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Sommer 2010 – Starnberger See

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„Was ist aus Britta geworden?“, fragte Sarah.

„Ich habe sie nur noch einmal wiedergesehen, nachdem ich wieder in Deutschland war. Sie hat ihr Medizinstudium gar nicht erst begonnen. Ein Jahr, nachdem sie zurück aus Afrika war, hat sie geheiratet. Später habe ich erfahren, dass sie mit ihrem Mann nach Amerika ausgewandert ist. Ich habe danach nichts mehr von ihr gehört.“

„Wie schade“, meinte Sarah, „wie ging es mit dir weiter?“

„Ein halbes Jahr später bin ich wieder zurück nach Afrika in das gleiche Krankenhaus gegangen und über vier Jahre geblieben.“ Lenas Blick schweifte in die Ferne und ein trauriger Zug legte sich um ihre Augen.

„Über vier Jahre?“ Sarahs Augen wurden riesengroß vor Erstaunen. „Davon wusste ich ja gar nichts.“

„Komm“, sagte Lena unvermittelt. „Lass uns reingehen. Es wird kühl.“ Abrupt drehte sie sich um und ging mit flinken Schritten zum Haus.

„Hey! Wieso hast du es so eilig?“ Verwundert lief Sarah ihrer Großmutter hinterher und glaubte zu sehen, wie sie sich verstohlen über die Augen wischte.

„Weinst du?“

„Nein, nein, mir ist wohl ein Insekt ins Auge geflogen. Ich muss kurz ins Bad und es vor dem Spiegel herausholen“.

„Ich dachte, du hast Medizin studiert?“, bohrte Sarah weiter, als Lena zurück in die Halle kam.

„Das habe ich auch. Aber erst, als ich nach der langen Zeit in Afrika wieder zurück in Deutschland war. Ich hatte das große Glück, deinen Opa kennenzulernen und in eine Familie einzuheiraten, in der solche Dinge kein Problem waren. Es gab Kindermädchen, Haushälterinnen, Putzfrauen, Köchinnen ... Ich konnte trotz allen Widrigkeiten in Ruhe studieren.“

„Moment ...“ Sarah dachte kurz nach. „Das bedeutet – wenn ich richtig rechne – dass meine Mutter und Tante Aline schon da waren, während du studiert hast, stimmt´s?“

„Ja, das stimmt. Aber dein Opa Karl war der Meinung, ich müsse auf jeden Fall mein Studium beginnen. Zu dieser Zeit war diese Meinung sehr fortschrittlich, und ich bin ihm heute noch dankbar.“

„Ah ...“, murmelte Sarah nachdenklich. „Wieso wolltest du ...?“

„Sarah“, unterbrach Lena, „ich bin müde. Wir reden ein andermal weiter.“

Aline Rosenheim saß an ihrem mahagonifarbenen Schreibtisch und stellte die Gästeliste für die nächste Wohltätigkeitsveranstaltung zusammen. Sie war Schirmherrin für ein Projekt, das ihre Mutter ins Leben gerufen hatte.

Lenas Leidenschaft galt, solange sich Aline erinnern konnte, einem Gebiet im Norden von Niger. Dort hatte ihre Mutter jedes Jahr für drei Monate als Ärztin freiwillig in einem Krankenhaus gearbeitet. Um das Maß voll zu machen hatte sie ein kleines schwarzes Mädchen mit nach Hause gebracht, das ihre Eltern zu allem Überfluss nach der Hochzeit adoptiert hatten.

Sie mochte ihre Adoptivschwester nicht. Sie hatte sich in ihre Familie gedrängt und in ein gemachtes Nest gesetzt. Dieser Bastard hatte keinerlei Berechtigung, den Namen Rosenheim zu tragen. Dementsprechend behandelte sie ihre Adoptivschwester. Am schwersten zu ertragen war es für sie, dass Elani einen gut betuchten, aus aristokratischen Kreisen stammenden Mann geheiratet und eine Tochter mit ihm bekommen hatte.

Beides war ihr verwehrt geblieben. Sie konnte keine Kinder bekommen, und deshalb wollte kein geeigneter Mann sie heiraten. Geeignet in ihren Augen waren nur aus altem Adel stammende Männer, von denen es nicht viele im passenden Alter gab.

Diese Tatsachen bereiteten ihr körperliche und seelische Qualen. Um den Schmerz zu betäuben, konzentrierte sie sich mit ganzer Kraft darauf, ihre Nichte als Tochterersatz zu betrachten und ihr die Dinge beizubringen, die ihrer Ansicht nach die wirklich wichtigen waren. Allerdings mit mäßigem Erfolg, denn Sarah hatte eigene Vorstellungen vom Leben.

Vor drei Jahren hatte Lena ein Hilfsprojekt in Niger gegründet, das Aline als Schirmherrin unterstützte. Ihr waren die Menschen in Niger egal, doch das Projekt hob ihr Ansehen und viele bedeutende Personen bewunderten sie für ihr tatkräftiges Engagement. Sie gierte nach Anerkennung. Das war ihr Lebenselixier.

Sollte sie Baron von Barrenstein mit seiner Familie einladen oder besser die Hansens, deren Immobilienfirma knapp die Hälfte aller bedeutenden Gebäude hier in der Stadt gehörte? Die Familien befehdeten sich seit Generationen. Aline stöhnte. Immer diese schwierigen Entscheidungen... „Ich lade beide ein. Was soll´s? Sollen sie sich die Köpfe einschlagen und sich gegenseitig überbieten. Kann nur lukrativ werden ...“, murmelte sie und setzte beide Familien auf die Gästeliste. Es ging schließlich darum, so viel Geld wie möglich zu sammeln. Je höher der Spendenbetrag, desto wahrscheinlicher wurde sie in den Medien lobend erwähnt.

Ein zaghaftes Klopfen riss sie aus ihrer Konzentration. Gerade hatte sie damit begonnen, die Tischordnung zu planen. Eine sowohl wichtige als auch schwierige Aufgabe. Es gab einiges zu beachten. Auf keinen Fall durfte die Geliebte des Barons von Barrenstein zu nah an dessen Ehefrau sitzen. Und Gisela von Donken sollte möglichst nur mit dem Rücken zum Bankier Rudolphen sitzen. Die beiden hatten vor Jahren eine stürmische Affäre gehabt, die der Bankier eines Tages beendet hatte. Gisela von Donken hatte ihm nie verziehen. Beide waren bedeutende Gäste, denn jeder hatte Millionen auf den Konten. Bei guter Laune zeigten sich beide auch äußerst spendabel.

