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KAPITEL FÜNF
ОглавлениеDas Leben begann sich für Riley wie ein einziger langer Flug mit Jake Crivaro anzufühlen. Gerade erst gestern Abend waren sie aus New York zurückgeflogen. Nun waren sie erneut im FBI Jet, auf dem Weg ins westliche Tennessee.
Es ist fast so, als wäre ich gar nicht zuhause gewesen, dachte sie.
Auf eine gewisse Art und Weise wünschte sie, dass es so gewesen wäre. Es wäre schön, glauben zu können, dass ihr Streit mit Ryan am Telefon heute morgen ein bloßer Traum gewesen war, dass alles gut war zwischen ihnen.
Leider wusste sie, dass all das wirklich geschehen war.
Und natürlich ging das auch die schrecklichen Ereignisse des gestrigen Tages an.
Mein ganzes Leben fühlt sich gerade wie ein böser Traum an, dachte sie. Wie ein Albtraum von endlosen Flügen, Gefahren und plötzlichem Tod.
Sie schüttelte ihre düsteren Gedanken ab und schaute zu Crivaro. Er saß neben ihr und schaute einige handschriftliche Notizen durch, die er zum bevorstehenden Fall gemacht hatte.
Er erklärte: „Vor ungefähr einer Woche wurde eine Leiche im Wald gefunden, in der Nähe von Brattledale in Raffel County, Kentucky. Das Opfer war ein junges Mädchen, Natalie Booker.“
„Wie wurde sie ermordet?“, fragte Riley.
„Erdrosselt“, sagte Crivaro. „Wenn es ein bloßer Einzelfall in nur einem Staat gewesen wäre, würde es uns nichts angehen. Aber gestern kam eine weitere Leiche dazu, ein weiteres junges Mädchen namens Kimberly Dent, auch erdrosselt, wahrscheinlich vom selben Mörder. Ihre Leiche befand sich am Waldrand in der Nähe von Dalhart, Tennessee –– hinter der Staatengrenze.“
„Was es zu einem FBI Fall macht“, sagte Riley. „Wenn wir ihn übernehmen wollten.“
„Genau“, sagte Crivaro. “Außerdem hat Raffel County Sheriff, Ed Quayle, ausdrücklich um die Hilfe der Verhaltensanalyseeinheit gebeten, also sind wir auf jeden Fall dabei.“
Crivaro schloss sein Notizbuch.
„Das ist so ziemlich alles, was ich bisher weiß“, sagte er. „Sheriff Quayle wird uns am Flughafen empfangen, ich bin mir sicher, er wird mehr haben.“
Riley nickte zustimmend und sie schwiegen eine Weile lang. Während sie dasaß und aus dem Fenster starrte, begannen Rileys Gedanken sich erneut um die schreckliche Schießerei von gestern zu drehen.
Riley hörte wie Crivaro leise sagte: „Du siehst müde aus.“
Sie drehte sich zu ihm und sah, dass er sie besorgt anschaute.
„Ich nehme an, das bin ich auch irgendwie“, sagte Riley. „Ich habe gestern Nacht nicht viel geschlafen.“
„Bist du sicher, dass du es schaffst, an diesem Fall zu arbeiten?“
„Ich bin mir sicher“, sagte Riley.
Doch sie merkte, dass sie sich gar nicht so sicher war. Und sie konnte an Crivaros besorgtem Blick ablesen, dass er ihre Zweifel spürte.
Er sagte mit sanfter Stimme: „Es ist hart, was dir gestern wiederfahren ist.“
Riley zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich nehme an, Sie wissen wie sich das anfühlt.“
„Nicht wirklich, nein.“
Riley war überrascht, das zu hören.
Hat er nie jemanden getötet? fragte sie sich.
Crivaro hatte während der Fälle, an denen Riley mit ihm bisher gearbeitet hatte, nie schießen müssen. Es wäre einmal beinahe so weit gekommen, als ein Verrückter kurz davor gewesen war Riley eine tödliche Dosis Amphetamine zu spritzen. Doch Crivaros damaliger Partner Mark McCune hatte damals den Schuss abgegeben, der den Mörder niedergestreckt hatte.
