Читать книгу Luves - Die Magier von Cimala - Bianca Schäfer - Страница 7
Kapitel 4
ОглавлениеEilig lief er die Treppen hinab in das Erdgeschoss und ging auf den Ausgang zu. Zu seinem Erstaunen erwartete Reget ihn, der sich an den Türrahmen lehnte.
»Gehst du zurück zur Anlage der Gilde?«, fragte er und deutete in die ungefähre Richtung des Stadttores.
»Erst muss ich bei Meister Riudan vorsprechen und die Amulette abholen, die er für mich vorbereitet hat.«
Reget stutzte und sah Luves skeptisch an.
»Hat man dir etwa deinen ersten Auftrag erteilt?«
Luves nickte bejahend. Der Jäger reichte ihm mit einem anerkennenden Lächeln die Hand, um ihm zu gratulieren.
»Ich soll in den Sommerfeldern einen Faun stellen.«
»Das dürfte sich nicht allzu schwierig gestalten. Ein Faun leistet kaum Gegenwehr. Mein erstes Ziel war ein Troll. Ich kann dir gar nicht sagen, wie mühsam es war, ihn einzufangen. Reist du alleine?«
»Nein, Meister Friebert begleitet mich. Wir brechen morgen früh auf.«
»Friebert?« Reget lachte laut auf. »Die Mächte mögen dir beistehen! Sprich ihn bloß nicht unaufgefordert an, ansonsten wird er ziemlich ungemütlich. Er kann es nicht ausstehen, wenn man redet, sich in seiner Nähe aufhält, existiert oder atmet. Versuch also, all das zu vermeiden.«
»Ich werde mir Mühe geben.« Luves seufzte schwer und Reget klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter.
»Das wird schon. Du hast ihn nur für ein paar Tage am Hals und musst dich danach nie wieder mit ihm herumärgern«, versuchte der Jäger ihn aufzumuntern.
Gemeinsam verließen sie die Bibliothek und traten hinaus auf den Marktplatz. Rund um die gewaltige Säule sammelte sich eine große Gruppe Jungen. Alle waren nicht älter als fünf Jahre und trugen die Uniform der Schüler mit ihren langen Umhängen. Nachdenklich ließ Reget seinen Blick über sie wandern, als sie sich unsicher umsahen und sich dichter zusammendrängten. Sie schienen den Schutz der Gruppe zu suchen wie eine Schar Küken, die sich um die Glucke sammelte. Sie verteilten sich nach den Anweisungen der Meister um die gewaltige Säule und knieten sich auf den Boden. Die gebieterische Stimme von Meister Zudu schallte zu ihnen herüber. Zaghaft wiederholten die zukünftigen Schüler die Gebetsformeln. Die dünnen Stimmen, die jetzt noch so unsicher klangen, würden in einigen Wochen weitaus kräftiger erklingen. Die unsteten Blicke würden voller Stolz und Selbstsicherheit auf die Säule aus schwarzem Marmor gerichtet sein, die für die Macht und die Fähigkeiten eines jeden Einzelnen stand und das Symbol für die Einigkeit der vier Elemente war.
»Bilde ich es mir ein, oder werden die neu angeworbenen Schüler immer jünger?«, fragte er Luves gedankenverloren.
»Soweit ich weiß, hat sich am Eintrittsalter nichts geändert.«
»Dann täusche ich mich wohl. Für mich wirken sie mit jedem Jahr kleiner und jünger. Weißt du noch, wie es war, in den Gilden aufgenommen zu werden?«
»Das liegt schon so lange zurück, dass ich mich nicht mehr daran erinnere.«
Luves versuchte seine Lüge mit einer gleichgültigen Miene zu überspielen. Gerade der Anblick dieser verängstigten Jungen erinnerte ihn an sich selbst, als er von seiner Mutter zu den Magiern in die Hauptstadt gebracht worden war, um den Gilden beizutreten. Der überwältigende Anblick der Stadt hatte ihn in Furcht versetzt. Eine solch gewaltige Ansammlung von Häusern, Menschen und Gefährten hatte er aus dem kleinen Dorf, aus dem er stammte, nicht gekannt. Es war ihm aufregend erschienen und er hatte es nicht gewagt, die Hand seiner Mutter loszulassen, die ihn zum Hauptquartier der Magier gezogen hatte. Dort hatte sie ihn verlassen und alleine zurückgelassen. Damals hatte er zum ersten Mal in seinem jungen Leben begriffen, was Einsamkeit und Hilflosigkeit bedeuteten. Doch das hätte er Reget gegenüber niemals zugegeben.
