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Оглавление2 | ANDREU RAMALLO |
Gestern, so um elf Uhr nachts, war ich zum ersten Mal im Leben Zeuge eines Todeskampfes. Ich rede von Justo Pastor, diesem klein gewachsenen, beschwerten Jungen aus Albacete mit seinem gelben Teint, den schwarzen Augen, aus deren violetter Tiefe die Ahnung, zu sterben, hervorschien.
Morgens ging ich in den Behandlungssaal. Die Stationsschwester unseres Pavillons spritzte mir Triom. Sie fand keine Vene und setzte mehrmals an. Ich spürte, wie sie mehrfach versuchte, die Nadel einzuführen. Sie schaute mich an, mit jenem zarten und ruhigen Ausdruck, den Frauen haben, wenn sie einem Neuzehnjährigen Schmerzen zufügen. Ich beobachtete die Zehnzentimeterkanüle, in der sich die Flüssigkeit rot färbte, weil ein Tropfen Blut eingesaugt wurde.
Nachdem mir die Schwester das Triom injiziert hatte, verließ sie den Raum, ich lief schnell zum Tisch, auf dem die Karteikarten lagen. Zittrig und mit aufgerissenen Augen blätterte ich: Antoni Gamundí, Jordi Planells, Manuel Tur, Jaume Galindo, Pedro Márquez, Andreu Ramallo: Blutsenkung, 85. Blutdruck, 8. Hämatiten, 2.500.500. Leukozyten, 1.200.000. Analyse des Auswurfs, drei rote Kreuze.
Mit Händen in den Taschen, melodielos pfeifend, wie ich das immer tue, wenn ich nervös bin, ging ich zur 5 rein. Das war Jordi Pastors Zimmer, es strömte diesen strengen, hier alltäglichen Geruch aus, den ich zuvor nie gekannt hatte, den Geruch des Todes, vermutlich.
Justo Pastor hatte auch drei rote Kreuze, eine zwecklose Monaldi, beidseitiger Lungenausfall mit Dauerhusten, der schon nicht mehr auf das Diosan ansprach.
„Wie geht’s, Justo?“
„Du siehst doch, ich halte den Jungen am Leben.“
„Du spielst mit dem Leben, pass auf!“
„Ja …“
„Was macht der Husten?“
„Schlimm. Diese Nacht bin ich zerplatzt.“
Er legte sich die Hand auf die Brust:
„Da wächst was.“
„Mist.“
„Ja, Mist. Sag mal, wie alt bist du?“
„Neunzehn. Und du?“
„Siebzehn. Ich habe noch nicht gehört, wie dein zweiter Nachname ist.“
„Meiner, Díez. Und deiner?“
„Alcàntara.“
„Seit einem Jahr bist du hier …“
„Das Problem ist …“
„Sprich es aus, welches Problem?“
„Noch ein kleiner Anfall und …“
„Denke nicht daran, hörst du.“
„Und der macht’s dann. Das ist die Wahrheit.“
„Lass es. Willst du es etwa?“
„Dann merkt man, dass man stirbt.“
„Lass das! Oder willst du es etwa?“
„In meinem Dorf fesselten sie einem schwindsüchtigen Irren die Hände.“
„Hör jetzt auf damit, klar!“
„Hast du Haare auf der Brust?“
„Einige.“
„Bei mir kommen sie auch.“
„Das müssen wir feiern.“
„Ich habe solche Ereignisse immer gefeiert. Das erste Mal, als es mir passierte, da war ich zwölf. Ich rannte zum Eiswagen. Um mir ein Eis zu kaufen. Zu zwei Peseten. Um das zu feiern. Du wirst das noch verstehen. Um es zu feiern.“
Justos Herz klopfte. Auf seinem olivgrünen Gesicht zeigte sich ein kreisrunder roter Fleck. Mit den glänzenden und harten Augen eines Tiers am Nachmittag schaute er mich an. Dann setzte ich mich zu ihm auf das Bett. Mit seiner heiseren Stimme sprach er weiter. Nur er. Als wolle er beichten, er, der nie im Bett beichten wollte und es im Salon tat, in einem Sessel sitzend, er auf der einen Seite der Jalousie und Pater Gabriel auf der anderen.