„Ja!“, fauchte sie, genervt von der Störung.

„Frau Rosenheim, Herr von Lohen möchte Sie sprechen“, piepste die verschüchterte Stimme des Hausmädchens.

„Muss das jetzt sein?“

„Ja, es muss jetzt sein. Guten Tag, liebste Aline.“

Er trat ein und begrüßte sie formvollendet mit einem Handkuss. Was sie milde stimmte, wusste er genau.

„Heiko! Wie nett, dich zu sehen. Was kann ich für dich tun?“

„Du siehst bezaubernd aus. Ein neues Kleid? Steht dir ausgezeichnet“, säuselte er.

„Danke. Wie immer – ganz Kavalier“, erwiderte sie, und eine leichte Röte überzog ihr blasses Gesicht.

„Ich brauche deine Hilfe! Sarah sitzt gerade beim Friseur. Ich möchte sie überraschen, und sie sollte davon nichts mitbekommen. Wenn jemand das schafft, dann du, liebste Aline.“

Aline sonnte sich in Heikos Schmeicheleien. Die von Lohens waren eine der namhaftesten Familien, die sie kannte. Dass sie diese bald zu ihrer Verwandtschaft zählen konnte, hatte ihre grundsätzlich schlechte Laune in der letzten Zeit erheblich verbessert. Und natürlich hatte sie diese Neuigkeit gezielt verbreitet, nachdem Sarah ihr von Heikos Heiratsantrag berichtet hatte.

„Selbstverständlich helfe ich dir. Was hast du denn vor?“

„Du weißt ja, dass ich Sarah beim Heiratsantrag die traditionelle Agraffe meiner Familie überreicht habe, mit der schon mein Urgroßvater seiner Braut den Heiratsantrag gemacht hat.“

„Ja, sicher. Eine wunderbare Tradition eurer Familie.“

„Das stimmt. Aber ich würde ihr gern bei unserer offiziellen Verlobungsfeier einen Ring anstecken.“

„Eine schöne Idee. Wie kann ich dabei helfen?“

„Du musst mir ihre Ringgröße sagen. Bitte stell es geschickt an, damit sie bis zur Feier nicht den Hauch einer Ahnung hat, dass sie einen Ring von mir bekommt.“

„Das dürfte kein Problem sein. Ich sag dir sofort Bescheid, sobald ich die Größe herausgefunden habe.“

„Danke, Aline! Du bist die Beste“, schnurrte Heiko und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.

Aline lächelte. Was für ein großartiger Mann. Hoffentlich wusste Sarah ihr Glück zu schätzen. Eine Weile hatte sie schon befürchtet, dass sich Sarah einen Kommilitonen aus der Universität, mit dem sie eine Weile viel Zeit verbracht hatte, als potenziellen Ehemann aussuchen würde. Leider war ihrer Nichte das gleiche eigenwillige Denken Lenas und Elanis zu Eigen, was ihr missfiel. Sie legte schon in der Schulzeit genauso wenig Wert auf standesgemäße Entscheidungen wie Lena und Elani. Hauptsache glücklich, war schon immer das Motto dieses Familienzweigs gewesen. Aline verzog abschätzig die Lippen. Zum Glück war ihr vor etwas mehr als einem Jahr die Lösung für dieses Problem eingefallen. Sie lud die von Lohens zum Dinner ein, und bei diesem Anlass hatte es zwischen Heiko und Sarah zu ihrer größten Freude sofort gefunkt. Kurz nach dem ersten Zusammentreffen hatte Heiko ihre Nichte zum Essen eingeladen, und seitdem waren die beiden ein Paar. Nun sollte schon bald die offizielle Verlobungsfeier stattfinden. Ihr Plan war ohne größere Schwierigkeiten aufgegangen.

„Heiko!“

„Ja. Kann ich noch etwas für dich tun?“

„Richte deinen Eltern herzliche Grüße aus. Ich würde mich freuen, wenn sie mir die Ehre erweisen, am nächsten Montag zu einem Kaffee zu erscheinen. Warte ...“, girrte sie und lief zu ihrem Schreibtisch, „hier ist die Einladung. Es gibt einiges zu besprechen, nicht wahr?“

Sie reichte Heiko die aufwändige Einladung und ließ dabei ein gekünsteltes Lachen hören.

„Aber natürlich. Ich überbringe die Einladung sofort. Ich bin mir sicher, meine Eltern werden entzückt sein.“

Aline stellte die Tischordnung für die Wohltätigkeitsveranstaltung fertig und begann anschließend, einen Ordner für die Hochzeitsvorbereitungen anzulegen. Sie druckte Listen aus, heftete sie nach Themen ab, notierte erste Stichworte und suchte Adressen heraus.

„Das wird die perfekte Hochzeit. Man wird noch lange davon sprechen“, murmelte sie euphorisch. Das Beste wäre, sie würde so bald als möglich mit der Planung anfangen. Es gab viel zu tun.

Heiko wartete in seinem weinroten Mercedes SL Cabrio vor dem Eingang der Universität auf seine Braut. Die Sonne schien, hier und da durchbrachen einzelne Wolkenfetzen das Blau des Himmels, und Temperaturen von über achtundzwanzig Grad luden zum Schwimmen ein. Er wollte sie mit ins Haus seiner Eltern nehmen. Die verbrachten gerade einen längerfristigen Urlaub in Monaco, und so würden sie von niemandem gestört werden.

Am Vormittag hatte er Aline einen Besuch abgestattet und sie dabei gebeten, ihm Sarahs Badesachen herauszusuchen.

„Wir werden den Tag im Haus meiner Eltern verbringen. Sie wird zum Abendessen nicht nach Hause kommen, wartet also nicht auf sie.“

Er trug sich mit der vagen Hoffnung, dass Sarah heute seinem steten Drängen nachgab, ihm endlich ihren Körper ganz zu schenken.

Sarah beharrte auf ihrer Einstellung, bis nach ihrer Hochzeit Jungfrau zu bleiben. Es fiel ihm von Tag zu Tag schwerer, sich zu gedulden. Jeder Kuss, jede Berührung versetzte sein Blut in Wallung. Sein Körper reagierte zu seinem Leidwesen meist schneller, als ihm lieb war. Jetzt, da er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, sah er die Chancen steigen, ihren wunderbaren Körper endlich mit allen Konsequenzen erforschen zu dürfen. Lange konnte und wollte er nicht mehr warten.