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her und verließen den Marktplatz. Sie durchschritten eine schattige Gasse und ließen den Lärm der Menschenmenge hinter sich.
»Eigentlich wollte ich dich nicht grundlos begleiten«, begann Reget. »Vor allem wollte ich mich bei dir entschuldigen, weil ich in der Bibliothek so schlecht über dich geredet habe.«
Luves hielt inne und sah ihn erstaunt an. Reget war ein stolzer Jäger, der niemals freiwillig einen Fehler eingestanden hätte. Schon früher hatte es zwischen ihnen Auseinandersetzungen gegeben. Luves' Strebsamkeit stellte immer wieder einen Angriffspunkt dar und seine Mitschüler zogen ihn gerne damit auf, verhöhnten ihn für jeden seiner Misserfolge. Er war daran gewöhnt, nahm es nicht mehr bewusst wahr, aber diese Entschuldigung traf ihn völlig unvorbereitet. Reget scharrte mit den Sohlen über den Dreck, der das Pflaster bedeckte.
»Ich wollte mich bei dir bedanken, weil du dich um Kilian kümmerst, ihn bei seinen Studien unterstützt und ihm Mut zusprichst. Er bewundert dich sehr und schaut zu dir auf.«
»Wir teilen uns ein Zimmer, seit er zu den Gilden gekommen ist. Ich helfe vielen meiner Mitschüler bei ihren Übungen, also ist es nichts Besonderes.«
»Ich rechne es dir trotzdem hoch an, denn er ist mein Neffe.«
»Du bist mit ihm verwandt? Das wusste ich nicht.«
»Niemand weiß es. In unserem Stammbaum gab es viele Magier, die sich den Gilden anschlossen. Aber innerhalb der drei Häuser ist es unbedeutend, wenn man aus einer Familie stammt. Deshalb bin ich froh, dass du dich seiner angenommen hast, seitdem ich den Jägern beigetreten bin und den Trakt der Schüler verlassen habe.«
»Ich habe ihn nicht ganz freiwillig unter meine Fittiche genommen, sondern er hat sich eher mir zugewandt.«
»Es ist trotzdem nicht selbstverständlich. Du hast es schließlich selbst erfahren, wie die älteren Schüler mit den jüngeren umgehen. Ich war früher auch nicht sonderlich freundlich zu dir.«
Verlegen wich Luves seinem Blick aus und wandte sich von ihm ab. Sie hatten damals dasselbe Zimmer bewohnt, und so wie Kilian nun zu ihm aufschaute, hatte er Reget bewundert. Der Magier galt als der Talentierteste seines Jahrgangs und Luves hatte versucht, ihm nachzueifern. Doch es war egal gewesen, wie sehr er sich auch bemühte. Nie gelang es ihm, dessen Können im Schwertkampf zu erreichen oder die Kraft, die in seinen Zaubersprüchen lag, zu übertreffen. Reget, mit seiner hochgewachsenen, kräftigen Statur und seiner stolzen Haltung, hatte alle übertrumpft. Trotzdem hatte Luves immer wieder versucht, sich mit ihm zu messen und ihn herausgefordert. Die Antwort darauf war, dass man ihm eine Vielzahl an dummen Streichen spielte und ihn verhöhnte, doch das war ihm gleich gewesen.
»Ich muss gestehen, du warst mir früher etwas unheimlich«, riss der Jäger ihn aus seinen Gedanken.
»Warum war ausgerechnet ich dir unheimlich? Es gibt niemanden, der harmloser ist als ich.«
Ungläubig sah Luves ihn an und zog skeptisch die Augenbrauen zusammen.
