Читать книгу Luves - Die Magier von Cimala - Bianca Schäfer - Страница 6

Kapitel 3

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Luves zog die Kapuze seines Umhanges tief über das Gesicht, als er den Hauptsitz der Gilde verließ und sich zur Bibliothek aufmachte. Die Veteres setzten offenbar großes Vertrauen in ihn und seine Fähigkeiten, indem sie ihm die Möglichkeit boten, sich bereits in seinem jungem Alter zu bewähren. Trotzdem war die Jagd auf einen Faun nicht sein größter Traum. Diese Gattung stellte im Grunde rein körperlich keine nennenswerte Bedrohung dar und galt somit als recht harmloser Gegner. Er hätte sich eine schwierigere Aufgabe gewünscht, etwas, was eine Prüfung seiner physischen Kräfte und seiner magischen Fähigkeiten darstellte. Doch er musste sich wohl oder übel damit zufriedengeben. Die eigentliche Herausforderung war eher sein Begleiter, dessen Anweisungen er blind Folge leisten musste, und das bereitete ihm das wahre Grauen. Als Anwärter galt er für den erfahrenen Jäger nur als minderwertig. Er war ein lästiges Anhängsel und Meister Friebert würde ihn seinen Unmut darüber spüren lassen. Sicherlich würde der Magier keine Gelegenheit auslassen, um ihn zu schikanieren, vielleicht sogar zu demütigen.


Bis zu den Sommerfeldern würden sie zu Pferd etwa drei Tage brauchen und dann mussten sie dort nach dem Faun suchen. Selbst wenn der ungefähre Aufenthaltsort des Wesens bekannt war, hieß es nicht, dass sie ihn dort auch tatsächlich antreffen würden. Faune streiften durch die Lande, ohne einen festen Wohnort zu haben. Sie mussten sich beeilen, wenn sie die Kreatur rasch auftreiben wollten. Ein schneller Erfolg würde das Vertrauen der Veteres in ihn festigen und sie wohlwollend ihm gegenüber stimmen. Ihm war mulmig zumute bei dem Gedanken, dass der Erfolg seiner Mission davon abhing, ob er in der Vergangenheit alle erforderlichen Zaubersprüche gelernt hatte. Würde er sich außerhalb der Stadt behaupten können? Seit seinem fünften Lebensjahr hatte er Cimala nicht verlassen und davor war er als Sohn einer armen Bauernfamilie aufgewachsen. An den Namen seines Heimatdorfes konnte er sich nicht mehr erinnern. Der Weg in die Hauptstadt des Landes war die längste Reise gewesen, die er in seinem ganzen Leben unternommen hatte. Er hoffte darauf, dass er von den Meistern, die er vor seinem Aufbruch aufsuchen musste, zumindest Hinweise bekommen würde, was ihn erwartete. Es behagte ihm nicht, sich vielleicht wochenlang über die Landstraßen zu bewegen, ohne zu wissen, welche Gefahren dort auf ihn lauern mochten.


Tief in Gedanken versunken, überquerte er den Platz und näherte sich der Bibliothek, die nur den Magiern der Gilden zugänglich war. Das Gebäude aus grauem, vom Regen verwaschenem Stein war wesentlich kleiner als das Hauptquartier, doch es war groß genug, um die Schmalseite des Platzes einzunehmen. Über den davor aufgereihten Marktständen erhoben sich die schmalen, spitz zulaufenden Fenster in den Außenmauern. Luves schob sich zwischen den Menschen hindurch auf das Eingangstor zu, vor dem ebenfalls Wachen postiert waren. Als häufiger Besucher des Hauses war er ihnen bekannt und sie ließen ihn passieren, ohne nach seinem Anliegen zu fragen. Er trat durch das Portal und befand sich in einem Labyrinth aus Regalen. Dort lagerte das gesammelte Wissen der Magier, wurde seit Jahrtausenden an diesem Ort festgehalten und archiviert. Die Luft roch muffig und abgestanden, nach altem Leder, Staub und Tinte. Es herrschte eine dumpfe Stille, in der man nur leise ein Rascheln zwischen den Regalen hörte, wenn jemand eine Seite umblätterte. Meister Bukov und alle Magier, die in dieser Bibliothek tätig waren, achteten darauf, dass es ruhig blieb und die Schüler und Anwärter nicht lauthals schwatzten oder Unfug trieben. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitschülern liebte Luves die strengen Regeln, die an diesem Ort herrschten. Die Studienzeit stellte für ihn die angenehmsten Stunden des Tages dar. Eingehüllt in die Stille konnte man den Geist ruhen und die Gedanken schweifen lassen und die Magie auf eine angenehme Weise erfahren und spüren. Einen Zauber auszuüben, stellte sicherlich eine großartige Erfahrung dar, in ihrer urtümlichen Kraft, mitunter sogar Gewalt. Doch hier glichen die Zauber eher einem sanften Fließen. Gefangen zwischen Buchseiten, mittels Schrift und Tinte auf Papier gebändigt, warteten sie darauf, von den jungen Magiern entdeckt zu werden. Im Vorbeigehen strich er über einige Buchrücken und spürte die Energie der darin enthaltenen Zaubersprüche, Flüche und Beschwörungen.


