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Als Frau P. Mitte September 2010 in meinem Büro erschien, dachte ich zunächst an einen stinknormalen Eifersuchts-Fall. Zumindest hoffte ich das. Ich sollte mich bitter täuschen. Frau P. war eine hübsche Frau Anfang Dreißig, die einen weitaus älteren Mann geheiratet hatte. Martin P. war 51 Jahre alt, was ihn aber nicht darin zu hindern schien, ein wenig Rock’n Roll zu betreiben, außerhalb des Ehebettes. Und das mit einer Frau seines Alters! Ziemlich bescheuert, fand ich in einem erstem Impuls, aber andererseits auch wiederum fast originell. Jedenfalls hätte ich ihn noch unsympathischer gefunden, würde er seine Ehefrau mit einer 19-Jährigen betrügen. Aber noch war ja nichts bewiesen. Ich spürte jedoch instinktiv, dass Frau P. niemals ohne einen triftigen Grund in mein kleines Kreuzberger Büro gekommen wäre. Leider sollten sich ihre Verdachtsmomente sehr schnell erhärten. Nachdem ich Janina P. auf ihr interessiertes Nachfragen hin die Geschichte meines Nachnamens erklärte, kamen wir gut miteinander ins Gespräch. Wir tranken einen grünen Tee und aßen jeweils einen Schokoladenkeks. Das fand ich irgendwie erdverbunden und bescheiden. Ihr schien es auch zu gefallen, denn sie wurde gesprächig, fast vertraulich. Sie fragte:
„Ich sehe Umzugskartons – wo soll es denn hingehen, geben sie ihr Büro auf?“
„Das sind zwei Fragen auf einmal“, entgegnete ich, „und ja und nein ist meine Antwort: Ja, ich ziehe um, nach Berlin-Mitte, und nein, ich gebe mein Büro nicht auf, ich expandiere.“
„Sie expandieren? Das bedeutet, sie machen ein zweites Büro auf? Laufen die Geschäfte denn so gut?“
„Wieder Ja und Nein, diesmal umgekehrt. Nein, ich mache kein zweites Büro auf, sondern ein richtiges am Koppenplatz in Berlin-Mitte. Ich meinte mit Expansion nicht Größe oder Vervielfältigung, sondern Qualität und Status. Sorry, ich habe mich wohl falsch ausgedrückt.“
„Sie klingen wie ein sehr komplizierter Mensch. Haben sie Probleme? Ich meine das nicht böse, ich finde sie durchaus sympathisch.“
Das brachte mich ein wenig aus der Fassung. Ich sammelte mich, ehe ich wahrheitsgemäß entgegnete: „Probleme, ich weiß nicht – ich war als Kind mal im Heim für zwei Jahre.“
Nun tat sie etwas Wunderbares. Sie lachte. Ein wenig dreckig sogar. So etwas mag ich. Die Betroffenheitsnummer kann ich partout nicht ausstehen, aber ich mag Menschen, die ein wenig dreckig lachen, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Und so entstand eine erste Bindung zwischen uns. Ich fragte, „Mögen sie noch ein wenig grünen Tee?“ und sie antwortete „Danke, sehr gerne“.
Ich erfuhr ferner, dass sie selbst 2 Kinder mit Martin P. hatte und ihr Ehemann außerdem noch drei weitere, freilich etwas ältere Kinder mit in diese Ehe gebracht hatte. Eine ziemlich hohe Verantwortung, wie ich finde. Eine große Show – vier Mädchen, ein Junge, im Alter von 16, 14, 13, 5 und 4. Alles unter einem Dach. Ein ziemlicher Zirkus, stellte ich mir vor. Ich habe selbst zwei Kinder von zwei Frauen. Eine neunjährige Tochter, die ich regelmäßig sehe und einen fünfzehnjährigen Sohn, der mich hasst, seitdem ich mit ihm mal relativ streng war wegen ‚Zähneputzen’.
Als er drei war. Schwieriges Alter. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass wir – mein Sohn und ich – uns vorher erst zwei Mal gesehen hatten. Und danach nur noch ein Mal. Die Mission 'Zähneputzen' war gründlich in die Hose gegangen und schien im Vorhinein jegliches Vertrauen seinerseits zerstört zu haben. Irgendwas mit Revierverhalten und sensiblem Mundhöhlenbereich, zu dem nur die vertraute Mutter hätte Zugang haben dürfen, sagte mir der Kinderpsychologe damals. Tiefen-Psychologie.
