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Frühjahr 1955 – Niger
ОглавлениеLena hockte auf einem rauen Holzbrett, unter dem ein Metallgerüst mit zwei Rädern montiert war, und wurde auf holprigem Untergrund heftig durchgerüttelt. Vor dem Gefährt war ein Esel angespannt, der immer wieder unlustig stehen blieb und nur mit viel Mühe zum Weitergehen angetrieben werden konnte. Sie und ihre Freundin Britta waren unterwegs zu dem Krankenhaus in der Savanne der Republik Niger, in dem sie drei Monate ehrenamtlich arbeiten wollten.
Beide hatten vor, nach diesem Aufenthalt ein Medizinstudium zu beginnen und einen Teil ihres Berufslebens freiwillig in Krisengebieten zu arbeiten.
Nach einer Stunde abenteuerlicher Fahrt hielt die Karre vor einem schmutzig-weißen Gebäude, auf dem in abblätternder, blauer Farbe die Reste des Wortes Hospital zu lesen waren.
„Endlich! Bin ich froh, von diesem Ding hier runterzukommen – aua!“, stieß Lena mit schmerzverzerrtem Gesicht aus, „ich glaube, ich habe morgen mindestens zweihundert blaue Flecke. Mir tut jeder Knochen weh.“
Britta sagte nichts, sie ließ nur ein wehleidiges Stöhnen hören.
Währenddessen hatte der nicht mehr ganz so junge, spindeldürre Besitzer der Eselskarre ihre Koffer auf die lehmige Erde gestellt und führte sein Tier zu einem Brunnen.
„Guten Tag, die Damen. Hatten Sie eine angenehme Reise?“ Die beiden drehten sich um und sahen in die Augen eines braun gebrannten und gut aussehenden Mannes, der sich ihnen als Björn aus Schweden vorstellte.
„Na ja, angenehm ist irgendwie anders“, grummelte Lena. Britta starrte mit großen Augen fasziniert auf Björn.
„Ich bin hier Mädchen für alles“, sagte er grinsend und raffte seine langen, blonden Locken mit beiden Händen zu einem Zopf zusammen. Seine Haarpracht war allerdings das Einzige an ihm, das man mit einem Mädchen in Zusammenhang bringen konnte.
„Ich bin Lena und das hier“, sie zeigte auf ihre Freundin, die ihre Augen nicht von Björns athletischem Körper loseisen konnte, „ist Britta.“
„Freut mich. Wir sehen uns die nächste Zeit noch öfter“, sagte er und zwinkerte Britta zu. „Jetzt zeige ich euch erst mal eure Unterkunft. Folgt mir“, wies er die beiden Frauen an und schnappte sich die Koffer.
„Sag mal, was ist denn in dich gefahren?“, fragte Lena ihre Freundin, als sie endlich allein in der Hütte waren, die für die nächsten drei Monate ihr Zuhause sein sollte. „Du himmelst Björn an, als wäre er der einzige Mann weit und breit.“
„Hast du diesen Körper gesehen? Göttlich! Und ich habe noch nicht viele andere Männer hier gesehen.“
„Du bist hier, um zu arbeiten und nicht um fremde Männer anzuschwärmen!“
„Kann man nicht das eine mit dem anderen verbinden?“
Lena verdrehte die Augen.
„Komm, wir gehen duschen“, sagte Lena, hob die Arme und schnupperte an ihren Achselhöhlen. „Puh ... es ist dringend!“
Als sie in Badehandtücher gewickelt aus der abenteuerlichen Dusche kamen, in der sie an langen Kordeln ziehen mussten, damit das Wasser aus mehreren über ihnen hängenden Gießkannen floss und in der ihre nackten Körper nur von einer löchrigen Decke notdürftig vor neugierigen Blicken geschützt waren, stand schon Björn vor ihrer Hütte.
„Doktor Kammer wartet auf euch. Ich soll euch zu ihm bringen. Ihr solltet euch etwas anziehen“ bemerkte er mit einem amüsierten Blick.
Flugs huschten die beiden an ihm vorbei in ihre Hütte. Lena wählte einen grauen, knöchellangen Rock, eine weiße, hochgeschlossene Bluse und gönnte sich die Freiheit, keine Strumpfhose, sondern bei der brütenden Hitze nur weiße Söckchen zu tragen. Britta schlüpfte in einen blauen Rock, der ihre Knie zeigte, und in eine Bluse, deren oberste Knöpfe sie offen ließ, wofür sie von Lena einen missbilligenden Blick erntete.
Kokett stolzierte Britta vor Björn her, der bei dem Anblick ihres Dekolletés genüsslich grinste.
Nachdem Dr. Kammer ihnen das Krankenhaus gezeigt und sie allen Patienten vorgestellt hatte, erhielten sie von ihm die Einsatzpläne für die nächsten Wochen. Es war ein straffer Plan. Täglich zwölf Stunden Einsatz. Lediglich einen Tag alle zwei Wochen hatten sie frei.
„Was hatten Sie sich denn vorgestellt? Wir sind hier nicht in Deutschland!“, brummte Dr. Kammer schroff, als Britta beim Anblick der Arbeitszeiten zischend die Luft durch die zu einem Schlitz geformten Lippen stieß. „Gehen Sie jetzt zu Schwester Maria und holen Sie sich die Uniformen ab. So will ich Sie im Krankenhaus nicht mehr sehen“, bellte er mit einem Blick auf Brittas Bluse.
Lena fragte sich in der ersten anstrengenden Woche, ob dieser Job das Richtige für sie war. In der zweiten Woche machte sich in ihr mehr und mehr das Gefühl breit, dass genau hier ihr Platz war. Hier konnte sie Menschen helfen, die es bitter nötig brauchten. Während sie ihre Liebe für die dankbaren Augen der Patienten fand, entdeckte Britta die ihre zu Björn. Wann immer sie frei hatte oder eine Pause machte, versuchte sie, in die Nähe des attraktiven Schweden zu kommen.
Björn, im besten Mannesalter, genoss ihre Aufmerksamkeit. Es dauerte nicht lange, bis sie nicht nur in seinen Armen, sondern auch in seinem Bett lag. Als Dr. Kammer von dieser Liebschaft erfuhr, mussten beide das Krankenhaus verlassen. Britta hatte fest damit gerechnet, dass Björn sie mit nach Schweden nehmen würde. Doch der hatte keinerlei Ambitionen, aus dem Abenteuer eine Verpflichtung entstehen zu lassen.
Britta stieg also wieder auf den Eselskarren und war kurze Zeit später mit elendem Liebeskummer zurück in Deutschland. Ihre Angst, ungewollt von Björn schwanger geworden zu sein, bestätigte sich nicht.
Lena blieb drei Monate in Niger.