Neben ihm erklang aus einem der Regale das leise, kaum hörbare Summen der Flüche der Sirenen und lud ihn ein zu verweilen. Luves strich sachte und liebevoll über das meergrüne Leder des Buches und das Geräusch verstummte. So sehr er es auch bedauerte, aber jetzt fehlte ihm die Zeit, um ihnen zu lauschen und die magischen Formeln zu studieren. Er war auf der Suche nach Meister Bukov, der sich irgendwo zwischen den Regalen auf einem der drei Stockwerke aufhalten musste. Unter den Jungmagiern kursierte das scherzhafte Gerücht, dass die Bibliothek von Cimala seit der Erschaffung der Welt existierte und der Meister sich seitdem darin aufhielt. Luves beteiligte sich nicht an diesem Spott, denn er schätzte den alten Magier, mochte er den Jüngeren auch griesgrämig und streng gegenübertreten. Solange man sich an dessen Regeln hielt und die umfangreiche Sammlung an Büchern und Pergamenten mit Sorgfalt und Respekt behandelte, kam man gut mit ihm zurecht. Darum sorgte er auch dafür, dass Luves als Bestrafung in der Bibliothek arbeiten musste, anstatt über Wochen die Latrinen reinigen zu müssen.


Suchend blickte Luves in die vielzähligen, versteckten Winkel, wo sich Tische und Stühle befanden, damit die Magier dort ihren Studien nachgehen konnten. Doch soweit er feststellen konnte, war nur einer der Tische belegt. Ein Schüler brütete dort über einem der Bücher mit Zaubersprüchen. Links und rechts von ihm stapelten sich weitere Bände und Folianten. Luves erkannte ihn sogleich, denn er teilte sich mit ihm und zwei weiteren Schülern eine Kammer.

»Kilian«, sprach Luves ihn an, worauf der Vierzehnjährige erschrocken zusammenzuckte.

»Was machst du hier? Musst du nicht an den Übungen für den Schwertkampf teilnehmen?«

Verlegen blickte Kilian auf die aufgeschlagenen Seiten vor sich.

»Meister Zudu hat mich davon freigestellt«, sagte er leise. »Ich soll für die Prüfungen zum Anwärter lernen.«

Luves sah ihn erstaunt an. Er selbst hatte es in den dreizehn Jahren seiner eigenen Ausbildung nie erlebt, dass man Prüfungen angekündigt oder gezielt dafür gelernt hatte. Im Grunde mussten die Schüler und Anwärter an jedem Tag ihr Können beweisen und zeigen, dass sie den hohen Erwartungen gerecht wurden. Der Ehrgeiz und das Verlangen der Schüler sollte damit geweckt werden, die Mitstreiter zu übertrumpfen. Er selbst hatte diesen Ansporn nie gebraucht, da er sich hohe Ziele steckte und an jedem Tag hart daran arbeitete, um sie schnellstmöglich zu erreichen.

Er nahm eines der Bücher zur Hand und musterte den staubigen Einband aus grauem Leder. In silbernen Lettern hatte man auf dem Buchdeckel den Schriftzug »Schnee & Eis« eingeprägt. Wahllos schlug er eine Seite auf und eine kalte, weißliche Dampfwolke stieg von dem alten Pergament auf.

»Sollst du all das hier lernen?«, fragte er verwundert und deutete auf die restlichen Bücher.


