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KAPITEL SIEBEN
ОглавлениеMackenzie wachte am nächsten Morgen mit einem leichten Kater auf. Sich mit ihrer Mutter beim Abendessen zu versöhnen war schön gewesen – genau wie die Drinks im Anschluss. Im Hotel - dem luxuriösen, auf das sie und Ellington sich zuvor geeinigt hatten - hatte sie sich ein Bad im Whirlpool und eine Flasche Wein vom Zimmerservice gegönnt. Sie wusste, dass die zwei Gläser, die sie in der Wanne genossen hatte, vermutlich etwas zu viel gewesen waren. Aber sie hatte das Gefühl, den kleinen Rausch zu verdienen, nachdem sie während der gesamten Schwangerschaft auf Alkohol verzichtet hatte und auch nun, in der Zeit des aktiven Stillens und Abpumpens, größtenteils ohne auskommen musste.
Der leichte Kopfschmerz, den sie nun beim Aufstehen und Anziehen verspürte, war ein Preis, den sie gerne bezahlte. Sie genoss die Zeit alleine, nachdem sie den ersten Schritt gemacht hatte, sich mit ihrer Mutter auszusprechen. Sie hatten sich auf den neusten Stand gebracht, von ihrem Leben geplaudert, schmerzhafte Momente geteilt und dann die Nacht gemütlich ausklingen lassen. Es war geplant, dass sie sich miteinander in Verbindung setzen würden, sobald Mackenzie wieder zu Hause war und sich entschieden hatte, wie ihre Karriere weitergehen sollte. Und nun war da nur noch ein Punkt auf Mackenzies Liste, den sie auf ihrer Nebraska-Tour abhaken wollte.
Sie hatte das Gefühl, den Kreis geschlossen zu haben. Sie war allein gereist, hatte ihre Mutter gesehen und die weite, offene Landschaft Nebraskas genossen. Auch wenn sie eigentlich kein gefühlsduseliger Mensch war, konnte sie den Drang nicht ignorieren, ihr altes Revier besuchen zu wollen. Das Revier, in dem sie vor fast sechs Jahren ihre Karriere begonnen hatte.
Nach dem Frühstück in Lincoln begann sie die eineinhalbstündige Fahrt. Ihr Flug zurück nach DC würde erst in sieben Stunden abheben, sie hatte also massig Zeit an der Hand. Wenn sie ehrlich mit sich war, wusste sie nicht, warum sie sich auf den Weg zum Revier machte. Sie hatte ihren Mentor nie wirklich gemocht und konnte sich kaum an ihre anderen Kollegen erinnern. Den Polizisten Walter Porter allerdings hatte sie nicht vergessen. Als kurzzeitiger Dienstpartner war er auch während dem Vogelscheuchen-Mörder-Fall an ihrer Seite gewesen – der Fall, der schließlich die Aufmerksamkeit des FBIs auf sich gezogen und deren Abwerbeversuche initiiert hatte.
Die Erinnerungen kamen langsam zurück, als sie auf der anderen Straßenseite vor dem Reviergebäude parkte. Es sah nun so viel kleiner aus, aber sie war stolz darauf, es zu kennen. Es war nicht nur Nostalgie, die sie erfasste, sondern eine herzerwärmende Vertrautheit.
Sie überquerte die Straße und betrat das Gebäude, während sich ihr Mund zu einem kleinen Lächeln verzog. Der kleine Flur brachte sie zum Empfang, der von Schiebetüren aus Glas eingegrenzt war. Hinter der Frau am Empfang befand sich eine Art Großraumbüro, das noch genauso aussah wie damals. Sie ging auf das Glas zu und war erfreut, ein bekanntes Gesicht vorzufinden, auch wenn sie lange nicht daran gedacht hatte.
Nancy Yule schien nicht gealtert zu sein. Noch immer befanden sich die Fotos ihrer Kinder auf ihrem Schreibtisch und dieselbe kleine Tafel neben ihrem Telefon, auf der ein Bibelvers stand, an den Mackenzie sich nicht erinnern konnte.
Nancy blickte auf und brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, wer gerade durch die Tür gekommen war. „Oh mein Gott“, sagte Nancy, sprang auf und eilte zu der Tür am langen Ende des Raumtrenners. Die Tür öffnete sich, Nancy kam heraus und umarmte Mackenzie innig.
