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Mann, ist der dünn!

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Die Menschen, die in dein Leben gehören, werden immer wieder zu dir hingezogen. Egal, wie weit sie sich entfernen.

UNBEKANNT

Einige Zeit später ging es auf Reisen. Mit meinem Sohn Laurin, meinem besten Freund Gerrit und dessen Freund Kevin begab ich mich auf Kreuzfahrt. Übers Meer gleiten, den Blick und die Gedanken in die Ferne schweben lassen, einfach mal nichts tun, das ist für mich die perfekte Erholung. Ich liebe Wasser, Wind und Wellen – wunderbar.

Mit dem Wind war das natürlich diesmal so eine Sache. Ich dachte an das Cabrio. Und während ich sonst auf einer Schiffsreise die meiste Zeit an Deck verbringe, traute ich mich jetzt kaum raus. Der Gedanke daran, wie ich da draußen stehe und in einem eventuellen Moment der Unachtsamkeit ein Windstoß sich mein Haar zu eigen macht und die Perücke sodann durch die Lüfte trägt, wo sie schließlich als kleiner Punkt am Horizont verschwindet, trieb mich daher in die Isolation meiner Kabine. Ich hatte das Glück, eine sehr schöne Kabine mit einem kleinen eigenen Balkon zu bewohnen – die perfekte Zuflucht für paranoide Perückenträgerinnen.

Drei Tage bevor das Schiff nach einer wunderschönen Reise durch den Norden wieder anlegte, kam die Moderatorin der Abendshow mit dem Wunsch auf mich zu, ich möge doch vor dem Ende der Kreuzfahrt abends einmal in ihre Show kommen. Wenngleich ich eigentlich in sehr privater Mission auf dem Schiff war, nämlich ganz schlicht, um Urlaub zu machen – warum sollte ich der Kollegin diesen Gefallen abschlagen? Ich sagte zu, zumal ich eines auf der Showbühne ja nun wirklich nicht zu befürchten hatte: Wind.

Abends in der Show nach etwas Talk und Unterhaltung auf der Bühne fiel dann – ohne dass ich etwas davon ahnte – ein besonderer Startschuss in eine wunderbare Beziehung.

„Sag mal, wir sind ja ein Alter“, begann meine Kollegin die entscheidende Frage, „also, ich bin mit den Männern durch, ich brauch das nicht mehr. Aber wie sieht’s denn bei dir aus?“ Zu jener Zeit waren wir beide 59.

„Doch! Ich will noch einen! Klar doch! Vielleicht ist ja hier ein netter Single-Mann?“, entfuhr es mir im Brustton der Überzeugung. Auf der Suche war ich zwar nicht, doch fernab von allem, was mit Männern zu tun hatte, war ich nun auch wieder nicht.

„Ja, wenn hier Single-Männer sind, bitte melden!“, ermunterte die Moderatorin ohne Zögern das Publikum. Neugierig schaute ich ins Publikum und schob noch vorwitzig hinterher: „Hier kann man ja nicht weglaufen!“

Sogleich ging ein Arm hoch. Der Arm eines Single-Mannes, der sich kurz darauf bei uns auf der Bühne befand. Es folgten erwartungsgemäß Gelächter, Witze, Rumalbern – kurz: leichte Unterhaltung. Und ich stand dort mit diesem Single-Mann, schwitzte unter meiner Perücke und dachte nur: Ist der aber dünn – der ist ja ganz dünn.

Ich fand diesen Single-Mann in erster Linie dünn. Auch sein Arm, der zuvor aus dem Publikum in die Luft geragt hatte: dünn. Wie ich wohl neben ihm aussah? Je dicker der Mann, umso schlanker wirkt man neben ihm, das ist mein absolutes Credo. Neben ihm musste ich ziemlich dick aussehen. Ich war nicht wirklich überzeugt von dieser Partnervermittlung, doch als unterhaltsames kleines Intermezzo und Spaß für die Schiffsgäste war diese Episode in der Show natürlich herrlich. Als der Bewerber die Bühne wieder verließ, um sich zurück an

seinen Tisch zu setzen, fühlte ich mich auch schon wieder ein bisschen schlanker.

„Wow, der war aber toll!“, sprudelte es nach der Show aus meinem Freund Gerrit hervor. „Das war ein netter Typ, das war ein richtig Toller! Der isses!“

„Der war dünn!“, war mein kurzes Qualitätsurteil.

„Wie bitte???“ Gerrit war fassungslos. „Der war absolut super! Den suchen wir jetzt für dich!“

Während ich mit Autogrammen und Selfies beschäftigt war, konnte ich beobachten, dass der Single-Mann noch eine Weile an seinem Tisch saß. Mit einem jungen Mädchen, das vielleicht seine Tochter war. Dann war er plötzlich weg. Und ich fing an zu grübeln: Vielleicht war er ja doch ganz gut?

