Читать книгу Wandern ist doof - Blanca Imboden - Страница 8
ОглавлениеMeine Freundin Andrea hüpft barfuß auf meiner Dachterrasse herum wie ein modernes Rumpelstilzchen. Übermütig schreit sie auf die Straßen von Frankfurt hinunter: »Conny hat eine Reise gewonnen, eine Reise gewonnen, gewooonnen!«
Sie kann sich gar nicht wieder beruhigen. Andrea hat mir die Post mit heraufgebracht, und jetzt freut sie sich wie blöde, weil ich bei einem Preisausschreiben gewonnen habe. Es fällt ihr gar nicht auf, dass ich in ihren Jubel nicht einstimme.
Oder doch?
Sie verstummt plötzlich und bleibt vor mir stehen.
»Was ist los, Conny? Warum freust du dich nicht?«
Eine kleine unwillige Falte bildet sich zwischen ihren sorgfältig gezupften Augenbrauen und entstellt ihre sonst so harmonischen Gesichtszüge.
Andrea kann es nicht fassen, dass ich ihre Ausgelassenheit nicht teile, wo ich doch zum ersten Mal etwas gewonnen habe, und so stichelt sie: »Endlich machen deine blöden Kreuzworträtsel Sinn. Man kann damit Reisen gewinnen. Hut ab! Hätte ich nicht gedacht. Und die Schweiz, die ist doch total cool. St.Moritz, Arosa, Davos, Zermatt. Alles so mondän und elegant. Mitten in den Bergen trifft man die Promis der ganzen Welt.«
Andrea schwärmt jetzt, als müsste sie mir meinen Preis erst noch verkaufen. Aber während sie voller Freude auf der Dachterrasse herumhüpfte, habe ich mir die Unterlagen genauer angeschaut, und der Freudenschrei ist mir im Hals stecken geblieben.
»Nix mit St. Moritz. Ich habe eine Reise nach Morschach gewonnen«, dämpfe ich ihre Begeisterung.
»Morschach?«
Andreas Gesicht ist nun ein einziges Fragezeichen. Sie kramt sofort ihr iPhone aus der neuen Pradatasche mit Elfenaufdruck und tippt aufgeregt darauf herum. Ich mache mir Sorgen um ihre teuer manikürten Fingernägel. Sie beißt sich vor Aufregung auf die Unterlippe. Schließlich findet sie, was sie gesucht hat.
»Nein!!! Das ist irgend so ein Kuhdorf in den Schweizer Bergen! Da kannst du nicht hinfahren!«
Ihre Begeisterung ist in Sekundenschnelle von hundert auf null gesunken.
»Idyllisches Bergdorf … tausend Einwohner … Sonnenterrasse über dem Vierwaldstättersee …«, informiert mich Andrea weiter.
Ich lächle und bemerke etwas trotzig: »Klingt wunderbar nach Entspannung und Ferien. Keine Schickeria. Ideal für mich.«
Zugegeben, das sage ich jetzt nur, um Andrea ein wenig zu ärgern. So einfach lasse ich mir meinen Gewinn nicht madigmachen. Eigentlich möchte ich überhaupt nicht verreisen. Zermatt oder Morschach, das macht für mich im Moment keinen großen Unterschied. Ich will diesen Sommer zu Hause bleiben. Ich bin erst vor einem halben Jahr hier eingezogen und brauche Zeit für mich, Zeit, um anzukommen und meine Wunden zu lecken.
Andrea kann sich kaum erholen: »So ein winziges Bergdorf, das ist doch etwas für alte Leute oder Familien mit begrenztem Reisebudget. Dort sagen sich garantiert sämtliche Füchse und Hasen der Welt Gute Nacht. Nichts als Berge und Hügel! Du müsstest Kreuzworträtsel lösen, um nicht völlig zu verzweifeln.«
In letzter Zeit geht Andrea mir ab und zu auf die Nerven. Vor einem halben Jahr, als mein Freund mich verlassen hat und ich mit 35 Jahren privat und beruflich neu anfangen und dafür nach Frankfurt umziehen musste, da tat es mir unglaublich gut, von ihr bemuttert zu werden. Ich war verzweifelt und irgendwie gebrochen. Aber langsam müsste sie merken, dass ich wieder zu mir zurückgefunden habe und selber weiß, was gut für mich ist. Inzwischen fühle ich mich von meiner Freundin manchmal bevormundet und gegängelt. Je mehr sie mich bemuttert, desto renitenter werde ich, wie ein pubertierender Teenager.