Kilian nickte zaghaft. Eine verlegene Röte zog sich über seine Wangen. Luves legte das Buch zurück an seinen Platz. Es war allgemein bekannt, dass der Junge nicht zu den ehrgeizigsten Schülern seines Jahrgangs gehörte. Er war eher zaghaft und schüchtern im Umgang mit anderen, wählte seine Zauber allzu bedächtig aus und war zögerlich in ihrer Anwendung. Dabei verfügte er über ein Potential, um das ihn seine Mitschüler beneideten. Er verstand es nur nicht, es zu nutzen. Aber dass es derart schlimm um sein Können bestellt war, hatte Luves nicht geahnt. Kilian hatte bisher keine der Prüfungen bewältigt, um das Siegel zu erhalten und zu den Anwärtern aufzusteigen. Allmählich lachten selbst die weitaus jüngeren Schüler über ihn, weil er immer noch zu ihnen zählte. Nur wenigen schenkte Kilian sein Vertrauen und Luves war einer von ihnen.


Er lugte über die Schulter des Jungen auf das brüchige Pergament des Buches.

»Die Winterzauber gehören zu den einfachsten Elementarzaubern überhaupt. Schau her.« Luves wartete, bis Kilian sich zu ihm umgewandt hatte, dann legte er seine Hände so zusammen, dass sie einen Hohlraum bildeten.

»Alji Frialitas«, murmelte er und pustete kräftig in seine Hände.

Sein Atem wurde zu eisig kaltem Dampf, wie im tiefsten Winter. Winzige Schneeflocken stoben von seinen Handflächen auf und wirbelten glitzernd durch die Luft. Sie schmolzen in der Sommerhitze und fielen als Wassertropfen auf seine Finger.

»Ich werde niemals ein großer Magier werden, so wie du einer bist«, seufzte Kilian und ließ die Schultern hängen. »Bei dir sieht es so selbstverständlich aus, wenn du die Zauber anwendest. Es scheint dich gar keine Kraft zu kosten.«

»Da täuschst du dich.« Ermutigend klopfte Luves ihm mit seiner fast erfrorenen Hand auf die Schulter. »Es ist alles eine Frage der Übung. Nur mit Studien ist es nicht getan. Du musst die magischen Formeln auch ausführen, wenn du ein großer Magier sein möchtest. Wenn du nur wolltest, wärst du noch zu weitaus mehr fähig und das weißt du auch.«

Kilian schlug ein weiteres Buch auf und die Buchstaben erhoben sich in einem Wirbel von den Seiten. Vorsichtig drückte der Junge die Lettern zurück auf das Papier und der Wirbelsturm beruhigte sich, indem die Buchstaben sich wieder auf die Zeilen legten.

»Wer will ein großer Magier sein? Etwa Luves?«, ertönte eine spöttische Stimme hinter ihnen. »Kilian, lass dich nicht davon täuschen, dass er in erster Linie lediglich Glück hatte.«

Entrüstet wandte Luves sich um, damit er sehen konnte, wer ihn verspottete. Hinter ihnen stand Reget, der damalige Anwärter, den Luves vor acht Jahren bezwungen hatte. Mittlerweile war er zu einem angesehenen Jäger aufgestiegen und hielt sich nur noch selten in Cimala auf. Seine schwarze Uniform war staubig von seiner letzten Reise. Nachlässig strich er sich das blonde Haar aus der Stirn, was ihn verwegener wirken ließ. Lachend setzte er sich auf einen freien Stuhl und schob einige auf dem Tisch liegende Bände achtlos beiseite.

»Aber er ist doch der jüngste Magier, der jemals das Siegel erhalten hat«, warf Kilian ein.

Es war kein Geheimnis, dass er Luves bewunderte und ihm nachzueifern versuchte.

»Ja, eben weil er mehr Glück als Verstand hat. Wäre ich nicht durch einen Schlag bewusstlos geworden, würde er heute noch wie ein aufgescheuchtes Huhn um den Platz rennen.«

»Was war mit den Feuerzaubern? Er war doch auch einer der Ersten seines Jahrganges, der sie beherrschte«, fragte Kilian neugierig.


Ungehalten sah Luves Reget an und verschränkte die Arme vor der Brust. Doch der ging über seinen offensichtlichen Unmut einfach hinweg und wandte sich dem Jungen zu.

