Читать книгу Das Meer - Blai Bonet - Страница 12

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7 MANUEL TUR

Was ich denke: Es ist kalt auf dem Klosett.

Was ich spüre: Wenig Lust, Wasser zu lassen, eine Nervosität, so etwas wie den Vorwand, das Bett zu verlassen.

Ich setze mich auf und stütze mich kräftig links und rechts mit beiden Händen auf die Matratze.

Ich schaue auf das gelbe Mosaik der Galerie, auf die weißen Säulen, die grüne Landschaft, mit den Zehen suche ich nach den Pantoffeln unter dem Bett.

Auf den Füßen stehend. Ich. Der Kopf dreht sich mir und ich suche das Gleichgewicht, während die Augen schwindelig kreisen.

Warum gehe ich zum Spiegel? Ich weiß es nicht … natürlich, weil er sauber ist und ich mich in der Reinlichkeit des Spiegels begrüßen möchte.

„Hallo!“

Die grüne Dose Profidén-Zahnpasta auf dem weißen Waschbecken liefert mir den Anlass, hinzugehen. Meine Lippen sind voll und rot, meine Ohren groß und weit abstehend. Ich habe einen kurzen Hals und meine Augen waren schon immer glasig und wässrig. Schon immer. Es ist drei Uhr. Wie immer. Ich höre das Röcheln meiner Luftröhre. Das Röcheln der Luftröhre spiegelt sich nicht im Glas. Weil der Spiegel wie das Glück ist: Er wirft nur das Bild zurück, nie die Wirklichkeit. Wie der wunderbare Lichtstrahl eines Leuchtturms, der niemals das Petroleum mitsendet, niemals den Docht, der weder die Augen des Leuchtturmwärters noch dessen Frau mitsendet.

Der Rand des Waschbeckens reicht mir bis zur Hüfte. Ich lege meine Traurigkeit auf das Waschbecken, das weiß ist und aus Stein. Eine Traurigkeit wie aus jenen Tagen in meiner Kindheit, als draußen Sommer war und ich daheimblieb, allein, und die Tür schloss, um Vaters Rasierer hervorzuholen und mir in der Küche den Schnauzbart zu rasieren, heimlich, und mich freute, den feinen Geruch der Rasierseife in der Nase zu haben. Danach stellte ich mich im Schlafzimmer meiner Eltern vor den großen, gefasten Spiegel und freute mich zu sehen, dass ich ein Mann wie die anderen bin, die sich zur Wand drehen, wenn sie sich entkleiden.

Ich stelle mich an die Tür zum Korridor. Mein Kopf – er fühlt sich schwer an – drückt auf die Schultern.

Hinter der geschlossenen Jalousie stehen die grünen Eukalyptusbäume, sie wiegen sich in der kühlen Morgenluft. Die Bergkette ist nicht zu sehen, aber man spürt ihre Nähe, so wie Rheumakranke das Wetter fühlen.

Die Urinale sind weiß und abgetrennt, durch kleine marmorne Trennwände, die so grau sind wie das Gesicht Ramon Duchs, des Priesters und früheren Mitschülers von Pater Gabriel. Er starb in der 15. Alle gingen hin, um ihn zu sehen, bevor ihn Agustí Alcàntara in die Leichenhalle brachte. Sein Gesicht war wie mit Asche bestreut, die überweit aufgerissenen Augen waren grün, und wo sich sonst Tränen sammeln, war ein schwarzer Faden seines Blutes. Wer in der 15 stirbt, hat meist ein gefrorenes starkes Grinsen im Gesicht. Seines war ein rundes Lachen, als sei es ihm nach einem Witz ins Gesicht gesprungen. Als hätte ihm der Witz des Lebens gefallen, als hätte er, der aus der 15, den Witz des Lebens verstanden, als stünden das Lachen und die blutige Träne für die Weisheit und die Scham der 15.

Ein langer Pfiff gellt in mein Ohr. Wie das Pfeifen eines Zuges. Ich lege die linke Hand oben auf die Trennwand, die Augen schielen in die Tiefe, als hätten Sie keine Lust zu sehen. Der Kopf reckt sich über den aufsteigenden Dunst, mit dem Gesicht zur Wand. Ich uriniere, Tropfen für Tropfen, als weinte ich.

