutzen jede Gelegenheit, um anderen Schaden zuzufügen. Der Händler, den die Kreatur ausgeraubt hat, beschrieb ihn als schmal, mit blondem Haar und von mittlerer Größe. Er nannte sich selbst Semingion.«
Luves nickte und prägte sich alle Einzelheiten genau ein. Zudu hieß ihm mit einer Geste sich zu nähern und er trat an den Arbeitstisch heran. Der Meister überreichte ihm mit ausdrucksloser Miene ein Schwert, das in einem ledernen Futteral steckte. Luves stockte der Atem, als er seine erste eigene Waffe entgegennahm. Mit ihr würde er sein Leben verteidigen und den Faun stellen. Seine Hände zitterten vor Aufregung, als er den Gurt anlegte. In den Augen seines Meisters zeigte sich ein Anflug von Ungeduld über seine Ungeschicklichkeit.
»In deiner Kammer hat der Quartiermeister bereits die Reisekleider und alles, was du an weiterer Ausrüstung benötigst, zurechtlegen lassen.«
»Ich danke Euch, Meister«, sagte Luves und deutete eine Verbeugung an.
Meister Zudu händigte ihm eine Geldbörse aus.
»Darin befinden sich zwanzig Goldkreuzer für deine Reise, damit deine Unterkünfte und Verpflegung gesichert sind. Teile dir das Geld gut ein und verprasse es nicht am ersten Tag.«
»Das werde ich nicht, Meister«, versprach Luves.
»Da wärst du nicht der Erste, dem das passiert.«
Der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf Zudus Mund, doch es verschwand sogleich wieder.
»Damit wäre alles gesagt und du darfst gehen. Erfülle deine Gilde mit Stolz!«
Luves verbeugte sich vor seinem Meister und dankte ihm respektvoll. Bevor er sich zum Gehen wandte, hielt er inne.
»Habt Ihr noch einen Rat für mich, bevor ich aufbreche?«, fragte er zaghaft.
»Nein«, entgegnete Zudu und hob erstaunt die Augenbrauen. »Du wirst wissen, was du zu tun hast, wenn es soweit ist. Nun geh!«
Mit einer Geste unterstrich er seine Aufforderung und Luves verließ eilig den Raum. Das Schwert fühlte sich schwer und ungewohnt an seiner Seite an, denn er hatte niemals außerhalb des Unterrichtes eine Waffe bei sich getragen. Während er die Korridore in dem Flügel mit den Schlafkammern durchschritt, bemerkte er die bewundernden Blicke der anderen Schüler und Anwärter, denen er begegnete.
Er betrat den kleinen Raum, der gerade genug Platz für die vier Personen bot, die ihn sich teilten. Auf der hölzernen Truhe neben seinem Bett lag ein Stapel mit Kleidung und eine lederne Tasche. Beinahe andächtig faltete er jedes der Stücke auseinander und betrachtete es eingehend, bevor er sie nebeneinander auf seinem Bett ausbreitete. Seine Ausrüstung für die Reise unterschied sich kaum von der, die er trug. Sie bestand aus zwei hellen Leinenhemden, zwei braunen Hosen, Unterkleidung, einer gegerbten Jacke aus schwarzem Leder und einem Umhang aus schwerer Wolle. Der einzige Unterschied bestand darin, dass diese Kleidung neu war und nicht gebraucht, so wie die Schüler sie trugen. Er strich über die Stoffe und war versucht, sie bereits jetzt zu tragen, um sie seinen Mitschülern bei ihrer letzten gemeinsamen Mahlzeit vorzuführen. Doch er untersagte sich dieses Zeichen von Hochmut und Eitelkeit.