Nichtsdestotrotz war Riley sich sicher, dass Crivaro auf irgendjemanden geschossen haben musste während seiner mehr als zwanzigjährigen Karriere als FBI Agent –– wahrscheinlich viele Male.
Aber es muss ein erstes Mal gegeben haben, dachte sie.
Vielleicht würde es ihr helfen, wenn er ihr davon erzählte.
Vorsichtig fragte sie: „Agent Crivaro... könnten Sie mir vom ersten Mal erzählen, als Sie auf jemanden schießen mussten?“
Crivaro zuckte mit den Schultern. Er schien nicht besonders beunruhigt von der Frage.
„Naja, das ist eine uralte Geschichte“, sagte er. „Hast du jemals von dem Magrette Bank Überfall von 1980 gehört?“
Riley machte große Augen.
„Natürlich habe ich davon gehört“, sagte sie. „Wir haben das an der Academy durchgenommen. Ich habe sogar mit anderen Kadetten Teile davon nachgestellt. Der Fall wird immer als Anti-Terrorismus- und Überlebenstraining genutzt. Hatten Sie etwas damit zu tun?“
Crivaro lächelte ein komisches Lächeln.
„Ja, zum Ende hin jedenfalls. Willst du davon hören?“
Riley nickte stumm.
Crivaro sagte: „Naja, erzähl mir, was zu bereits darüber weißt. Ich will dich nicht mit Details langweilen, die du bereits eine Millionen Mal gehört hast.“
Riley schnaubte beinahe auf. An der Geschichte des Magrette Überfalls gab es rein gar nichts Langweiliges.
Nichtsdestotrotz sagte sie: „Naja, ich weiß, dass das ganze Ding verrückt war –– und extrem gewalttätig. Eine Gang aus sechs Bankräubern hat eine Bank in Magrette, Pennsylvania gestürmt, bewaffnet bis an die Zähne und in Kampfanzüge des Militärs gekleidet. Sie zwangen die Bankschalterbeamten $20,000 in Bar rauszugeben.“
„Das war damals viel Geld“, sagte Jake.
„Aber die örtliche Polizei hat Wind davon bekommen, während der Überfall noch im Gange war,“ sagte Riley. „Als sie am Tatort anrückten, brach eine Schießerei direkt dort vor der Bank aus.“
Jake schüttelte den Kopf.
„Diese armen Cops“, sagte er. „Sie hatten keine Ahnung, wie unterbewaffnet sie waren.“
Riley sagte: „Ein Deputy wurde getroffen –– fünf Mal, wenn ich mich richtig erinnere.“
„Unglaublich, aber er überlebte es“, sagte Crivaro.
„Die Räuber bekamen es hin, zu ihrem Fluchtfahrzeug zu gelangen“, fuhr Riley fort. „Dann lieferten sie sich mit den Cops eine wilde Verfolgungsjagd. Die Räuber schossen auf die Polizeiautos, bewarfen sie sogar mit selbstgemachten Bomben. Alle möglichen Transportmittel wurden beschädigt, inklusive eines Polizeihubschraubers. Die Räuber schafften es, die Polizei für eine Weile abzuhängen.“
Crivaro grunzte leicht.
„Ja, das war der Moment, an dem das FBI eingeschaltet wurde –– mich mit eingeschlossen“, sagte er. „Früh am nächsten Morgen hatte eins unserer Teams die Gang irgendwo in einem nahegelegenen Wald aufgespürt, doch es stellte sich als Falle heraus. Wir wurden mit einem Kugelhagel begrüßt. Unser Team Chief, Val Davidson, war sofort tot.“
Crivaro schauderte und sagte: „Er wurde von einer Kugel aus einem Sturmgewehr getroffen. Hat fast seinen gesamten Schädel weggeblasen. Ich hatte sowas noch nie erlebt.“
Einen Moment lang schwieg er und sein Blick kehrte ins Innere.
