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Der „Führer“ als Kunstsammler Hitlers Böcklin-Kollektion

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Hitlers private Gemäldesammlung war nicht so schlecht wie ihr Ruf. Für diesen hat vor allem der Architekt, Generalbauinspektor und Rüstungsminister Hitlers, Albert Speer, nach dem Krieg mit seinem Rechtfertigungswerk Erinnerungen gesorgt, mit dem er sich von seinem Auftraggeber und Gönner zu distanzieren versuchte. Ausführlich gab Speer dort seiner Verwunderung über Hitlers Vorliebe für die Genremalerei Ausdruck.1 Speers Manipulationen prägten wiederum das Bild vom Kunstgeschmack des Diktators, das Joachim Fest in seiner wirkmächtigen Hitler-Biografie von 1969 kanonisiert hat:

„Bezeichnenderweise liebte er überdies allerlei sentimentale Genremalerei in der Art der weinseligen Mönche und fetten Kellermeister Eduard Grützners: Es sei schon in jungen Jahren, so hatte er seiner Umgebung erzählt, sein Traum gewesen, einmal im Leben so erfolgreich zu sein, um sich einen echten Grützner leisten zu können. In seiner Münchner Wohnung am Prinzregentenplatz hingen später zahlreiche Arbeiten dieses Malers, daneben sanfte Kleinleute-Idylle von Spitzweg, ein Bismarck-Porträt Lenbachs, eine Parkszene Anselm v. Feuerbachs sowie eine der zahlreichen Versionen der ‚Sünde‘ von Franz v. Stuck.“2

Vor allem die Münchner Genremalerei musste seither in vielen Publikationen für den kleinbürgerlichen Kunstgeschmack des Diktators herhalten.


Arnold Böcklin, „Kentaurenkampf“, 1878, ehemals Gemäldesammlung Hitler, verschollen

Dem Besucher in Hitlers Münchner Wohnung (wie später auf dem Obersalzberg und in den Berliner und Münchner Residenzen) begegneten in den Haupt- und Repräsentationsräumen weniger die kleinformatigen Genrebilder, sondern Hauptwerke eines der wichtigsten Maler der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Arnold Böcklin. Schon Hitlers erste Erwerbung soll eine Zeichnung von Böcklin gewesen sein.3 Im Speisezimmer zog ein besonders spektakuläres Werk des Malers die Aufmerksamkeit auf sich, der Kentaurenkampf. Es handelte sich um die zweite von drei Fassungen dieses Bildthemas; der Maler hatte sie 1878 ausgeführt. Fritz von Ostini nannte das Gemälde in seiner populären Künstlermonographie „die tollste Kampfszene von allen dreien“. Es ist verschollen, doch findet sich ein Foto in einem Fotoalbum, das 74 Aufnahmen nach Werken aus der Privatsammlung Hitlers enthält.4 Dieses auf dem Umschlag als Katalog der Privat-Gallerie Adolf Hitlers betitelte Album, das heute in der Library of Congress in Washington D. C. bewahrt wird, stammt aus Hitlers Besitz und wurde vermutlich in seiner Alpenresidenz, dem Berghof bei Berchtesgaden, von amerikanischen Truppen aufgefunden. Dank dieses Dokuments können wir uns ein Bild von der privaten Gemäldesammlung machen, jedenfalls lernen wir ihre Hauptwerke kennen.

Einem kleinbürgerlichen Kunstgeschmack, wie er für Hitler immer wieder reklamiert wird, entsprach Böcklin nicht und seine Bildthemen sind auch keineswegs harmlos: Böcklin war auf das Thema des Kentaurenkampfes in Zusammenhang mit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 gekommen: „Da alle Welt voll Kampf“ sei, bemerkte er mit bezeichnender Ironie seinem Freund Arnold von Salis gegenüber, müsse er „auch wohl ein paar ‚raufende Knoten‘ malen“.5 Seine Knoten sind zwei Kentaurenpaare, die auf einer Bergkuppe in barbarischem Kampf aufeinandergetroffen sind. Es handelt sich unübersehbar um Angehörige zweier Völker, denn die einen sind blond und hellhäutig, die anderen schwarzhaarig und dunkel, „germanische“ und „romanische“ Kentauren also. Ihr brutaler, vermutlich tödlich endender Kampf, vor quellenden Wolken hochpathetisch inszeniert, ist nichts anderes als ein sinnloses Sich-Totschlagen. Ironische Details wie die Grimasse des hilflos am Boden Liegenden machen klar, dass dies mit Heldentum nichts zu tun hat. Dass Hitler Böcklins ironische Kriegskritik aus dem Bild herausgelesen hat, ist unwahrscheinlich. Er dürfte in dem Gemälde viel eher den ewigen naturgegebenen Kampf der Völker versinnbildlicht gesehen haben, der die Grundlage seiner Weltanschauung und Geschichtsphilosophie bildete. Das legt auch der Bildkommentar im Privatdruck zu Hitlers Gemäldesammlung (s.u.) nahe, der die Komposition als „von unerhörter Wucht und Wildheit, eine Verkörperung des Rasens entfesselter Elementargewalten“ beschreibt. Der Verfasser des Textes hat damit eine Auslegung gewählt, die dem Verständnis Hitlers wohl nahekam.