Schließlich legte er die Sachen wieder sorgfältig zusammen und verstaute alles bis auf das, was er am kommenden Morgen benötigte, in der Tasche. Unter ihr lag ein Gurt, in dem sich ein kleineres Messer und ein Dolch befanden. Luves setzte sich auf sein Bett und prüfte die glänzenden Klingen, bevor er alles zurück auf die Truhe legte. Darin bewahrte er seine wenigen Habseligkeiten auf. Viel konnte er nicht sein Eigen nennen. Die Ersatzkleidung gehörte der Gilde. Ansonsten enthielt sie nur ein paar Blätter Pergament mit Zaubersprüchen oder Karten, die er während seiner Ausbildung angefertigt hatte. Ganz zuunterst lag ein kleiner Kieselstein, den er als Kind eingesteckt hatte, als er mit seiner Mutter den elterlichen Hof verlassen hatte. In den ersten Nächten, die er in Cimala verbracht hatte, hielt er ihn fest in der Hand, damit ihn das Heimweh nicht so sehr plagte wie die anderen Jungen, die sich in dem Saal in den Schlaf geweint hatten. Genutzt hatte es ihm wenig. Er war zu jung, um zu verstehen, warum man ihn an diesen Ort gebracht hatte. Doch er hatte schnell begriffen, dass das Leben für ihn leichter wurde, wenn er sich den Anordnungen seiner Ausbilder fügte, anstatt dagegen aufzubegehren.
Die Tür knarrte leise und das Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Kilian stand im Türrahmen und musterte erst ihn, dann die Tasche auf der Truhe. Der Magier erhob sich, als er eintrat. Der Schüler deutete auf die Waffe, die er trug.
»Ist das dein Schwert?«, fragte der Junge neugierig und Luves nickte, geschmeichelt durch die Aufmerksamkeit. »Darf ich es mir ansehen?«
Er zog die aufwendig gearbeitete Waffe aus der Scheide und reichte sie dem Schüler. Ehrfürchtig betrachtete der die glänzende Klinge und den Widerschein des Lichtes darauf.
»Eines Tages wirst du auch deinen ersten Auftrag erhalten und als siegreicher Jäger zurückkehren«, sagte Luves.
Kilian ließ das Schwert sinken und reichte es zurück an ihn. Er wich dem Blick seines Gegenübers aus und senkte niedergeschlagen den Kopf.
»Eigentlich möchte ich nicht der Jägergilde beitreten, aber ich habe keine Wahl.«
Der Magier trat auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Ich kenne deine Fähigkeiten, Kilian. Du beherrschst die Kräfte der Elemente und hast ein Gespür für Zaubersprüche. Die von dir angefertigten Amulette und gebrauten Tränke brauchen sich nicht hinter denen von Meister Riudan zu verstecken. Was dir beim Schwertkampf fehlt, wirst du mit der Zeit lernen.«
Der Junge ließ die Schultern sinken und sah unsicher zu ihm auf.
»Ich will es nicht«, sagte er leise. »Ich will nicht durch das Land reisen und Wesen oder Aufständische töten.«
»Dann bitte Meister Zudu, dass er bei den Veteres für deine Versetzung in ein anderes Haus bittet.«
»Das habe ich bereits getan, aber mein Anliegen wurde abgewiesen. Ich muss hierbleiben. Ob ich es will oder nicht.«
»Aber es ist eine große Ehre, den Jägern zu dienen. Du fürchtest dich bestimmt nur davor. Das wird sich mit der Zeit legen.« Luves beschloss, dem Jungen durch ein Eingeständnis Mut zu machen. »Mir ist auch etwas mulmig zumute, wenn ich an diese Reise denke und ich ganz auf mich allein gestellt sein werde. Aber der Glaube daran, dass die Urgewalten mir beistehen werden, gibt mir Kraft und Mut.«
Kilian versuchte ein tapferes Lächeln, doch die Traurigkeit verblieb in seinen Augen.
»Ich bewundere dich wirklich sehr, Luves, denn du stellst dich unerschrocken jeder Herausforderung. Das könnte ich niemals. Ich bin nicht so stark wie du oder Reget. Ihr seid die Helden, nicht jemand wie ich.«
»Das redest du dir nur ein. Mit deinem Potential könntest du jeden Meister übertrumpfen, wenn du nur wolltest.«
»Aber es macht mir Angst. Diese Kräfte sind so übermächtig, dass ich sie kaum kontrollieren kann. Manchmal wünsche ich mir, mein Bündel zu schnüren und die Gilde zu verlassen.«
»Das wäre Verrat, Kilian, und du weißt, was mit Verrätern geschieht.«
»Sie werden hingerichtet.«
»Alleine diese Gedanken laut auszusprechen kann dich in ernste Schwierigkeiten bringen, wenn dich die falschen Leute hören.«
Ängstlich sah der Junge zu ihm auf und sein schmächtiger Leib sank in sich zusammen. Betrübt ließ er den Kopf hängen.