„Ramallo, ich werde verrückt, wenn ich weiter hier lebe. Manchmal gehe ich ins Bad und stehe lange nackt da, um mich im Spiegel anzuschauen, aber in Schuhen, als sagte ich Adéu zu mir, zu mir, hörst du. Du kannst dir nicht vorstellen, was es für mich bedeutet, mich im Spiegel zu sehen, in Schuhen. Ich glaube, ich muss sehr krank sein, wenn ich mich von außen so selbstverliebt anschaue. Als ich jünger war, ging ich mit einem Mädchen in einen Hühnerstall, sie war neun Jahre alt und hieß Magdalena. Eine steinerne Bank stand im Verschlag, dort, wo die Hühner ihre Eier legten. Ich hob das Mädchen auf die Bank. Auf ihren Rock legte ich eine große Margerite, eine von jenen wilden, die in den Opuntien wachsen. Du wirst mir nicht glauben. Aber ich sah dieses Bild mit verliebten Augen an. Und sie sprach meinen Namen aus. Ohne ein Lächeln. Und mir blieb nichts mehr als die Qual eines Jungen, der begreift, dass er nie wieder so unbesorgt wie früher spielen wird.“
Nachts weckte mich ein heftiges Läuten. Ein unaufhörliches Husten drang zu meinen Ohren. Ich sprang aus dem Bett, lief über den Flur, zog mir die Hosen auf dem Weg an. Ich schaute auf die automatische Anzeige. Es war die 5. Drinnen schien Licht. Ich öffnete die Tür. Bevor ich Justo sah, entdeckte ich sein Blut auf den Fliesen.
„Die Schwester kommt sofort, Justo. Bleib ruhig, Justo!“
Ich schaute von der Tür in den Flur, der fröstelnd in seinem grellgrauen Neonlicht dalag. Schwester Ester eilte durch die Stille der Galerie herbei.
„Justo hat blutigen Auswurf. Sehr stark.“
Ich trat wieder in die 5 ein. Blut schwappte aus Justo Pastors Spuckschüssel.
„Sei nicht nervös, Justo.“
Plötzlich griff Justo nach der Decke und dem Laken. Er schleuderte sie über den Spiegel am Waschbecken. Er trug keine Unterhose. Er stieß einen Schrei hervor – aus den Ohren und den Augen strömte Blut. Etwas davon traf mein Gesicht. Sein Kopf fiel zur Seite.
Agustí Alcàntara, seine Frau (Carmen Onaindia) und Jordi Agustí kamen herein. Sie wischten das Blut auf. Armer Justo! Sie wickelten ihn in eine Decke. Sie legten ihn auf die Rollbare, die für die Todkranken bestimmt war, wenn sie ihren ersten schwindsüchtigen Tag hatten. Die Plötzlichkeit und die Routine dieses Spektakels, unvergesslich, der lange Flur mit den Heizkörpern, die Begonie, das grelle Licht der Neonlampen und ich – in der Mitte dieses Flurs stehend, der Bare hinterher schauend, die sich leise entfernte. Und die übermenschliche Qual, als ich ihn nicht mehr sah und noch die Räder hörte, solche großen Reifen wie von Fahrrädern, sie waren schlecht gefettet («jetzt fährt er durch den Flur am Speisesaal, jetzt am Aushang mit dem Menü von morgen vorbei, hinaus, bis zur Leichenhalle, die neben den Beeten mit den Ranunkeln liegt»).
Am nächsten Tag ging ich in den Salon, um meiner Mutter einen Brief zu schreiben. Ein Bücherregal war auf den Schreibtisch montiert. Die Büglerinnen legten die Wäsche der Todkranken in die Regalböden, um sie später von dort einzusammeln. Solange ich mit dem Brief beschäftigt war, saß ich vor einem braunen, ausgeblichenen und viel zu gestärkten Hemd mit den Initialen J.P.A.
Während ich mich vom Tisch erhob, glitt ich mit einer Hand in das Hemd – Wie mag es Justo gehen? – und hielt es eine Weile fest.
„Hast du schon Haare auf der Brust?“
„Einige.“
„Ich auch.“