Sein Herz schlug ein paar Takte schneller, als er sie durch die Tür der Uni nach draußen treten sah. Sie war die Frau seiner Träume. Nicht willig und ihm ergeben, wie seine bisherigen flüchtigen Beziehungen. Nein, sie hatte ihre eigenen Vorstellungen vom Leben und wie sie es gestalten wollte. Das gefiel ihm. Sie konnte endlos mit ihm diskutieren, wenn sie verschiedener Meinung waren. Argumentierte er überzeugend, ließ sie sich gelegentlich umstimmen. Indes hatte sie feste Grundsätze, über die sie nicht mit sich diskutieren ließ. Einen dieser Grundsätze wollte er heute durchbrechen.

„Hey, Prinzessin“, flüsterte er ihr ins Ohr, als sie in seine Arme flog.

„Hey“, hauchte sie, bevor er ihre Lippen zu einem Kuss verschlossen.

„Hör auf“, wisperte sie zwischen zwei Küssen.

„Warum?“

„Es gucken schon alle.“ Verstohlen schaute sich Sarah um.

„Du bist so entzückend, mein Schatz. Niemand beobachtet uns.“

„Wieso kommst du mich abholen? Ist was passiert? Gibt es einen besonderen Grund?“

„Ja, den gibt es. Die Sonne scheint.“

„Aha! Die Sonne scheint. Und das ist der Grund, mich schweißtriefend und abgearbeitet von der Uni abzuholen?“

„Ja, genauso ist es. Ich habe eine Überraschung für dich vorbereitet. Steig ein. Aber vorher ...“ Statt den Satz zu beenden, küsste er sie erneut.

„Wo fahren wir hin? Ich muss doch erst mal duschen.“

„Brauchst du nicht.“

Während der Fahrt hatte er seine liebe Mühe, ihre Neugier zu zügeln. Als sie nach fünfzehn endlos erscheinenden Minuten, in denen sie ihm gefühlt mindestens zweihundert Fragen gestellt hatte, endlich am Ziel waren und im Garten der von Lohens standen, verschlug es Sarah die Sprache.

„Wie wunderschön“, hauchte sie. Tränen der Rührung schossen in ihre Augen.

„Für die wunderbarste Frau der Welt.“

Bei dem folgenden Kuss wurden Sarahs Knie butterweich, und ihr Herz schlug hart in ihrer Brust. Wenn sie in Heikos Armen lag, vergaß sie alles um sich herum. Jede Faser ihres Körpers schrie danach, sich ihm jetzt und hier hinzugeben. Mehr als einmal war sie in Versuchung geraten, seinem Drängen nachzugeben, und mit jedem weiteren Mal wurde es schwieriger, ihrem Grundsatz treu zu bleiben.

„Heiko ...“, hauchte sie. „Bitte ...“ Sie bündelte ihren verbliebenen Widerstand, bevor er ganz im Nirwana verschwand, und drückte ihren zukünftigen Ehemann von sich.

„Hast du – äh – das alles allein gemacht?“ Ihr ganzer Körper zitterte vor zurückgehaltener Erregung. Vorsichtshalber trat sie einen Schritt zurück.

„Fast“, antwortete er, „aber die Idee stammt von mir.“ Er verzog den Mundwinkel zu einem verschmitzten Lächeln. Sie musste schlucken. Ihr Ehemann in spe wusste genau, was ihre Knie weich werden ließ.

Den Whirlpool umsäumten unzählige bunte Blütenblätter, und im angrenzenden Swimmingpool dümpelte träge ein rotes herzförmiges Etwas, das nach einem luftgefüllten Bett aussah. Im Wasser verteilt trieben aufblasbare Schalen, in denen frisches Obst lag. Neben dem Pool stand ein liebevoll gedeckter Tisch, auf dem zwei Gläser und eine Flasche Champagner in einem mit Eis gefüllten Kühler bereitstanden. Ein großer Sonnenschirm sorgte für Schatten. Leise, romantische Musik untermalte das sinnliche Ambiente.

„Du bist unglaublich“, flüsterte Sarah und stellte sich auf die Zehenspitzen, um Heiko zu küssen. Doch der hob ihre Badetasche an und hielt sie ihr vor die Nase.

„Zieh dich zuerst um, meine Schöne. Dann stoßen wir an.“

Wortlos nahm sie ihm die Tasche ab und eilte ins Haus.

Sie duschte, wusch und föhnte die Haare – Letzteres war eher unnötig in Anbetracht des bevorstehenden Schwimmens, aber deutlich stressmildernd – und lief drei Mal zurück, um noch mal durch die Haare zu kämmen und sich im Ganzkörperspiegel kritisch zu betrachten.

Heiko saß am Rand des Pools, die Beine im kühlen Wasser. Hörbar sog sie die Luft ein, als sie ihn, nur mit einer Boxershorts bekleidet, den Oberkörper braun gebrannt und vor Schweiß glänzend, am Pool sitzen sah. Mit einem kraftvollen Satz sprang er hoch, kam lächelnd auf sie zu und hielt ihr die rechte Hand entgegen.

„Ein Glas Champagner?“, fragte er und zog sie zum Tisch, auf dem zwei gefüllte Gläser auf sie warteten.

„Gern. Aber nur eins. Es ist früher Nachmittag!“, sagte sie streng.

„Zu Befehl, Miss Rosenheim!“

„Du bist ein Blödmann“, erwiderte Sarah und lachte hell auf.

Er hielt ihr das Glas entgegen, sie stießen an und nippten an dem kühlen Champagner.

Sie musterte ihren Bräutigam. Er trug rote Boxershorts, eine Sonnenbrille saß lässig auf seinem Kopf. Obwohl er den größten Teil seines Berufslebens auf einem Schreibtischstuhl verbrachte, war sein Körper eine Wohltat für das Auge. Sie mochte die muskelbepackten Bodybuilderkörper nicht sonderlich. Heiko besaß genau die richtigen Proportionen und sah zum Anbeißen aus.

„Ich bin so dankbar, dass ich dich kennenlernen durfte“, entschlüpfte es ihr, was Heiko ein Lächeln aufs Gesicht zauberte.

Mit Gläsern in den Händen stiegen sie in den Whirlpool und ließen sich die Luftbläschen über die Haut sprudeln. Sarah schloss die Augen und genoss den Sonnenschein.

Heiko dagegen schien weniger entspannt. Er dachte unentwegt darüber nach, wie er sein Vorhaben erfolgreich in die Tat umsetzen sollte.

