Читать книгу Vorher Neidet Er - Блейк Пирс - Страница 11
KAPITEL SECHS
ОглавлениеEs war dreizehn Uhr fünfzehn Nebraska-Zeit, als ihr Flugzeug in Lincoln landete. Sie hatte den Flug hauptsächlich damit verbracht, den Trip zu planen. Aber erst als die Räder auf der Landebahn quietschten, wusste sie, dass sie es einfach hinter sich bringen musste. Danach konnte sie sich noch immer auf die Nacht im Luxushotel freuen, das sie bereits gebucht hatte.
Mithilfe des FBIs hatte sie (auf mehr oder weniger zwielichtige Art und Weise) herausgefunden, dass ihre Mutter noch immer dort arbeitete, wo sie es vor etwa einem Jahr getan hatte, als sie sich zum letzten Mal über den Weg liefen. Sie war ein Teil der Putzkolonne des Holiday Inns in der Kleinstadt Boone’s Mill, die wiederum nur zwei Stunden von Belton entfernt lag – der kleinen Stadt, wo sie aufgewachsen war und der sie ebenfalls einen Besuch abstatten wollte.
Zwanzig Minuten später wartete sie in der Autovermietung des Flughafens auf einen Wagen. Sie wusste, dass nur eine halbe Stunde entfernt das Gebäude lag, in dem sie ihre Karriere begonnen hatte. Sie dachte an den Mann, mit dem sie fast drei Jahre lang zusammengearbeitet hatte, bevor das FBI sich um sie bemühte. Ein Mann namens Walter Porter, der ihr, trotz seinem tiefsitzenden Sexismus und seiner Abneigung, mit einer Frau zusammenarbeiten zu müssen, viel darüber beigebracht hatte, was es bedeutete, ein effektiver Gesetzeshüter zu sein. Was er wohl mittlerweile trieb? Vermutlich war er inzwischen in Rente. Aber da sie sich in der Nähe des Reviers befand, überkam sie der Wunsch, sich auch mit ihm zu treffen.
Eins nach dem anderen, dachte sie, als sie von der griesgrämigen Frau hinter dem Tresen die Autoschlüssel erhielt.
Sobald sie auf der Straße war, zog Mackenzie die Nummer des Holiday Inns heraus, in dem ihre Mutter arbeitete, um sicherzugehen, dass sie Dienst hatte. Es stellte sich heraus, dass ihre Schicht in einer halben Stunde endete. Mackenzie würde also das Zeitfenster, in dem sie ihre Mutter am Hotel treffen konnte, um eine Stunde verpassen. Das war nicht weiter tragisch – Mackenzie hatte auch die Wohnadresse ihrer Mutter.
Sie war überrascht, als sie bemerkte, wie beruhigend das flache Land und die vertraute Atmosphäre Nebraskas auf sie wirkte. Das bevorstehende Treffen mit ihrer Mutter machte sie weder nervös noch ängstlich. Lediglich Kevin vermisste sie, als sie das offene Land und den Himmel betrachtete. Sie realisierte, dass sie noch nie so lange von ihm getrennt gewesen war und ihr wurde schwer ums Herz. Für einen Moment hatte sie Probleme, zu atmen. Doch dann dachte sie an Ellington und Kevin, zusammen in ihrer Wohnung, während der Tag sich dem Ende entgegen neigte. Ellington war ein hervorragender Vater und überraschte sie noch immer täglich damit. Sie begann zu verstehen, dass Ellington diese Zeit alleine mit seinem Sohn vermutlich genauso sehr brauchte, wie sie zurück in ihre Vergangenheit reisen musste, um die Situation mit ihrer Mutter zu klären.
Wenn alle Eltern diese Gefühle mitmachen, habe ich meiner Mutter das Leben vielleicht zu schwer gemacht, dachte sie.
Obwohl ihr seit dem Betreten des Flugzeugs in DC viel durch den Kopf gegangen war, war es dieser Gedanke, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie wusste, dass ihr Vater seine eigenen Dämonen hatte bekämpfen müssen, doch ihre Mutter hatte vor ihr oder Stephanie nie schlecht von ihm gesprochen. Schließlich wurde sie als Witwe zurückgelassen und musste alleine zwei Mädchen großziehen. Es war sehr gut möglich (und Mackenzie hatte auch schon zuvor darüber nachgedacht), dass sie so große Stücke auf ihren Vater gehalten hatte, weil er so früh verstorben war. Als junges Mädchen hatte sie keinen Grund gehabt, in ihm etwas anderes als ihren persönlichen Helden zu sehen. Aber was ist mit der Mutter, die versuchte, zwei Mädchen großzuziehen, dabei versagte und damit nicht nur die Verachtung der Gesellschaft, sondern auch die ihrer eigenen Töchter auf sich gezogen hatte?
