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KAPITEL FÜNF
ОглавлениеAls der Flieger in Phoenix landete, zogen Riley und Crivaro ihr Sachen aus den Gepäckfächern über ihren Köpfen und machten sich auf den Weg über die Landungsbrücke zum Flughafengebäude. Ungefähr zwanzig Leute warteten auf die Passagiere des Fluges, aber es bestand kein Zweifel daran, wer auf sie warten würde.
Ein herzlich dreinschauender Kerl mit rötlichem Gesichtsausdruck winkte Crivaro energisch zu. Riley wusste, dass es sich um Harry Carnes handeln müsse. Die gleichermaßen stämmige Frau, die mit verschränkten Armen und einem finster dreinblickendem Gesichtsausdruck neben ihm Stand, musste Harrys Ehefrau sein. Sie sah im Moment überhaupt nicht glücklich aus.
Der Mann begrüßte Crivaro mit einer festen Umarmung und Crivaro stellte Riley dem Paar vor. Der Name der Frau war Jillian. Riley schätzte, dass sie beide ungefähr in Crivaros Alter sein mussten, oder vielleicht auch ein wenig älter.
Einen Augenblick lang war sie erstaunt, dass beide in T-Shirt, kurzen Hosen und Sandalen gekleidet vor ihnen standen. Sie und Crivaro hatten immer noch ihre Jacken und für kälteres Wetter vorgesehene Sachen an.
»Gepäck?«, fragte Harry, während er ihre Outfits betrachtete.
»Nur das hier«, erwiderte Jake und hielt seinen Rucksack hoch.
Harry lachte und sagte: »Na dann, das werdet ihr schon noch früh genug regeln können.«
Ihr gingen Crivaros während des Flugs geäußerten Worte durch den Kopf.
»Das Wetter in Arizona ist zu dieser Jahreszeit sicherlich viel angenehmer als in Virginia.«
Sie war definitiv nicht auf das Wetter hier vorbereitet. Sie waren in solch großer Eile loszufahren, dass sie keine Zeit hatte daran zu denken andere Kleidung einzupacken. Sie wunderte sich, ob sie sich neue Sachen kaufen müsse. Ihr Finanzlage würde sicherlich keine großen Anschaffungen verkraften können.
Vielleicht wird es auch nicht notwendig sein, dachte sie. Wenn sie sich bald auf den Rückweg nach Quantico begeben würden, dann würde sie wahrscheinlich mit dem, was sie dabei hatte, auskommen können.
Harry ging voraus zur nächstgelegenen Imbissbude, wo sie sich an einen Tisch setzten und Sandwiches zum Mittagessen bestellten.
Crivaro sagte zu Harry: »Also, hier bin ich. Jetzt erzähl mir alles, was du weißt.«
Harry zuckte mit den Schultern: »Ich weiß nicht viel, außer was ich dir schon über das Telefon mitgeteilt habe. Die Leiche einer Frau wurde gestern an einem Wanderpfad in der Nähe von Tunsboro aufgefunden. Der Ort liegt nördlich von hier. Ihr Name war Brett Parma. Als ich über die Nachrichten davon erfuhr, wurde ich neugierig und ich rief den Polizeichef in Tunsboro an. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten ihn zum Reden zu bringen, aber es gelang mir einige wenige Informationen aus ihm herauszulocken. Er erwähnte die Schnitte an den Armen der Frau – und auch, dass sie woanders zu Tode ausgeblutet war, bevor ihre Leiche am Pfad hinterlassen worden war. Dann forderte er mich im Grunde auf, mich aus seiner Untersuchung herauszuhalten.«
»Was wir auch tun wollten«, gab Jillian hinzu.
Harry lehnte sich über den Tisch zu Crivaro: »Jake, ich hatte ein seltsames Gefühl dabei. Es war alles genau wie beim Mordfall von Erin Gibney ein Jahr zuvor. Mir kamen die Rückblicke zu Situationen von damals, als ich versuchte den Polizisten in Gladwin beim Lösen des Falls zu helfen, aber dabei scheiterte.«
Harry murmelte mit gesenktem Blick: »Wir kamen damals nicht einmal annähernd an den Täter ran.«
Jillian seufzte unzufrieden und sagte zu Crivaro: »Harry plagen die Schuldgefühle zu dieser ganzen Sache. Er meint, hätte er den Fall damals in Colorado gelöst, dann wäre dieser neue Mord gar nicht erst passiert. Natürlich ist es Unfug. Jake, kannst du ihn zur Vernunft bringen? Sag ihm, dass er keinen Grund hat sich was vorzuwerfen.«
Crivaro starrte Harry teilnahmsvoll an.