Dann sagte er: „Wir alle erwiderten das Feuer, auch ich, obwohl wir unsere Angreifer kaum richtig zu sehen bekamen in diesem Wald. Die Schüsse schienen von überall und gleichzeitig aus dem Nichts zu kommen. Ich habe aber den allerletzten Schuss gefeuert. Einen Bruchteil einer Sekunde nachdem ich geschossen hatte, hörte ich einen Aufschrei aus dem Wald. Dann war die Schießerei zu Ende und alles wurde still.“
Crivaro schlurfte nervös mit den Füßen über den Boden.
Er sagte: „Dann kamen uns fünf der Räuber mit erhobenen Händen entgegen. Sie stellten sich! Ich und ein weiterer Kerl gingen in den Wald hinein, um herauszufinden, was vor sich ging. Wir fanden Wallace Combs, den Anführer der Bande, tot auf dem Boden liegen. Erschossen, mit einer Kugel mitten in die Brust. Der Rest der Gang erzählte uns daraufhin, dass Combs sie überzeugt hatte bis zum Tode zu kämpfen. Doch wie sich herausstellte, konnten sie ohne ihn nicht weitermachen.“
Crivaro schielte, so als ob er erneut mit dem Unglaublichen kämpfte.
„Ich hatte ihn getötet“, sagte er. „Aber ich hatte ihn nicht einmal gesehen. Ich habe einfach in den Wald hineingeschossen. Es war der glücklichste verdammte Zufall auf der Welt.“
Crivaro verstummte für einen Moment.
„Ich kann nicht sagen, dass ich mich jemals schuldig dafür gefühlt hatte“, sagte er, „aber es hat mich verändert. Es hat mich härter gemacht, nehme ich an. Teilweise war das, weil ich meinen Chief hatte so sterben sehen. Seit diesem Zeitpunkt hatte ich nie ein Problem damit, meine Waffe einzusetzen.“
Dann schaute er Riley direkt in die Augen.
Er sagte: „Es ist für jedermann eine andere Erfahrung –– dieses erste Töten, meine ich. Was mir damals wiederfahren ist –– naja, es ist etwas ganz anderes, als das, was dir gestern wiederfahren ist. Ich habe den Mann, den ich erschossen hatte, nicht gesehen, bis er tot war. Es hat sich nicht so persönlich angefühlt, so... naja, ich habe keine wirkliche Ahnung, wie es sich für dich anfühlt.“
Bei diesem Worten zuckte Riley zusammen.
Einen Augenblick lang sah sie wieder dieses unschuldige junge Gesicht mit toten Augen in den Schneefall hinaufstarren. So gut es ihr auch getan hatte vorhin mit Frankie darüber zu sprechen, wusste Riley, dass sie immer noch mit vielem zu kämpfen hatte.
Und es wird seine Zeit brauchen, dachte sie.
Crivaro tätschelte ihre Schulter.
„Na, willst du darüber sprechen?“, sagte er.
Riley dachte einen Moment lang nach und schüttelte dann den Kopf.
„Das ist vielleicht auch besser so“, sagte Crivaro. „Ich bin nicht der Typ, der dir da weiterhelfen kann. Ich habe nicht das richtige Feingefühl. Du musst wirklich mit einem Therapeuten sprechen, genau wie Lehl dich angewiesen hat. Versprich mir, dass du einen Termin ausmachst, sobald wir wieder in Quantico gelandet sind.“
„Ich verspreche es“, sagte Riley.
Doch sie spürte eine akute Angst, als sie diese Worte sagte.
Sie fragte sich, wie sie über diese schrecklichen Dinge mit einem Unbekannten sprechen sollte. Wie sollte ihr das helfen?
Und wieso geht es überhaupt irgendjemanden etwas an?
Kann ich mich da nicht irgendwie rauswinden?
Doch natürlich wusste sie, dass sie es nicht konnte. Ein Befehl war ein Befehl, und ein Versprechen ein Versprechen.
Und überhaupt, sie und Crivaro waren kurz davor einem möglichen Serienmörder nachzujagen.
Ich habe wahrscheinlich schlimmere Dinge vor mir, als einen Arztbesuch, dachte sie sich mit einem bitteren Lächeln.