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KAPITEL EINS

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Ihre Töchter zum Frühstück zu versammeln schien Riley an diesem Morgen eine Sache der Unmöglichkeit zu sein. Nachdem sie darüber gestritten hatten, wer zu lange im Bad gebraucht hatte, machten April und Jilly weiter, indem sie zwischen ihren Zimmern hin und her wanderten, um über die eine oder andere Nichtigkeit zu quatschen. Als sie endlich runterkamen, begannen sie sogar im Wohnzimmer Spiele zu spielen, bis Riley sie dort herauszerrte.

Habe ich mehr als zwei Mädchen? fragte sie sich beinahe.

„Kommt jetzt, lasst uns essen“, sagte Riley immer wieder. „Ihr werdet den Schulbus verpassen. Und ich fahre euch heute Morgen nicht hin.“

Endlich gelang es ihr beide Mädchen in die Küche zu bekommen, wo ihre guatemalische Haushälterin Gabriela wie immer ein leckeres Frühstück zubereitet hatte. Sobald sie am Tisch saßen, stellte Jilly eine Frage.

„Mom, kann ich vierzig Dollar haben?“

„Wofür brauchst du die denn, Schatz?“, fragte Riley.

„Ich muss mir ein Zombiekostüm leihen“, sagte Jilly.

Einen Augenblick lang fragte Riley sich, Zombiekostüm?

Dann erinnerte sie sich – Halloween war bloß einige Tage hin.

„Du musst dir kein Zombiekostüm leihen“, sagte Riley.

Die sechzehnjährige April pikste ihre jüngere Schwester und sagte triumphierend: „Ich hab dir gesagt, sie lässt dich keins leihen.“

Ein jämmerlicher Ton mischte sich in Jillys Stimme, als sie sagte: „Aber ich brauche ein Kostüm um Trick-or-Treaten zu gehen!“

„Du bist zu alt dafür“, sagte Riley.

„Ich bin vierzehn!“, sagte Jilly.

„Genau mein Punkt“, sagte Riley, während sie einen Bissen nahm.

„Das ist nicht fair“, sagte Jilly. „Ich war noch nie im Leben Trick-or-Treaten. Nächstes Jahr bin ich definitiv zu alt. Das ist meine letzte Chance.“

Riley spürte auf einmal ein überraschendes Gefühl des Mitleids: „Du warst noch nie Trick-or-Treaten?“

Jilly zuckte mit den Schultern und sagte traurig: „Wann hätte ich sowas denn machen sollen?“

April fügte hinzu: „Du weißt, dass sie die Wahrheit sagt, Mom.“

Tatsächlich bezweifelte Riley das nicht. Es war ihr bloß nie in den Sinn gekommen.

Jilly war noch nicht allzu lang ein Teil ihrer Familie. Letzten Oktober hatte Jilly immer noch in einem Sozialwohnheim in Phoenix gewohnt, und davor hatte sie ihre Kindheit bei einem gewalttätigen Vater verbracht. Riley hatte ihre Adoption im Juli abgeschlossen und hatte sie in ein normaleres Leben gebracht, aber sie wusste, dass Jilly viele ganz normale Dinge nie mitgemacht oder erlebt hatte – anscheinend gehörte ein Halloween-Umzug mit Trick-or-Treaten auch dazu.

Sie fragte Jilly: „Wer geht denn mit dir mit?“

Jilly zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich weiß nicht. Kann ich nicht alleine gehen?“

Beim bloßen Gedanken daran schauderte es Riley ein bisschen.

„Auf gar keinen Fall“, sagte sie. „Es kann gefährlich für Kinder sein alleine Trick-or-Treaten zu gehen. Du musst mit jemand älterem gehen. Vielleicht geht April mit dir mit.“

Aprils Augen weiteten sich alarmiert.

„Ich geh‘ nirgendwo mit Jilly hin!“, sagte sie. „Ich geh‘ zu einer Party!“

„Zu welcher Party?“, fragte Riley.