Er sagte: »Jillian hat recht. Du darfst dich deswegen nicht fertig machen. Selbst wenn ein Zusammenhang zwischen den beiden Morden bestehen sollte––«
Harry unterbrach ihn: »Jake, es besteht ein Zusammenhang. Ich kann es in meinen Knochen spüren.«
Riley konnte große Skepsis in Crivaros Gesichtsausdruck erkennen.
»Harry, ich habe an viel mehr Mordfällen als du gearbeitet«, sagte Crivaro. »Ich weiß wie es sich anfühlt, sich verantwortlich für die Morde zu fühlen, weil man nicht in der Lage ist den Mörder zu fassen. Aber du darfst dich nicht von diesem Gefühl überwältigen lassen.«
Er streckte seine Hand aus und legte sie auf den Arm seines Freundes.
»Du hast niemanden ermordet, Harry. Du bist nicht dafür verantwortlich. Du trägst keine Schuld. Hörst du, was ich dir sage?«
Harry stoß einen langen, bitteren Seufzer aus. Dann sagte er zu Jake und Riley: »Nun ja, ich war lange genug Polizeibeamter, um dies zu wissen. Wir haben sie nie alle lösen können. Aber, ich war auch lange genug im Amt um zu erkennen, wann meine polizeilichen Instinkte mich wahrscheinlich auf die richtige Fährte führen würden. Dieser letzte Mordfall löste wirklich einen Alarm bei mir aus.«
Er legte sein zur Hälfte gegessenes Sandwich auf den Teller zurück und schob es von sich.
»Ich bin froh, dass ihr zwei kommen konntet, um die Sache zu überprüfen«, fuhr er fort. »Es lässt mich viel besser schlafen. Esst fertig und ich fahre euch nach Tunsboro.«
Jillian stieß ihn in den Arm und sagte fast flüsternd: »Warte einen Augenblick, Harry. Du fährst niemanden nirgends hin. Wir müssen erst zurück zum Campingplatz.«
Harry warf seiner Frau einen bittenden Blick zu.
»Ach, komm schon, Liebes«, flüsterte er ihr zu. »So sehr eilt es nicht. Und Tunsboro ist nur eine kurze Fahrt von hier entfernt.«
»Sie können auch einen Wagen mieten«, sagte Jillian. »Wir hatten eine Abmachung, erinnerst du dich.«
Harry schaute verlegen. Riley wunderte sich, was denn zwischen ihnen los war. Sie sah, dass sich Crivaro unsicher war, was er als Nächstes sagen sollte.
Endlich sah Jillian Jake mit ernsthaftem Blick an und sagte...
»Harry wird sich nicht in diese—diese—was auch immer es ist, einlassen. Er befindet sich im Ruhestand. Wir sind hier auf Urlaub. Ich will nicht, dass er sich wieder wegen diesem Erin Gibney Mordfall aufregt. Letztes Mal war er deswegen einen Monat lang ein unglückliches Wrack. Ich dachte, wir hatten die Sache endlich hinter uns gelassen.«
Harry nickte zögernd und sagte zu Riley und Crivaro leicht lächelnd: »Also, ihr habt gehört, was die Dame zu sagen hatte. Sie hält mich an einer straffen Leine. Ich wünschte, ich könnte mit euch mitkommen, aber so sieht es nun mal aus. Wir haben einen Reiseplan. Wir machen uns noch heute auf den Weg zum Coronado National Forest. Wir haben eine Reservierung beim Riggs Flat Campingplatz.«
»Und wir werden nicht absagen«, fügte Jillian scharfzüngig hinzu. »Komme, was da wolle.«
Harry drückte ihre Hand und sagte: »Natürlich nicht, Liebste. Aber wir haben genug Zeit dazu die beiden zur Polizeiwache in Tunsboro zu fahren. Dann können wir zurück zum Campingplatz fahren und uns dort abmelden. Dies ist das Mindeste, was wir für sie tun können, nachdem sie sich die Zeit genommen und die Mühe gemacht haben.«
Jillian starrte Harry streng an: »Gut—solange du mir versprechen kannst, dass du deine Meinung nicht unterwegs ändern wirst.«
Harry hob unbeholfen seine rechte Hand.