Nun ja. Baustelle.
Große Baustelle.
Ich übernahm den Auftrag und dachte häufig an Janina P. An ihr Lächeln und an ihre natürliche Eleganz. Da war nichts Aufgesetztes. Ein bisschen Show, ja, aber nichts geziertes, Gestelztes. Eine reine Weiblichkeit, die es nicht verdient hatte, betrogen zu werden von einem 51-jährigen Pfau, der einen Hortbetrieb einer Kreuzberger Grundschule leitete, gute Kontakte zum Senat hatte und eigentlich gern Politiker oder sogar Kanzler geworden wäre. Ziemlich mäßige Ausbeute, wie ich fand. Nicht gar so mäßig wie meine eigene Vita, aber ich war schließlich auch 9 Jahre jünger, als Martin P. Außerdem war ich gerade im Begriff, durchzustarten. Die Umzugskartons standen ja schon im Flur. Das Geld reichte, ich hatte keine Schulden. Jedoch muss ich immer am Ball bleiben, am besten jeden Tag. Unterhaltspflichtige Väter können es sich nicht leisten, flatterhaft zu sein und aus dem Tritt zu geraten. Sonst drehen sie eines Tages durch, geraten an die Flasche und landen im Knast oder in der Irrenanstalt. Dieser strenge Rhythmus, dem ich mich unterwarf und der daraus resultierte, jenes Elends-Szenario zu vermeiden, machte mich bisweilen fertig. Aber er legte mich nicht lahm. Ich bin ein Profi in Sachen Problemlösungsstrategien. Hin und wieder muss man einen Gang rausnehmen, um nicht durchzudrehen. In die Sauna gehen. Ins Whirlpool hüpfen. Grünen Tee trinken. Sushi bestellen. Eine Frau verführen oder sich von einer Frau verführen lassen. Ja. So geht das.
Meine Sache.
Ehrlich gesagt habe ich noch nie eine Beziehung länger als drei Jahre aufrecht erhalten können, selbst wenn ich verheiratet war. Und das war ich ja immerhin schon zwei Mal. Eventuell bin ich leicht gestört. Aber das stört mich nicht sonderlich. Es gibt Schlimmeres im Leben, als auf der verlässlichen Beziehungsebene Defizite aufzuweisen. Zum Beispiel, wenn ein Mensch keine Liebe in sich trägt. Einem solchen Menschen bin ich auf der Spur, seit dem 22. September 2010, 11 Uhr vormittags.
Ein strahlender Tag. Wettertechnisch. Und einer der dunkelsten zugleich.
Ich hatte meinen Opel Corsa unter einer Platane geparkt und ärgerte mich noch über eine tumbe Taube, die die Unverschämtheit besaß, meinen Wagen zu beschmutzen, um dann, blöde gurrend, ziemlich unsportlich hinweg zu flattern. Da erblickte ich Martin P., wie er im Begriff war, die Wohnung seiner Geliebten zu verlassen. Ich schoss ein, zwei brauchbare Beweisfotos mit ihm, der Eingangstüre und der Hausnummer im Hintergrund. Das war gut. Das Klingelschild (Stefanie Kunze, die Geliebte des Observierten, war ebenfalls gut lesbar), hatte ich vorher schon fotografiert und auch wieder den Wohnungseingang mit Hausnummer. Das ist Basisarbeit, Handwerk. An Tagen, an denen es gut läuft, halte ich mich für einen wirklich seriösen und gar nicht mal schlechten Detektiv. An anderen Tagen... ja ja.
Mein Opel Corsa war wunderbar unscheinbar. Und so sollte es ja auch sein. Vor einem halben Jahr hatte ich allerdings einmal ein unverhofftes Rennen im Dienst verloren, gegen einen BMW der neuesten Serie (dessen Fahrer ein koreanischer Schmuggler aus Pusan war); 30 000 Euro Honorar gingen mir damals verloren, weil mir der ‚Kunde’ entkam... Daraufhin habe ich meinen Motor ein bisschen bei Auto-Dieter hoch-frisieren lassen. Das klingt für manche Ohren jetzt vielleicht auch wieder ein wenig gestört, ist es aber durchaus nicht. Es ist pragmatisch und macht Sinn. Vor allem die Beschleunigung im dritten Gang war jetzt für solch einen bescheidenen Wagen, wie es der 98er Corsa nun einmal ist, sehr beachtlich. Genutzt hat es mir bis dato noch nichts, aber ich stehe ja auch erst am Anfang meiner Karriere. Ich werde schon noch durchstarten. Im wahrsten Sinne.