»Er sollte einen Feuerzauber auf ein Ziel lenken, doch die Entladung war derart stark, dass es ihn fünf Schritte weit zurückgeschleudert hat.«

»Ich gebe zu, dass ich umgefallen bin«, warf Luves ein, doch Reget winkte ab.

»Hör nicht auf ihn. Der Zauber war derart stark, dass er ein Loch in die Außenmauer gerissen hat.«

»Leider habe ich das Ziel verfehlt und der Energieschub hat sich an der Mauer entladen. Aber es waren nur ein paar Ziegel geschwärzt.«

»Dass ich nicht lache! Das Loch war so groß, dass man hindurch steigen konnte. Das ist kein Scherz. Ich habe es nämlich getan!«

Kilian blickte staunend von einem zum anderen und versuchte ein Kichern zu unterdrücken.

»Du darfst ruhig laut lachen, Kilian. Als Jäger der Gilde erlaube ich es dir und befehle es sogar. Luves ist nur ein Anwärter. Der hat dir nichts zu sagen, auch wenn du erst ein Schüler bist.«


Schritte schlurften über den steinernen Boden und das gleichmäßige Klackern eines Gehstockes erklang. Schlagartig verstummten die drei und sahen sich gegenseitig erschrocken an.

»Was soll das Geschwätz?«, krächzte eine heisere Stimme. »Dies ist die Bibliothek und kein Tollhaus! Ich werde euch alle am Kragen packen und eigenhändig vor die Tür befördern, ihr ungezogenes Lumpenpack.«

In seinen jungen Jahren mochte Meister Bukov ein stattlicher Mann gewesen sein, doch das Alter hatte ihn gezeichnet. Ein zottiger Kranz schlohweißer Haare umrundete seinen ansonsten kahlen Schädel und seine ehemals gerade Gestalt war krumm und bucklig geworden. Schwerfällig stützte er sich auf seine Krücke und kniff die wässrig blauen Augen zusammen, um die Störenfriede besser erkennen zu können.

»Habe ich es mir doch gedacht. Der kleine Kilian muss nachsitzen und ihr haltet ihn von seinen Studien ab.« Energisch stampfte er mit dem Stock auf den Boden, dass die Steinfliesen dröhnten. »Und dich habe ich an der Stimme erkannt. Schäm dich, Luves! Gerade du müsstest doch am besten wissen, wie wichtig sie sind.«

Anklagend richtete er seine Krücke auf den jungen Magier. Abwehrend hob der seine Hände.

»Vergebt mir, Meister Bukov. Ich wollte ihm nur bei seinen Studien behilflich sein.«

»Als ob du ein rechter Lehrer wärst«, spottete Reget und lachte.

»Bilde dir bloß nichts darauf ein, dass du zu den Jägern gehörst, Herumtreiber und Waldstreuner Reget. Dich habe ich am Gestank erkannt. Was fällt dir ein, den Dreck der Landstraße in diese Räume zu tragen? Geh und wasch dich gefälligst, bevor du eines der Bücher berührst!«, donnerte Bukov und schüttelte den Stock drohend in seine Richtung. »Na, wird's bald, Freundchen? Sonst mache ich dir Beine!«

Reget unterdrückte ein Lachen und erhob sich von seinem Stuhl.

»Mit Verlaub und bei allem Respekt, Meister, aber während Kilian über den Büchern hockt, verpasst er wichtige Übungen in den Kampfkünsten. Die wird er als Jäger ebenso sehr benötigen wie die Kenntnisse der Zaubersprüche.«

»Anstatt in der Sonne mit euren Stöcken und Schwertern herumzutollen, solltet ihr lieber Studien betreiben, bis ihr bleich seid wie der Tod.«

Ein zorniges Funkeln lag in den Augen des Alten und Reget zog es vor, die Flucht zu ergreifen.

»Du bist ein fleißiger Bursche«, sagte er zum Abschied zu Kilian. »Vor den Prüfungen brauchst du dich nicht zu fürchten. Alles Notwendige beherrschst du bereits. Glaub einfach nur mehr an dich selbst und hab Vertrauen in die Kräfte der Urmächte.«

Der Junge versuchte ein tapferes Lächeln, auch wenn er die Unsicherheit in seinem Blick nicht verbergen konnte, und nickte. Reget entbot dem Meister einen freundlichen Gruß, doch Luves grinste er nur an und wandte sich dann kopfschüttelnd ab.


