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KAPITEL ZWEI

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Sonderagent Jake Crivaro starrte unzufrieden auf seine Rühreier.

Ich hätte zur Abschlusszeremonie gehen sollen, dachte er.

Er saß in der Kantine des Verhaltensanalyseeinheit-Gebäudes in Quantico und dachte an Riley Sweeney, seinen jungen Schützling. Ihre Abschlusszeremonie von der FBI-Akademie war vor zwei Tagen und er fühlte sich schlecht, weil er nicht anwesend gewesen war.

Natürlich hatte er eine Ausrede genannt—zu viel Papierarbeit, die dringend erledigt werden musste. Aber in Wahrheit hasste er solche Zeremonien und er konnte sich nicht dazu bringen in der Menge zu sitzen und sich dieselben Reden, derer Variationen er schon so viele zuvor gehört hatte, anzuhören.

Wäre er gegangen, dann hätte er die Gelegenheit gehabt ihr Auge in Auge mitzuteilen, dass er persönlich für ihre Überweisung von DC zur Verhaltensanalyseeinheit hier in Quantico verantwortlich war.

Stattdessen ließ es einen Boten die Nachricht überbringen.

Aber sicherlich würde sie die Versetzung zur Verhaltensanalyseeinheit als gute Nachricht auffassen. Immerhin würden ihre einzigartigen Fähigkeiten hier einen viel besseren Einsatz finden, als das es der Fall in DC sein würde.

Dann kam es Jake in den Sinn, dass Riley vielleicht noch gar nicht wusste, dass er sie als seine eigene Partnerin zuteilen ließ.

Er hoffte, es war ihr eine angenehme Überraschung zu erfahren, dass sie in Zukunft zusammenarbeiten würden. Sie bildeten schon in drei ziemlich schwierigen Fällen ein ziemlich gutes Team. Die Anfängerin zeigte sich gelegentlich als etwas unberechenbar, aber es gelang ihr immer ihn mit ihren ungewöhnlichen Einblicken zu überraschen.

Ich hätte sie zumindest anrufen sollen, tadelte er sich selber.

Jake schaute auf die Uhr und ihm wurde bewusst, dass sich Riley schon auf dem Weg hierher befinden musste, um an ihrem ersten Arbeitstag Rapport zu erstatten.

Als er einen kleinen Schluck Kaffee nahm, klingelte sein Handy.

Er nahm den Anruf an und eine Stimme rief: »Hey, Jake. Es ist Harry Carnes. Rufe ich dich zu einem guten Zeitpunkt an?«

Jake grinste beim Klang der Stimme seines alten Freundes. Harry war ein pensionierter Kriminalpolizist aus Los Angeles. Einige Jahre zuvor arbeiteten sie an einem Entführungsfall einer berühmten Person zusammen. Sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden und blieben in Kontakt.

»Na klar, Harry«, antwortete Jake. »Super, dass du anrufst. Was gibt’s Neues?«

Er hörte, wie Harry aufatmete. Dann sagte er: »Es gibt da etwas, das mich bedrückt. Ich dachte, du könntest mir vielleicht dabei helfen.«

Jake fühlte, wie ihn die Besorgtheit überkam.

»Gerne, Kumpel«, sagte er. »Was ist das Problem?«

»Erinnerst du dich an den Mordfall in Colorado von vor einem Jahr? Die Frau die im Dyson Park ermordet wurde?«

Jake überraschte es, dass Harry den Fall zur Sprache brachte. Als Harry aus dem Los Angeles Police Department in den Ruhestand trat, zog er mit seiner Frau Jillian nach Gladwin, einem kleinen Ort in den Rocky Mountains, der an Dyson Park angrenzte. Die Leiche einer jungen Frau wurde in der Nähe auf einem Wanderpfad entdeckt. Obwohl er zurzeit den Status einer Zivilperson hatte, versuchte Harry der Polizei beim Lösen des Falles zu helfen, aber vergebens, wie es sich herausstellte.

»Klar erinnere ich mich«, antwortete Jake. »Warum fragst du?«

Es trat eine kurze Stille ein.