»Dein unermüdlicher Ehrgeiz war vielen suspekt. Du hast nie aufbegehrt, egal, was man dir aufgebürdet hat und du hast jede Herausforderung angenommen, auch wenn du wusstest, dass du scheitern würdest. Ich habe mich immer gefragt, was dich dazu antreibt.«
»Du hast dich selbst gefragt, aber nie mich. Ich habe mir ständig neue Ziele gesetzt und daran gearbeitet, sie zu erreichen.«
»Gehörte dazu auch der vorzeitige Erhalt des Siegels?«
»Ich wollte einfach beweisen, dass es möglich ist, diese Prüfungen zu bestehen, auch wenn es nicht dem Alter entspricht.«
»Aber gebracht hat es dir nicht sonderlich viel. Du hast das Mal erhalten und danach ging deine Ausbildung doch nur den üblichen Weg.«
»Ich muss gestehen, damit hatte ich nicht gerechnet. Heute weiß ich nicht mehr, was ich mir davon versprochen habe, aber zumindest hatte ich es hinter mir, ein Brandeisen aufgesetzt zu bekommen.«
Reget lachte kurz und gezwungen auf, rieb sich fahrig über die Stirn.
»Kilian wird die Prüfungen nicht bestehen«, sagte er und sah Luves ernst an.
»Wie kommst du auf diesen Gedanken? Er herrscht über zwei der Elemente. Ein solches Talent gab es zuletzt vor rund hundert Jahren, wenn ich mich recht erinnere. Selbst ich beneide ihn darum. Es ist wahr, dass er unsicher im Gebrauch der Kräfte ist, über die er befiehlt. Alles was er braucht, ist etwas mehr Übung und Selbstvertrauen. Er muss sich besser auf die Sprüche konzentrieren, aber das wäre auch schon alles.«
»Er beherrscht alle erforderlichen Sprüche, aber er will sie nicht einsetzen. Ich habe eingehend mit ihm gesprochen und das nicht nur heute. Sein Talent liegt darin, magische Utensilien wie Amulette oder Zaubertränke zu fertigen und nicht im Kampf. Er ist als Jäger völlig ungeeignet und fürchtet sich geradezu davor«, erklärte Reget.
»Dann könnte man ihn zu den Kesselrührern schicken. Dort wäre er am besten aufgehoben. Er trägt noch nicht das Siegel unserer Gilde. Somit wäre es möglich, dass er zwischen den Häusern wechselt.«
»Das Haus ist bereits gefüllt und sie nehmen keine weiteren Anwärter auf. Ebenso wie die Spruchweber in der Bibliothek. Es gibt einen neuen Beschluss vom Rat, der heute unter den Jägern bekanntgegeben wurde.«
»Warum weiß ich nichts davon?«
»Du bist nur ein Anwärter und kein vollwertiger Jäger. Das bist du erst nach deinem ersten erfüllten Auftrag.«
»Dieser Aufnahmestopp ist doch Unfug. Sollen alle Schüler zukünftig Jäger werden? Das glaube ich dir nicht.«
»Es wird dir nicht gefallen, Luves, aber dieses Vorgehen hat durchaus seine Gründe. Es liegt nicht nur daran, dass die anderen Häuser gefüllt sind. Vielmehr ist es so, dass wir mehr Jäger, also Krieger, brauchen werden. Wenn die vier Mächte es nicht verhüten mögen, dann wird es zukünftig nur noch Schüler in unserer Gilde geben.«
»So viele brauchen wir doch niemals. Oder befürchtet der Rat eine Rückkehr all der Geistwesen, die aus Aestra vertrieben wurden?«
»Es wird bald ein Krieg ausbrechen.«
»Woher weißt du das?«
Reget sah sich vorsichtig um, als ob er fürchtete, belauscht zu werden. Mit einer unauffälligen Geste bedeutete er ihm, leiser zu sein.
»Mach deine Augen auf, Luves«, raunte er ihm zu.