Ich zoomte Martin P. heran, eigentlich nur so, ohne eine berufliche Rechtfertigung. Dabei fiel mir auf, dass der rechte Schnürsenkel seiner feinen Budapester Schuhe lose war. Jetzt bückte er sich, um diese kleine Nachlässigkeit zu beheben. Ich verstehe die Frauen manchmal nicht. Er hatte eine regelrechte Fresse. Glattrasiert zwar, aber er hatte doch auch etwas von einem Penner. Innerlich, meine ich. Aber was maß ich mir eigentlich an, ich kannte diesen Herrn ja gar nicht. Um ehrlich zu sein, war ich schon jetzt ein glühender Anhänger meiner Klientin. Das war es. Ich war fast befangen. Ich mochte seine Ehefrau. Ihren Scheck habe ich aber dennoch angenommen, schließlich bin ich ein Profi.
Und dann explodierte sein Schädel und alles in meinem Leben änderte sich. Kurz zweifelte ich doch an meinem Verstand. Da ich mich nicht so recht auskenne mit meinem Stammbaum, meiner Ahnengalerie, weiß ich auch nicht, ob irgendwelche verborgenen Geisteskrankheiten in meiner Gen-Schiene verankert sein könnten. Aber nein, dies hier war real. Martin P. war nicht mehr. Jemand hatte ihn regelrecht weggeballert wie in einem Horror-Computerspiel. Aber dies hier war real, meine Güte! Meine gute alte Canon glitt mir aus den Händen, das registrierte ich am Rande. Jetzt sah ich mit meinen eigenen Augen das ganze Ausmaß des Geschehens und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich da in eine üble und grauenvolle Sache hineingeraten war. Ich würde mich da nicht raus halten können, ich würde mit der Polizei Kontakt aufnehmen müssen, ich würde... ich war Zeuge der besonderen Art, ich musste... mein Handy war ausgeschaltet und mir fiel vor lauter Schreck die Pin-Nummer nicht mehr ein. Vielleicht war ich doch kein Profi?
Oh doch, ich bin ein Profi, denn ich sah aus einem eingerüsteten Altbau einen Mann aus einem Fenster im Erdgeschoss fliehen. Ein Bauarbeiter, augenscheinlich ein Maurer. Vielleicht eine Tarnung, dies musste der Täter sein. Jetzt musste ich die Verfolgung aufnehmen und mich von meinem Schock lösen, was mir auch gelang. Handbremse gelöst, Zündschlüssel gedreht, Kupplung durchgetreten, Rückwärtsgang eingelegt, Gas gegeben, dann gleich danach in den ersten Gang geschaltet... durchgestartet, Gas und los, hinterher. Dieser Killer hier entgeht mir nicht. Beim Beschleunigungsvorgang überfuhr ich fast einen Obdachlosen, der mit einem Einkaufswagen voller Pfandflaschen und anderen Utensilien die Kreuzung querte, dieser Idiot! Der Maurer war schnell, offensichtlich ein sportlicher Mensch. Er hatte nichts dabei, gar nichts, außer seine weiße Maurer-Kleidung. Wo ist die Waffe? Gibt es einen zweiten Täter, ein besonderes Versteck? Was ist überhaupt geschehen? Dies hier muss der Täter oder zumindest ein Komplize sein. Es ist nicht normal, durch ein Fenster einer Baustelle abzuhauen, wenn kurz vorher 30 Meter entfernt einem Mann der halbe Kopf vom Rumpf geschossen wurde. Folglich muss dies der Täter sein, ganz klar.