Dann sagte Harry: »Also... ich denke, es ist erneut passiert.«

»Was meinst du damit?«, fragte Jake.

»Ich denke, der Mörder hat wieder zugeschlagen. Eine weitere Frau wurde ermordet.«

Jake fühlte, wie ein durch Überraschung verursachter Ruck durch seinen Körper ging.

Er fragte: »Du meinst dort, im Dyson Park?«

»Nein, dieses Mal in Arizona. Lass mich erklären. Dir ist bekannt, dass Jillian und ich im Winter nach Süden ziehen? Also, wir befinden uns gerade in Arizona auf einem Campingplatz unweit von Phoenix. Heute Morgen lief in den örtlichen Nachrichten ein Beitrag, in dem gesagt wurde, dass die Leiche einer jungen Frau, nördlich von hier, unweit eines Wanderpfades, gefunden wurde. Ich rief bei der örtlichen Polizeiwache an und sie erklärten sich bereit ein paar Details mit mir zu teilen.«

Harry räusperte sich: »Jake, die Handgelenke der Frau waren völlig zerschnitten. Sie muss irgendwo ausgeblutet sein, aber nicht wo ihre Leiche aufgefunden wurde. Genau wie beim Opfer im Dyson Park. Ich wette, dass es sich um denselben Mörder handelt.«

Jake war jedoch etwas skeptisch.

»Ich weiß nicht Harry«, sagte er. »Der Mordfall in Colorado ist schon ziemlich lange her. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass jegliche Ähnlichkeit zwischen den beiden Mordfällen reiner Zufall ist.«

Harrys Stimme nahm einen ernsteren Ton an.

»Ja, aber was, wenn es kein Zufall ist? Was, wenn es sich in beiden Fällen um ein und denselben Täter handelt? Was, wenn sich die Sache zu einer Mordserie entwickelt?«

Jake unterdrückte sich den Seufzer. Er konnte die Reaktion seines Freundes gut verstehen. Harry hatte ihm mitgeteilt, wie bitterlich enttäuscht er gewesen war, weil er nicht in der Lage war, seinen Kollegen aus Gladwin und der Staatspolizei von Colorado beim Fang des lokalen Mörders zu helfen. Es konnte kaum wundern, dass ein neuer Mordfall mit ähnlichen Details Harry in Aufruhr versetzte.

Aber Leute, die alleine durch die Wildnis wandern, kommen manchmal um. Und manche Leute beharren darauf sich alleine auf den Weg zu machen, trotz aller Warnungen.

Jake wollte Harry nicht geradeheraus sagen, dass er sich seiner Meinung nach irrte.

Aber was kann ich ihm sagen?

Jake wusste es nicht.

Harry fuhr fort: »Jake, ich habe mir überlegt... ob du vielleicht diesen Fall unter die Zuständigkeit der Verhaltensanalyseeinheit bringen könntest? Jetzt, da es schon zwei Mordfälle in zwei verschiedenen Staaten sind?«

Jake wurde zunehmend unruhiger.

Er antwortete: »Harry, so laufen die Dinge normalerweise nicht. Es liegt an der Polizei in Arizona, ob sie Hilfe vom FBI anfordern wollen. Und soweit ich weiß, taten sie dies bislang nicht. Bis dies der Fall sein sollte, haben wir mit der Sache nichts zu tun. Wenn du sie aber dazu bringen könntest, das FBI anzurufen...«

Harry unterbrach ihn: »Das habe ich schon versucht. Ich konnte sie aber nicht davon überzeugen, dass ein Zusammenhang zwischen den Morden besteht. Und du kennst ja die Ansichten der örtlichen Polizisten, wenn es darum geht das FBI in ihren Zuständigkeitsbereich mit einzubringen. Sie sind nicht darauf versessen.«

Jake dachte sich, Nein, das sind sie nicht.

