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Streit um die Rothschild-Sammlungen

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Der „Führervorbehalt“ war an den Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, mit der Aufforderung gegangen, „dem Führer eine Übersicht über die beschlagnahmten Vermögenswerte zu ermöglichen“.28 Am 25. Juni 1938 wurde einem Referenten Himmlers in einem vertraulichen Gespräch mitgeteilt, dass sich der Wunsch Hitlers „ganz besonders auf das Vermögen Rothschilds beziehe“. Himmler legte am 22. Juli 1938 ein Verzeichnis der in der Ostmark ein gezogenen bzw. beschlagnahmten Vermögenswerte vor, das die Vermögen jedoch nur sehr kursorisch aufführte. Die Reichskanzlei dürfte genauere Verzeichnisse beziehungsweise Inventare verlangt haben, denn es ging Hitler um die Kunstwerke, genauer um die Rothschild-Sammlungen, wie dies ein geheimer Aktenvermerk vom 26. Juli 1938 verdeutlicht. Himmler klagte am 28. Juli, dass eine solche Aufstellung nicht einfach sei, da nicht nur die Gestapo, sondern auch zahlreiche Stellen der NSDAP Vermögen beschlagnahmt hätten. Am 10. August 1938 sandte er immerhin sieben Verzeichnisse über beschlagnahmte beziehungsweise eingezogene Kunstgegenstände, darunter das sog. Wiener Album, das Verzeichnis der von der Gestapo in Wien requirierten Kunstgegenstände, unter anderem der Sammlungen Rothschild, dazu Fotoalben.29

Der Name Rothschild stand für den Erfolg und den Aufstieg aller jüdischen Familien in Österreich. Wien hatte nicht nur die größte jüdische Gemeinde in Österreich, hier war auch der jüdische Kunstbesitz konzentriert. Kaiser Franz Joseph hatte nach der Niederlegung der Stadtbefestigung und der Anlage des Prachtboulevards der Wiener Ringstraße durch den Verkauf des neu gewonnene Baugrundes vermögende Unternehmer aus der Monarchie nach Wien gelockt, damit sie sich hier – in unmittelbarer Nähe der kaiserlichen Residenz – repräsentative Wohnsitze bauen konnten. Seinem Aufruf waren überwiegend jüdische Unternehmer gefolgt, die sich an der Ringstraße prachtvolle Palais errichten ließen, sodass diese spöttisch „Zionstraße“ genannt wurde, die Straße der Juden.30 Davon hob sich die alteingesessene Familie Rothschild jedoch ab: In den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts hatte Albert von Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße, in unmittelbarer Nähe zum Sommerpalais des Prinzen Eugen, sein Palais errichten lassen, ein Bau, der dem für Wien ungewöhnlichen französischen Bautypus des Hôtel entsprach. Die Innenräume waren mit originalen Gemälden und Möbeln des 18. Jahrhunderts eingerichtet. Das Palais wurde zum Symbol für Macht und Einfluss der Rothschilds, zum sichtbaren Zeichen des Erfolgs.

