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isländischer Berg, 11 Buchstaben: BARDARBUNGA

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Bardarbunga!

Ein wirklich ganz und gar besonderes Wort. Ich war stolz, als ich es mir merken und es sogar mühelos aussprechen konnte. Bardarbunga!

Klang das nicht wie eine Zauberformel?

Schön, zu wissen, dass es auf Island einen Berg mit so einem geheimnisvollen Namen gibt.

Aber wie weiter?

Wann würde ich mit diesem Sonderwissen in einer Unterhaltung punkten können?

Um es kurz zu machen: Es bot sich mir nie eine Gelegenheit, mit Bardarbunga ein bisschen anzugeben. Außerdem wäre da immer die Gefahr, dass es jemand genauer wissen will und weiterführende Fragen stellt. Da wäre ich aufgeschmissen, denn das genau ist es, was uns Ratefüchsen fehlt: das Wissen hinter der Worthülse im quadratischen Feld.

Und trotzdem: Ich löse Kreuzworträtsel.

Insgeheim.

Leidenschaftlich.

Ich erzähle das nicht herum, denn es ist nichts, worauf ich stolz bin. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Gendefekt, wie mein wildes rotes Haar. Irgendetwas Vererbtes, dem man einfach nicht entrinnen kann. Mein Vater starb vor einem Jahr, und erst vor ein paar Monaten war ich in der Lage, die Kisten mit seinen Habseligkeiten auszupacken, die mir das Seniorenheim übergeben hatte: Kreuzworträtselhefte, Nachschlagewerke, Bleistifte und Radiergummis. Tja. Andere erben eine blaue Mauritius oder kostbare Klunker, finden vielleicht sogar einen Goldbarren unter der Matratze. Aber man kann sich sein Erbe nun mal nicht aussuchen. Ich fing mit ein paar alten Kreuzworträtselheftchen und Lexika an, und inzwischen bin ich angefressen.

Am nächsten Morgen schlüpfe ich wieder in meine Dienstuniform, ein dunkelblaues Kostüm. Meine wilden roten Haare versuche ich zu bändigen, indem ich sie ausgiebig bürste und dann mit ein paar Haarspangen aus dem Gesicht verbanne. Naturwellen können ein Segen sein, für mich sind sie eine Plage. Meine Frisur ist unberechenbar. Mein Ex würde sagen, meine Haare seien der Spiegel meiner Seele.

Na ja.

Das vorgeschriebene dezente Make-up aufgelegt, in die gewünschten blauen Schuhe geschlüpft, fertig. Mein Arbeitsplatz, das Hotel Haller, ist nur ein paar Schritte von meiner Wohnung entfernt. Ich mag meinen Job. An der Hotelrezeption bin ich an der Schnittstelle zwischen Gast und Hotel und Anlaufstelle für alle möglichen Probleme. Egal, ob ein Kleiderbügel fehlt oder einer wissen will, wo das nächste Bordell ist. Alle kommen zu mir. Von der Opernkarte bis zum Arzttermin organisiere ich fast alles. Nach ein paar Jahren in diesem Job habe ich das Gefühl, mir sei nun nichts Menschliches mehr fremd. Und doch werde ich immer wieder neu überrascht, schockiert, zum Staunen gebracht. Das ist gleichzeitig der Vorteil und der Nachteil meines Jobs. Ein abwechslungsreicher Arbeitsplatz ist meist auch stressig. Aber ich ertrage lieber den täglichen Hotelwahnsinn, als in einem Büro zu sitzen, wo Tag für Tag das Gleiche geschieht.

Ich betrete das Haus, und sofort fällt mir die Menschentraube vor der Rezeption auf. Der Nachtportier, ein mit allen Wassern gewaschener Routinier, schaut mir hilfesuchend entgegen. Die Gäste drehen sich um, und bevor ich die Sicherheitsnadel an meinem Namensschild geschlossen habe, fangen sie schon an, auf mich einzureden.

»So geht das nun wirklich nicht.«

»Das ist doch ein Viersternehotel!«

»Ich will mein Geld zurück und sofort abreisen.«

Der Nachtportier zieht mich beiseite und stöhnt: »Die Leute möchten abreisen, und ich kann ihren Ärger verstehen. Die Rockmusiker waren vergangene Nacht wirklich extrem laut.«

Mit einem gebügelten Stofftaschentuch wischt er sich die Schweißtropfen von der Glatze. Ziemlich blass sieht er aus. Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein: Gestern Nacht spielten die berühmten Zanders in Frankfurt, und die Musiker waren bei uns einquartiert.

»Ab Mitternacht war ich immer wieder oben am Vermitteln und Beruhigen«, berichtet der Nachtportier weiter, »aber die Musiker waren teilweise gar nicht mehr ansprechbar. Jetzt wollten die Gäste zum Frühstücken gehen, und da liegt doch tatsächlich eine halb nackte Frau im Gang. Sie erschraken furchtbar, weil sie glaubten, die Frau sei tot. Aber dann fing sie an zu schnarchen. Das gab den Gästen den Rest. Sie wollen nun nicht mehr länger in einer Absteige wohnen.«

Der Nachtportier überlässt mir erleichtert das Schlachtfeld und zieht sich zurück.