„Hey, mein Prinz, was ist los mit dir? Du bist so verkrampft heute.“

„Nichts. Alles gut. Vielleicht denke ich zu viel über unsere Hochzeit nach. Wir haben noch gar nicht über den Zeitpunkt gesprochen.“

„Wie süß von dir.“

Hundert Punkte und einen Schritt näher am Ziel, dachte Heiko euphorisch.

„Gibt es denn einen bestimmten Tag, an dem du gern heiraten möchtest?“, fragte sie.

„Ich dachte an einen Tag nächstes Jahr im August. Der Tag, an dem meine Großeltern geheiratet haben. Das würde ich mir wünschen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Wetter im August mitspielt, ist hoch. Und du hättest genügend Zeit für die Planung, und um ein Kleid auszusuchen. Und ...“

„Ist ja gut“, unterbrach sie ihn lachend, „du brauchst dir keine Mühe mehr zu geben, ich bin einverstanden.“

„Prinzessin!“, raunte Heiko und küsste sie zärtlich. „Ich liebe dich so sehr.“

„Ich dich auch.“

„Komm in den Pool.“ Er ergriff ihre Hand und zog sie aus dem Whirlpool. Hand in Hand sprangen sie in das kühle Wasser, bespritzten sich lachend und johlend mit Wasser und tauchten sich gegenseitig unter. Später hob er sie auf das rote Luftbett und zog sich ebenfalls hinein. Prustend und lachend lagen sie nebeneinander und schaukelten in den leichten Wellen.

„Jetzt hätte ich gern eine Erdbeere.“

„Sollst du haben, Prinzessin“, erwiderte er und angelte mit der Hand nach einer der schwimmenden Obstschüsseln. Die Erdbeere zwischen Zeigefinger und Daumen, ließ er sie über Sarahs Mund schweben. „Mund auf, Augen zu“, befahl er, und gehorsam öffnete Sarah mit geschlossenen Augen den Mund.

Statt der Erdbeere spürte sie seine Zungenspitze, die sanft über ihre Lippen fuhr. Augenblicklich kribbelte es in ihrem ganzen Körper, und sie schlang die Arme um seinen Nacken. Der leidenschaftliche Kuss ließ heißes Blut durch ihren Körper fließen. Seine Hände streichelten ihren Bauch, ihre Arme, ihr Gesicht. Jede Berührung zog wie ein Stromstoß durch sämtliche Nervenbahnen. Als er mit dem Zeigefinger über eine Brustwarze strich, ließ sie es geschehen. Mit einem leisen Aufstöhnen zog er sie noch näher an sich. Sanft schaukelte das Luftbett unter ihren Bewegungen.

„Ich will dich. Jetzt“, flüsterte er heiser.

Für einen kurzen Moment war sie versucht, sich ihm mit all ihrer Leidenschaft hinzugeben.

Doch dann siegte ihr Verstand. Mit einer Hand griff sie in die Boxershorts und verschaffte ihm Erleichterung.

„Nicht böse sein. Die Krönung unserer Liebe möchte ich dir in unserer Hochzeitsnacht schenken“, flüsterte sie, als sie sich wenig später voneinander gelöst hatten.

Heiko lag mit geschlossenen Augen und hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem schaukelnden Wasserbett. „Ich bin nicht böse, Prinzessin, nur enttäuscht. Jetzt, wo ich dir mein Heiratsversprechen gegeben habe, dachte ich ...“ Seine Stimme klang traurig.

„Du hast gesagt, dass du damit umgehen kannst, als ich dir meine Einstellung zu dem Thema erklärt habe.“

„Das habe ich gesagt, und meinte es auch so – aber ich habe es mir nicht so schwer vorgestellt. Ich bin ein Mann“, sagte er entschuldigend, „und du die schönste und begehrenswerteste Frau der Welt für mich. Das Warten ist Folter.“

„Es ist auch nicht einfach für mich, selbst wenn du es nicht glauben kannst. Aber es soll etwas Besonderes sein. Ich habe mich bis heute für meinen zukünftigen Ehemann aufgehoben, und so soll es auch bis zur Hochzeitsnacht bleiben.“

„Ich weiß, Prinzessin, ich weiß. Ich bewundere deine Standhaftigkeit.“

Sie aßen die Obstschüsseln leer und tranken den restlichen Champagner. Die Stimmung war seltsam gedrückt, und Sarah ließ sich noch vor dem Abendessen nach Hause bringen.

Noch über ein Jahr, dachte Heiko frustriert. Wie soll ich das aushalten?

Er war tief enttäuscht. Ein weiteres Mal hatte sich gezeigt, dass Sarah keinen Zentimeter von ihren Prinzipien abwich. Niemals. Aber – war es nicht genau das, was er an ihr liebte?, fragte er sich. Im Moment zweifelte er allerdings an seinen Verführungskünsten. Bei jeder anderen Frau, die er vor Sarah gehabt hatte, war er ans Ziel gekommen, wann er es gewollte hatte.

In seiner Wohnung angekommen, schnappte er sich frustriert die Flasche Whiskey, die schon lange in seiner Bar stand. Er trank, bis er auf seiner Couch umfiel und einschlief.

„Findest du es falsch, dass ich bis zur Hochzeitsnacht warten möchte?“, fragte Sarah, als sie mit ihrer Oma im Garten auf der Hollywood-Schaukel saß.

„Nein. Warum fragst du?“

„Weil ich das Gefühl habe, dass Heiko nicht mehr warten will. Er drängt immer mehr darauf, mit mir zu schlafen. Gestern ist er mit mir zum Haus seiner Eltern gefahren. Sie sind verreist, und er hatte eine Menge wunderschöner Dinge vorbereitet. Es war romantisch, und er hat sich wirklich viel Mühe gegeben. Es war ein perfekter Nachmittag – bis er mit mir schlafen wollte und ich abgelehnt habe. Danach wurde er ganz komisch – wie umgewandelt.“

Lena kräuselte die Stirn. „Für einen Mann ist es nicht einfach, warten zu müssen. Gerade in der heutigen, freizügigen Zeit. Dazu kommt, dass Männer, vor allem in seinem Alter, zu einem hohen Prozentsatz von ihren Hormonen gesteuert werden. Wenn du dir sicher bist, dass du warten willst, muss er das akzeptieren. Das wird er, wenn er dich liebt. Und dass er dich liebt, dessen bin ich mir ziemlich sicher.“

