Читать книгу Das Meer - Blai Bonet - Страница 10

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5 GABRIEL CALDENTEY

Ich trachtete nicht nach eigenem Wohlergehen, als ich mich für das Sanatorium und gegen eine Gemeinde entschied. Es wäre ehrlicher, zu sagen, dass ich mein Wohl zuletzt auch nicht fand. Eine anonyme Gemeinde, eine Gemeinde wie alle anderen, besitzt jene geschmierte, unzerbrechliche Routine einer Herde Viecher. Der Mensch der ländlichen Gemeinde ist iterativ und anhänglich wie Raben oder Fliegen. Es macht den Anschein, als sei er unbeweglich. Nur die Kirchenglocken zerren an ihm – wie jene einzige und kaputte Glocke, die wir im ersten Jahr meines Amtes so beherzt läuteten, dass sie uns fast zum Weinen brachte.

Nicht weil ich mich mit einem Priester aus einem Buch von Bernanos identifiziere, vermag ich über die Eintönigkeit des Alltags einer ländlichen Gemeinde zu reden, dessen Monotonie nicht einmal das tägliche Blut Christi zu verscheuchen weiß.

Während ich beim Kamin meines ersten Pfarrhauses saß und den Winter hinter den Fensterscheiben betrachtete, durchdachte ich die absolute Notwendigkeit der körperlichen Buße – selbstverständlich hat sich ein Diener Gottes die Haut mit einer Kette aufzureißen, sodass er sein Amt mit der angemessenen Inbrunst ausüben kann und die Gnade auf die abscheulichste Weise erhält. Danach schmerzte es mich, während der Messe die Arme auszubreiten, so sehr, dass mich der Schmerz an meine Mutter denken ließ und ich erkannte, dass die Monotonie nur durch Blut und Gebet überwunden werden kann.

In meinem ersten Pfarrhaus begriff ich endlich, dass Priesterschaft allein keine Karriere ist, für die Ausführung des Amtes sind Studien zwingend erforderlich. Ich besaß so viel priesterliche Erfahrung und wusste, dass die Monotonie der Gemeinde einer Nacht wie der in Getsemani schon sehr glich, samt den besten Gefährten, die eingeschlafen sind, dem reichlichen Blut auf der Bühne und dem allumfassenden und entsetzlichen Schweigen Gottes.

Im Seminar hätte man uns einen anderen Charakter einschärfen müssen, einen gewarnten und militanten, der uns das Amt hätte richtig annehmen lassen, nachdem wir so oft mit der Härte der Wirklichkeit Christi zusammengestoßen waren und uns vor dem grausamen Dilemma befunden hatten, zwischen der Gnade und der Hierarchie entscheiden zu müssen. Wo Gnade ist, ist Kirche.

Wir hätten diesen Charakter auf eine gewinnende Weise annehmen können, wenn die Studien der Kirchenfächer darin bestanden hätten, die Wahrheit, die in drögen Büchern niedergeschrieben wurde, zu leben und innerlich zu erfahren. Theologie zu studieren, ohne sie als lebendige Wirklichkeit auszuprobieren, ist absurd. Diese Absurdität ist die Quelle der Eintönigkeit in den ländlichen Gemeinden und ihrer Pfarrer.

Das Sanatorium ist der Gegenentwurf zur Eintönigkeit. Hier sündigt man auf die feine Weise, man sündigt und man redet über die Sünde, wie seinerzeit in der gehobenen Gesellschaft. In diesem Sanatorium sündigt man ausgeklügelt, nicht im Verborgenen, wie auf dem Lande. Die Insassen dieses Internats stammen aus bescheidenen Häusern. Der Komfort, die ganze Annehmlichkeit des Komplexes, die modernen Geräte, das uniformierte Personal vermitteln ihnen ein unbekanntes Gefühl des gehobenen Lebens. Sie sündigen mit Frivolität, mit dem Naturell dekadenter Menschen. Auf dem Brett in meiner Kabine sitzend lausche ich der Monotonie ihrer Sünden, die eilig und ruchlos ausgesprochen werden wollen, als ob das Wohlwollen Gottes und sein Tun von ihrer Schuld abhängen würde. Ich fordere sie nicht auf, nicht zu sündigen. Das wäre zu viel verlangt angesichts dieser tiefen Wurzeln des Bösen. Ich ersuche sie, gewahr zu werden, dass sie sündigen. Ihr Schweigen hinter dem Gitterfenster des Beichtstuhls, wenn ich auf sie einrede und sie bedränge, alles auszusprechen, zeigt mir, wie versteinert ihre Gleichgültigkeit ist. Allerdings spüre ich im Halbdunkel des Beichtstuhls, wenn ich den Stoff sehe, den ich über die löchrige Blechdose gezogen habe, in die sie ihre Sünden hineinsprechen, die Gewissensbisse meiner eigenen Angst, die Sünde in meiner Vorsicht. Meine Feigheit vor einer möglichen Ansteckung ist der Vorsehung Gottes unwürdig. Ich bin ungeeignet als sein Diener.