Es fiel ihm leicht sich vorzustellen, wie die Polizei in Arizona auf den Versuch eines pensionierten Polizisten reagieren würde, der sie davon zu überzeugen versuchte, dass ihnen etwas Wichtiges entgangen sei. Aber Harry hatte in einer Sache recht. Falls ein Mörder mehrere Taten in mehr als nur einem Staat begangen haben sollte, dann brauchte das FBI keine Einladung, um sich des Falles anzunehmen. Falls Harry recht haben sollte, dass es sich um denselben Mörder handelte, dann könnte das FBI eine Untersuchung beauftragen.

Falls Harry recht haben sollte.

Jake nahm einen langen, langsamen Atemzug. »Harry, ich weiß wirklich nicht, ob ich an meinem Ende etwas zu der Sache unternehmen kann. Es ließe sich nur schwer verkaufen, die zuständigen Leute hier dazu zu bewegen, daraus einen offiziellen Fall des FBI zu machen. Einerseits bist du dir sicher bewusst, dass das FBI keinen Fall annehmen wird, bei dem die örtliche Polizei davon ausgeht, dass es sich um eine Einzeltat handelt. Aber...«

»Aber was?«

Jake zögerte, sagte dann aber: »Lass mich darüber nachdenken. Ich melde mich dann bei dir.«

»Danke Kumpel«, sagte Harry.

Sie beendeten das Gespräch.

Jake zuckte ein wenig zusammen. Er wunderte sich weshalb, um Himmels willen, er Harry versprochen hatte ihn zurückzurufen.

Er wusste genau, dass er nicht in der Lage sein würde den leitenden Sonderagenten Erik Lehl davon zu überzeugen, den Fall in den Zuständigkeitsbereich des FBI zu stellen. Nicht aufgrund eines so mageren Zusammenhangs.

Verdammt nochmal! Ich bin ja selber nicht wirklich davon überzeugt.

Aber gesagt ist gesagt. Harry saß in Arizona und erwartete eine Rückmeldung von Jake. Und das Einzige wozu er in der Lage sein würde, war ihm das mitzuteilen, was er ihm hätte sagen sollen, schon bevor sie das Gespräch beendeten—das sich ihm keine Möglichkeit bot das FBI mit einzuschalten.

Jake starrte einen Augenblick lang auf sein Handy, im Versuch den Mut zum Rückruf aufzubringen. Aber er konnte sich nicht dazu bringen—zumindest noch nicht.

Stattdessen hockte er sich hin und begann sein Frühstück im Ernst. Es erschien ihm, dass vielleicht zusätzlicher Kaffee ihm dabei helfen könnte, besser über die Handhabung der Situation nachdenken zu können.

Vielleicht doch nicht.

Jake wusste, dass er in letzter Zeit keine besondere Scharfsinnigkeit zutage brachte. Tatsächlich fühlte er sich bereits etwas niedergeschlagen, noch bevor er Harrys Anruf erhielt. Und auch lag es nicht nur daran, dass er Riley Sweeneys Abschlusszeremonie abgesagt hatte.

Der Fall, den er zusammen mit Riley vor ein paar Wochen löste—der scheußliche Fall des Stacheldraht-Mörders—hinterließ ihn erschöpft und ausgebrannt. Mit zunehmendem Alter schien es ihm immer öfter so zu gehen. Seine Tatkraft erholte sich nicht mehr so schnell wie es früher der Fall war. Und er vermutete, dass es seinen Kollegen in der Verhaltensanalyseeinheit schon aufgefallen war. Tatsächlich vermutete er, dass dies der Grund war, weshalb ihm Erik Lehl seit dem letzten Auftrag keinen Außeneinsatz mehr zugeteilt hatte.

Und vielleicht war es auch gut so.

Vielleicht war er dazu noch nicht in der Lage.

Oder vielleicht war er überhaupt nicht mehr dazu in der Lage—und würde es auch nie mehr sein.

Er seufzte in seine Kaffeetasse, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging...

Vielleicht ist die Zeit zum Ausscheiden aus dem Dienst wirklich gekommen.