Wenn ich die Hand von der Trennwand nähme, würde ich zusammenklappen. Wie ein Toter. Wie jemand, der umfällt und stirbt. Mich mit den Händen an der Wand abstützend könnte ich zurück bis zum Korridor gelangen. Die paar offenen Meter vom Waschraum rüber zu meiner Tür werde ich nicht schaffen. Ich stütze mich von Trennwand zu Trennwand und gelange an das Waschbecken der Wand gegenüber, der entferntesten Wand. Ich beuge meinen Kopf unter den kalten Wasserstrahl. Ich werde reagieren. Reagieren. Ich werde reagieren. Ich glaube an Gott. Ich glaube an Gott. Ich glaube an Gott. Eine Hand stütze ich auf das Waschbecken, denn trotz aller Vorsicht ist mir gerade eine Vene gerissen. Blut spritzt heraus. Heftig. Es spritzt gegen die gekalkte Wand. Es glänzt. Wie die Farbe auf den Werbetafeln, die nachts neben den Landstraßen aufleuchtet. Es schießt wieder hervor, diesmal ins Waschbecken. Ich kann nicht fort von hier, weil mich das Bluten hier festhält. Mit brutaler Kraft schießt es heraus. Wäre ich zu Hause, der Eimer wäre längst randvoll. Das Gesicht ist schweißnass und ich spüre – schon spüre ich – die Haut im Gesicht, wie sie sich strafft, wie ich austrockne, als wäre ich aushärtender Gips in einer Schale. Ich weine los, wie ein kleiner Junge, der sich verlaufen hat. Dann öffne ich die Augen. Der Stöpsel war im Ausguss und das Blut reicht im Waschbecken bis zur Hälfte. Ich ziehe an dem Kettchen, jetzt schließe ich die Augen – gluck, gluck, gluck –, als lauschte ich, wie einer meiner Freunde sein Leben aushaucht, ließe ihn kraft der Erinnerung nicht sterben und holte ihn mit all meinem Blut zurück.

Ich versuche zu schreien, aber ich öffne den Mund nur einen Spalt, wie Hühner, die in ihren Pferchen an der Sommerhitze ersticken.

Während ich mich mit der linken Hand am weißen, steinernen Waschbecken festkralle, schlage ich einige Male gegen die Wand, mit der Faust, mit den Knöcheln, gegen die Wand, mit dem Unterarm, gegen die Wand. Nach einer Weile begreife ich, dass die Wand die Wand des Waschraums ist, dass der Waschraum leer ist, dass es in diesem Waschraum nichts gibt außer dem sauberen, verständnisvollen, an der Wand hängenden Spiegel, während ich die Niederlage des Schuldlosen fühle.

Mutter, die du im Dorf geblieben bist, als du von der Fabrik heimgekehrt bist, abends, die Bluse und das Skapulier verschwitzt, hast du mich mit eingesunkenen, schwarzen Augen und mit ausgelaugtem, blassem Gesicht vorgefunden. Und während du mit der Hand durch mein Haar gefahren bist, hast du mich gefragt, was ich angestellt hätte, dass ich so totengleich aussehe. Ich habe auf die Fliesen des Patios gestarrt, mein Kopf von deinem Schatten verdeckt, und nicht bedacht, dass meine blutige Pubertät von dir abfließe wie jener bittere Schweiß, der aus deinen Achseln strömt. Für all das Salz, dass du auf unser Brot gestreut hast und für seine mit dem Kreuz gezeichnete Rinde, für all die Nachmittage, als wir am Ortsausgang Ausschau gehalten haben, weil wir in den Tagen nach dem Krieg kein Brot zum Kauen hatten, für die Brotscheiben, die es nicht gab, die du mir geschnitten hättest, für die zwei Brotscheiben, die so groß gewesen wären, wie Vaters Schuhe, flehe ich dich an, dass mir nicht wie Justo Pastor die Arterie platzt, denn dann brauchst du die gebügelte Wäsche nicht holen zu kommen, die nach meinem Leben hier liegen wird.

Das Meer

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