»Wirst du mich bei Meister Zudu melden?«
»Du kannst dich auf meine Verschwiegenheit verlassen, aber zähle darauf nicht bei anderen. Sieh dich vor, denn nicht jeder ist dir wohlgesonnen.«
Besonders unter den Schülern bespitzelte man sich gerne gegenseitig. Selbst nichtigste Vergehen meldete man den Meistern, um sich dadurch Vorteile zu verschaffen und so schneller im Rang aufzusteigen.
»Reget hat mich bereits davor gewarnt, allzu vertrauensselig gegenüber anderen zu sein.«
»Du hast mit ihm darüber gesprochen?«
Luves hielt den Atem an, weil Kilian es gewagt hatte, sich ausgerechnet einem Jäger gegenüber zu offenbaren, selbst wenn dieser sein Onkel war. Der Junge nickte verlegen.
»Erst vorhin hat er mir gesagt, ich solle nicht verzagen, denn es würde bald leichter für mich werden und die Dinge würden sich klären.«
»Damit hat er Recht. Deine Unsicherheit wird sich rasch legen, wenn du dich weiterhin mit Fleiß deinen Übungen widmest.«
Aufmunternd klopfte Luves ihm auf die Schulter, worauf Kilian ein schiefes Grinsen versuchte.
»Dann gehe ich besser hinaus auf den Platz und übe mich im Schwertkampf.«
»Irgendwann wirst du so gut darin sein, dass du sogar jemanden wie Reget herausfordern kannst, um dich an ihm zu messen.«
»Mögen die Mächte dir zustimmen«, lachte Kilian sichtlich erleichtert auf. »Ich werde jetzt besser wieder zu meinen Übungen gehen, ansonsten bekomme ich noch Ärger mit den Meistern.«
»Tu das«, sagte Luves und nickte ihm auffordernd zu.
Der Junge ließ ihn alleine und er legte seinen Schwertgurt ab. Danach verließ auch er die Kammer, um sich ein letztes Mal in ein Nebengebäude zu begeben, wo er den Raum der Andacht aufsuchte. Luves betrat den kahlen, düsteren Raum, der nur von zwei Feuerschalen beleuchtet wurde. An der Kopfseite standen die vier Schalen, die die vier Elemente symbolisierten. In der Ersten brannte ein Feuer, die Zweite hatte man mit Wasser befüllt. Die Dritte beinhaltete frische, schwere Erde und in der Vierten schwelte ein Harz in der Glut, das einen strengen, aromatischen Duft verströmte und somit das Element Luft vertrat. Er war alleine, was ihm nur recht war. Die magischen Kräfte lagen wie ein leises, melodisches Summen in der Luft. Er trat dicht an die Schalen heran und kniete sich auf den Boden, ähnlich wie er es in dem Pentagramm im Hauptsitz getan hatte.
»Mögen die Urgewalten mit mir sein«, murmelte er. »Mögen sie mich über sichere Pfade leiten und mir beistehen im Kampf gegen das Übel.«
Er wiederholte diese Phrase dem Ritual entsprechend drei Mal und verfiel dann in Schweigen, um in sein Herzfeuer zu blicken. Das Feuer in ihm loderte, erfüllt von der Kraft seiner Jugend und seines Geistes. Er atmete tief durch, lenkte seine Gedanken an den unruhig, von Unsicherheit und Furcht flackernden Flammen vorbei bis tief in die Glut, wo er die kleinen, sprühenden Funken suchte, die ihn mit Zuversicht und Freude erfüllten. Eine tiefe Ruhe überkam ihn, als die Anspannung von ihm abfiel. Das Feuer in seinem Inneren beruhigte sich, als die züngelnden Flammen sich senkten. Die Aufregung des Tages rückte immer weiter in den Hintergrund. Einzig die allgegenwärtigen Kräfte der vier Urgewalten waren präsent. Sie strömten durch seinen Körper, stärkten ihn und klärten seinen Geist. Eine reine, klare Freude stieg in ihm auf. Er biss sich auf die Unterlippe, um an diesem geweihten Ort der inneren Einkehr nicht laut aufzulachen, denn das verbot der Anstand. Schließlich setzte er sich auf und verneigte sich vor den vier Schalen. Er fühlte sich nun dazu bereit, sich seiner Aufgabe zu stellen und die Urgewalten würden mit ihm sein, um über ihn zu wachen.