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Guten Tag, mein Name ist Nils Choi, ich bin Privatdetektiv.
Diese Worte fühlen sich gut an, wenn ich sie sage. Ich habe hart dafür gearbeitet. Mit einundvierzig konnte ich sie dann das erste Mal aussprechen, am Telefon. Der erste Klient, ein Koreaner. Mein erster Fall, das war vor einem Jahr. Der aufmerksame Leser wird jetzt also wissen, wie alt ich bin. Mein erster Fall war klassisch, fast ein Klischee. Es ging um Eifersucht, um Fremdgehen, um Sex, um Liebe. Der Mann bezichtigte seine Ehe-Frau, etwas mit einem anderen angefangen zu haben und ich sollte recherchieren. Der Verdacht bestätigte sich und manifestierte sich zunächst in harmlosen Fotos, die suggerierten, dass es da zwei Menschen gibt, die sich eventuell mögen, sich gegenseitig anziehen. Als ich dem Gehörnten in spe die Fotos zeigte, erhärtete sich sein Verdacht, und auch seine Faust, die sich im Restaurant Han il Kwan unter dem Tisch ballte. Der Mann liebte seine Frau, anders konnte es gar nicht sein. Denn seine Angetraute war nicht eben ein Ausbund an Schönheit, zumindest in meinen Augen. Sie war klein, dünn, hatte einen platten Hintern und unreine Haut, zuzüglich krummer Beine. Und dennoch leistete sie sich eine Affäre mit einem rassigen Argentinier, der sie um fast zwei Köpfe überragte und sogar längere und schönere Haare hatte als sie. Ganz klar, in jener Affäre ging es nicht um Liebe, sondern um Geld, was einseitig floss oder sich in hübschen Präsenten kristallisierte, von Frau zu Mann. Aber dem Herrn Park ging es um Liebe. Ich sah es in seinen Augen. Er liebte diese Frau, warum auch immer. Vor Liebe jedoch habe ich großen Respekt, darum – und auch weil es mein erster Fall war – legte ich mich für Herrn Park mächtig ins Zeug. Ich mochte Herrn Park auch gern leiden. Er roch stets gut, ging immer aufrecht, hatte Würde, hatte Stolz, war gläubig, und war weder protzig, noch fanatisch, sondern strahlte eine natürliche und stattliche Demut gegenüber dem Leben aus. Ohne dabei jemals den Anschein einer Unterwürfigkeit zu erwecken. Kurz, ein feiner Mensch. Ein so feiner Mensch, dass ich ihm meine neunjährige Tochter zur Nachmittagsbetreuung anvertraut hätte, ehrlich. Aber dazu kam es nie, denn Herr Park nahm sich kurze Zeit später das Leben.
Ich hatte ihm – so wie er es wollte – die eindeutigen Fotos präsentiert, denn ich habe die Lizenz zum Fotografieren. Heiße Küsse reichten ihm leider nicht, er wollte mehr sehen. Um ganz sicher sein zu können. Ich bin weder Pädagoge, noch bin ich ein Psychologe, aber vielleicht hätte ich vorher seelische Fachkräfte konsultieren sollen – vielleicht wäre dann alles anders gekommen... vielleicht.
