Читать книгу Lauert - Блейк Пирс - Страница 7
KAPITEL EINS
ОглавлениеAls der erste Schuss fiel, reagierte Riley Sweeney schnell. Genau wie sie an der Academy gelernt hatte, ging sie direkt hinter der nächsten Abschirmung in Deckung –– einem Honda, der vor dem Motel parkte, in dem sich zwei Mörder versteckten. Sie hatte allerdings nicht das Gefühl, dass der kompakte Wagen ihr besonders viel Schutz bieten konnte.
Es war kalt zu dieser Jahreszeit im Norden des Bundesstaats New York, es fiel Schnee. Die Sichtverhältnisse waren überhaupt nicht gut. Das hier war Rileys erster bewaffneter Konflikt und sie war sich nicht sicher, dass sie ihn überhaupt überleben würde.
Sie sah durch das Wirbeln der Schneeflocken, dass Spezialagent Jake Crivaro viel sicherer hinter einem massiven SUV Zuflucht genommen hatte. Crivaro, ihr Partner und Mentor, schaute besorgt aus, als er sich nach ihr umsah. Riley wünschte, dass sie ihm signalisieren könnte, dass alles ok sein würde. Wie auch die sechs Polizisten vor Ort, die soeben mit ihnen angerückt waren, trugen Riley und Crivaro Schutzwesten. Doch Riley wusste, dass sie nicht zu viel von ihrer schusssicheren Weste erwarten durfte. Ein gezielter Schuss in den Kopf –– selbst ein versehentlicher Schuss –– könnte tödlich sein. Crivaro hielt einen Lautsprecher an seinen Mund und rief hinein: „Hier spricht Spezialagent Jake Crivaro vom FBI. Ich bin hier mit meiner Partnerin und den lokalen Justizvollstreckungsbeamten. Wir haben euch umzingelt. Es gibt kein Entkommen. Kommt mit erhobenen Händen raus.“
Es folgte keine Antwort aus dem Motelzimmer, in dem die beiden Mörder sich verschanzt hatten. Stattdessen hörte man nur das gespenstische Pfeifen des Windes.
Riley lugte vorsichtig hinter dem kleinen Auto hervor und versuchte das Motelzimmer zu identifizieren. In genau diesem Moment hörte man ein lautes Knacken zusammen mit einem schrillen, eindringlichen Geräusch –– etwas zwischen einem Pfeifen und einem Summen.
Eine Kugel war direkt an ihr vorbeigeflogen. Riley zog ihren Kopf zurück aus der Sichtlinie. Sie japste, als sie begriff: Gerade hat jemand zum ersten Mal auf mich geschossen.
Sie hatte viel mit echter Munition trainiert, doch nichts davon war jemals auf sie persönlich abgefeuert worden.
Genau wie Crivaro und die Polizisten es getan hatten, hatte sie bereits ihre Waffe gezogen –– eine .40 Kaliber semiautomatische Glock.
Sie fühlte sich ungeschickt mit der Waffe in ihren Händen.
Sie dachte sich, dass sie froh sein sollte, dass sie vor Kurzem auf eine machtvollere Waffe umgestiegen war, als die .22 Kaliber Pistole, die sie zusammen mit ihrer FBI Dienstmarke bekommen hatte. Doch diese hier war weniger vertraut und sie wusste noch nicht, was sie mit ihr alles würde tun müssen.
Sie wusste, dass sie jetzt nicht zurückschießen durfte –– wie scheinbar alle anderen im Team auch. Sie wollten alles in ihrer Macht tun, um diese Situation ohne unnötigen Waffeneinsatz zu beenden.
Sie vermutete, dass einige der Polizisten, die sich in der Nähe aufhielten, sich genauso wie sie fühlten. Einige von ihnen waren vielleicht genauso frisch dabei, wie sie es war. Seitdem sie letztes Jahr ihre Ausbildung beim FBI abgeschlossen hatte, hatte Riley sich gefragt, wie sie sich fühlen würde, wenn sie zum ersten Mal in einer derartigen Situation sein würde.
Und jetzt, wo sie mitten drin war, wusste sie es immer noch nicht.