Mit dem Sammeln von Gemälden begann Hitler nach den Wahlerfolgen der NSDAP Ende der Zwanzigerjahre und der zunehmenden Etablierung der Partei beim Bürgertum.6 Der konkrete Anlass war, dass er 1929 in München ein repräsentatives Domizil bezog, eine über 300 Quadratmeter große Wohnung am Prinzregentenplatz, die er mit Gemälden ausstattete. Finanziell war Hitler inzwischen dazu in der Lage, denn mit den politischen Erfolgen der NSDAP wurde sein Bekenntnisbuch Mein Kampf zum Bestseller und machte ihn im Laufe der Zeit zum Millionär. Einen nicht unerheblichen Teil seines Vermögens gab er für Gemälde aus.

In Hitlers Freundes- und Bekanntenkreis waren Kunst und Kunstsammeln ein zentrales Thema. Hitler scharte großbürgerliche Kunstliebhaber um sich, darunter Personen, die ihr Vermögen und Ansehen durch die noch junge und rasant expandierende Reproduktionsindustrie gewonnen hatten. Ernst Hanfstaengl etwa, Spross des Hanfstaengl-Kunstverlages, der sich mit qualitativ hochrangigen Kunstdrucken einen Namen gemacht hatte. Derselben Branche gehörte das Verleger-Ehepaar Bruckmann an. Der Bruckmann-Verlag war 1858 als „Verlag für Kunst und Wissenschaft“ gegründet worden und hatte sich mit Publikationen zur deutschen Kunst und Kulturgeschichte schnell einen Namen gemacht. Die in der eigenen hochmodernen Druckerei hergestellten Bücher zeichneten sich durch eine bis dahin ungekannte Druck- und Abbildungsqualität aus.

Für die Wohnung am Prinzregentenplatz engagierten sich vor allem die Bruckmanns. Sie übernahmen nicht nur Mietgarantien, Elsa Bruckmann half Hitler auch bei der Einrichtung. So überrascht es nicht, dass an den Wänden Gemälde derjenigen Maler hingen, für deren Werk sich beide Münchner Verlage engagierten. Um Böcklin hatte sich der Bruckmann-Verlag in besonderem Ausmaß verdient gemacht, da dort das ambitionierte vierbändige Werkverzeichnis der Gemälde Böcklins von Heinrich Alfred Schmid erschienen war; der Verlag publizierte auch eine edle Monographie desselben Autors mit 95 Bildtafeln, die 1919 in erster und 1922 in zweiter Auflage erschien.7 Das Künstlerbild, das dieses Buch – wie so viele andere jener Zeit – vermittelte, war das des verkannten Genies, das nach langen Phasen des Nichtverstehens durch das Publikum erst am Ende seines Lebens oder nach seinem Tod als wahres Genie erkannt wird. Böcklin sei, so das Credo,

„mehr als alle übrigen seinen eigenen Weg gegangen, am meisten verschrieen und verhöhnt worden, war während der größten Zeit seines Wirkens wie Feuerbach, Thoma, Hans von Marées, nur von wenigen erkannt, abseits gestanden und hat schließlich die größte Fülle von Beifall geerntet“.

Der Grund dafür sei das zutiefst Deutsche seiner Kunst gewesen, das romantische tiefe Naturverständnis. Dies treffe zu, so der Autor, obwohl der Künstler von Geburt Schweizer war. In einer vom französischen Geschmack geprägten und dominierten Kunstszene sei er mit seinem Deutschtum auf erbitterten Widerstand gestoßen.

Tatsächlich hatte Böcklin anfänglich wegen der schreienden Farben und des starken Lokalkolorits seiner Bilder heftige Kritik geerntet und war dann nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 zum Nationalheros hochstilisiert worden. Seine Schaffensweise wurde nun als Negation des Impressionismus gedeutet und als Überwindung der französischen Vorherrschaft in der Kunst gefeiert. Nach seinem Tod 1901 kannte die nationalistische Vereinnahmung kaum noch Grenzen. Fritz von Ostini sprach ihm in seinem bereits erwähnten Buch von 1904 ein „urgermanisches Wesen“ und seinen Werken „den tiefsten persönlichen Gehalt von allen Bildern des Jahrhunderts“ zu. Auch wenn die Begeisterung seit der Jahrhundertwende abgenommen hatte, so war Böcklin in den Zwanzigerjahren immer noch „in“, ins besondere in München, wo man sein Werk in der Schack-Galerie und der Neuen Pinakothek in hervorragender Auswahl studieren konnte.