Mackenzie brachte ein schmales Lächeln zustande, während sie sich die Tränen wegwischte. Sie fragte sich, ob ihr diese Gedanken nun kamen, wo sie selbst Mutter war. Sie hatte davon gehört, dass Frauen viele Aspekte ihres Wesens veränderten, sobald sie ein Kind in die Welt setzten. Aber ihr war nie in den Sinn gekommen, dass sie davon betroffen sein könnte. Doch sie war der lebende Beweis der Theorie, als ihr Herz sich für eine Frau öffnete, die sie für den Großteil ihres Lebens sozusagen dämonisiert hatte.
Während Nebraska an ihr vorbeizog, drang Mackenzie immer weiter in ihre Vergangenheit ein. Zum ersten Mal, seitdem sie den Bundesstaat verlassen hatte, war sie fast schon gierig darauf, diese Vergangenheit zu betreten und herauszufinden, was dort auf sie wartete.
***
Patricia White lebte in einer Zwei-Zimmer-Wohnung knapp zehn Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Die Wohnung befand sich in einem kleinen Gebäude, das nicht gerade verwahrlost war, aber definitiv etwas Aufmerksamkeit hätte gebrauchen können. Mackenzie hielt ihr Handy in der Hand und betrachtete Adresse und Hausnummer auf dem Bildschirm, die sie mithilfe von inoffiziellen FBI-Quellen herausgefunden hatte.
Sie ging auf die Wohnung ihrer Mutter im zweiten Stock zu. Anders als erwartet erstarrte sie nicht. Ohne zu zögern klopfte sie an der Tür und versuchte, nicht zu viel nachzudenken. Die einzige wirkliche Frage, die sich ihr stellte, war, wie sie die Konversation beginnen sollte. Sie wollte behutsam vorgehen, anstatt ins kalte Wasser zu springen und wie ein Hund herum zu paddeln.
Nach einigen Sekunden hörte sie Schritte. Die Tür öffnete sich und sie sah das überraschte Gesicht ihrer Mutter. Dann erstarrte Mackenzie. Sie war sich nicht sicher, wann sie ihre Mutter zum letzten Mal lächeln gesehen hatte und Mackenzie hatte das Gefühl, eine fremde Frau vor sich zu haben.
„Mackenzie“, sagte ihre Mutter mit dünner und aufgeregter Stimme. „Oh mein Gott, was machst du denn hier?“
„Ich hatte frei und wollte hallo sagen.“ Es war nicht gelogen und fürs erste vermutlich ausreichend.
„Und du wolltest mich nicht anrufen und vorwarnen?“
Mackenzie zuckte mit den Schultern. „Ich habe daran gedacht, wusste aber, wie es ausgehen würde. Außerdem … musste ich einfach mal raus.“
„Geht es dir gut?“ Sie klang ehrlich besorgt.
„Ja, Mom.“
„Nun, dann komm rein. Die Wohnung ist das reinste Chaos, aber ich hoffe, du kannst darüber hinwegsehen.“
Mackenzie betrat die Wohnung und sah, dass sie absolut nicht chaotisch, sondern sogar ziemlich aufgeräumt war. Ihre Mutter hatte nur minimalistisch dekoriert und Mackenzie entdeckte sofort das alte Bild von ihr und Stephanie, das auf dem kleinen Beistelltisch neben der Couch stand.
„Wie geht es dir, Mom?“
„Gut. Sehr gut sogar. Ich war in der Lage, hier und da etwas Geld zu sparen und habe es endlich geschafft, aus den Schulden rauszukommen. Bei der Arbeit wurde ich befördert … es ist immer noch kein Spitzen-Job, aber ich verdiene besser und habe einige Frauen unter mir. Wie geht es dir?“
Mackenzie setzte sich auf die Couch und hoffte, ihre Mutter würde es ihr gleichtun. Sie war dankbar, als sie es tat. Sie hatte noch nie an den Satz ‚vielleicht solltest du dich besser setzen‘ geglaubt; er erschien ihr viel zu dramatisch.