Einer Sache war sie sich sicher –– sie hatte kein Gefühl von Panik. Tatsächlich hatte sie überhaupt keine Angst. Es war eher so, als stünde sie neben sich und würde von der Seite betrachten, was gerade passierte, wie eine Art emotionsloser Beobachter. Die Situation erschien ihr absolut surreal, fast traumartig. Doch sie wusste, dass ihr gesamter Körper von Adrenalin durchströmt war, und dass sie bei klarem Verstand bleiben musste.
Die Tatsache, dass zumindest eine Person in diesem Team wusste, was sie tat, machte ihr ein wenig Mut. Dies hier war bei Weitem nicht die erste Erfahrung dieser Art für Agent Crivaro. Der kleine, kräftige Mann war eine FBI Legende mit einer langen Liste schwieriger Fälle, die er gelöst hatte.
Riley lehnte sich gegen das Auto und wartete auf irgendein Zeichen, was zu tun sei. Während dieser stillen Momente dachte sie daran zurück, wie dieses Team sich auf der Polizeiwache vor Ort versammelt hatte. Es war bloß eine kurze Weile her, doch in diesem Moment fühlte es sich so an, als wären bereits Tage oder gar Wochen vergangen. Sie wurden alle genau aufgeklärt über die Mörder, die sie zu stellen versuchen würden.
Als sie die Fotos der beiden gesehen hatte, hatte sie gedacht: Kinder. Sie sind bloß zwei Kinder.
Der siebzehnjährige Orin Rhodes und seine fünfzehnjährige Freundin Heidi Wright hatten ihre Mordserie nur einige Tage zuvor begonnen, in dem nahegelegenen Ort Hinton. Es hatte mit einem einfachen Akt purer Verzweiflung begonnen.
Heidi hatte Orin angerufen und ihm gesagt, dass sie zuhause in Gefahr sei. Orin hatte die Waffe seines Vaters genommen und war zu Heidi nach Hause gefahren und hatte sie dort vorgefunden, als sie von ihrem Vater und ihrem Bruder sexuell missbraucht wurde. Orin hatte beide ihrer Angreifer getötet.
Dann hatte sich Heidi die Waffe ihres eigenen Vaters geschnappt und sie und Orin hatten sich auf die Flucht begeben. Als sie merkten, dass sie kein Geld hatten, versuchten sie einen Spirituosenladen zu überfallen. Aber der Überfall ging schief und am Ende töteten sie den Ladenmanager und einen der Angestellten.
Die Polizei war nicht sicher, was genau danach geschehen war. Sie wussten, dass die Jugendlichen im Ort Jennings aufgetaucht waren, wo sie zwei absolut unschuldige Menschen gequält und ermordet hatten –– einen Handwerker mittleren Alters und ein siebzehnjähriges Mädchen. Dann war das Mörderpärchen erneut abgetaucht.
Das war als die örtliche Justiz Unterstützung vom FBI angefordert hatte. Sie hatten das Verhalten der Teenager so verstörend gefunden, dass sie ganz gezielt jemanden aus der Verhaltensanalyseeinheit angefragt hatten.
Riley und Agent Crivaro waren aus Quantico angereist, um zu helfen, wo sie konnten. Ihnen war klar, dass Orin und Heidi irgendeine Art Hochgefühl aus den spontanen Morden zogen. Es war sehr wahrscheinlich, dass sie immer mehr davon haben wollten. Sie brauchten keine Gründe mehr, um zu töten, und ihr Amoklauf würde lange noch kein Ende nehmen.
In der Zeit, in der Riley und Crivaro die Situation analysiert hatten, hatte die lokale Polizei herausgefunden, dass Heidi und Orin sich in diesem Motel versteckten. Die zwei Agenten waren mit dem lokalen Team ausgerückt, um sie festzunehmen... oder, wenn nötig, zu töten.
Da waren sie nun alle auf diesem Parkplatz und um sie wirbelte der Schnee. Einer der Teenager hatte sie bei ihrer Ankunft mit einem Schuss aus dem Motelzimmer begrüßt und nun war noch ein zweiter Schuss gefeuert worden, der Riley selbst haarscharf verfehlt hatte.
Was nun? fragte Riley sich.
Agent Crivaro sprach erneut durch den Lautsprecher in einem fast schon freundlichen, mitfühlenden Ton.