„Aber er war schon ziemlich dünn, oder?“, beharrte ich noch immer, als wir auf dem Weg in die Abendbar waren.

„Den kannst du doch füttern! Der muss ja nicht dünn bleiben!“ Gerrit amüsierte sich königlich.

Dann tigerten wir durch die Bars auf diesem riesengroßen Schiff, in der Hoffnung den Mann zu finden. Doch wir hatten kein Glück. Er blieb verschwunden. Dass er zur selben Zeit ebenfalls durch die Bars tigerte, um mich zu finden, wusste ich nicht. Wir liefen aneinander vorbei, die ganze restliche Zeit der Reise.

Drei Tage später legten wir in Kiel an. Die Reise war zu Ende. Der Zug von Kiel nach Hamburg für die erste Etappe unserer Heimfahrt nach Köln traf zehn Minuten früher ein. Zeit genug, bereits einzusteigen und schon mal in Ruhe das Gepäck zu verstauen. Laurin, im magischen Bann seines Smartphones, schien jedoch nicht ansprechbar. Gerrit stürmte ganz plötzlich wie von der Tarantel gestochen aus dem Zugabteil. Kevin war auch nirgends zu sehen. Was für eine Inszenierung, um nicht beim Kofferverstauen zu helfen, dachte ich! Ich schüttelte verständnislos den Kopf und wuchtete die Koffer energisch in die Ablage über mir. „Geht doch“, hörte ich Laurin triumphieren und hielt schon den Atem an über diese Unverfrorenheit. Dann sah ich, dass er mit seinem Smartphone sprach ...

Als alles untergebracht war und ich schon eine Weile auf meinem Platz saß, kam Gerrit zurück ins Abteil.

„Was sollte denn das?“, wollte ich nun doch wissen.

„Ach, nichts, ich dachte, ich hätte jemanden gesehen“, antwortete er und ließ sich auf den Sitz plumpsen. Als sich der Zug in Bewegung setzte, tauchte auch Kevin wieder auf.

Gerrit war nicht nur ein wunderbarer Freund und Gesanglehrer, er hatte offensichtlich auch ein verborgenes Schauspieltalent. So ganz die Wahrheit hatte er da nämlich nicht gesagt. Denn er hatte nicht nur gedacht, jemanden gesehen zu haben. Er hatte jemanden gesehen. Dieser Jemand war Frank, der Single-Mann. Kaum waren wir in unseren Zug gestiegen, als Gerrit ihn durchs Fenster unseres Zugabteils in der Menschenmenge erblickte. Jetzt durfte Gerrit keine Zeit verlieren, er musste raus aus dem Zug und ihn erwischen, bevor er uns wieder durch die Lappen ging wie an jenem Abend nach der Show. Wie nach einem Hochleistungssprint hatte Gerrit nur kurze Zeit später das Ziel erreicht. Sportlich atmend baute er sich vor Frank und seiner Tochter Daniela auf.

„Warte kurz, bitte, ich muss dir was sagen“, startete Gerrit voller Entschlossenheit seine Mission und schaute Frank mit dramatischer Miene an.

Frank war irritiert. Was wollte dieser Mann? Was war los mit ihm? Schweigend und staunend stand Frank da.

Gerrit holte tief und energisch Luft und entlud seine Botschaft:

„Ich bin Birgits Freund Gerrit und hab euch beide ja auf dem Schiff gesehen – und im Ernst, schon auf dem Schiff dachte ich, wenn ich dich dort oder sonst wo noch mal sehe, sag ich es dir. Ich muss euch einfach zusammenbringen – ich hab ganz einfach das Gefühl, ihr passt zueinander!“

Frank war noch immer irritiert. Hilfesuchend wanderte sein Blick zu seiner Tochter Daniela. Die Einschätzung der jüngeren Generation war bei solch exotischen Abenteuern Gold wert.

„Papa, dem kannste vertrauen“, beruhigte Daniela ihren verwirrten Vater amüsiert, „der ist in Ordnung, das seh ich.“

Gerrits Plan ging auf. Und als er zurück in den Zug kam und mich auf meine Frage, was sein plötzlicher Sprung aus dem Zug denn sollte, mit halben Wahrheiten versorgte, hatte er Franks Kontaktdaten sicher verwahrt in der Tasche.