»Ich verspreche es«, sagte er und drückte ihr schnell einen Kuss an die Wange.
Jillian lächelte und machte einen beruhigten Eindruck. Sie drohte Crivaro mit dem Finger und sagte...
»Und wage es du ja nicht zu versuchen ihn umzustimmen!«
»Es fällt mir nicht ein«, sagte Crivaro kichernd.
Das Paar erschien jetzt viel entspannter. Harry griff sogar sein Sandwich wieder auf und unterhielt Riley und Crivaro durch leichtes Geplauder während sie weiter aßen. Hin und wieder gab Jillian ein paar Details hinzu oder korrigierte ihn.
Harry und Jillian waren vor kurzem zum ersten Mal Großeltern geworden und ihre jüngste Tochter hatte neulich ihre Hochzeit. Wie es für diese Jahreszeit üblich war, war das Wetter in Colorado zu kalt für ihren Geschmack. Und so machten sie sich, wie fast jeden Winter, mit ihrem Wohnmobil auf in den warmen Südwesten, wo sie von Campingplatz zu Campingplatz zogen.
Harry zeigte Riley und Crivaro stolz ein Bild ihrer Camping-Anlage—ein ziemlich großer Wohnwagen der von einem weißen Laster gezogen wurde. Harry nannte die Anlage »unser zweites Zuhause«.
Wie das Geplauder seinen Gang nahm, bemerkte Riley einen wehmütigen Ausdruck in Crivaros Gesicht.
Sie wunderte sich...
Beneidet sie Crivaro vielleicht?
Wieder fiel ihr auf, dass Crivaro und Harry ungefähr im selben Alter waren. Sie hatte sich keine Gedanken zu Crivaros Ruhestand gemacht. Ob er sich wohl darüber Gedanken machte?
Obwohl Riley vieles über ihren Mentor nicht wusste, war ihr dennoch bekannt, dass er geschieden war und einen entfremdeten Sohn hatte.
Crivaros Leben glich in Nichts dem Leben von Harry und Jillian, mit ihren engen Freunden und glücklicher Familie. Sollte er Enkel haben, würde er es zu Riley nie erwähnen. Er hatte ihr bereits gesagt, dass seine ehemalige Frau glücklich wiederverheiratet war, und das sein Sohn im Immobiliengewerbe tätig war und...
»Sie sind vollkommen normal, wie ganz gewöhnliche Leute.«
Mit einem selbstironischen Lachen fügte er hinzu...
»Vielleicht bin ich für normal einfach nicht geschaffen.«
Nicht zum ersten Mal fiel es Riley auf, dass Crivaro ein sehr einsamer Mensch sein musste.
Wenn sein Beruf das Einzige war, dass seinem Leben Sinn gab, wenn er das Gefühl hatte, dass ihm etwas im Leben entgangen sei, dann war es vollkommen normal, dass dieses glücklich verheiratete Paar melancholische Gefühle in ihm weckte.
War die Einsamkeit ein Grund dafür, dass er sie zu dieser Reise mitgebracht hatte?
Es gab Augenblick an denen Riley Crivaro mehr als ihren eigentlichen Vater empfand, als es der Fall mit dem verbitterten ehemaligen Marinesoldat, der alleine in den Bergen lebte, war. Zumindest lobte er sie manchmal für Dinge, die sie richtig machte, was mehr war, als ihr echter Vater je tat.
Sie wunderte sich…
Ob er mich wohl je als seine Tochter ansah?
Die Gruppe war fertig mit Essen und machte sich auf den Weg zum Parkplatz. Zu Rileys Erleichterung war das Wetter sehr angenehm. Warm, aber nicht zu warm oder zu feucht. Vielleicht würde die Kleidung, die sie mit hatte, doch ihren Zweck erfüllen können.