Er rannte, ich fuhr. Früher oder später ein ungleiches Duell. Aber dann tat er – aus seiner Sicht – das einzig Richtige und bog in eine Einkaufspassage ein, in der ich mit meinem illegalen Motor nun wirklich nichts ausrichten konnte, es sei denn, ich wäre einer von denen, die mit einer Amokfahrt und dutzenden verletzter oder toter Passanten in die Geschichte eingehen wollten. Wollte ich aber nicht. Also, Wagen geparkt, vielmehr gerammt (an den Bordstein, was meinen Felgen nicht gefiel), und hinterher gerannt, den Maurer immer im Blick. Er war fit, ich auch, doch er hatte Vorsprung. Langsam wurde mir sein Ziel klar: Sie S-Bahn-Station bei den Yorckbrücken, dort, wo Kreuzberg zu Schöneberg wird und sich Horizonte erweitern oder verkleinern, je nach individuellem Blickwinkel. Er war ein guter Läufer, das erkannte ich an seinem federnden Schritt, der trotz der schweren Bauschuhe elegant über den Asphalt glitt. Ich verlor ein wenig den Anschluss, denn meine Muskeln waren nicht warm. Dann jedoch verstrickte der Maurer sich in einer Menschenschlange, die eine Döneria zierte, und es kam zu einem tumultartigen Durcheinander, in dem fluchende Trinker, radikale Radfahrer und ignorante Spinner involviert waren. Auch ein paar Touristen, sowie seriöse Arbeitnehmer auf dem Weg zu ihrem Dienst. All dies untermalt von Sirenen. War die Polizei bereits unterwegs? Der Maurer bog links ein, die Treppen zur S-Bahn hin. Ich sprang über einen gestolperten Teeny und spurtete hinterher. Gleichzeitig rollte die S-Bahn ein, es grollte. Wenn man sich anfängt zu fragen, warum Dinge zeitlich nie in das eigene Konzept passen, läuft man Gefahr, zu verbittern. Aber warum kam die S-Bahn ausgerechnet jetzt mal pünktlich, so dass der Täter sie noch vor mir erreichen konnte? Warum? Ich fragte mich das tatsächlich während des Sprints.
Berlin ist eine schnelle Stadt mit ungezählten genervten, bedrückten und entrückten Menschen. Aber es gibt auch viele gute Seelen, Leute mit Verständnis. Jemand machte mir Platz, schob seine breite Schulter zurück, weil er scheinbar irgendetwas erkannte. Den Ernst der Lage vielleicht. Und weil er sich selbst zurücknahm und in seinem Ego nicht erschüttert wurde, obwohl ich ihn auf der Treppe versehentlich, dienstlich, anrempelte. Vielleicht einfach auch nur, weil er keinen Stress wollte. Auch dafür habe ich ein tiefes Verständnis. Im Grunde meines Herzens will ich doch auch keinen Stress, bloß keinen negativen Stress! Aber ich bin in Ausübung meines Dienstes und muss gewisse Dinge regeln in meinem Leben. Und für andere Leben.
Wie dem auch sei, ich konnte den Typen noch, kurz bevor sich die Türen seines gewählten Waggons schlossen, am Revers packen, ihn dabei halb aus dem Waggon herausziehend, was Geschrei und abermals Tumult auslöste. Dabei erhaschte ich einen ganz kurzen Blick auf ein gut geschnittenes, südländisches, markantes Gesicht, bevor mich seine linke Faust unvermittelt hart aufs Jochbein traf. Das tat weh. Jochbein-Treffer tun immer weh, verdammt noch mal. Seinen zweiten Schlag jedoch (diesmal mit der rechten Faust ausgeführt), parierte ich mit einem ebenso rechten Hansonnal-pakkat-makki, eine mit der Handkante geschlagene Abwehrtechnik, wobei seine Uhr (eine blau-metallisch schimmernde Citizen, gar nicht schlecht), regelrecht vom Handgelenk platzte. (Sehr gut, wichtiges Beweismittel!). Ich war jetzt auch wütend, weil mir dieser Mann so weh getan hatte, und unterdessen hatte das Adrenalin auch längst den lähmenden Schock aus meinen Adern geschwemmt. Und ich wollte diesen Täter dingfest machen, um jenen schrecklichen Fall für mich so schnell wie möglich abzuschließen und der Polizei zu übergeben. Darum war es notwendig, noch einen trockenen und harten Ap-chagi auszuführen, mit meinem rechten, meinem stärkeren Fuß. Dieser Tritt beförderte den Verdächtigen aber ausgerechnet zurück in den Waggon, und unmittelbar danach schlossen sich die Türen und die S-Bahn fuhr los. Zeitnah zu diesem Ereignis, vielleicht sogar in Koexistenz, traf mich irgendetwas aus Hart-Gummi von hinten an meinem Schädel. Es fühlte sich eher an wie ein Edelstahlrohr und ich weiß noch, dass ich, kurz bevor ich das Bewusstsein verlor, so etwas wie Dankbarkeit empfand, denn es war ja auch alles ein bisschen viel auf einmal.
Für den Moment gingen mir jedenfalls die Lichter aus.