„Nun, ich habe tatsächlich ein paar Neuigkeiten“, sagte sie. Sie begann langsam, das Fotoalbum auf ihrem Handy zu öffnen und nach einem bestimmten Bild zu suchen. „Du weißt, dass Ellington und ich geheiratet haben, nicht wahr?“
„Ja. Lustig, dass du ihn noch immer bei seinem Nachnamen nennst. Hat das damit zu tun, dass ihr Kollegen seid?“
Mackenzie schmunzelte. „Ja, vermutlich. Bist du böse, die Hochzeit verpasst zu haben?“
„Oh nein. Ich hasse Hochzeiten. Das war vermutlich die schlauste Entscheidung, die du je getroffen hast.“
„Danke“, sagte sie. Ihre Nerven kochten wie Lava, als sie aussprach, weshalb sie wirklich gekommen war. „Ich bin hier, weil ich dir etwas anderes mitteilen möchte.“
Dann hielt sie ihr Handy nach oben. Ihre Mutter nahm es ihr ab und betrachtete das Foto von Kevin in seiner kleinen Krankenhausdecke, zwei Tage bevor sie die Klinik verlassen hatten.
„Ist das …?“, fragte Patricia.
„Du bist Oma, Mom.“
Die Tränen ließen nicht auf sich warten. Patricia ließ das Handy auf die Couch fallen und legte sich die Hand auf den Mund. „Mackenzie … er ist entzückend.“
„Das ist er.“
„Wie alt ist er? Du siehst zu gut aus, ihn gerade erst auf die Welt gebracht zu haben.“
„Etwas über drei Monate“, sagte Mackenzie. Sie blickte zur Seite, als sie das verletzte Zucken im Gesicht ihrer Mutter entdeckte. „Ich weiß. Es tut mir leid. Ich wollte dich anrufen, um dir Bescheid zu geben. Aber nach unserem letzten Gespräch … Mom, ich wusste nicht einmal, ob du es wissen wollen würdest.“
„Das verstehe ich“, sagte sie sofort. „Und es bedeutet mir alles, dass du jetzt hier bist, um es mir persönlich zu sagen.“
„Du bist nicht verärgert?“
„Gott, nein. Mackenzie … selbst, wenn du mir nie davon erzählt hättest, würde ich den Unterschied vermutlich nicht kennen. Ich denke, ich habe mich sogar schon darauf vorbereitet, dich nie wieder zu sehen und … und ich …“
„Es ist okay, Mom.“
Sie wollte ihre Hand ausstrecken, sie halten oder in den Arm nehmen. Aber sie wusste, dass sich das für beide erzwungen und seltsam anfühlen würde.
„Ich habe letzte Woche einen neuen Mixer gekauft“, sagte ihre Mutter wie aus dem Nichts.
„Ähem … okay.“
„Magst du Margaritas?“
Mackenzie lächelte und nickte. „Oh, ja. Ich habe seit einem Jahr keinen Alkohol mehr getrunken.“
„Stillst du? Darfst du trinken?“
„Das tue ich, aber wir haben genug Milch auf Vorrat eingefroren.“
Ihre Mutter sah erst verwirrt aus und lachte dann los. „Tut mir leid. All das ist so unwirklich … du hast ein Baby, hast Muttermilch auf Vorrat …“
„Es ist unwirklich“, stimmte Mackenzie ihr zu. „Hier zu sein auch. Also … was ist nun mit den Margaritas?“
***
„Dein letzter Besuch hier war der Auslöser“, sagte Patricia.
Sie saßen auf der Couch, jeweils einen Margarita in der Hand. Zwischen ihnen war ein Platz frei; es war offensichtlich, dass die Situation für beide noch immer unangenehm war.
„Für was?“, fragte Mackenzie.
„Du warst nicht übermäßig unhöflich oder so, aber ich habe gesehen, wie gut es dir ging. Und dann dachte ich mir: Sie ist meine Tochter. Ich weiß, dass ich keine tolle Mutter war … überhaupt nicht. Aber ich bin stolz auf dich, auch wenn ich zu dem Ergebnis nicht viel beigetragen habe. Es gab mir das Gefühl, dass auch ich etwas aus mir machen kann.“
„Und das stimmt.“
„Ich versuche es“, sagte sie. „Ich bin zweiundfünfzig Jahre alt und endlich schuldenfrei. Natürlich ist die Arbeit im Hotel nicht die Karriere meiner Wahl …“
„Aber bist du glücklich?“, fragte Mackenzie.
