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Das Erlebnis der Uffizien

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Mit diesen Überlegungen zum Ausbau der Linzer Museumslandschaft im Kopf trat Hitler am 3. Mai 1938 seinen Staatsbesuch in Italien an. Auf seinem Programm standen mit Rom, Neapel und Florenz drei Kunststädte, die er zum ersten Mal betrat. In geradezu unzulässiger Weise machte er den Staatsbesuch zu einer Kunstreise.3 Sein Interesse galt insbesondere den Museen. In Rom besichtigte er die Galleria Borghese und das Thermenmuseum, in Neapel das Nationalmuseum. In der Galleria Borghese mit den Meisterwerken aus Renaissance und Barock setzte sich der genervte Mussolini mit seinem Gefolge ab. Hitler, den der ständig zum Weitergehen drängende Duce in seinem Kunstgenuss gestört hatte, entspannte sich. Überrascht bemerkte der Kunsthistoriker und Archäologe Ranuccio Bianchi Bandinelli, der Hitler durch die Sammlung führte, wie die Gemälde Hitler berührten, er erkannte an dessen Reaktionen echte Passion. Vor allem habe er sich von der Barockmalerei – Guido Reni, Guercino, den Carracci – begeistern lassen:

„Viele Male äußerte sich seine Bewunderung in einer Art Röcheln aus der Tiefe seiner Kehle; oder in einer zögerlichen Beobachtung oder Frage in seinem dialektgefärbten Deutsch. Dann aber, wenn ihn eine Sache besonders getroffen hatte, wurde er lebhaft, als sei ein elektrischer Kontakt hergestellt, und er wendete sich an sein Gefolge: ‚Sehen Sie, meine Herren …‘ Den Blick immer im Ungewissen, flossen die Worte nun leicht, und der Dialekt milderte sich. Wer ihm so nahe kam, konnte in ihm den Sentimentalen, den Romantiker, auch den Fanatiker entdecken.“4

Noch ein weiteres Mal musste Mussolini einen ausführlichen Museumsbesuch über sich ergehen lassen: In Florenz, der dritten und letzten Station der Reise, führte der Direktor des dortigen deutschen Kunsthistorischen Instituts, Friedrich Kriegbaum, durch den Palazzo Pitti; von dort ging es dann durch den berühmten Vasari-Korridor des Ponte Vecchio über den Arno in die Galerie der Uffizien.

Das Erlebnis der Uffizien scheint Hitlers Gedankengang bezüglich seiner Linzer Museumsplanungen entschieden weitergebracht zu haben, freilich nicht in dem oft kolportierten Sinn, dass es der Auslöser für die Idee eines gigantischen „Führermuseums“ gewesen wäre. Dazu hätte Hitler schließlich nicht nach Florenz reisen müssen. Deutschland besaß mit der Berliner Museumsinsel einen riesigen Museumskomplex, für den es in Italien nichts Vergleichbares gab. Und Hitler kannte die Museumsinsel sehr gut: Bereits 1934 hatte er persönlich ihre Erweiterung durch drei Museumsgebäude am nördlichen Spreeufer initiiert: ein Museum des 19. Jahrhunderts, ein Ägyptisch-Vorderasiatisches Museum und ein Germanisches Museum, für die der Architekt Wilhelm Kreis 1939 den Auftrag erhielt.5

Was also war es, das Hitlers Florenzaufenthalt und speziell den Uffizienbesuch zu einem Schlüsselereignis werden ließ? Höchstwahrscheinlich war es das emotionale Erlebnis vor den Originalen, welches ihn zutiefst motivierte, sein Selbstkonzept als Künstler und Kunstsammler bestätigte und seine Linzer Planungen voranbrachte. Hitler dürfte es begeistert haben, dass er vieles, was er aus München kannte und schätzte, in Florenz in größerer Dichte und höherer Qualität vorfand. Der Gründer der Münchner Pinakothek, der bayerische König Ludwig I., hatte über viele Jahre in Florenz Objekte für sein Museum angekauft. Die Schack-Galerie in München besaß zehn Kopien nach Meisterwerken aus den Uffizien. Und da die Kunstsammlungen der bayerischen Hauptstadt Hitlers Kunstgeschmack entscheidend geprägt hatten, fanden sich dieselben Maler und verwandte Werke in seiner Privatsammlung wieder. Vielfache Bezüge konnte er zu den Gemälden knüpfen, die er für den Berghof auf dem Obersalzberg erworben hatte. Dort hingen in der großen Wohnhalle etwa zwei hervorragende Gemälde des Tizianschülers Paris Bordone, der auch in den Uffizien prominent vertreten ist: Dame mit Apfel und Venus mit Amor.