„Bei Scarlet Gray“, sagte April. „Ich bin mir sicher, dass ich dir davon erzählt habe.“

„Und ich bin mir sicher, dass du das nicht hast“, sagte Riley. „Jedenfalls gehst du zu keiner Party. Du hast immer noch Hausarrest.“

April rollte mit den Augen. „Gott, werde ich bis zum Ende meines Lebens Hausarrest haben?“

„Nur bis Thanksgiving“, sagte Riley. „Das haben wir so abgemacht.“

„Oh, das ist einfach nur toll“, sagte April und stocherte mit der Gabel in ihrem Essen rum. „Ich habe Hausarrest und ich muss mit meiner kleinen Schwester Trick-or-Treaten gehen. Das macht nicht einmal Sinn.“

„Es muss auch keinen Sinn machen“, sagte Riley streng. „Ich mache hier die Regeln.“

Aus dem Augenwinkel sah Riley, wie Gabriela in weiser Befürwortung nickte. Die kräftige, pragmatische Haushälterin hatte ihr einst beigebracht „Ich mache die Regeln“ zu sagen, als Riley zu nachsichtig mit den Kindern geworden war. Gabriela schien oft ebenso sehr eine Erziehende für April und Jilly zu sein, wie Riley es nur jemals sein könnte und Riley war zutiefst dankbar dafür, sie da zu haben.

„In Ordnung“, sagte Riley zu Jilly, „du kannst das Geld für dein Zombiekostüm haben. Aber wir müssen immer noch die Einzelheiten besprechen, bevor ihr irgendwo hingeht.“

Jilly schien nun überglücklich zu sein und April machte einen absolut miserablen Eindruck. Doch zumindest war die Sache geklärt. Während sie ihr Frühstück schweigend beendeten, dachte Riley sich, dass Thanksgiving schon ziemlich bald sein würde und dass ihre sture ältere Tochter dann keinen Hausarrest mehr haben würde.

Was April getan hatte, war todernst. Als Riley April eine Pistole gekauft hatte, um den Sommer über damit Schießen zu üben, war sie sich sicher gewesen, dass ihre ältere Tochter verantwortungsvoll mit der Waffe umgehen würde.

Doch es hatte sich herausgestellt, dass Rileys Sicherheit in dieser Sache fehl am Platz gewesen war. Nicht nur hatte April vergessen, sicherzustellen, dass die Waffe nicht geladen war, als sie diese vom Schießplatz wieder nach Hause gebracht hatte, sie hatte die Waffe fallen gelassen, als sie versucht hatte diese in Rileys Schlafzimmer wieder an ihren Platz zu legen. Riley konnte immer noch die versehentlichen Pistolenschüsse durchs Haus hallen hören. Und sie hatte erst vor kurzem die beiden Löcher repariert, die die Kugel in zwei der Hauswände gemacht hatte.

Wir hatten Glück, dass niemand verletzt wurde – oder umgebracht, dachte Riley. Dieser Refrain der Dankbarkeit ging ihr seit dem Tag ständig durch den Kopf.

Sie fragte sich, ob sie April länger hätte Hausarrest anordnen sollen – bis zu Weihnachten und Neujahr vielleicht. Doch nun war es zu spät ihre Entscheidung zu ändern. Sie musste konsequent bleiben. Auch das hatte Gabriela ihr beigebracht.

Riley schaute aus dem Fenster, als die Mädchen endlich das Haus verlassen hatten und zu ihrer Bushaltestelle gegangen waren. Sie dachte sich, wie sehr sie Halloween hasste. Sie war sich nicht ganz sicher, wieso.

Vielleicht gefiel ihr die Idee nicht, dass Kinder durch die Gegend liefen und so taten, als seien sie Monster. Nach Jahren der Arbeit in der Verhaltensanalyseeinheit, wusste Riley, dass die Welt auch so bereits mit zu vielen Monstern gefüllt war. Es kam ihr irgendwie pervers vor sich spaßeshalber auch noch eingebildete Monster dazu zu erfinden.