„Orin, Heidi, macht es nicht noch schlimmer, als es schon ist. Wir wollen keine Probleme. Wir wollen bloß reden. Wir können das lösen. Kommt einfach heraus mit euren Händen, wo wir sie sehen können, alle beide.“
Es wurde wieder still bevor die Stimme eines jungen Mannes vom Fenster aus erklang.
„Wir haben eine Geisel.“
Riley erschauderte vor Entsetzen. Agent Crivaros Miene verriet, dass es ihm genauso ging.
Orin fuhr fort: „Es ist ein Zimmermädchen des Motels. Sie sagt, sie heißt Anita. Bleiben Sie wo Sie sind, oder wir bringen sie um.“
Agent Crivaro lugte vorsichtig hinter dem SUV hervor und rief zurück: „Zeigt sie uns.“
Es kam keine Antwort. Riley konnte erahnen, was Crivaro dachte.
Ist das ein Bluff?
Vielleicht hatten sie gar keine Geisel. Vielleicht erkauften sie sich nur Zeit und versuchten ihre unabwendbare Verhaftung hinauszuzögern. Sie verhielten sich jedenfalls nicht so, als hätten sie tatsächlich eine Geisel. Riley hatte über Geiselnahmen an der Academy gelernt und Training dazu erhalten, sie hatte also eine ziemlich gute Vorstellung davon, was sie erwarten könnte.
Die Jugendlichen sollten jetzt verhandeln, darauf bestehen einen sicheren Fluchtweg ermöglicht zu bekommen. Doch das war nicht das, was gerade hier passierte. Die gesamte Situation schien zu einem Stillstand gekommen zu sein.
Dann hörte Riley Stimmen aus dem Motelzimmer kommen. Es war unmöglich zu verstehen, was gesagt wurde, aber es klang so, als würden der Junge und das Mädchen streiten. Dann erklang Heidis Stimme durchs Fenster.
„Okay, wir zeigen sie Ihnen. Versuchen Sie bloß nichts.“
Riley schaute erneut hinter dem Auto hervor. Sie konnte sehen, wie die Motelzimmertür aufging. Dann trat eine Figur in den Türrahmen. Es schien eine Frau zu sein, die eine Winterjacke mit Kapuze trug. Ihr Gesicht war durch den Schneewirbel nicht auszumachen. Sie stand still im Türrahmen und hielt ihre Hände zitternd über den Kopf.
Orin Rhodes rief aus dem Zimmer heraus: „Okay, da ist sie. Sie haben sie gesehen.“
Crivaro sprach erneut in den Lautsprecher: „Ja, aber ihr wollt die Dinge wirklich nicht auf diese Weise angehen. Glaubt mir, ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe es viele Male erlebt. Eine Geiselnahme macht die Dinge für euch nur noch schlimmer. Lasst sie einfach gehen. Lasst sie zu uns rüberkommen. Dann können wir über eine vernünftige Lösung verhandeln.“
Riley bezweifelte, dass Crivaros Rechnung aufgehen würde, und sie vermutete, dass er es genauso sah. Wieso würde das Paar ihr einziges Ass im Ärmel in einem solchen Moment aufgeben?
Dann, zu Rileys Überraschung, machte die Frau ein paar Schritte auf sie zu. Das Herz pochte ihr in der Kehle, als sie hörte, wie Orin aus Protest etwas Unverständliches knurrte. Riley konnte ihn nicht sehen, aber was sie sah, gefiel ihr ganz und gar nicht.
Wird er sie erschießen? fragte sie sich.
Doch die Frau machte ein paar weitere unsichere Schritte weg vom Motel. Vielleicht, dachte Riley sich, hatten Orin und Heidi endlich ihr Gefallen am Morden verloren. Doch Riley war sich unsicherer denn je darüber, was gerade passierte. Wenn das Paar die Geisel tatsächlich hatte gehen lassen, was würden sie als Nächstes tun? Was konnten sie tun?
Sie können sich ergeben, dachte Riley.
Oder sie könnten kämpfen.