Die Rothschild-Sammlungen waren ein Mythos und Hitler seit seiner Wiener Zeit sicherlich ein Begriff. Sein damaliges politisches Leitbild, der „Führer“ der Alldeutschen Georg Schönerer, hatte gegen die Familie Rothschild agitiert. Die Sammlungen, die inzwischen in den Besitz der Söhne, Louis und Alphonse, übergegangen waren, zeichneten sich nicht nur durch höchste Qualität aus, auch ihr Umfang war gewaltig: Nach dem Beschlagnahme-Katalog, den die Mitarbeiter des Kunsthistorischen Museums 1938/39 erstellten, umfasste das Inventar des Palais von Louis Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße allein 631 Nummern, wobei eine Inventarnummer oft mehrere Objekte beinhaltet.31 Hinzu kamen Beschlagnahmungen aus dem Palais in der Wiener Plößlgasse sowie aus den Gütern Waidhofen an der Ybbs, Atschreith und Steinbach. Die Sammlung Alphonse Rothschild umfasste laut derselben Quelle sogar 3444 Objekte, darunter 379 Gemälde aus dem Palais in der Theresianumgasse und 48 aus dem Palais auf der Hohen Warte. Zusammengenommen waren die beiden Kollektionen nach der des Fürsten von Liechtenstein die bedeutendste Privatsammlung Österreichs. Sie beinhalteten herausragende Bestände an niederländischer Porträtmalerei des 17. Jahrhunderts, Alphonse besaß darüber hinaus Spitzenwerke der französischen Malerei des 18. Jahrhunderts, die sowohl das Kunsthistorische Museum wie auch Hitler begehrten, und Louis englische und österreichische Gemälde des 19. Jahrhunderts. Alphonse Rothschild hatte sich und seine Familie vor dem Einmarsch der Wehrmacht durch Flucht in Sicherheit bringen können, Louis, Inhaber des Bankhauses S. M. Rothschild, war am Tag des „Anschlusses“, dem 12. März 1938, auf dem Flughafen von Aspern bei Wien an der Ausreise gehindert und am Tag darauf festgenommen worden. Neun Monate wurde er im Wiener Gestapo-Hauptquartier, dem ehemaligen Hotel Metropol, festgehalten, bis er sich die Freiheit durch die Überschreibung eines Großteils seines Vermögens an das Deutsche Reich erkaufen konnte. Am 13. Juli 1939 wurde ein Vertrag zwischen den Reichswirtschaftsministerium und einem Rothschild-Vertreter unterzeichnet, wonach „die gesamten im Reichsgebiet gelegenen Rothschild’schen Vermögenschaften einschließlich der Kunstsammlungen Reichseigentum“ wurden. Alphonse und Louis Rothschild mussten „Reichsfluchtsteuer“ von je mehr als fünf Millionen Reichsmark zahlen, danach durfte Louis das Deutsche Reich verlassen.


Katalog der im Zuge der Machtergreifung in Österreich beschlagnahmten Kunstgegenstände, Bundesdenkmalamt Wien, Archiv

Das Palais in der Prinz-Eugen-Straße 22 wurde im Herbst 1938 Adolf Eichmann als Sitz der Zentralstelle für jüdische Auswanderung zur Verfügung gestellt. Auf die hochsymbolische Bedeutung dieser Vereinnahmung hat Hubertus Czernin zu Recht hingewiesen: „Und nichts konnte die Erniedrigung der jüdischen Bürger und den nationalsozialistischen Triumph stärker symbolisieren, als dieses Palais – zur Zentrale der Vertreibung degradiert.“32 Später sollte es der Reichspost zugeteilt werden. Auch das Palais Alphonse Rothschild in der Theresianumgasse wurde als Dienstsitz von Reinhard Heydrichs Sicherheitsdienst bedeutungsvoll umfunktioniert.

Mit seinem spezifischen Interesse an den Rothschild-Sammlungen war Hitler zum Konkurrenten des Kunsthistorischen Museums geworden.33 Die anhaltende Feindschaft zwischen dem Wiener und dem Pariser Hof hatte Erwerbungen von französischer Malerei des 18. Jahrhunderts verhindert. Nachdem die Kunstkollektionen der Habsburger im 19. Jahrhundert in eine Museumssammlung mit wissenschaftlichem, systematischem Anspruch überführt worden waren, klaffte damit eine peinliche Lücke im Bestand. Bereits seit Jahren hatten sich Museumsmitarbeiter um die Rothschilds bemüht: Jeden Mittwoch war der Gemälde-Konservator zum Frühstück bei Louis Rothschild geladen, um eine Art von privatem Kunstseminar abzuhalten. Und nun waren alle Hoffnungen des Museums, Stiftungen oder Dauerleihgaben zu erhalten, durch den Einmarsch der deutschen Wehrmacht und die Verhaftung des Besitzers schlagartig zunichte. Bereits am 14. März 1938, also nur zwei Tage nach dem Einmarsch deutscher Verbände in Österreich, ließ die Gestapo die beiden Rothschild-Palais in Wien versiegeln.

Der leitende Direktor des Kunsthistorischen Museums, Fritz Dworschak, setzte durch, dass er am 9. Mai 1938 vom Ministerium zum „Unterbevollmächtigten für die Bewachung der Sammlung beider Rothschilds“ eingesetzt wurde.34 Daraufhin wurden die Kunstsammlungen in die Neue Burg gebracht, jenem Erweiterungsbau der Hofburg, der unter Kaiser Franz Joseph begonnen, dessen Innenausbau nach dem Ersten Weltkrieg aber nicht mehr vollendet worden war. In den leer stehenden Repräsentationsräumen im ersten Geschoss war ausreichend Platz, die umfangreichen Bestände zu lagern. Dworschaks Absicht war klar: Er wollte die wichtigsten Kunstgegenstände in das Eigentum seines Museums übernehmen und die Verhandlungen darüber baldmöglichst einleiten. Noch bevor weitere Entscheidungen gefallen waren, ging er daran, die Objekte zu fotographieren und ein Verzeichnis zu erstellen.