„Wie war es denn bei dir? Hast du dich auch für Opa aufgespart?“

Sie erstarrte bei dieser Frage. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass ihre Enkelin über ihr Sexleben sprechen wollte. „Ach weißt du, zu meiner Zeit hatte man wenig Entscheidungsfreiheit über dieses Thema. Man hatte zu warten. Jede Frau, die nicht jungfräulich in die Ehe ging, wurde schief angesehen. Dazu kam, es gab nicht die Möglichkeiten der Verhütung, wie es heutzutage der Fall ist. Eine Frau, die Sex vor der Ehe hatte, ging ein hohes Risiko ein, schwanger zu werden. Trotzdem fand es oft statt. Wurde eine Frau schwanger und sie hatte Glück, heiratete der Vater des Kindes sie. Wenn nicht, dann gab es für sie wenig Alternativen. Entweder sie trieb das Kind heimlich ab und riskierte ihr Leben. Oder sie wurde eine ledige Mutter, die von allen schief angesehen und geächtet wurde.“

„Das kann ich in jedem Buch nachlesen, Oma. Ich habe gefragt, wie es bei dir war.“

„Dein Opa war nicht mein erster Mann. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.“

„Och Oma, gerade jetzt, wo es interessant wird ... Wusste Opa davon? Wie ist er damit umgegangen?“

Lena musste wider Willen lächeln. So einfach ließ sich Sarah nicht stoppen.

„Sarah! Wir sollten anfangen, deine Verlobungsfeier zu planen. Es sind nur noch zwei Monate.“

„Okay. Aber darüber reden wir noch ...“, meinte sie schmunzelnd. „Wann kommt Mama eigentlich zurück? Sie weiß ja noch gar nichts von meiner Verlobung.“

„Du hast ihr noch nichts gesagt?“, fragte Lena ungläubig.

„Nein, das wollte ich nicht am Telefon. Ich möchte ihr Gesicht sehen, wenn ich es ihr sage.“

„Gut, dass du mit das sagst. Ich werde sie gleich mal anrufen und fragen, wann sie zurückzukommen gedenkt. Sie ist schon fast sechs Wochen unterwegs.“

„Sei ihr nicht böse. Ich glaube, sie braucht das. Sie hat lange genug um Papa getrauert. Ich bin froh, dass sie gefahren ist.“

Sarahs Vater, Andreas von Malsheim, war vor zwei Jahren mit einem Segelflugzeug abgestürzt und sofort tot gewesen. Andreas und Elani, Sarahs Mutter, waren durch und durch das gewesen, was man als Traumpaar bezeichnete.

Für Elani war der Unfalltod ihres geliebten Mannes ein tiefer Schock gewesen, von dem sie sich auch zwei Jahre später noch nicht ganz erholt hatte.

Zur Freude von allen hatte Elani vor drei Monaten verkündet, dass sie mit ihrer Freundin auf unbestimmte Zeit durch Europa reisen wolle. Begeistert hatten sie dem Vorhaben zugestimmt und gehofft, dass ihr diese Reise gut tun würde. Da sich Elani bisher höchstens einmal in der Woche gemeldet hatte, gingen Lena und Sarah davon aus, dass sie den Urlaub mit ihrer besten Freundin genoss.

„Du hast ja recht. Aber ich bin ihre Mutter und mache mir ein wenig Sorgen.“

„Oma! Sie hat vor einer Woche angerufen. Es geht ihr gut.“

„Stimmt schon. Aber ich kann nun mal nicht aus meiner Haut. Sie ist mein Kind. Ich denke, ich werde sie gleich mal anrufen.“

Sarah lächelte. Unvermittelt stieg das Bild ihres Vaters vor ihrem geistigen Auge auf. Auch für sie war sein unerwarteter Tod ein Schock und riss ein tiefes Loch in ihr Herz. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte sie jedoch mit der Hilfe von Lena versucht, das Unabänderliche zu akzeptieren und damit so gut es ging weiterzuleben. Natürlich vermisste sie ihn. Es verging kein Tag, an dem sie nicht an ihn dachte, und oft wünschte sie sich nichts sehnlicher, als mit ihm sprechen oder seinen unverkennbaren Duft noch einmal einatmen zu können. Der Schmerz wurde jeden Tag ein wenig erträglicher.

Ihre Mutter war in einem See von Schmerz und Kummer versunken, aus dem sie fast zwei Jahre lang nicht mehr aufgetaucht war. Sarah hoffte inbrünstig, dass ihr die lange Reise gut tat und sie ins Leben zurückkehren würde.

Dass Elani in der Familie nicht von allen rückhaltlos akzeptiert wurde, machte ihr das Leben nach dem Tod ihres Mannes nicht leichter.

Ihre Oma war, außer ihrem verstorbenen Opa Karl, die Einzige, die Elani und Aline immer gleich behandelt hatte. Nie hatte sie Elani spüren lassen, dass sie nicht ihre leibliche Tochter war.

Bei den weiteren Familienmitgliedern sah es anders aus. Ihre Urgroßeltern, Ingmar und Heidelinde, hatten Elani zwar akzeptiert, sie aber immer spüren lassen, dass sie nur eine adoptierte Rosenheim war. Das machte ihre Tante Aline heute noch.

Sarah schüttelte den Kopf. Über solch unangenehme Dinge wollte sie jetzt nicht nachdenken. Sie liebte ihre Mutter und war stolz darauf, wie sie ihr Leben, entgegen aller Widerstände, gemeistert hatte. Die hatte es trotz ihres bedeutenden Familienamens nie leicht gehabt. Vor allem innerhalb der Mauern des Rosenheimschen Anwesens hatte man ihr das Leben schwer gemacht. So sehr Lena und Karl auch versucht hatten, dies zu unterbinden, ganz hatten sie ihre Adoptivtochter vor den latenten Angriffen einiger Familienmitglieder nicht schützen können.

„Heiko? Warst du beim Standesamt und hast nach dem Termin gefragt?“ Sarah sprang aufgeregt aus ihrem Auto.

„Erst mal hallo“, antwortete Heiko, der vor der Eingangstür des Rosenheimschen Anwesens auf sie wartete. Er nahm sie in die Arme und küsste sie zärtlich.

„Ich war beim Standesamt. Und ich habe auch nach dem Termin gefragt. Er ist frei.“

„Wirklich?“

„Wirklich.“

„Das ist fantastisch“, jubelte sie und fiel ihm um den Hals.

„Ich habe den Termin für uns reservieren lassen.“

„Du bist ein Schatz. Habe ich dir gesagt, dass meine Mutter heute aus dem Urlaub zurückkommt? Lass uns ihr die Neuigkeiten zusammen erzählen. Ja?“

„Alles, was du willst, Prinzessin.“

„Danke Schatz“, hauchte Sarah.