Natürlich wäre es Selbstmord, wenn sie das tun würden. Riley hatte eine Vorstellung davon, was sie erwarten konnte, wenn eine Schießerei ausbrechen würde. Das Paar hatte keine Chance in einer echten Schießerei, nicht gegen ein solches Team. Es war unwahrscheinlich, dass sie dem Kugelhagel standhalten könnten und sie würden sicherlich all ihre Munition verschossen haben, lange bevor diese dem Team ausging. Die ultimative Entscheidung war zwischen Kapitulation und Tod.
Die Frau ging schweigend über den Bürgersteig und trat dann auf den Parkplatz. Riley beobachtete Crivaro und fragte sich, was ihr Mentor als Nächstes tun würde. Würde er der Frau entgegenkommen und sie begrüßen, dann sicherstellen, dass sie so schnell wie möglich an einen sicheren Ort gebracht wurde? Bisher hatte er noch keine Anstalten gemacht, seine Deckung hinter dem SUV zu verlassen.
Dann wurden die Schritte der Frau beunruhigend schnell. Sie kam Riley immer näher, scheinbar ohne sie gesehen zu haben.
Und nun konnte Riley das Gesicht der Frau erkennen. Es war schließlich doch gar keine Geisel. Es war Heidi Wright selbst und sie zog irgendetwas aus ihrer Jackentasche hervor.
Sie hat eine Waffe, begriff Riley.
Riley wusste, was sie zu tun hatte, doch trotzdem zögerte sie.
Die Pistole des Mädchens feuerte und streute ziellose Schüsse über die Barrikaden, hinter denen sich Polizei und Agenten versteckten. Dann entdeckte sie Riley. Sie lächelte ein seltsam unschuldiges Lächeln, als sie ihre Waffe auf die junge Agentin richtete.
Für einen gefühlten Bruchteil einer Sekunde starrte Riley in den Schaft der Pistole. Dann begriff sie, dass sie ihre eigene Waffe bereits gezogen hatte und direkt ins Zentrum von Heidis Brust zielte.
Riley feuerte einen einzigen Schuss.
Heidi stolperte rückwärts, die Pistole fiel ihr aus der Hand. Ihr Lächeln war verschwunden und einem Ausdruck von Schock und Entsetzen gewichen. Dann sackte sie auf dem Boden in sich zusammen.
Riley konnte Orins Stimme schreien hören: „Heidi!“
Sie fuhr herum und sah, wie mehrere Polizisten die Motelzimmertür stürmten. Mit einer Miene erstaunten Horrors trat Orin aus dem Zimmer. Er hob seine Hände hoch über den Kopf, während er über den Parkplatz zu seiner erschossenen Freundin herüberstarrte. Er blieb absolut gefügig, als einer der Polizisten ihm Handschellen anlegte und ihm seine Rechte vorlas.
Von einem tiefen Horror ergriffen, ging Riley zum Mädchen herüber. Blut sprudelte aus der Wunde in ihrer Brust und färbte den Schnee auf dem Parkplatzasphalt rot. Heidis Augen waren weit aufgerissen, ihr Mund japste stumm nach den letzten Atemzügen. Dann wurde sie komplett still. Der Ausdruck ihres toten Gesichts war unbeschreiblich traurig.
Riley begann am gesamten Körper zu zittern und ihre eigene Pistole fiel ihr beinahe aus der Hand. Plötzlich stand Agent Crivaro an ihrer Seite und nahm ihr sanft ihre Waffe weg.
Riley fühlte sich nun komplett betäubt.
Sie konnte sich selbst sagen hören: „Was habe ich getan?“
Crivaro legte seinen Arm um ihre Schulter und sagte: „Du hast es gut gemacht, Riley. Du hast getan, was du tun musstest.“
Doch Riley konnte nur immer wieder wiederholen: „Was habe ich getan?“
„Komm, suchen wir dir einen Platz, wo du dich hinsetzen kannst“, sagte Crivaro.
Riley konnte sich kaum aufrecht halten, als Crivaro sie vorsichtig zu einem der Polizeibusse führte. Sie spürte immer noch, wie die Augen des toten Mädchens sie anstarrten.
Ich habe jemanden getötet, dachte sie.
Sie hatte noch nie zuvor in ihrem Leben jemanden getötet.
Und nun hatte sie keine Ahnung, wie sie damit klarkommen sollte.