Sie hatte erwartet die komplette Camping-Anlage aus dem Foto anzutreffen, aber sie waren nur mit dem Laster unterwegs.
»Wo ist der Wohnanhänger?«, fragte Crivaro.
»Das ist ja gerade das Wunderbare an der Camping-Anlage«, erwiderte Jillian. »Wir können den Wohnanhänger einfach auf dem Campingplatz lassen während wir in unserem Laster umherfahren. Es mag zwar nicht allzu schick aussehen, aber praktisch ist es allemal.«
Crivaro und Harry kletterten in die Vordersitze und Riley und Jillian setzten sich auf den großen Rücksitz.
Als Harry den Flughafen verließ, fing er an sich wieder mit Crivaro zu unterhalten—welche Strecken sie fahren würden um in den Süden Colorados zu gelangen, wohin sie als Nächstes fahren wollten, welche Orte sie jeden Winter besuchten, sogar wo es gute Gaststätten entlang des Wegs zu finden gab. Riley erschien es, als stünde ihm ein unbegrenzter Vorrat an unbedeutenden Themen zum Plaudern zur Verfügung, aber Crivaro schien stillvergnügt zuzuhören, anscheinend überhaupt nicht gelangweilt.
Riley schaltete sich aus dem Gespräch aus. Sie war dankbar, dass Jillian, die neben ihr saß, keine Neigung dazu zeigte sich in ähnliches inhaltsloses Gerede zu vertiefen.
Aber dann wurde es Riley bewusst, dass sie zumindest etwas zu Jillian sagen sollte, wenn auch nur höflichkeitshalber.
Als Harry sich auf die Fernstraße begab und den Weg nach Norden einschlug, sagte Jillian: »Ich sehe, dass du verlobt bist.«
Riley überraschte diese Bemerkung, aber sie merkte schnell, dass Jillian auf ihren Verlobungsring schaute.
Sie lächelte und sagte: »Ja, das bin ich.«
Jillian fragte halb-lächelnd: »Habt ihr schon einen Hochzeitstermin festgelegt?«
Riley schluckte bei dieser Frage.
»Eigentlich, nein. Noch nicht«, antwortete sie.
In Wahrheit hatten sie und Ryan noch keine Idee, wann die Hochzeit stattfinden würde. Manchmal erschien es, als sei das Ganze wenig mehr als eine Fantasievorstellung.
»Also«, sagte Jillian: »Ich wünsche euch alles Glück dieser Welt.«
Jillian drehte dann ihren Kopf und schaute zum Fenster hinaus.
Riley erschienen diese Worte sehr bedeutsam.
»Ich wünsche euch alles Glück dieser Welt.«
Jillian und ihr Ehemann schienen ihr Glück gefunden zu haben. Aber Riley hatte das Gefühl als wäre ihr Glück hart errungen worden und auch, dass Harrys Arbeit als Polizeibeamter ihnen die Sache nicht leicht gemacht hatte.
Riley vertiefte sich in Überlegungen zu ihrer eigenen Zukunft.
Was wartet auf sie wohl alles noch?
Sie und Ryan funktionierten manchmal fabelhaft zusammen. Aber sie war besorgt darüber, dass auch für sie anhaltendes Glück vielleicht hart errungen werden musste.
Ob sie wohl einmal mit einer geliebten Person glücklich in den Ruhestand treten würde?
Oder würde sie alleine enden, so wie Agent Crivaro?
Riley blickte durch das Fenster auf ihrer Seite des Lasters. Eine ähnliche Landschaft wie die da draußen kannte sie bisher nur aus Bildern. Außer in den Gebieten wo Leute Gebäude errichtet hatten oder Pflanzen kultivierten, erschien ihr diese Landschaft völlig leblos.
Irgendwo, in einer ähnlichen Wüstenlandschaft, wurde eine junge Frau auf brutale Weise ihres Lebens beraubt. Ob dasselbe Monster schon früher gemordet hatte?
Wenn ja, dann würden Riley und Crivaro dem ein für alle Mal ein Ende setzen müssen.