Schwierige Situation. Diese Geschäftsleute kommen immer wieder, sind also wichtige Gäste. Die Rockmusiker sind Promis. Sie steigen hier zwar nur einmal im Jahr ab, bringen dafür unser Haus in die Presse und ziehen damit andere Promis an. Man muss abwägen. Jeder Gast ist ein König, aber er sollte sich auch ein wenig so benehmen, sage ich jeweils.

Ich kann die Geschäftsleute schließlich beruhigen. Aber nur, weil ich meine Kompetenzen überschreite und ihnen verspreche, diese Übernachtung nicht zu berechnen, und weil ich ihnen schwöre, dass sie nächste Nacht in Ruhe schlafen können. Letzteres kann ich leicht schwören, denn die Musiker reisen am Nachmittag ab. Ich bezaubere die Unzufriedenen mit meinem zauberhaftesten Lächeln und versprühe Charme ohne Ende. Fast bekomme ich einen Krampf in den Mundwinkeln. Dann begleite ich sie höchstpersönlich an ihren Frühstückstisch und weise das Personal an, ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Gleichzeitig bete ich darum, dass die Musiker weiterschlafen, bis die Geschäftsleute aus dem Haus sind.

Auch danach gibt es für mich noch keine Verschnaufpause, weil die Beinah-Leiche inzwischen auf meinem Bürostuhl weiterschläft. Das geht gar nicht. In der Wäschekammer finde ich ein paar liegen gebliebene Klamotten, die wir für Notfälle aufbewahren. Ich wecke die Dame unsanft. Ihr Make-up ist verschmiert. Sie trägt nur High Heels, Slip und BH, hält aber eine Handtasche umklammert. Sie riecht nach billigem Parfüm, Rauch und Alkohol. Eine Prostituierte, die nicht so wollte wie die Musiker? Oder ein Groupie, das man nach Gebrauch einfach vor die Zimmertür geworfen hat? Ich habe keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Mein Job besteht schließlich nicht nur aus Chaosbewältigung. Aber ich bin kein Unmensch und stelle der Dame eine Tasse Kaffee hin. Ich gebe ihr den alten Jogginganzug aus der Wäschekammer und erkläre ihr, dass in zehn Minuten ein Taxi auf sie warte. Die Frau schaut mich mit großen Augen an. Ich wiederhole meine Worte noch auf Englisch und Französisch. Die Frau nickt und zieht hastig den Jogginganzug über. Dann sagt sie kurz »Grazie«, nimmt einen großen Schluck Kaffee und verschwindet.

Puh. Das wäre geschafft.

Dieses Intermezzo hat mich eine Stunde gekostet. Jetzt wartet jede Menge Routinearbeit auf mich. Erst am Nachmittag finde ich Zeit, im Dienstplan nachzuschauen, ob meine Ferien überhaupt möglich wären. Alles im grünen Bereich. Das Hotel wird auch ohne mich nicht vor die Hunde gehen. Mein Chef verreist erst im Herbst.

Nachdem Frank mich verlassen hatte, habe ich es mit dem Arbeiten etwas übertrieben. Ich habe mich richtig in meinen Job hineingestürzt. Überstunden kamen wie gerufen. Ich sprang da und dort ein, habe notfalls sogar serviert oder ein Zimmer geputzt. Das ist meinem Chef natürlich nicht verborgen geblieben, und er hat gleich angefangen, einige seiner Arbeiten auf mich zu übertragen. Er betrachte mich als seine rechte Hand, betonte er immer wieder. Irgendwann legte sich seine eigene rechte Hand wie zufällig auf meinen Hintern. Das brachte mich arg in Bedrängnis. Einen Chef in die Schranken zu weisen, ist nicht so einfach. Ich versuchte es diplomatisch, was aber nichts nützte, denn er fing auch noch mit seiner linken Hand an, mich zu begrapschen. Nur so flüchtig, im Vorbeigehen, wahrscheinlich, um auszutesten, wie weit er dann beim nächsten Mal gehen könnte. Nach einigen solchen Episoden beschloss ich, ein eindeutiges Zeichen zu setzen. Als er mich wieder einmal betatschte, hatte ich gerade eine volle Kaffeetasse in der Hand, drehte mich schwungvoll um und goss ihm die heiße Brühe über seinen kostbaren Anzug.

»Ach, das tut mir leid!« Ich gab mich sehr erschrocken. »Entschuldigen Sie bitte, Herr Neumann. Ich glaubte wirklich, jemand wolle mich begrapschen. Oh, wie ist mir das peinlich. Sie würden so was ja nie tun. Ich müsste ja sonst auch sofort kündigen, und das wollen wir beide doch nicht.«

Ich habe nervös-hysterisch drauflosgequasselt, und er hat gekocht vor Wut und versucht, mit ein paar Papiertüchern seinen Anzug zu retten. Aber er hat meine Botschaft verstanden und lässt mich seither nicht nur in Ruhe, nein, er behandelt mich auch ausgesprochen respektvoll.

Wandern ist doof

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