Jedenfalls zeigte ich ihm dann mehr. Penetration der Genitalien reichte ihm als Beweis leider noch immer nicht. Als würden Mann und Frau sich aus Versehen an die Geschlechtsteile fassen! Nun ja, er war verzweifelt. Ich bin nicht pervers, und es war mir sehr unangenehm, aber Herr Park wollte mehr sehen, er wollte alles sehen, und sein Körper zitterte vor Anspannung. Er wirkte auf einmal sehr bedrohlich auf mich, denn seine sonst so sanftmütigen, gottestreuen und wohlwollenden Augen verwandelten sich urplötzlich in eine lodernde Iris des Hasses. Seine Pupillen verengten sich zu harten Flusskieselsteinen, niemand hätte diesen Mann aufhalten können, in den Besitz dieser von mir geschossenen Bilder zu kommen. Ich möchte mich hier nicht rechtfertigen, aber vielleicht möchte ich mich erklären: Mich beschlich eine Angst – auf einmal hatte ich Angst vor diesem Mann. Ich besitze keine Waffe und habe mich bis dato immer auf meinen Körper verlassen, wenn es Stress gab. Jedoch war mir klar, dass Herr Park diese Fotos haben wollte und er nicht bei Sinnen war, als wir damals in meinem kleinen Kreuzberger Büro beisammen saßen. Es war kein fröhliches Beisammensein, soviel kann ich sagen. Ehrlich, ich wollte ihm diese Fotos ersparen, aber es gab kein Entrinnen.
Es war scheinbar Schicksal.
1000 Fotos hatte ich geschossen, soviel, wie ein seriöser Hochzeitsfotograf heutzutage in etwa digital verschießt, um dann – gemeinsam mit dem Brautpaar – die schönsten Bilder für die Ewigkeit herauszusuchen. Aber jenes Spektakel – festgehalten in Bildern - war keine Hochzeit. Es war ein Trauerspiel übelster Art. Damals hatte ich mich extra im Nebenzimmer einer Warener Luxuspension eingemietet, als Herr Schröder; Herr Park zahlte fette Spesen und ich kam mir ein wenig schäbig vor, als ich abends im Whirlpool mit einer beschwingten Schwedin anbändelte, die mit mir im Anschluss die Minibar plündern wollte. In meinem Zimmer, versteht sich, denn in ihrer Minibar war nichts mehr drin, verstand ich. ‚Inte’ war alles, was ich verstand, und das ist mir zu wenig, denn inte heißt nicht. Nebenbei bemerkt, bereue ich noch heute leise, dass ich mit der zarten Lina aus Göteborg, 33, Jura-Studentin im 8. Semester, nicht meine Mini-Bar geplündert habe. Jedoch war ich im Dienst, verdeckt. Ansonsten war ich offen für alles, außer für Dinge, die meinen Plan völlig durcheinanderbringen hätten können. Hätten und können sind diffuse Variablen, einzig die Ergebnisse zählen. Ja, das ist wahr, mitunter auch furchtbar.
Schräg gegenüber an der Bar saßen Frau Park und Jesus Armando Enrico, jeweils aus den Hauptstädten ihrer jeweiligen Heimatländer stammend. Seoul meets Buenos Aires. Darauf musste ich mich konzentrieren, so dezent und diskret wie möglich. Für solche Situationen benutze ich mein Sony Ericsson Cyber-Shot Handy. Dann tu ich so, als würde ich eifrig simsen oder irgendwelche schwachsinnigen Geschicklichkeitsspiele spielen. In Wahrheit filme ich. Das hat bis jetzt immer geklappt. Ton- und Bildqualität sind erstaunlich gut bei diesem stilvollen kleinen Meisterwerk der Technik, mit dem man, nebenbei bemerkt, auch telefonieren kann. Und während ich filme und Beweise sammle, bin ich mir durchaus nicht zu schade, hin und wieder infantil zu grinsen oder