Dieser Gedanke ging ihm in letzter Zeit des Öfteren durch den Kopf. Dies war einer der Gründe, weshalb er sich die Mühe gemacht hatte Riley Sweeney zur Verhaltensanalyseeinheit zu versetzen. Der Grund weshalb er einen solch unerfahrenen Agenten sich als Partner ausgesucht hatte. In all den Jahren als Fallanalytiker war er noch nie auf jemanden gestoßen, der ein dem seinigen ebenbürtiges Talent besaß—der Fähigkeit sich in die Gedanken eines Mörders zu versetzen.

Wann auch immer er sich aus dem Dienst zurückziehen mochte, er wollte jemanden seines Kalibers hinterlassen, um seine Arbeit weiterzuführen—einen vielversprechend jungen Agenten der in seine Fußstapfen treten konnte. Aber Riley für all dies vorzubereiten könnte sich als keine einfache Aufgabe herausstellen. Er beschrieb sie oft als »ungeschliffenen Diamanten«.

Und in der Tat war sie ein ungeschliffener Diamant. Selbst jetzt, nachdem sie ihren Abschluss an der Akademie gemacht hatte, war sich Jake sicher, dass es viel Arbeit kosten wird, bis die verbliebenen Ecken und Kanten weggeschliffen sind. Ihre Impulsivität, ihre Neigung dazu, die Regeln zu biegen und sogar zu brechen und Befehle nicht zu befolgen, und ihr Mangel an Disziplin, wenn es darum ging ihre Begabungen voll einzusetzen—all dies wird noch viel Arbeit kosten.

Sie hat noch viel zu lernen, dachte Jake.

Und er musste sich die Frage stellen, ob er denn überhaupt noch die Fähigkeit dazu hatte, ihr all die Sachen, die sie noch lernen musste, beizubringen, besonders jetzt da es schien, dass er seine besten Zeiten schon hinter sich hatte.

Eine Sache schien jedoch sicher—er würde sie hart rannehmen müssen. Nicht, dass er sie bisher geschont hätte. Tatsächlich fiel es ihm oft schwer, sein Temperament in Schach zu halten, wenn sie durchgedrehte Anfängerfehler begann. Aber er mochte sie sehr, obwohl er versuchte es so gut wie möglich zu verbergen. Sie erinnerte ihn an sich selber, als er noch viel jünger war.

Deshalb kam er oft in Versuchung sie zu verhätscheln.

Aber er musste es sich verkneifen.

Er musste sie hart rannehmen. Er musste sie schnell in Form bringen.

Als Jake mit seinem Frühstück zu Ende war, ertappte er sich dabei, wie er wieder an Harry Carnes dachte. Wahrscheinlich wartete dieser jeden Augenblick auf eine Rückmeldung von ihm.

Jake wunderte sich…

Kann ich den wirklich nichts für den Kerl tun?

Er musste zugeben, seine Gemütslage verbesserte sich ein wenig beim Gedanken diesen Ort zu verlassen.

Und wieso auch nicht?

Erik Lehl schien im Augenblick nicht verbissen darauf, ihm einen neuen Fall zuzuordnen.

Die Alternative war im Büro zu sitzen und langweiligen Papierkram zu erledigen, außer vielleicht...

Eine Idee nahm in Jakes Kopf Züge an.

Er hatte noch viel angehäufte Urlaubszeit, die er nehmen konnte. Er könnte Lehl darum bitten, zwei oder drei Tage freizunehmen, sich nach Arizona begeben und schauen, ob er etwas für Harry tun könnte.

Natürlich befand sich Riley Sweeney auf dem Weg hierher, um sich zum Dienst zu melden.

Aber es wäre nicht sinnvoll, dass sie anfinge, in der Verhaltensanalyseeinheit zu arbeiten, während sich ihr Partner auf Urlaub befand, also...

Warum kann sie nicht mitkommen?

Es würden sich dabei wahrscheinlich einige einfache, gefahrlose Ausbildungsmöglichkeiten für einen unerfahrenen Agenten bieten.

Die Idee brachte ihn zum Lächeln.

Als Jake die Kantine verließ und sich auf den Weg zum Büro von Erik Lehl machte, kam ihm der Gedanke...

Wer weiß? Es könnte sogar Spaß machen.

Nimmt

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