„Aber ...“, setzte Heiko zwischen zwei Küssen an, „wir müssen ...“

Sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. Erst ein Räuspern beendete die leidenschaftliche Küsserei.

„Darf ich kurz stören?“, fragte Lena lächelnd. „Ihr Turteltäubchen. Spart euch die Küsse für heute Abend auf. Jetzt gibt es zu tun für euch.“

„Hallo Oma“, rief Sarah und drückte Lena fest an sich. „Stell dir vor, wir haben einen Hochzeitstermin! An dem Tag, an dem Heikos Großeltern geheiratet haben. Genau wie wir es uns gewünscht haben.“

„Das freut mich für euch. Aber jetzt hört mal kurz zu. Elani kommt in zwei Stunden am Flughafen an. Würdet ihr sie abholen? Nachher, wenn sie die Neuigkeiten von euch weiß, reden wir über alles. Aber jetzt solltet ihr euch auf den Weg machen“, sagte Lena und drückte Sarah einen Zettel in die Hand, auf der Flugnummer und Ankunftszeit von Elanis Flug standen.

„Okay, machen wir.“ Sie drückte ihrer Oma einen Kuss auf die Wange.

Auf der Fahrt berichtete er Sarah von dem Gespräch mit dem Standesbeamten. Der Termin war optional für sie reserviert. Nun mussten sie noch die erforderlichen Urkunden einreichen, und danach wurde das Aufgebot bestellt. Die standesamtliche Hochzeit sollte am neunzehnten August des folgenden Jahres stattfinden. Ein Freitag. Nun mussten sie nur noch mit dem zuständigen Pfarrer sprechen und ihn für ihre kirchliche Hochzeit am gleichen Tag reservieren.

„Das klingt perfekt.“ Sarah hibbelte begeistert auf dem Beifahrersitz herum. „Ich muss so vieles planen. Was mache ich zuerst? O Gott, ich bin so aufgeregt.“

„Es wird perfekt, Prinzessin! Mach dir keine Sorgen“, antwortete Heiko. „Du hast deine Oma, deine Mama, deine Freundinnen. Mich. Du hast ein vorzügliches Team um dich.“

„Ja, da hast du recht. Jetzt bin ich erst mal gespannt, was meine Mutter sagt, wenn sie die Neuigkeit hört.“ Sarah drehte am Radioknopf. „Haben die denn keine vernünftige Musik hier in der Kiste?“

Elani und Sarah flogen sich am Flughafen in die Arme.

„Mama, endlich bist du wieder da. Ich hab dich schrecklich vermisst. Wie war dein Urlaub? Hast du dich gut erholt?“

„Es war traumhaft. Ich bin froh, dass Sylvi mich zu dieser Reise überredet hat. Das war das Beste, was ich seit zwei Jahren getan habe. Es hat mir geholfen, aus dem traurigen Gedankenkarussell herauszukommen.“

„Das klingt gut. War ja auch der Sinn des Ganzen. Wo seid ihr denn überall gewesen? Warum ist Sylvi nicht mitgekommen?“

„Sie ist direkt nach Hamburg geflogen. Von dort aus fährt sie zu ihrem Sohn und verbringt noch eine Woche bei ihm.“

„Schade, hätte sie gern wiedergesehen. Aber jetzt erzähl von deiner Reise.“

„Wir sind durch halb Europa gereist. In Paris haben wir den Louvre besucht, die Mona Lisa gesehen und sind auf den Eiffelturm geklettert. In Madrid haben wir ...“

Die beiden Frauen schwatzten ausgiebig über Elanis Reiseerlebnisse. Inzwischen besorgte Heiko einen Gepäckwagen und kümmerte sich um das Gepäck. Plaudernd schlenderten Mutter und Tochter Arm in Arm Richtung Parkhaus.

Im Rosenheimschen Anwesen erwartete sie ein gedeckter Kaffeetisch im Garten.

„Elani ...“ Liebevoll umarmte Lena ihre Tochter. „Endlich! Ich bin so froh, dich heil und gesund wieder hier zu haben.“

„Ach, Mama – du machst dir zu viele Sorgen.“

Lena lächelte. Sie liebte den Klang des Wortes Mama in ihren Ohren. Es war wie eine Liebkosung ihrer Seele. Lächelnd wandte sich zu den anderen.

„Setzt Euch. Erzähl uns von deinem Urlaub, Elani. Welche Länder habt ihr besucht? Was hast du erlebt?“

Es wurde ein netter Kaffeeplausch. Elani erzählte, was sie im Urlaub gesehen und erlebt hatte. Lena und Sarah warfen sich heimlich Blicke zu, die ihre Freude über Elanis gute Laune offenbarten.

Ohne Ankündigung erhob sich Heiko und ging auf Elani zu. „Liebe Elani“, begann er und ergriff ihre Hände, „du weißt, dass ich schon eine Weile mit deiner Tochter zusammen bin und sie sehr liebe.“

Trotz der dunklen Hautfarbe schien Elani zu erblassen. Zögernd nickte sie.

„Ich habe Sarah bereits gefragt, und sie hat ja gesagt“, fuhr er fort. „Aber ohne deinen Segen würde ich deine Tochter ungern heiraten. Deshalb frage ich dich, Elani von Malsheim, als Mutter der von mir geliebten Sarah von Malsheim: Würdest du mir deine Tochter zur Frau geben und sie mir anvertrauen?“

Als Heiko zu reden begann, riss Sarah die Augen auf, und das Herz hämmerte so hart in ihrer Brust, dass sie befürchtete, es könne jeden Moment herausspringen. Er hatte nichts mit ihr abgesprochen. Sie war davon ausgegangen, dass sie das Gespräch mit ihrer Mutter wegen ihrer bevorstehenden Hochzeit selbst führen würde. Doch nun stand Heiko vor seiner zukünftigen Schwiegermutter und hielt förmlich um ihre Hand an. Wie vom Donner gerührt blickte Sarah zu Lena, deren Augen verdächtig glitzerten, und ergriff ihre Hand.

Elani schwieg lange. Eine beklemmende Stille breitete sich aus. Dann stand sie auf, straffte sich und sagte: „Heiko von Lohen, es ist mir eine Ehre, dich als meinen Schwiegersohn zu bekommen.“

Sie umarmte ihn und küsste ihn beherzt auf die Wange.