gar zu kichern. Das macht mich harmlos, das macht mich unverdächtig. Vor fünf Jahren war ich mal für 8 Monate in einer Theatergruppe am Koppenplatz, in Berlin-Mitte. Dort durfte ich, manchmal vor bis zu 200 Zuschauern, Nebenrollen als aggressiver Hausmeister, Psychopath oder Kind mit ADHS spielen, was mir einen beachtlichen Kick gab. Ich liebäugelte schon mit einer eventuellen Karriere als Schauspieler, als mir der Theaterleiter eines schönen Tages den Wind aus meinen vor Stolz geblähten Segeln nahm, indem er mir bei einer Tasse grünen Tee ganz nüchtern mitteilte, ich sei der ideale Part für lustige Nebenrollen. Nebenrollen. Lu sti ge Ne ben ro llen. Ha Ha! Ich bin nicht sonderlich eitel, aber ein wenig Ego habe ich schon. Und ich sah es übrigens auch ein. Im Nachhinein. Ich bin nicht der geborene Schauspieler. Aber ich bin der geborene Privatdetektiv. Als Privatdetektiv spiele ich keine Rolle, als Privatdetektiv bin ich ICH. Kein simpler Schnüffler, nein, der möchte ich nicht sein, jedoch empathisch, mit sieben Sinnen ausgestattet, nicht nur mit dem Seenerv. Das Visuelle wird ohnehin überschätzt in unserer heutigen, modernen Gesellschaft. Dabei prangere ich keineswegs die Technik an, denn ich liebe Technik. Vor allem, wenn sie funktioniert wie mein Handy oder meine Canon, oder wie mein geliebtes Auto - von meinem PC kann ich das nicht gerade behaupten, leider, und ich weiß nicht, woran es liegt, dass er regelmäßig abstürzt. Aber neben all den überbordenden visuellen Reizen unserer modernen Lebenswelt müssten viel mehr Fühl- und Riecherlebnisse stattfinden. Und Zeiterlebnisse. Zum Beispiel Langeweile. Erlebte Zeit. Zeit be-greifen, die Uhr anfassen, hören wie sie tickt... meine Güte, manchmal denke ich, ich ticke selber nicht mehr ganz rund... Aber zurück zu meinem ersten Fall: Ich bin keine Frau, aber wenn ich eine Frau wäre oder eventuell homosexuell, so wäre ich wohl auch dem Charme Enricos’ erlegen. Er war nicht billig, eher teuer, hatte Stil. Er war durch und durch Profi im Abzocken an der Frauenfront. Einer, der immer ‚kann’, wenn er ans Geld denkt. Und Frau Park hatte Geld.
Was anschließend auf dem Zimmer geschah, da hülle ich mich in Schweigen, schließlich nehme ich die Ethik meines Berufes sehr ernst und außerdem bin ich ja auch kein Pornograph.
Koreaner können sehr hart sein, vor allem gegenüber sich selbst.
Jedenfalls endete mein erster Client mit einem vollzogenen Suizid und einem sauber abgetrennten Kopf auf den Gleisen der ICE-Strecke Berlin-Dresden.
Ich neige nicht zum Drogenkonsum, stattdessen stürzte ich mich nach dem Desaster meines ersten Falles in ein paar Affären, denn auch ich wollte irgendwie vergessen. Wieder ins Leben zurückkehren. Was mir zum Glück auch gelang.
Danach ging es einfach weiter mit meiner Detektei. Vor allem koreanische Kunden fanden den Weg in mein Büro, aufgrund meines Nachnamens. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erklären, was es mit jenem Namen auf sich hat. Vor zwölf Jahren, mit dreißig, war ich ein durch und durch austrainierter und harter Tae-Kwon-Do-Ka, was meinem Trainer, Herrn Großmeister Choi, offensichtlich sehr gefiel. Ich konnte einiges einstecken und blieb beim Austeilen fair, denn ich hatte schon immer Respekt vor dem Leben und der Kampfkunst. Was für mich in gewisser Weise ein und dasselbe ist. Na jedenfalls hatte der Herr Choi eine wahnsinnig schöne Tochter – sie hieß (und heißt heute immer noch so) Diana Choi! Sie war Inhaberin des ersten Dans, vierundzwanzig Jahre alt und dementsprechend austrainiert, was nicht heißt, dass sie unweiblich war. Das wurde sie erst später. Sie hatte, im Gegenteil, einen recht üppigen Busen, eine schmale Taille, aber wiederum einen schönen großen Schwung in der Hüftgegend und dazu ziemlich lange und nicht allzu dünne Beine. Ihre Gesamterscheinung war sehr weiblich und gleichzeitig energisch, fast gefährlich. Ein bisschen hart, ja, das muss ich zugeben, schon damals. Aber auch zart, gefühlvoll, wenn man sich ein paar mal mit ihr unterhalten hatte und in ihrer Gunst stand. Und das tat ich. Vor allem, als ich die Prüfung für meinen eigenen 1. Dan bestand. Im Nachhinein denke ich, dass meine Motivation, diese schwere Prüfung zu bestehen, vielleicht in aller erster Linie daher rührte, Diana zu beeindrucken, sie für mich zu gewinnen und attraktiv für sie zu sein. Denn Tae Kwon Do ist und bleibt ein hartes Geschäft. Es folgt der Tradition und dem Do, dem Weg. Und dieser Weg ist schwer. Die Kwon, die Faust, ist beim Tae Kwon Do lange nicht so wichtig wie beim Boxen, jedoch hatte gerade meine rechte Faust es dem Großmeister Choi sehr angetan. Vor allem, wenn es darum ging, Bruchtests zu bestehen (ich bestand sie alle, ohne Knochenbrüche). Er sagte dann immer „Nils – du hast Eisenpaust“ (Er konnte, wie fast alle Koreaner, das ‚f’ nicht richtig aussprechen, vor allem dann nicht, wenn dem ein ‚n’ vorausging). Wahrscheinlich hatte ich damals auch nicht wenig Wut in den Knochen, aber das verbarg ich durch gutmütige, blau-grün-graue Augen. Ich war und bin gesund, habe nachweislich gute Kalzium/Magnesium/Zink/Eisen und Vitamin-Depots in meinem Körper.
Mein zweites Steckenpferd beim Tae Kwon Do war übrigens die Poomse (Bewegungsform) Taeguk 6 (yuk) Chang, was soviel bedeutet wie das Wasser, das immer bergab fließt. Jahre später, kurz nach meiner zweiten Scheidung, habe ich mich so manches Mal gefragt, ob diese Bewegungsform ein mögliches Äquivalent zu meinem eingeschlagenen Lebensweg alles geht den Bach runter sein könnte, verwarf diese Theorie aber wenig später wieder, denn fernöstliche und europäische Umschreibungen von Lebensformen aller Art sind so unterschiedlich wie Hund und Katz.
Wir heirateten dann, Diana und ich. (Hatte ich sie mit meiner Taeguk 6 (yuk) Chang oder mit meiner ‚Eisenpaust’ schwach gemacht? – Ich will es nicht hoffen.) In ihren fast schwarzen Augen lag ein Ausdruck von... Liebe. So habe ich es jedenfalls interpretiert. Ihre vollen Lippen mündeten in einem positiven Mundwinkel, der direkt in einen Himmel voller roséfarbener Kirschblüten überzugehen schien. Ich war aufgeregt während der Zeremonie vor dem Traualtar. Noch viel mehr als während meiner Prüfung zum ersten Dan. Heimlich wünschte ich mich zurück auf die Kampfmatte. Jedoch konnte ich schlecht eine Poomse vor 160 erwartungsvollen koreanischen Augen vollführen. Ich musste aber JA! sagen, was ich denn auch tat. Diana Choi und Nils Schröder wurden Frau und Mann, und ich nahm ihren Namen an. Ich wollte kein Schröder mehr sein.