„Das bin ich. Vor allem jetzt - mit deinem Besuch und den wundervollen Neuigkeiten.“
„Seitdem ich Dads Fall abgeschlossen habe … ich weiß nicht. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass ich versucht habe, jeden Gedanken an dich zu verdrängen. Ich dachte, wenn ich das, was Dad passiert ist, in der Vergangenheit lassen kann, kann ich dich genauso gut auch zurücklassen. Und das hatte ich auch vor. Aber dann kam Kevin und Ellington und ich realisierten, dass wir unserem Baby nicht wirklich viel Familie bieten können. Wir wollen, dass Kevin Großeltern hat.“
„Du weißt, dass er auch eine Tante hat“, sagte Patricia.
„Ich weiß. Wo ist Stephanie?“
„Sie ist nach LA gezogen. Ich weiß nicht, was sie dort tut und habe Angst, zu fragen. Ich habe seit zwei Monaten nicht mit ihr gesprochen.“
Das zu hören schmerzte ein bisschen. Sie hatte immer gewusst, dass Stephanie kein Faible für Stabilität hatte. Aber sie dachte nur selten darüber nach, dass auch Stephanie sich dafür entschieden hatte, ein Leben weit weg von ihrer Mutter zu führen. Als sie mit dem Margarita in der Hand auf der Couch saß, fragte Mackenzie sich zum ersten Mal, wie es sich für eine Mutter anfühlen musste, zu wissen, dass beide Kinder der Meinung waren, ohne sie ein besseres Leben führen zu können.
„Ich habe das Gefühl, mich bei dir entschuldigen zu müssen“, sagte Mackenzie. „Ich weiß, dass ich dich nach Dads Beerdigung von mir weggeschoben habe. Ich war erst zehn und war mir dessen vermutlich nicht bewusst, aber … ja. Und das habe ich für den Rest meines Lebens so beibehalten. Aber hier ist die Sache, Mom. Ich will, dass Kevin eine Großmutter hat. Das will ich wirklich. Und ich hoffe, dass wir gemeinsam daran arbeiten können.“
Wieder kämpfte Patricia mit den Tränen. Sie lehnte sich nach vorne und verkürzte den Abstand zwischen ihnen. Dann legte sie ihre Arme um Mackenzie. „Auch ich war nicht da“, sagte Patricia. „Ich hätte anrufen oder mich anderweitig bemühen können. Aber als ich bemerkte, dass du dich entfernt hattest – sogar schon als Kind – habe ich dich gehen lassen. Ich war fast schon erleichtert. Und ich hoffe, dass du mir vergeben kannst.“
„Das kann ich. Kannst du mir verzeihen, dich abgewiesen zu haben?“
„Das habe ich bereits“, sagte Patricia, löste sich aus der Umarmung und nippte an ihrem Margarita, um den Tränenfluss zu stoppen.
Mackenzie konnte spüren, wie sich auch in ihren Augenwinkeln Tränen bildeten, doch sie war noch nicht ganz bereit, sich ihrer Mutter gegenüber so zu öffnen. Sie stand auf, räusperte sich und leerte ihr Glas.
„Lass uns rausgehen“, sagte sie. „Wir können etwas zu Abend essen. Ich lade dich ein.“
Patricia White blickte sie ungläubig an und begann dann zu lächeln. Mackenzie konnte sich nicht daran erinnern, ihre Mutter je so glücklich gesehen zu haben. Sie war wie ein anderer Mensch. Und vielleicht war sie das tatsächlich. Wenn sie ihrer Mutter eine Chance gäbe, könnte sie vielleicht herausfinden, dass die Frau, die sie vor so langer Zeit von sich gestoßen hatte, nicht das Monster war, für das sie sie gehalten hatte.
Schließlich war auch Mackenzie ein anderer Mensch, als sie es mit zehn Jahren gewesen war. Zum Teufel, sie hatte sich sogar im letzten Jahr, seit dem letzten Gespräch mit ihrer Mutter, verändert. Wenn Mackenzie etwas dadurch gelernt hatte, ein Baby zu haben, dann war es, dass das Leben sich ziemlich stürmisch wandeln konnte.
Und wenn das Leben sich so schnell ändern konnte, warum sollten die Menschen dann nicht auch dazu in der Lage sein?