»Du kommst mit mir«, sagte Meister Bukov energisch und deutete Luves mit seiner Krücke, ihm zu folgen. »Vertrödele nicht noch mehr Zeit. Du hast einiges vorzubereiten, bevor du aufbrichst.«

»Ich hatte nicht damit gerechnet, so schnell die Stadt verlassen zu müssen«, gestand Luves ein.

»Glaubst du etwa, dass der Faun wartet, bis du irgendwann auftauchst? Diese verdammten Kreaturen sind ständig in Bewegung und man weiß nie, wo sie aufzutreiben sind. Mögen die Urgewalten sie zermalmen.«

Schwerfällig bewegte sich der alte Magier über den Gang auf eine Treppe zu und Luves folgte ihm. Keuchend erklomm Bukov die Stufen und zog sich dabei an dem hölzernen Geländer hoch.

»Dein erster Auftrag«, murmelte er mit vor Anstrengung heiserer Stimme. »Bald bist du ein Jäger und treibst dich genauso in der Welt herum wie Reget.«

»Es ist unsere Aufgabe, Aestra vor den geächteten Wesen zu schützen«, erklärte Luves nicht ohne Stolz.

»Humbug! Durch die Gegend reiten, große Reden schwingen und mit den Schwertern herumfuchteln. Das ist es, was die Jäger machen«, schimpfte der Alte. »Die vier Mächte sind meine Zeugen. Ich hoffe, du wirst dich nicht in dieser Weise entwickeln.«

»Ich werde mir alle Mühe geben, Meister.«

»Du begleitest Meister Friebert?«

Luves bejahte und Bukov seufzte bedauernd.

»Mögen die Urgewalten deiner Seele gnädig sein, mein Junge. Ich hätte dir einen angenehmeren Weggefährten gewünscht, aber du wirst es schon überleben.«

Sie erreichten die obere Etage, wo die Regale und Schränke mit Landkarten und Stadtplänen gefüllt waren. Verstohlen warf Luves einen sehnsüchtigen Blick auf die Holzdecke. Direkt über ihm befand sich die verbotene Abteilung der Bibliothek, zu der nur die Veteres und die Meister Zugang hatten. Sobald er den Status eines Jägers erreichen würde, durfte auch er die dort lagernden geheimen Schriften studieren. Bukov ging an ihm vorbei auf eines der Regale zu und entnahm ihm zwei Pergamentrollen, die er Luves reichte. Auf einem großen Tisch aus dunklem Holz entrollte der die Landkarten. Sorgfältig strich Luves sie glatt.

»Ah … die Sommerfelder.« Der alte Magier hielt inne und ein versonnenes Lächeln zeichnete sich auf seinem faltigen Gesicht ab. »Man nennt die Gegend auch die Kornkammer von Aestra. Sehr idyllische Umgebung, hübsche Frauen und gutes Bier. Du wirst dich dort prächtig amüsieren, mein Junge.«

»Meister, ich habe dort einen Auftrag zu erledigen«, stammelte Luves verlegen.

»Der Auftrag, der dich zum Jäger macht und dir Ruhm und Ehre einbringen soll.« Der Alte lachte krächzend und klopfte ihm auf die Schulter. »Mit euch Jungspunden ist es immer dasselbe. Erst tut ihr so pflichtbewusst, aber sobald ihr die Mauern der Stadt hinter euch gelassen habt, geht euer heißes Blut mit euch durch. Warte nur ab, Luves, dir wird es nicht anders ergehen, wenn dir der Wind um die Nase weht.«


Luves blieb ihm eine Erwiderung schuldig und konzentrierte sich auf das Studium der Karte. Von Cimala aus würden er und Meister Friebert zuerst über die größte Straße, die sich von Norden bis Süden durch ganz Aestra zog, reisen. Erst am Rande des Gebietes der Sommerfelder mussten sie kleinere Nebenstraßen oder Feldwege nutzen, um an ihr Ziel zu gelangen. Meister Bukov tippte auf einen bestimmten Bereich.

»Ungefähr hier soll sich der Faun aufhalten. Ein reisender Händler soll von ihm ausgeraubt worden sein und ist nur knapp mit dem Leben davongekommen. Er hat das Wesen den Wachen gemeldet, konnte ihn allerdings nur unzureichend beschreiben.«

»Wie nennt man diese Gegend?«

Bukov zuckte mit den Schultern und deutete auf eine andere Stelle, wo eine kleine Ansiedlung eingezeichnet war. Ein zierlicher Schriftzug leuchtete auf.