Europäische Augenpaare waren übrigens nur acht dabei, meine engsten Freunde, keine Eltern, keine Verwandten. Ein wenig schmerzte es mich, dass mein Stern bei einigen anwesenden Choi-Koreanern dadurch wohl möglich sank. Aber nicht so bei meinen Schwiegereltern. Sie mochten mich, vor allen Dingen Großmeister Choi. Und er tut es noch heute. Von da oben. Bei meiner Ex-Frau Diana bin ich mir da nicht so sicher. Während unserer knapp dreijährigen Ehe hatte sie sich stark verändert. Das erste halbe Jahr jedoch war von einer schier surrealer Schönheit. In ihrer Wilmersdorfer 3-Zimmer-Wohnung in Berlin bestellten wir oft Sushi – vor allem mit Lachs (Maki Sake), Thunfisch (Maki Tekka), Flussaal (Nigiri Unagi und nur für mich, denn das war Diana zu fettig) und – für uns beide – Maki Nordsee-Krabben. Frischkäse-ummantelte Sushi-Rollen lehnten wir übrigens beide ab. Im Nachhinein frage ich mich oft, wenn ich melancholisch und ein wenig sarkastisch bin, ob dies wohl die einzige Prämisse war, die uns wirklich einte: Stil- und Geschmacksfragen.
Doch damals... dieses halbe Jahr lang... da fanden sinnliche Lust-Fest-Spiele statt, auf die wir nichts kommen ließen. Kein Anrufer hatte da eine Chance. Ich liebte ihren Geruch und ihren Geschmack. Das alles war, wenn ich es heute recht bedenke, nicht von dieser Welt und infolgedessen auch nicht von Dauer. Diana hatte so wenig Ausdünstungen, dass ich mich heimlich freute, wenn sie mal nicht duschte. Die Bettwäsche, die sie freilich viel zu oft wusch, duftete auf ihrer Seite (nach ca. einer Woche) nach Kräutern, nach frischen Kräutern. Thymian, Oregano, Basilikum und Rosmarin, ein wenig Koriander noch dazu, so ungefähr duftete ihr Kissenbezug.
Ich sollte aufhören, zu schwelgen. Das bringt Unglück.
Dann, nach etwa sieben Monaten, war es auch schon wieder vorbei mit der Leidenschaft. Wir übernahmen das Fitness-Center des Vaters, der – wie dereinst Bruce Lee – an einer Gehirnblutung gestorben war. Mit zweiundsechzig, viel zu früh. Einer seiner Musterschüler hatte dies versehentlich bei einem Schaukampf durch einen furchtbaren, und in seiner Einfachheit einfach unwürdigen Palkup (Ellenbogen-Schlag) verursacht. Am Grab trauerte ich sehr, und – nach Meinung einiger anwesender Koreaner – unverhältnismäßig. Ich weinte, obwohl ich nicht von ihrem Blute war. Und da erst wurde ich mir unserer familienhistorischen Unterschiede vollkommen bewusst: Sie waren Koreaner, Süd-Koreaner, durch und durch, und ich war ein Halb-Schwede, der noch nicht mal seine eigenen Eltern richtig kannte. Mein Vater gilt als verschollen, irgendwo oben in Nordschweden. Aber ich spüre, dass er noch lebt. Er ist Freiheitsliebend, wie ich, er lebt bestimmt noch und hat einfach nur eine andere Identität angenommen, ohne viel Verantwortung. In Jokkmok oder so, ganz sicher. Ich empfinde keinen Hass ihm gegenüber. Aber Trauer. Ich vermisse ihn. Vielleicht hätte ich es sogar genauso gemacht. Meine Mutter hatte immer Depressionen. Ich kannte sie nur traurig. Mein Vater hingegen war ein lustiger Kerl, ein bisschen verrückt wohl auch. Er hatte keinen Führerschein und fuhr immer Taxi. Er konnte nicht mit Geld umgehen, aber für uns Drei reichte es immer, ich habe nie gelitten. Er handelte mit Antiquitäten, Geld kam und ging. Er spielte auch, drehte vielleicht auch hin und wieder das eine oder andere krumme Ding... aber da spekuliere ich. Wenn mal gar kein Geld in Aussicht war, dann hatte mein Vater immer noch seine Angeln. Darin war er passioniert. Die Taxifahrer rümpften immer mit der Nase, aufgrund der riechenden Köder und Lockstoffe, die mein Vater mitnahm, wenn wir raus fuhren zum Schlachtensee. Mit ihm fing ich immer etwas, das war ein Phänomen. Ohne ihn nie, auch später nicht, selbst in Schweden nicht. Komisch. Wir brachten immer Karpfen und Barsche mit nach Hause, einmal sogar einen schier gigantischen Wels. Dafür hatte er ein Händchen, mein Vater. So entstand meine Liebe zum Fisch.