„Nancy, wie geht es dir?“, fragte Mackenzie, während Nancy sie noch immer festhielt.
„Ach, wie immer“, sagte Nancy. „Wie geht es dir? Du siehst fantastisch aus!“
„Danke. Mir geht es gut. Ich habe meine Mutter besucht und dachte, ich lasse mich auch hier mal wieder blicken, bevor ich mich auf den Nachhauseweg mache.“
„Wohnst du immer noch in DC?“
„Ja, das tue ich.“
„Noch immer beim FBI?“
„Ja, ich habe sozusagen meinen Traum verwirklicht, wenn ich das so sagen kann. Ich bin verheiratet und habe ein Kind.“
„Ich freue mich so für dich“, sagte Nancy und Mackenzie zweifelte nicht daran, dass sie es so meinte. Ihr Blick trübte sich etwas, als sie hinzufügte: „Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sich jeder über deinen Besuch hier freuen wird. Hier hat sich so ziemlich alles verändert.“
„Zum Beispiel?“
„Nun, Chief Nelson ist letztes Jahr in Rente gegangen. Berryhill ist befördert worden und hat seinen Platz eingenommen. Erinnerst du dich an ihn?“
Mackenzie schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Hey, hast du die Adresse oder Telefonnummer von Walter Porter? Ich erreiche ihn schon seit einiger Zeit nicht mehr unter der Nummer, die ich von ihm habe.“
„Oh Liebes, ich habe ganz vergessen, dass ihr zeitweise zusammengearbeitet habt. Ich bin nur ungern diejenige, die dir davon erzählt, aber Walter ist vor etwa acht Monaten verstorben. Er hatte einen schweren Herzinfarkt.“
„Oh“, war alles, was Mackenzie herausbrachte. Sie fragte sich, ob sie ein schrecklicher Mensch war, die Neuigkeit so gefasst aufzunehmen. Aber er war für sie schließlich nicht mehr als ein Bekannter gewesen.
„Das ist furchtbar“, sagte sie. Sie blickte wieder durch die Glaspanele in das Großraumbüro und in die Flure, wo sie mehrere Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Hier hatte sie ihre erste Verhaftung vorgenommen, ihren ersten Fall gelöst und zum ersten Mal männliche Vorgesetzte vor den Kopf gestoßen.
All das waren schöne Erinnerungen, die sich mittlerweile nur noch wie verblasste Fotos anfühlten.
„Einige der Beamten, mit denen du gearbeitet hast, sind womöglich gerade auf Streife“, meinte Nancy. „Sauer, Baker, Hudson …“
„Ich will niemanden bei der Arbeit stören“, sagte Mackenzie. „Ich habe lediglich eine kleine Reise in die Vergangenheit gemacht und …“
Das Vibrieren ihres Handys in ihrer Hosentasche unterbrach sie. Sie nahm an, dass es Ellington war, der ihr erzählen wollte, wie niedlich Kevin wieder einmal gewesen war. Oder vielleicht handelte es sich um ein medizinisches Anliegen. Ihr Baby war die gesamten dreieinhalb Monate seines bisherigen Lebens gesund gewesen und sie warteten nur auf den ersten Arztbesuch.
Aber mit dem Namen, den sie auf dem Bildschirm sah, hatte sie während ihrer kleinen Findungsreise nach Nebraska überhaupt nicht gerechnet. McGrath.
„Entschuldige mich, Nancy. Da muss ich rangehen.“
Nancy nickte kurz und ging dann wieder zurück an ihren Schreibtisch, während Mackenzie den Anruf beantwortete.
„Agent White.“
„Kann ich, basierend auf der Art und Weise, wie Sie sich gemeldet haben, davon ausgehen, dass Sie sich dafür entschieden haben, bei uns zu bleiben?“, fragte McGrath. Sie konnte keinen Humor in seiner Stimme erkennen; es klang vielmehr so, als versuche er, sie zu überzeugen.