Sie kommen zu mir, erfüllt von Verachtung und getränkt mit Vernunft wie mustergültige Zöglinge des Französischen Gymnasiums.

Heute hatte ich kein Glück, als ich für Jaume Galindo eine Metapher erdachte, eine miserable Metapher. Ich sagte ihm, die Welt sei ein Fußballstadion und Christus der Ball (Ich bin ein miserabler Priester!), und dass die Menschen ihn sich auf skandalöse Weise, mit der Spitze ihrer Stiefel, zuspielten und nur der Torwart der perfekte Christ wäre, der ihn mit der Hand finge.

Jaume Galindo antwortete, dass der Torwart den Ball auffange, um ihn zurück ins Feld zu schießen, mit der Picke seines Stiefels.

In ihren Augen bleibt mir nichts anderes als für sie betend zu sterben und mein Gebet ihren zunehmenden Läsionen der Lunge anzugleichen. Ich beginne fast zu weinen, wenn ich die reine, duftende Nacht vor mir sehe, aufgespannt wie die Flügel eines Vogels in der Luft. Diese neue, seiende, wie Bäume im Frühling so durchlässige Nacht.

Kurz bevor sich die Dunkelheit der Nacht auf alles legt, flackert im Fenster der Schlussstein der Landstraße wie eine winzige Nacht, wie Kalk auf einer Wand auf. Mit dem Erzbischof in der Mitte, der die Hand auf seine Brust gelegt hat, sind wir vierzehn. Neben dem bischöflichen Thron – und neben mir – hat Ramon Duch die Hand auf die Kreuzblume des erzbischöflichen Stuhls gelegt. Ramon Duch, mein Gefährte im Patio und bei den Exkursionen, hat das Gesicht eines unverbrauchten, aseptischen, blassen Knabens, das Gesicht eines verbannten Engels. Auf dem Foto erkennt man, dass Ramon Duch prädestiniert war, die seidene Soutane zu tragen. Ramon Duch war weniger ein Mensch. Er verstand weder die Seele noch das Fleisch und schon gar nicht das Blut. Mehr als mit der Stille des Blutes Christi war Ramon Duch mit dem Kanonischen Recht und den synodalen Dekreten gewappnet. Er sagte nicht mehr Hosentaschen, sondern meinte die Tasche in der Soutane, jene Tasche in seiner tadellos sitzenden Soutane, die zusammen mit seinen Händen die Synthese zweier Jahrtausende Zivilisation war. Ich kann mich an das eine Mal erinnern, als ich ihn lachen sah; er wälzte sich zuckend auf dem Boden meiner Zelle. Das war während des ersten Theologiekurses und nachdem er sich das erste Mal seinen Schnauzbart rasiert hatte. Wir feierten das Ereignis auf meinem Zimmer, saßen auf dem Boden, auf der Truhe, auf dem Bett. Wir schenkten ihm einen Gilette-Rasierer, einen Pinsel und ein Stück Rasierseife. Später imitierte ich die Flötenstimme des Unterrichtspräfekten und erfand eine Lektion: «Die Dekadenz des Eselhaars in der Ästhetik des 20. Jahrhunderts.» Ich erinnere mich an die Soutane Ramon Duchs – die ganz staubig war von den Fliesen, die nicht sehr gut gereinigt waren. Nun, da ich mich in meine Kindheitstage zurücksehne – als meine Mutter mit einer Schale dampfender Milch in mein Zimmer trat –, knie ich nieder. Ich stütze meine Ellbogen auf das Bett und weine und spüre die leisen Tränen auf der Haut, denn mein Leben und das Blut Christi sind Verlorene in der Wüste … weil ich für die Dinge, die mir aufgetragen wurden, ungeeignet bin … weil ich keinen Impuls spüre, die unerhörte Kraft der Sünder zu hassen.

Was mir geblieben ist, ich darf den schwarzen, wärmenden Schal spüren, den ich um meinen Hals gelegt habe, ich darf in die Nacht des Pavillons und dieser Berge schauen, auf das Foto vom Ende des Studiums, auf das Kästlein auf dem Tisch, die sorgfältig gebügelten Taschentücher obenauf, mit der kleinen Spitze und dem Digital darin, falls die Krise beginnt, jene Krise, die ich erwarte.

Das Meer

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