Dann kam dieser Tag, der alles änderte.
Ich war erst gut sieben Jahre alt, als er mich eines Morgens um 3.30 Uhr weckte und mir sagte, ich müsste den größten Mann der Welt sehen, unbedingt, im Fernsehen. Und wer war der größte, the greatest, am 30. September 1975? Antwort: Muhammad Ali im thriller of manila versus Joe Frazier. So entstand meine Hingabe zum Kampfsport. Aber für die Reputation meines Vater war dieses sportgeschichtliche Ereignis nicht vorteilhaft, denn natürlich erzählte ich alles sehr stolz in meiner Grundschule weiter. Ich ging damals auf die liberale Kronach Grundschule im West-Berliner Bezirk Lichterfelde. Jedoch eine Lehrerin, (Religion und Mathematik), so eine alte Jungfer, meldete den angeblichen Sachverhalt, dass ich nachts gezwungen werden würde, brutale Boxkämpfe anzuschauen, dem Jugendamt. Und das Jugendamt schlug in einem denkbar ungünstigen Moment zu. An einem verregneten November-Nachmittag, als meine Mutter besonders starke Depressionen hatte und – mit Psychopharmaka vollgedröhnt – auf der Wohnzimmercouch dahinvegetierte, während mein Vater und ich uns gerade einen Showkampf a la Bruce Lee contra Chuck Noris lieferten...
Tja, so kann’s gehen, ich kam ins Heim. Dem Jugendamt gegenüber empfinde ich übrigens absolut keinen Hass, denn es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem ihre Mitarbeiter reiten müssen. Dieser Lehrerin aber... ich habe ihren Namen verdrängt, um auf keine dummen Gedanken zu kommen... würde ich ohne zu zögern den Hals umdrehen, so sie noch lebte. Nun ja, Hass ist nicht gut. Schlimmer als Angst, auf Dauer.
Im April 1976 verschwand meine Mutter spurlos. Böse Zungen behaupteten, mein Vater hätte etwas damit zu tun gehabt und sie eines Nachts im Schlachtensee ertränkt. Dem war aber nicht so, das weiß ich. Niemals war es so gewesen. Sie war einfach weg und kam nie wieder. Im Gegensatz zu der Seele meines Vaters kann ich sie in meinem Herzen nicht mehr lokalisieren. Sie ist einfach weg. Wo immer sie auch sein mag, ich hoffe, dort geht es lustig und unbeschwert zu und sie kann lachen... Jedenfalls verschwand kurz darauf auch mein Vater. Er hinterließ mir einen Zettel, auf dem stand: Ich war es nicht, ich liebe dich, bitte glaube mir. Esse immer frischen Fisch und du wirst es zu etwas bringen. Bleib gesund, du bist ein starker Junge, Dein Per-Erik
Aus ‚ermittlungstaktischen Gründen’ wurde mir dieser Zettel erst zu meinem 18. Geburtstag ausgehändigt, nachdem ich meine Pflegefamilie verließ...
Meine Kindheit war bizarr, nichts anderes. Einfach nur bizarr.