Bei aller nationalchauvinistischen Deutung von Werk und Person war Böcklin dennoch ein in NS-Kunstkreisen verachteter Maler. Alfred Rosenberg, der Chefideologe des Dritten Reiches, zuständig für die geistige und weltanschauliche Schulung der NSDAP, lehnte Böcklin vehement ab.8 Sein Urteil wiegt durchaus schwer, denn er war so etwas wie der Kunstexperte der Partei. Schon Ende der Zwanzigerjahre nahm er das Projekt in Angriff, die deutsche Kunst und Kultur nach nationalsozialistischen Prinzipien umzuformen. 1928 gründete er die „Nationalsozialistische Gesellschaft für deutsche Kultur“ (NGDK) und wurde deren Vorsitzender; als solcher war er für die bildende Kunst zuständig. 1929 ging aus dieser Gesellschaft der „Kampfbund für deutsche Kultur“ hervor. In seinem 1930 erschienenen Hauptwerk Der Mythus des 20. Jahrhunderts widmete er sich ausführlich dem Wesen germanischer Kunst und urteilte vernichtend über das Werk des Malers:


Arnold Böcklin, „Die Toteninsel“, 1883, ehemals Gemäldesammlung Hitler, Nationalgalerie Berlin

„Die Toteninsel heute noch an die Wand zu hängen, ist innere Unmöglichkeit geworden. Das Spiel der Nymphen in den Wellen drängt uns heute einen Stoff auf, den wir einfach nicht mehr vertragen können. Die Frauen mit griechisch-blauen Gewändern unter den Pappeln am dunklen Fluß; die durchs Feld schreitende Flora; die Harfenspielerin auf grüner Erde, das alles sind Dinge, die für uns einen künstlerischen Widersinn bedeuten und Böcklins starke Ursprünglichkeit, wie sie in anderen Werken ewig hervorbricht, immer wieder verfälschen.“9

Hitler war es jedoch keine „innere Unmöglichkeit“, sich die Toteninsel an die Wand zu hängen. Er kaufte 1936 vielmehr die berühmteste Fassung dieses Kultbildes und hängte es in seiner Berliner Residenz, dem alten Reichskanzlerpalais, dorthin, wo es jeder sehen konnte, nämlich in die zentrale Wohnhalle, wo er Gäste empfing. Heute wird die Toteninsel in der Nationalgalerie in Berlin als eines der Hauptwerke der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts präsentiert.

In den NS-internen Böcklin-Streit war auch Joseph Goebbels verwickelt, ein entschiedener Gegner von Rosenbergs Kunstkonzept und dessen ständiger Gegenspieler im Kampf um die „Lufthoheit“ über die Kunst. Gleichwohl teilte er mit ihm eine Abscheu vor Böcklin. 1929 notierte er über einen Besuch in der Nationalgalerie:

„Ich sah Menzel – herrlich! – Böcklin, Feuerbach, Cornelius – für uns Heutige fast unerträglich. Die Maler malen nur Farben, aber keinen Duft, keine Atmosphäre. Wir denken doch heute ganz anders. […] So eine Bildersammlung aus dem 19. Jahrhundert kommt einem vor wie eine Totenkammer.“10

Rosenberg und Goebbels sahen den Böcklin’schen Symbolismus als veraltet an, aber sie waren mit diesem Urteil nicht unbedingt auf der Höhe der Zeit. Böcklins eigenständige und starke Bilderfindungen wirkten gerade in Künstlerkreisen weiter: Der italienische Maler Giorgio de Chirico, der 1906 bis 1909 an der Königlichen Akademie der Künste in München studierte, erkor den Maler zu seinem Vorbild. Und als Hitler ihn in den Zwanzigerjahren zu sammeln begann, haben ihn Max Ernst und die Surrealisten ebenfalls für sich entdeckt und sich von seinen Bildkompositionen inspirieren lassen.

Nähme man den Böcklin-Bestand als Indikator, müsste man zu dem Ergebnis kommen, Hitlers Sammlung sei hervorragend gewesen. Neben Kentaurenkampf und Toteninsel besaß er weitere fünf Hauptwerke des Malers, die er selbst erworben hatte. Sie gehörten zum Grundstock der Gemäldegalerie des geplanten „Führermuseums“; zu diesen kaufte der „Sonderauftrag Linz“ weitere drei Werke hinzu.11 Die Bedeutung der Kollektion lässt sich daran ablesen, dass alle Gemälde, als die Restbestände der Sammlung Hitlers den deutschen Museumsdirektoren in den Sechzigerjahren zur Übernahme angeboten wurden, an wichtige deutsche Museen gingen: Germanen auf der Eberjagd befindet sich im Kölner Wallraf-Richartz-Museum, Venus, Amor entsendend im Westfälischen Landesmuseum in Münster, Die Geburt der Venus („Blaue Venus“) im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt, Die schaumgeborene Venus im Wiesbadener Museum, Schlafende Diana, von Faunen belauscht im Kunstmuseum Düsseldorf (museum kunst palast), Nessus und Dejanira in der Pfalzgalerie Kaiserslautern, Villa am Meer im Museum Folkwang in Essen, Die Hochzeitsreise im Städel in Frankfurt. Während das deutsche Publikum Speers Behauptung von der absoluten Mediokrität der Hitler’schen Gemäldesammlung und der Spießigkeit seines Geschmacks über die Hitler-Biographie von Joachim Fest begierig aufsog und verinnerlichte, erfreute es sich gleichzeitig an seinen Bildern, die in deutschen Museen als Meisterwerke präsentiert werden.

Auf Befehl des Führers

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