In Hamburg mussten wir umsteigen. Ein großer Pulk Menschen drängte aus dem Zug nach draußen. Fahrgäste, die ihr Ziel erreicht hatten, und Weiterreisende wie wir, die nach ihren Anschlussverbindungen suchten. Wir standen auf dem Bahnsteig und orientierten uns. Und auf einmal sah ich ihn – den Single-Mann! In Begleitung des jungen Mädchens, das in der Show mit ihm am Tisch gesessen hatte. Es war Frank mit seiner Tochter Daniela.

Nachdem das Schiff ihn während der vergangenen Tage rückstandslos absorbiert hatte, musste es ganz klar Karma sein, dass derselbe Zug uns in Hamburg ausspuckte und er nun also wie aus der Asche gestiegen plötzlich vor mir stand. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass er mir später erzählen würde, wie Daniela an jenem Morgen in Kiel getrödelt hatte und sie den ursprünglich geplanten früheren Zug daher nicht mehr erwischen konnten.

Frank hatte mich ebenfalls bemerkt. Während ich da nur stand und starrte, kam er zielstrebig auf mich zu und begrüßte mich herzlich und ungezwungen. Küsschen links, rechts, links – mir wurde ganz warm, ich spürte, wie ich verlegen wurde, und vergaß vollkommen darüber nachzudenken, ob ich denn nun schlank oder mopsig neben ihm wirkte. Denn in meinem Kopf spukten natürlich zuverlässig die Gedanken um die Lage auf meinem Kopf: meine Perücke! Saß sie auch wirklich perfekt? Wie sah ich wohl aus? Frank indes trieben andere Gedanken um. Er dachte mit innerer Erheiterung an sein Gespräch mit Gerrit kurz zuvor. Er scannte unser Grüppchen aufmerksam. Besonders viel wusste er ja nun immer noch nicht über mich und meine Reisegesellschaft. Gerrit und Kevin, zwei kernige hochgewachsene junge Kerle – sie gingen glatt als meine Bodyguards durch. Dazwischen Laurin, der pausenlos auf sein Smartphone starrte. Die zehn Minuten, die wir dort standen und quatschten, kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Doch als Frank sich dann verabschiedete, ging mir alles viel zu schnell. Warum fragte er mich nicht nach meiner Nummer oder gab mir seine? Sollte ich ihn fragen? Andererseits würde er doch fragen, wenn er Interesse hätte? Ich traute mich nicht, irgendetwas zu unternehmen, wir verabschiedeten uns und dann trennten sich unsere Wege.

Er steht einfach nicht auf dich, ging mir durch den Kopf, und ich dachte dabei an den gleichlautenden und unterhaltsamen Single-Frauen-Ratgeber: Er steht einfach nicht auf dich. So war es halt.

Als Frank wieder in der Menge der Reisenden verschwunden war, fuhr am Gleis gegenüber unser Anschlusszug nach Köln ein. Wir suchten unsere Plätze, Gerrit, Kevin und Laurin versorgten unser Gepäck. Ich ließ mich am Fenster auf meinen Platz sinken, beobachtete das Treiben draußen auf dem Bahnsteig und dachte an Frank.

„Mensch, das war aber wirklich ein Netter, oder?“ Ich ließ meinen Blick von einem zum anderen meiner drei Männer wandern und suchte nach Zustimmung. „Aber der steht einfach nicht auf mich, er hat mich ja nicht mal nach meiner Nummer gefragt.“

Laurin verdrehte genervt die Augen. Kevin schwieg. Gerrit grinste.

„Was grinst du so? Das ist doch nicht lustig!“ Ich fühlte mich unverstanden. Laurin war vollkommen desinteressiert und spielte schon wieder mit seinem Smartphone. Kevin schaute zu Gerrit und der grinste noch frecher. Ich war enttäuscht von ,meinen‘ Männern, wandte mich ab und schaute wieder aus dem Fenster. Gerrit knuffte mich freundschaftlich einlenkend in die Seite.

„Hab die Nummer ...“, flüsterte er geheimnisvoll.

„Waaas???“ Mir rutschte das Herz nicht nur in die Hose, sondern es plumpste in freiem Fall geradewegs bis in meine Schuhe.

„Ja, also, Franks Nummer“, triumphierte Gerrit, „ich hab sie.“ Und er erzählte, wie er Frank in Kiel gesehen hatte, als wir in den Zug gestiegen waren. Ich wollte zunächst gar nicht wissen, wie Gerrit das alles auf die Beine gestellt hatte. Jedenfalls hatte er die Nummer.

„Du kannst ihn nun anrufen.“

„Niemals! Das kann ich nicht!“, wehrte ich ab. „Gib ihm meine E-Mail-Adresse. Wenn er wirklich Interesse hat, kann er mir schreiben.“

Als ich zu Hause eintraf, hatte ich E-Mail.

Birgit ungeschminkt

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