„Tut mir leid, alte Gewohnheit. Ich habe mich noch nicht entschieden.“
„Nun, vielleicht kann ich helfen. Hören Sie … ich respektiere, was Sie durchmachen und weiß Ihre Ehrlichkeit, die Sie mir bei unserem Gespräch entgegengebracht haben, wirklich zu schätzen. Aber ich rufe an, weil ich Sie um einen Gefallen bitten möchte. Es ist nicht wirklich ein Gefallen, da es technisch gesehen Teil des Jobs ist, den Sie noch immer haben. Aber ich habe vor einer Stunde einen Anruf aus Wyoming erhalten. Es geht um einen Fall. Und da Sie bereits dort draußen sind, dachte ich daran, Ihnen den Vorrang zu geben. Klingt nach einem einfachen Job. Womöglich müssen Sie nicht mehr tun, als vor Ort zu sein, den Tatort zu besichtigen und ein paar Leute zu befragen.“
„Ich dachte, Sie wollten unser Gespräch respektieren.“
„Das tue ich. Deshalb biete ich Ihnen den Job auch zuerst an. Sie sind bereits in der Gegend und es klingt nach einem unkomplizierten Fall. Ich dachte, es könnte Ihnen dabei helfen, herauszufinden, was Sie wollen. Außerdem haben Sie erst kürzlich an einem Fall gearbeitet, der diesem hier ähneln könnte. Wenn Sie nein sagen, ist das vollkommen in Ordnung. Ich kann morgen früh jemand anderen hinschicken.“
Wieder überkam sie das Gefühl, dass sich ein Kreis schloss. Sie stand genau an der Stelle, wo sie einst ihre Karriere als hoffnungsvolle Polizistin begonnen hatte - mit dem Ziel, Kripobeamtin zu werden. Diese Ambitionen hatte sie in sehr kurzer Zeit erfüllt. Und nun sprach sie, weniger als sieben Jahre später, mit einem Direktor des FBI.
Sie sah durch die Glasabtrennung hindurch zu den Schreibtischen, den Büros und den Fluren des Reviers. Es fiel ihr leicht, sich beim Betrachten des Raumes auch an das Zielbewusstsein zu erinnern, das sie damals verspürt hatte. Sie fühlte es noch immer, aber es war anders als damals, als sie eine Beamtin am Beginn ihrer Karriere gewesen war, in einer Welt, die noch immer von Männern dominiert wurde, und den Wunsch verfolgt hatte, die Welt zum Guten zu verändern.
„Was bedeutet unkompliziert?“, fragte sie.
„Es besteht der Verdacht, dass eine Person Menschen von beliebten Kletterstellen aus in den Tod stößt. Das letzte Opfer wurde im Grand Teton National Park gefunden. Bisher geht man von zwei Opfern aus.“
„Woher wissen wir, dass es sich nicht um typische Kletter-Unfälle handelt?“
„Es gibt Beweise für Gewalteinwirkung.“
Mackenzies Hirn arbeitete bereits auf Hochtouren, während sie versuchte, Antworten für den Fall zu finden. Und deshalb wusste sie auch, wie ihre Antwort für McGrath lauten würde. Ihre letzte, annähernd aktive, Jobtätigkeit war fast acht Monate her und die Aufregung, die sie nun überkam, war willkommen und gleichzeitig unerwartet.
„Schicken Sie mir die Fallinformationen und den Tripverlauf. Aber ich möchte innerhalb von zwei oder drei Tagen wieder zuhause sein.“
„Natürlich. Das dürfte kein Problem sein. Danke, Agent White. Ich schicke Ihnen alles per E-Mail zu.“
Mackenzie beendete den Anruf und hatte für einen Moment das Gefühl, sich in einem sehr unwirklichen Traum zu befinden. Da stand sie, in dem ersten Polizeirevier, in dem sie je gearbeitet hatte, grübelte über ihre Vergangenheit nach und versuchte gleichzeitig, ihre Zukunft zu bestimmen. Und dann kam aus dem Nichts der Anruf von McGrath und dieser unerwartete Fall, der gelöst werden wollte. Es fühlte sich an, als wollte sich das Universum in ihre Entscheidungsfindung einmischen.
„Mackenzie?“
Nancy Yules Stimme lenkte sie von der ganzen absurden Situation ab. Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Sorry, ich war kurz ganz woanders.“
„Klang nach einem intensiven Gespräch“, sagte Nancy. „Ist alles in Ordnung?“
Mackenzie überraschte sich selbst ein bisschen, als sie nickte. „Ja. Ich glaube tatsächlich, dass es das ist.“