Читать книгу MS Sara - Birgit Ebbert - Страница 5
Chaos im Kopf
ОглавлениеNach der Entdeckung von Björns Augenfarbe konnte Sara nichts mehr sagen. Sie wusste, dass ihre Mutter sich ärgern würde und sie wusste, dass ihr Verhalten unhöflich war. Und doch konnte sie nicht anders. Wie sollte sie auch, wenn ihre Mutter ihr den coolsten Jungen, der ihr je begegnet war, wegschnappte.
Sara klappte ihr Notebook auf und beachtete den Teller mit dampfenden Nudeln nicht, den ihre Mutter ihr als Mittagessen auf den Tisch gestellt hatte. Tortellini mit Käse-Sahne-Sauce, das erkannte Sara am Duft. Sie brauchte überhaupt nicht hinzuschauen.
Ihre Mutter wollte sie mit ihrem Lieblingsessen bestechen. Doch sie ließ sich nicht so leicht um den Finger wickeln wie ihr Großvater. Er musste von dem Techtelmechtel zwischen den beiden wissen.
Ein heller Ton zeigte Sara, dass ihr Notebook betriebsbereit war. Sie hatte es zu ihrem zehnten Geburtstag bekommen. Einen kleinen modernen Computer, der sogar in ihren Schulrucksack passt.»Damit du überall lernen kannst«, hatte ihre Mutter gesagt. Sara lernte nicht nur damit, sie schrieb auch auf, was um sie herum geschah.
Ohne ihre Mutter oder Björn zu beachten, öffnete Sara ihre Notizbuch-Datei. Kaum erschien das Dokument auf dem Bildschirm, hackte sie mit aller Kraft auf die Tastatur ein. Die Buchstabenreihen, die sie produzierte, waren nicht lesbar. Doch das war Sara gleichgültig, sie wollte ihrer Mutter zeigen, dass sie wütend war.
Ihre Mutter hatte es verstanden. »Du hast doch etwas?«, fragte sie. Ihre Stimme zitterte.
Sie hat wohl begriffen, dass ich diesen Typ nicht mag, dachte Sara und gleichzeitig war sie traurig, weil ihr der Hutträger gefiel.Sie hackte weiter auf die Tastatur ein, ohne den Sinn der Buchstaben zu beachten.
Als sie nicht antwortete, wandte ihre Mutter sich ab. »Beruhige dich erst einmal. Vielleicht kannst du Sara ja mit deiner Musik beruhigen, Björn«, fügte sie hinzu und ihre Stimme klang wieder liebevoll.
Saras Augen wurden zu engen Schlitzen. Sie versuchte die Tränen aufzuhalten. Da hörte sie diese sanfte Melodie, die Björn auf dem Saxofon spielte.
Verzweifelt sah Sara sich um, um sich abzulenken. Wenn sie Menschen lange genug beobachtete, fand sie immer etwas für ihr Notizbuch.
In der Nähe der Theke saß eine Familie. Ihr Blick saugte sich förmlich an der Frau fest, die in ihrem Blickfeld saß. Sie konnte sogar hören, was sie sagte. Schon wurden aus den unsinnigen Buchstabenreihen auf Saras Bildschirm sinnvolle.
An dem Tisch vor der Theke sitzen vier Menschen. Eine Frau, ein Mann und zwei Kinder. Das Haar der Frau ist strähnig und fettig. Sie hat es bestimmt lange nicht gewaschen. Wie ekelig. Aber vielleicht ist sie an Fetthaar erkrankt. Die Frau ist nicht geschminkt, ihre dicke rote Nase, die sehr porig aussieht, prangt wie ein roter Schwamm mitten im Gesicht. Der Mann sitzt mit dem Rücken zu mir und redet in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Es kommt viele »sch« und »le« vor und manchmal sieht er die Frau an und sagt: »Gell? Das meinscht doch au?« Die Frau nickt. Sie ist nicht glücklich, das sieht doch jeder. Vielleicht sollte ich das ihrem Mann sagen. Jetzt weint sie auch noch. Bestimmt weint sie über die traurige Musik, die Mama heute aufgelegt hat. Wieso eigentlich? Mama legt sonst nie traurige Musik auf. Mist, das ist gar keine CD. Das ist Björn. Ich hasse ihn. Wütend klappte Sara das Notebook zu. Nicht einmal ihre Beobachtungen konnten sie von ihrem Problem ablenken. Björn war zwar nicht mehr zu sehen, aber zu hören. Er spielte gut Saxofon, das musste Sara zugeben. Sie liebte Saxofon, vor allem, seit ihre Mutter ihr an ihrem zwölften Geburtstag verraten hatte, dass ihr Vater nicht nur Fußball spielte, ein braunes und ein blaues Auge hatte und Spion war, sondern auch das Saxofon beherrschte. Seitdem träumte sie davon, Saxofon zu spielen. Bisher hatte ihre Mutter sich geweigert, ihr ein Saxofon zu kaufen. »Vielleicht kann Björn dir zeigen, wie man Saxofon spielt!« Sara sah nicht auf, als ihre Mutter sich mit diesem Satz an sie heranpirschte. Das fehlte gerade noch, dachte sie. »Womöglich soll ich auch Papa sagen?«, entfuhr es ihr lauter, als sie wollte. Ihre Mutter starrte sie an. Dann begann sie zu lachen, bis ihr die Lachtränen die Wangen hinunter liefen. »Du glaubst?«, kicherte sie. Sara starrte nur auf die schwarzen Streifen aus Kajal, die über das Gesicht ihrer Mutter liefen. »Du glaubst wirklich?« Ihre Mutter schnappte nach Luft. Jetzt ist sie auch noch verrückt geworden!, dachte Sara, da dämmerte ihr, dass ihre Mutter möglicherweise über sie lachte. Endlich hatte sie sich beruhigt. Sie setzte sich Sara gegenüber und sagte mit einem Lächeln und schwarzen Streifen im Gesicht: »Du meinst, Björn wäre mein Freund?« Nachdem sie das ausgesprochen hatte, kicherte sie wieder. Dann wurde sie ernst. »Wie kommst du denn auf diese absurde Idee?«, wollte sie wissen. »Björn ist der Sohn eines Bekannten. Er brauchte einen Praktikumsplatz auf einem Schiff, da hat Großvater ihm erlaubt, hier sein Praktikum zu machen.« Sara horchte auf das, was ihre Mutter sagte. Es hörte sich alles logisch an, dennoch spürte sie, dass ihre Mutter ihr etwas verheimlichte.