Hitler in den Uffizien, Florenz, 9. Mai 1938

Vermutlich wurde es Hitler über das Erlebnis der Florentiner Museen auch möglich, die eigenen zentralistischen Museumskonzeptionen, welche „Germania“, das neue Berlin, in den Mittelpunkt gestellt hatten, gedanklich zu einem föderalistischen System umzugestalten. Jedenfalls erhielten die Uffizien Modellcharakter für seine Linzer Planungen, nämlich als eine Galerie von Weltrang in einer Mittelstadt, die noch Jahrhunderte nach ihrer Gründung ein großes Publikum zu begeistern vermochte, die also langfristig funktionierte. Nach dem Krieg gab Haberstock amerikanischen Kunstschutzoffizieren gegenüber an, der Italienbesuch habe Hitler den Eindruck vermittelt, in Deutschland fehle es an Galerien in der Qualität der Uffizien, und er habe ihm von seinem Plan berichtet, eine Gemäldegalerie nach Linz zu stiften.

Wie stark Hitlers Galerieplanungen durch das Florenz-Erlebnis angeregt worden waren, belegen seine sich unmittelbar daran anschließenden Aktivitäten.6 Zurück im Deutschen Reich soll er erstmalig Stiftungspläne mit dem Direktor des Linzer Landesmuseums besprochen haben. Er sagte diesem zu, eine Reihe von Werken aus seiner Münchner Sammlung dem Museum zuzuweisen – noch dachte er nicht an ein separates „Führermuseum“, sondern an einen Erweiterungsbau des Landesmuseums. Zudem suchte er das Gespräch mit seinem Kunsthändler Karl Haberstock. Da dieser zahlreiche Museumsleiter persönlich kannte, fragte er ihn um Rat, wer am besten geeignet sei, ihm eine Gemäldesammlung für Linz zusammenzustellen. Haberstock empfahl ihm den Direktor der Dresdner Gemäldegalerie Hans Posse „als den größten Museumsexperten in Deutschland“. Hitler hatte Posse schon 1934 bei einem Besuch in Dresden kennengelernt, als dieser ihn und seine Entourage durch die Dresdner Gemäldegalerie führte. Haberstock nutzte die Gelegenheit, die Rehabilitierung seines Freundes Posse einzufädeln, der aufgrund seiner Ankäufe „entarteter Kunst“ kurz zuvor vom zuständigen Landesministerium gezwungen worden war, seine vorzeitige Pensionierung zu beantragen.

Gleichzeitig begann Hitler, Gemälde für das zukünftige Museum anzukaufen. Unmittelbar nach dem 18. Juni 1938 setzten Kunsterwerbungen ein, die das Ausmaß der vorangegangenen Sammeltätigkeit erheblich überstiegen.7 Am 28. und 30. Juni 1938 brachte Karl Haberstock ein Gemäldekonvolut in den Führerbau, das sich nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ deutlich von seinen bisherigen Lieferungen absetzte. Es handelte sich um „Museumsware“: Gemälde des 19. Jahrhunderts von Hans Thoma, Franz von Lenbach und Arnold Böcklin und von Altmeistern wie Peter Paul Rubens und Anthonis von Dyck; das Konvolut beinhaltete auch mehrere Gemälde des venezianischen Vedutenmalers Canaletto, nämlich Die Karlskirche in Wien, Der Marktplatz in Pirna und Der Zwingergraben in Dresden. Canaletto hatte sich als Hofmaler der sächsischen Könige mehrere Jahre in Sachsen aufgehalten und die Schlösser und Residenzen der Wettiner sowie Ansichten von Dresden und Pirna gemalt, weshalb die Dresdner Gemäldegalerie einen großen und bedeutenden Canaletto-Bestand ihr Eigen nennt. Das Gemälde Der Zwingergraben, das Haberstock an Hitler lieferte, stellt nicht nur ein Dresdner Motiv dar, es handelte sich auch um eine kleinere Wiederholung des Exemplares der Dresdner Galerie. Ein weiteres Gemälde war sogar alter Galeriebestand, nämlich Andrea Previtalis Maria mit Kind und dem kleinen Johannes (1510). Das ehemalige sächsische Königshaus der Wettiner hatte aufgrund des Sächsischen Fürstenabfindungsgesetzes von 1924 auch Kunstwerke aus der Galerie zugesprochen bekommen, darunter das Gemälde Previtalis, das es verkaufte und das auf diesem Wege an Haberstock gelangte. Der Kunsthändler hatte in kürzester Zeit ein Konvolut zusammengestellt, das auf Hitlers Besuch in Dresden Bezug nahm. Ein eindeutiger Beleg für die Erweiterung des Sammlungskonzepts ist, dass sich einige der gelieferten Objekte schon lange im Besitz des Händlers befanden, ohne dass sie Hitler angeboten worden waren. In den Rechnungen taucht zum ersten Mal auch der Vermerk „für Linz“ auf.


Porträt Hans Posse

Auf Befehl des Führers

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