»Das nächstgrößte Dorf heißt Solagri. In diesem Landesteil gibt es praktisch keine Städte und die Dörfer sind lediglich dicht beieinander liegende Bauernhöfe. Ihr werdet euch durchfragen müssen, aber das wird euch schon gelingen. Friebert weiß schließlich, was zu tun ist und wie man diese dummen Bauern zum Reden bringt.«

Mit einem schweren Seufzen ließ Luves sich auf einen Stuhl sinken.

»Das Gebiet ist riesig und es gibt keine Anhaltspunkte, wie er aussehen könnte. Wenn er wenigstens Hörner hätte oder Flügel …«


Mit einem schnarrenden Lachen setzte Bukov sich neben ihn und stützte sich mit den runzeligen Händen auf seine Krücke.

»Benutz deinen Verstand. Wahrscheinlich weißt du aus den Büchern, die du studiert hast, mehr über dieses Wesen als der Händler, der ihm gegenüberstand.«

Nachdenklich lehnte Luves sich zurück und blickte zu der hölzernen Decke über sich auf, während der Meister ihn erwartungsvoll ansah.

»Auf den Bauernhöfen leben seit Generationen die gleichen Familien und man kennt einander gut«, begann er langsam. »Jemand Fremdes, wie ein fahrender Händler oder eine umherstreunende Person, würde ihnen sofort auffallen.«

»Diese Bauern sind ein eigenbrötlerisches Volk und werden nur ungern mit jemandem reden, den sie nicht kennen. Doch es gibt genug Wirtshäuser, in denen sich die Männer nach getaner Arbeit versammeln, um zu zechen. Das lockert ihre Zungen. Hör ihnen aufmerksam zu und achte auf jede Kleinigkeit.«

»Ein Faun wirkt wie ein normaler Mensch, aber man sagt, dass er von besonderer Schönheit ist und jeden verzaubert, der ihn trifft«, fuhr Luves fort.

»Deswegen solltest du ihm nicht zu nahe kommen. Darf ich dir einen gutgemeinten Rat mit auf den Weg geben?«

»Natürlich. Ich bin für jeden Hinweis dankbar, der mir diese Aufgabe erleichtert.«

»Es sind hinterhältige Kreaturen voller Arglist und Mordlust. Am besten spaltest du ihm mit einem Blitz den Schädel, sobald du ihn siehst, und schickst ihn durch die erste Pforte der neun Höllen!«


Luves lachte gezwungen auf, doch der Meister behielt seine ernste Miene.

»Halt die Ohren und die Augen offen, dann wird dir deine Mission gelingen und du wirst die wundersamsten Dinge erleben. Alle Zauber, die du benötigst, sind dir bekannt und was du noch benötigst, bekommst du von Meister Riudan in den Werkstätten der Kesselrührer. Du solltest dich jedoch beeilen, denn der alte Schwätzer wird dich ewig aufhalten. Am Ende findest du dich noch zu spät zu den Gebeten in deiner Gilde ein. Das würde deinem Ausbilder sicherlich missfallen.«

Luves nickte und rollte schnell die Landkarte zusammen, um sie zurück in das Regalfach zu legen. Aufmunternd klopfte der Alte ihm auf die Schulter.

»Mach dir keine Sorgen. Ich bin überzeugt, dass du diese Prüfung mit Leichtigkeit bestehen wirst. Du bist nicht auf den Kopf gefallen und von guter Gesundheit. Was soll dir da schon geschehen?«

»Ich danke Euch für Eure guten Wünsche«, sagte Luves und deutete eine respektvolle Verbeugung vor dem Meister an.

»Wenn du zurückkehrst, musst du mir von deinen Abenteuern berichten. Auf meine alten Tage sehe ich nicht mehr viel von der Welt.«

»Ich verspreche es. Mein erster Weg wird mich zu Euch führen, um Bericht zu erstatten.«

Bukov lachte und stieß ihn mit der Krücke an.

»Du sollst mir nicht Bericht erstatten, sondern mir von deinen Abenteuern erzählen, du Holzkopf. Verschwinde jetzt, sonst mach ich dir Beine!«

Luves - Die Magier von Cimala

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