»Die Wesen, die wir jagen, fliehen nicht einfach nur in die freien Lande. Sie sammeln sich dort und warten auf eine Gelegenheit, uns anzugreifen.«
»Hast du dafür Beweise? Weiß der Rat davon?«
»Schau doch nur, wohin wir Jäger ausgesandt werden. Wir bewegen uns nur noch entlang der Grenzen und fangen diejenigen ab, die die Sommerlande verlassen wollen. Vor ein paar Tagen haben wir einen Dämon aus den kleineren Rassen gefangen und verhört. Erst wollte er nicht reden, aber die Folter hat seine Zunge gelockert. Er hat uns keine genauen Pläne verraten, bevor er gestorben ist, aber wir haben genug erfahren, um zu erahnen, was vor sich geht. Die geächteten Wesen bringen in den Städten hinter den Grenzen von Aestra ihre Familien in Sicherheit und jeder, der kämpfen will, scheint sich den aufständischen Truppen anzuschließen. Aber das betrifft nicht nur die Wesenheiten. Es gibt auch großen Unmut innerhalb der Bevölkerung. Die Menschen sind unzufrieden und begehren immer öfter auf. Das merkt man daran, dass sie sich weigern, ihre in der Magie begabten Kinder den Gilden zu übergeben. Du hast selbst auf dem Marktplatz gesehen, wie wenige es nur noch sind. Es ist schon lange keine Ehre mehr, zu den Magiern zu gehören. Sieh dich vor, wenn du auf den Straßen unterwegs bist. Man kann nicht sagen, wie die Dinge sich entwickeln werden.«
Luves blieb stehen und hielt den Atem an. Reget legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn eindringlich an.
»Die Zeiten haben sich geändert und schon bald wird Aestra nicht mehr das Land sein, das es einmal war. Die Macht der Magier steht auf wackeligen Füßen und bald muss sich jeder entscheiden, auf wessen Seite er steht.«
»Was willst du mir damit sagen? Es klingt, als ob du zu den Aufständischen überlaufen wolltest.«
»Das habe ich nicht behauptet, aber man muss vorsichtig sein, wem man vertraut.«
Reget beschrieb eine hilflose Geste. Hatte er zuvor in der Bibliothek noch überlegen und stolz gewirkt, so war er nun verunsichert und seine Bewegungen fahrig.
»Sieh dich einfach nur vor«, sagte er schnell.
Luves holte tief Luft. Es gab viele Gerüchte darüber, dass besonders die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten mit der Herrschaft der Magier unzufrieden war. Niemand in der Hauptstadt nahm ihr Murren und Zetern ernst. Was sollte auch eine Horde Bauern mit ihren Ackergäulen und Mistgabeln gegen Hunderte von gut ausgebildeten und kampferfahrenen Magiern ausrichten? Die Gilden regierten seit Jahrhunderten dieses Land und daran würde sich auch nichts ändern. Trotz dieser Gewissheit beschlich Luves ein mulmiges Gefühl und er nahm sich vor, auf seiner Reise besonders aufmerksam zu sein.
»Ich werde vorsichtig sein und mich umhören«, sagte er.
»Darf ich dir als Jäger einen guten Rat geben?«, fragte Reget versöhnlich.
»Gerne«, sagte Luves, in der Hoffnung von ihm einen hilfreichen Hinweis zu bekommen, wie er vorgehen konnte.
»Sobald du den Faun siehst, brate ihm einen Blitz über den Balg und schick ihn in die Unterwelt.«
Verdutzt sah Luves ihn an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und erklärte seinem Begleiter, dass Meister Bukov ihm einen sehr ähnlichen Rat gegeben hatte.
»Wenn dir zwei das Gleiche sagen, solltest du dich vielleicht auch daran halten«, sagte der Jäger grinsend.
Er entbot Luves einen letzten schnellen Gruß und wünschte ihm viel Glück für seinen Weg. Misstrauisch sah der Magier ihm nach, als er sich zwischen die Menschen drängelte und rasch von der Menge verschluckt wurde. Luves überlegte, ob er dem Jäger folgen und ihn doch noch zur Rede stellen sollte, denn dessen Andeutungen gaben ihm zu denken. Doch er hatte wichtigere Dinge zu erledigen. Er konnte nur darauf hoffen, Reget später erneut im Haus der Gilde zu treffen, um ihr Gespräch fortzusetzen.