„O mein Gott, ich glaube ich falle in Ohnmacht“, hauchte Sarah und hielt sich die Außenfläche ihrer Hand theatralisch vor die Stirn. Sofort schnellte Heikos Blick zu Sarah. Unsanft ließ er Elani los und eilte zu seiner künftigen Ehefrau. „Das war ein Scherz. So schnell fällt eine von Malsheim nicht um.“

Aline begrüßte ihre Schwester mit einem gequälten Lächeln. „Wie schön, dass du zurück bist. Und die wundervolle Neuigkeit hast du sicher schon gehört“, säuselte sie gestelzt. Ihre Worte klangen so falsch, wie sie waren.

Von ihrem Fenster aus hatte sie die Szene im Garten beobachtet und es war, als würde ihr jemand mit einem Messer wieder und wieder in ihr Herz stechen. Dieser verteufelte schwarze Bastard hatte all das, was sie sich immer gewünscht und nie bekommen hatte.

In der frühen Kindheit hatte Aline den Unterschied zwischen sich und ihrer Schwester nicht registriert. Elani hatte mit ihr gespielt, auf sie aufgepasst und alles war so, wie unter Geschwistern üblich. Sobald Aline allerdings verstanden hatte, wo ihre und Elanis Wurzeln lagen und ihr Großvater Ingmar ihr erklärt hatte, dass sie, und nur sie, eine wahre Rosenheim sei und man dies nur aufgrund seiner Geburt werden könne und nicht wie ihre Schwester durch Adoption, hatte sich ihr Verhältnis zu Elani spürbar verändert.

Aline hatte ihre Zukunft rosig vor sich gesehen. War sie doch diejenige, durch die das wahre Rosenheim-Blut strömte. In ihrer Jugendzeit malte sie sich eine pompöse Hochzeit mit einem reichen Mann aus dem Hochadel aus. Vier Kinder wollte sie bekommen. In den vornehmen Kreisen würde sie dafür geschätzt werden. Ihr Ziel war es gewesen, die Ahnenreihe der Rosenheims mit ihrem Blut fortzusetzen.

Keiner ihrer Träume hatte sich erfüllt.

Bei einer Routineuntersuchung kurz vor ihrem Eintritt in das Erwachsenenleben wurden Unregelmäßigkeiten festgestellt. Nach einem weiteren Jahr, in der sie von Arzt zu Arzt und von Klinik zu Klinik gereist war, war ein seltener Gendefekt diagnostiziert worden, der sie zur Kinderlosigkeit verurteilte.

Sie war in ein bodenloses Loch gestürzt und in Depressionen verfallen. In den Kreisen, in denen sie verkehrte, war es wichtig, seine Erbfaktoren weiterzugeben. Kein Mann von Stand würde eine unfruchtbare Frau ehelichen.

Ein einziges Mal in ihrem Leben hatte es einen Mann gegeben, der sich für sie interessierte und der sie inständig gebeten hatte, seine Frau zu werden. Dieser Mann hatte sie mit all ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten geliebt und sie bis in die Tiefen ihrer Seele gekannt. Er war es, der sie in ihrer schlimmsten Zeit zu all den Ärzten und Kliniken gefahren und das ganze Drama um ihre Unfruchtbarkeit miterlebt hatte. Wenn sie weinend aus einer Arztpraxis oder einem Krankenhaus gestürzt war, war er es gewesen, der sie auffing und solange festhielt, bis sie sich beruhigt hatte. Dieser Mann war Martin, der Chauffeur der Familie.

Aline hatte seine Avancen ausgeschlagen, obwohl sie mit der Zeit starke Gefühle für ihn entwickelt hatte. Doch ihre verbohrte Engstirnigkeit hatte die Oberhand gewonnen.

Und so blieb sie allein und kämpfte jahrelang gegen ihre Depressionen an. Statt auf Ehe und Familie konzentrierte sie sich auf wohltätige Arbeiten, übernahm die Schirmherrschaft über humanitäre Projekte, besuchte Obdachlosenheime und Lebensmittelausgabevereine für Menschen, die am Existenzminimum leben mussten. Sie organisierte Wohltätigkeitsveranstaltungen und schon bald war sie eine brillante Spendensammlerin. Auf diese Weise erarbeitete sie sich die Gunst und Anerkennung der gesellschaftlichen Oberschicht, nach der sie zeitlebens gierte.

Trotz aller Anerkennung gab es immer wieder Ereignisse, die sie in die Schwermut zurückgleiten ließen. Eines davon war die Hochzeit ihrer Adoptivschwester mit Andreas von Malsheim gewesen. Noch tieferen Schmerz hatte die Geburt ihrer Nichte Sarah verursacht.

Nach diesen beiden Ereignissen verschwand sie für einige Wochen. Niemand wusste, dass sie in diesen Zeiten in einer Privatklinik gegen ihre depressive Krankheit kämpfte. Nach jedem Aufenthalt kam sie erfrischt und gut gelaunt zurück. Sie berichtete jedem, der es hören wollte, von einer mehrwöchigen Erholungsreise, bei der sie Kraft für ihre weitere Wohltätigkeitsarbeit getankt hatte. Auch hierfür erhielt sie wohlwollende Anerkennung von den für sie bedeutsamen Persönlichkeiten.

Aline spürte immer deutlicher, dass es Zeit für einen erneuten Aufenthalt in der Klinik wurde. Das lähmende Gefühl, das in ihren Beinen ihren Anfang nahm und nach und nach von ihrem restlichen Körper Besitz ergriff, war das erste Warnzeichen.

Sie würde ihren Aufenthalt in der Klinik so lange hinziehen, bis die Verlobungsfeierlichkeiten vorbei waren. Der Hochzeit konnte sie aus gesellschaftlichen Gründen nicht fernbleiben. Doch bis dahin konnte noch einiges passieren. Ihr behandelnder Arzt würde eine Lösung finden, damit sie diese Tage unbeschadet überstehen würde.

„Heiko hat bei mir um Sarahs Hand angehalten. Ich freue mich so sehr für die beiden“, antwortete Elani ihrer Schwester.

„Das freut mich auch. Heiko ist genau der richtige Mann für Sarah.“

„Ja, das ist er.“ Elani war sonnenklar, in welche Richtung diese Bemerkung ihrer Schwester zielte. Doch sie ließ sich nichts anmerken. Solchen Auseinandersetzungen ging sie schon lange aus dem Weg. Sie waren einfach zu verschieden und würden niemals auf einen gemeinsamen Nenner kommen.