Und meine eigene Ehefrau? Die kannte ich scheinbar nicht richtig. Wir übernahmen gemeinsam das Sportstudio in der Knesebeckstraße nahe Kurfürstendamm, eine sogenannte 1a-Goldgrube. Und wir machten Geld, richtig Geld. Dianas Mutter übernahm die Buchhaltung, und das machte sie gut. Korrekt. Das Geld floss, denn wir waren auch für Bodybuilder interessant, da wir einen großen Pumpraum besaßen und eine Sauna außerdem. Wir verkauften auch Substanzen für Bodybuilder, aber meines Wissens nichts Illegales. Eher Unerforschtes, zu der damaligen Zeit, würde ich mal sagen. Proteine und irgendwelche Kräuter aus Korea.
Damit kenne ich mich im übrigen nicht aus. Jedenfalls kamen die zusätzlichen Angebote bei den Pumpern gut an und brachten Geld. Das Geschäft florierte; finanzstarke und gewiss auch prominente Klientel ging bei uns ein und aus.
Aber meine Frau machte mir allmählich Sorgen. Anstatt um ihren Vater zu trauern, so empfand ich es wenigstens, wurde sie kalt, geizig und hartherzig. Ich verstand die Welt nicht mehr, was sollte das? Nachdem sie von mir schwanger wurde, wurde es noch schlimmer. Der Bauch schwoll an, der Ofen war aus. Wie konnte das passieren? Ich wusste mir keinen Rat. Plötzlich teilten wir nicht mehr das Bett miteinander, doch ich wartete. Schließlich steckt man als Mann nicht drin in so einer Schwangerschaft. Wir bekamen Alina. Ein Engel von einer Tochter. Und hübsch wie ihre Mutter.
Koreanische Gene sind stark, drum wurde sie dunkelhaarig und mandeläugig. Aber irgendwie hatte sie auch etwas Halb-Schwedisches an sich, fand ich. Zwar nicht meine spärlichen, ultra-kurzen dunkelblonden Haare (Gottlob!) und auch nicht meine indifferente Augenfarbe (ihre sind dunkel wie die Nacht), aber irgendetwas in ihrer Figur finde ich von mir in ihr wieder... Waden und Popo, ja, und auch der Ausdruck in und um ihre Augen herum, da sehe ich mich ein wenig. Ich kann nicht genau sagen, was es ist, aber es ist da. Das Kind – es ist zweifelsohne zu 100 % mein eigenes. Na ja, das übliche väterliche Reproduktions-Denken eben.
Ich muss mich nun wieder um meinen Beruf kümmern, nicht um die Vergangenheit.
Nur noch eins: Ich durfte nach der Scheidung den Nachnamen Choi behalten, und dafür bin ich dankbar, denn auf diese Weise erhielt ich zumindest das starke Gefühl, meiner inneren Entwurzelung ein wenig gesunde koreanische Muttererde beimengen zu dürfen. Übrigens besitze ich einen kleinen Schrein mit Teelichtern, Orchideen und einem würdevollen Foto meines ehemaligen Schwiegervaters.
Das war ein Mensch, den ich verstanden habe. Er hatte seinen Do, und den ging er gradlinig. Meine Ex-Frau jedoch werde ich wohl nie verstehen.
Sie ist mir so fremd wie der Mars.
Mindestens.
Unterdessen erwies sich meine rein emotionale Entscheidung, meinen Nachnamen betreffend, als vortrefflicher Schachzug.
Koreaner sind ziemlich finanzstark, im Durchschnitt. Der Name erwies sich also für mein Geschäft als Segen. Nordkoreaner natürlich ausgenommen. Es ging meistens um Geld, um Wirtschaftskriminalität, im kleinen sowie im großen Stil. Um bitter enttäuschten Stolz, Eifersuchtsszenarien etc. ging es seit meinem ersten tragischen Fall überhaupt nicht mehr – und dazwischen liegen immerhin 33 Fälle. 21 davon Koreaner, irgendwie seltsam. Ich war noch nie in Korea, dazu kam es nie...
Am 14. September 2010 änderte sich wiederum alles in meinem neu etablierten Leben, als eine gewisse Janina P. in mein Büro kam, und mir verkündete, dass ihr Mann wohl fremd gehe...