Heinrich Himmler, der Chef der Deutschen Polizei, hatte hingegen andere Pläne für die Raubkunst.35 Nach seinen Vorstellungen sollte sie zunächst in einem Zentraldepot in München oder Berlin untergebracht werden; er argumentierte, dass dies dem „Führer“ die Besichtigung zwecks Entscheidung über die endgültige Verwendung erleichtert hätte. Der Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers gab am 28. Juli 1938 den Vorschlag eines Zentraldepots als zweckmäßig an Hitler weiter, empfahl aber, die Kunstwerke in Wien zu lagern; es solle nicht der Anschein erweckt werden, sie würden der Ostmark entzogen. Am 13. August 1938 wurde Himmler mitgeteilt, dass sich Hitler mit einem Zentraldepot einverstanden erklärt habe, die Kunstwerke jedoch in Österreich belassen wolle, um sie auf die Provinzmuseen zu verteilen. Die Unterbringung solle zwischenzeitlich in einem geeigneten Gebäude in Wien erfolgen.

Kurz zuvor hatte sich Dworschak protestierend an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten gewandt und wegen der Pläne, die jüdischen Sammlungen nach Berlin zu bringen, interveniert. Als Hitler den „Führervorbehalt“ erließ, habe ihm noch ein Überblick über Hochrangigkeit und Umfang der beschlagnahmten Kunstwerke gefehlt und er habe deshalb „zunächst an die kleinen Museen“ gedacht. Es müsse aber darum gehen (und hier dachte er nun an sein eigenes Haus), „den Museen internationalen Ranges die internationalen Kunstwerke zu sichern, welche für ihre Sammlungen in Frage kommen“. Er wies auf das projektierte Zentraldepot in der Neuen Burg hin. Der Reichsstatthalter in Österreich, Arthur Seyß-Inquart, leitete die Denkschrift am 11. August 1938 über die Reichskanzlei an Hitler weiter.

Der „Führervorbehalt“ vom 18. Juni 1938 hatte die Wiener Kulturinstitute mit der Ankündigung, die konfiszierten Kunstwerke auf kleinere Museen der „Ostmark“ zu verteilen, in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Mit der Auflösung des Landes Österreich und seiner „Vergauung“, der Aufteilung in Reichsgaue, verlor Wien seine herausgehobene Position als Hauptstadt, womit auch seine kulturelle Dominanz infrage gestellt war. Die ehemaligen kaiserlichen Hofmuseen bangten schon seit dem Zusammenbruch der Monarchie im Jahr 1918 um ihre Vorrangstellung, da sowohl die österreichischen Bundesländer wie auch die Nachfolgestaaten des Habsburgerreiches die Herausgabe umfangreicher Kunst- und Kulturgüter forderten. Die Gaue erhoben erneut ihre schon älteren Ansprüche auf den Wiener Musealbesitz.36 Besonders rigoros trat dabei Tirol auf, das schon 1919 seinen alten Anspruch auf Schloss Ambras und die Ambraser Sammlung geltend gemacht hatte. Eine Änderung der Eigentumsverhältnisse war aber in den folgenden Jahren nicht eingetreten, Schloss und Sammlung blieben im Besitz des Bundes. Die neuerliche politische Umwälzung sollte nun endlich die Besitzübertragung an Tirol möglich machen.

Am 21. September 1938 erklärte sich Dworschak gegenüber dem Leiter der Sicherheitspolizei Wien bereit, die in ganz Österreich beschlagnahmten Gegenstände von künstlerischem und kulturellem Wert zentral zu verwalten, zu katalogisieren und zu konservieren.37 Zwei Tage später folgte eine Anordnung des Sicherheitsinspekteurs, wonach alle in Österreich beschlagnahmten und eingezogenen Kunstwerke im Interesse einer sachgemäßen Behandlung und Wartung in die Neue Hofburg gebracht werden sollten. Damit hatte Dworschak das Zentraldepot unter Verwaltung des Kunsthistorischen Museums durchgesetzt und einen wichtigen Etappensieg errungen. In der Folge wurden auch die von der Gestapo beschlagnahmten Kunstgüter dorthin gebracht.