„Was ich euch noch sagen möchte, Ihr Lieben“, zwitscherte Aline blasiert, „ich werde für einige Zeit verreisen. Ich muss mich von den Strapazen erholen, denen ich Tag für Tag ausgesetzt bin. Nach der Wohltätigkeitsveranstaltung, die ich momentan vorbereite und die nächste Woche stattfinden wird, ziehe ich mich für ein paar Wochen zurück. Oder braucht ihr mich hier dringend?“

Elani, Lena und Sarah schauten sich an.

„Nein, mein Kind“, begann Lena, „fahr nur. Die Erholung ist wichtig für dich. Wir werden hier ohne dich klarkommen.“

„So sehe ich das auch. Hauptsache du bist zu meiner Verlobung zurück.“

„Das werde ich“, antwortete Aline mit einem aufgesetzten Lächeln. Das werde ich garantiert nicht, dachte sie dabei.

Heiko hatte dem Gespräch stumm zugehört. Als Aline Anstalten machte, den Garten zu verlassen, folgte er ihr.

„Aline, einen Moment bitte. Du wolltest doch noch wegen der Ringgröße ...!“

„O ja, natürlich. Das habe ich schon erledigt.“ Sie kramte in ihrer Jackentasche. „Hier! Das ist ein Ring, der ihr genau passt.“

„Danke! Du bist die Allerbeste!“

Über Alines Gesicht zog eine zarte Röte, und sie schlug verlegen die Augen nieder. „Schon gut. Suche einen schönen Verlobungsring aus.“

„Das mache ich. Ich habe da schon etwas im Auge. Möchtest du mitkommen und mich bei der Auswahl beraten?“

Aline zögerte einen Moment, schüttelte dann aber energisch den Kopf. „Tut mir wirklich leid. Dafür fehlt mir im Moment die Zeit. Ich habe noch eine Menge vorzubereiten für nächste Woche.“

„Ach ja, die Veranstaltung.“ Er schlug sich theatralisch an die Stirn. „Habe ich ganz vergessen. Schade ...“

In Wirklichkeit war er erleichtert, dass dieser Kelch an ihm vorübergegangen war. Er umschmeichelte Aline zwar, aber nur, weil er wusste, dass ihm und Sarah so unnötige Diskussionen ersparte blieben. Ihren wahren Charakter hatte er schnell erkannt. Und den mochte er nicht besonders.

Lena saß auf ihrem Schaukelstuhl, und die Gedanken drifteten zu der Zeit, die sie in Niger verbracht hatte. Afrika war ihre zweite Heimat. Die ersten vier Jahre dort waren voller schöner, teils auch schmerzhafter Erfahrungen gewesen. Sie hatte Kultur und Menschen kennen- und schätzen gelernt. Nach vier Jahren Aufenthalt sprach sie deren Sprache Fufulde leidlich gut, sodass sie sich ohne Probleme mit den einheimischen Patienten unterhalten konnte. Zurück in Deutschland war es ihr die erste Zeit schwergefallen, sich mit dem anders gelagerten Denken und Handeln ihres Heimatlands wieder anzufreunden. Sie liebte und schätzte das kleine Land in Afrika mitsamt seinen Einwohnern so sehr, dass sie nach ihrem Studium jedes Jahr für drei Monate dorthin reiste und in dem kleinen Savannenkrankenhaus freiwillig als Chirurgin arbeitete.

Wann immer sie nach Niger reiste, freute man sich auf Mama Lena. Den Namen hatte ihr ein kleiner Junge gegeben. Täglich war er nach der Schule im Krankenhaus erschienen und hatte sich eine warme Mahlzeit abgeholt.

Diese Gewohnheit hatte sie eingeführt, nachdem sie gesehen hatte, wie der Junge des Öfteren um das Krankenhaus herumgeschlichen war. Eines Tages hatte sie ihn gefragt, warum er nicht nach Hause gehen würde. Der Junge hatte ihr erzählt, dass seine Familie so arm war, dass es nur einmal am Tag etwas zu essen geben würde. Manchmal, wenn er Glück hatte, gab es Reste von den Krankenhausmahlzeiten, und er konnte an manchen Tagen damit seinen gröbsten Hunger stillen. Das hatte Lena tief berührt. Ab diesem Tag hatte sie dafür gesorgt, dass der Junge jeden Tag nach der Schule eine warme Mahlzeit in der Krankenhausküche bekam. Seitdem hatte er sie Mama Lena genannt.

Seufzend erhob sich Lena, ging zu dem alten Mahagonisekretär und schloss die unterste Schublade auf. Hier bewahrte sie persönliche Dinge auf, die niemand anderen etwas angingen. Langsam zog sie einen abgegriffenen Briefumschlag heraus, den sie schon unzählige Male in der Hand gehabt hatte. Wie jedes Mal klopfte ihr Herz hart gegen die Brust, als sie das vergilbte Foto herauszog und es ansah. Tränen liefen über ihre Wangen, und ihr Herz wurde schwer.

Plötzlich klopfte es, und sie steckte das Foto mit zitternden Fingern in den Umschlag zurück. „Einen Moment bitte. Ich komme sofort.“

Leise schob sie die Schublade zu, drehte den Schlüssel um und legte ihn an seinen alten Platz. Mit einem Spitzentaschentuch tupfte sie sich die Tränen aus den Augen, straffte sich und öffnete die Tür.

„Da bist du ja. Hab dich schon überall gesucht. Was hast du gemacht?“ Sarah betrachtete sie skeptisch. „Hast du geweint?“

„Nein, ich hatte mich ein wenig hingelegt und bin eingeschlafen. Du hast mich geweckt. Ich habe mir die Augen gerieben, damit ich richtig wach werde“, log Lena. Es war ein Kreuz mit ihrer Enkelin. Man konnte ihr nur schwer etwas vormachen. Und in ihrer freimütigen Art fragte sie oft munter darauf los.

„Heiko hat Termine, und Mama ist müde von der Reise. Eine gute Gelegenheit, wie ich finde. Ich würde gern deine Geschichte weiterhören. Magst du dich mit mir in den Garten setzen und weitererzählen?“

Lena schluckte schwer. Ausgerechnet jetzt. Aber da sie wusste, dass Sarah keine Ruhe geben und sie ihr nicht noch weitere Lügen auftischen wollte, stimmte sie zu.

„Ich möchte zuerst eine Tasse Tee trinken“, antwortete sie. Einige Minuten brauchte sie noch, um sich zu sammeln.

Danach sah sie sich wieder auf dem klapprigen Eselskarren sitzen und tauchte in ihre Vergangenheit ein.

Unter der Sonne Nigers

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