Doch nicht nur das Kunsthistorische Museum, auch Hitler war an der französischen Rokokomalerei interessiert, obwohl sie als Kunst des Erzfeindes Frankreich und mit ihren als frivol und dekadent geltenden Themen wenig in die Ideologie des Nationalsozialismus passte. Ihm schwebte als Vorbild der Preußenkönig Friedrich II. vor, der unter Einfluss und mithilfe seines Hofmalers Antoine Pesne zeitgenössische französische Werke zusammengetragen hatte.38 Er nannte 13 Gemälde von Antoine Watteau sein Eigen, von dem Watteau-Schüler Nicolas Lancret besaß er gar 26 Bilder.

Am 25. Oktober 1938 besuchte Hitler das Wiener Zentraldepot, begleitet von seinem Kunstberater Heinrich Hoffmann und dem Wiener Gauleiter Josef Bürckel.39 Dort war aus den etwa 8000 Objekten (ohne Medaillen und Münzen) eine Ausstellung zusammengestellt worden. Die bisherige Forschung hat wiederholt eine Verspätung Hitlers im Raubprozess konstatiert und die Auseinandersetzungen mit den österreichischen Museen als dessen ursächliche Folge angesehen. Der Verzug war jedoch beabsichtigt, denn in Hitlers Namen durfte nicht beschlagnahmt werden; er griff erst zu, nachdem die Kunstwerke eingezogen waren. Diese Strategie kommt im „Führervorbehalt“ vom 18. Juni 1938 nicht zum Ausdruck, ist aber Thema aller folgenden Erweiterungen dieses Erlasses.

Die Einziehungen setzten nach dem 20. November 1938 ein, nachdem die Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens in Kraft getreten war. Derzufolge konnten der Reichsstatthalter in Wien oder die von ihm bestimmten Stellen Vermögen von Personen oder Personenvereinigungen, die volks- oder staatsfeindliche Bestrebungen gefördert hatten, zugunsten des Landes Österreichs requirieren.40 Damit war die legistische Grundlage für den staatlichen Raub gelegt. Erst nachdem die Vermögen zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen waren, durfte der Zugriff im Namen des „Führers“ erfolgen. Beschlagnahmungen durften indes nicht im Namen Hitlers vollzogen werden, wie die Erweiterungen des „Führervorbehalts“ in der Folge immer wieder betonen sollten. In der Literatur zum NS-Kunstraub ist verschiedentlich eine „Verspätung“ Hitlers beim österreichischen Kunstraub konstatiert worden. Davon abgesehen, dass er sich erst am 18. Juni 1938 mit dem „Führervorbehalt“ einschaltete, handelte es sich bei der angeblichen „Verspätung“ um nichts anderes als den Versuch, seinen persönlichen Zugriff auf die geraubte Kunst vom kriminellen Akt des Raubes abzukoppeln.

Im Januar 1939 war die erste große Beschlagnahmewelle abgeebbt und Himmler zog ein erstes Resümee: Er berichtete an die Reichskanzlei, dass Kunst im Wert von 60 bis 70 Millionen Reichsmark beschlagnahmt und im Rothschild’schen Jagdhaus bei Waidhofen an der Ybbs sowie in der Wiener Neuen Hofburg eingelagert worden sei. Im April 1939 fand eine erste Inventur der Beute statt: Wie Reinhard Heydrich, Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, in diesem Monat an die Reichskanzlei schrieb, war der ihm unterstellte Sicherheitsdienst (SD) mit der Bestandsaufnahme und der Verwaltung der in Wien konfiszierten Kunst beschäftigt. Am 6. April 1939 sandte auch Dworschak eine Zusammenfassung seiner Tätigkeit als Betreuer des Zentraldepots an das Amt des Reichsstatthalters: Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 16 teils sehr umfangreiche Kunstsammlungen dort, neben der von Louis und Alphonse Rothschild auch die von Rudolf Gutmann, Otto Pick, David Goldmann, Leo Fürst, Felix Haas, Alois Bauer, Felix Kornfeld, Wally Kulka, Valentin Rosenfeld, Stephan Kuffner, Alfons Thorsch, Bernhard Altmann, Fritz Reichwald, Emmy Aldor sowie der Sammlungen Pilzer und Helene Karpeles-Schenker und die Goldmünzensammlung des Prinzen Philipp Josias zu Sachsen-Coburg-Gotha.

Auf Befehl des Führers

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