Natürlich verkleideten sich Kinder auch als positivere Figuren zu Halloween – als Superhelden, zum Beispiel. Doch das gefiel Riley auch nicht. So wie sie es sah, brauchte die Welt echte Helden, keine Schwindler in Umhang und Leggins. Überhaupt, es brauchte mehr Menschen, die bei den kleinen Dingen des Lebens heldenhaft sein konnten.

Zum Beispiel die Kinder in die Schule fertigmachen, dachte Riley lächelnd, als April und Jilly um die Ecke bogen und außer Sicht verschwanden.

In Wahrheit kam es Riley überhaupt nicht so heldenhaft vor, Verbrechen zu bekämpfen. Die alltäglichen Aufgaben des Mutterseins erschienen ihr oft sehr viel anspruchsvoller, als die Welt von tatsächlichen menschlichen Monstern zu befreien. Diese Verbrecher konnten oft gefangen werden, ihren Taten ein Ende bereitet werden. Die Arbeit einer Mutter war fortwährend und benötigte unermüdlichen Einsatz.

Nicht, dass ich eine besonders heldenhafte Erziehungsperson bin.

Doch zumindest hatte sie es an diesem Morgen geschafft, ihre Kinder durchs Frühstück und aus dem Haus und auf den Weg in die Schule zu bekommen. Da sie keinen unmittelbaren Fall auf der Arbeit hatte, hatte sie sich den Tag freigenommen.

Und sie hatte ganz besondere Pläne.

Sie lächelte, als sie daran dachte…

Ein Rendezvous.

Es erschien ihr komisch auf diese Art und Weise darüber zu denken, insbesondere, wenn sie daran dachte mit wem sie sich zum Mittagessen traf. Doch eine wichtige Beziehung in ihrem Leben hatte sich vor Kurzem unerwartet verändert. Und nun…

Gehen wir miteinander aus, nehme ich an.

Sie war froh, dass sie den Rest des Morgens hatte, um sich fertigzumachen.

Als sie in ihr Schlafzimmer ging, nahm sie ihr Handy vom Beistelltisch und sah, dass sie eine Sprachnachricht bekommen hatte.

Als sie die Nachricht abspielte, hörte sie eine bekannte grobe und heisere Stimme.

„Hey Agentin Paige. Van Roff hier. Rufen Sie mich zurück.“

Sie spürte ein scharfes Kribbeln der Erwartung und Sorge. Die Stimme des Anrufers hörte sich nicht so an, als hätte er gute Nachrichten.

Die Frage war, ob Riley gerade das hören wollte, was er zu sagen hatte.

Sie setzte sich aufs Bett und schaute auf ihr Handy, während sie versuchte zu entscheiden, ob sie in zurückrufen sollte oder nicht.

Van Roff war ein technischer Analyst in der FBI Außenstelle von Seattle. Riley hatte mit dem brillanten, übergewichtigen Computernerd in der Vergangenheit zusammengearbeitet, manchmal auch an nicht ganz rechtlich sauberen Aufgaben. Sie wusste, dass Van für sie bereit war die Regeln ab und an zu biegen und sogar zu brechen, besonders wenn das Problem, um das es sich handelte, ihn interessierte.

Jetzt war auch eins dieser Male.

Riley seufzte, als sie sich daran erinnerte, wie ihre damalige Partnerin Jenn Roston während des letzten Falls, an dem sie gearbeitet hatten, verschwunden war und nur eine rätselhafte Notiz hinterließ, die überhaupt nichts erklärte:


Riley,

es tut mir leid.

Jenn.


Es war damals ein schrecklicher Schock gewesen und hatte Riley Probleme mit ihrem Chef, Brent Meredith, bereitet, der mit gutem Recht vermutete, dass Riley mehr über Jenns Verschwinden wusste, als sie bereit war zuzugeben.

Jenn hatte Riley anvertraut, dass sie von einer sinisteren Pflegemutter großgezogen worden war, die sich selbst „Tante Cora“ nannte und die die Kinder in ihrer Obhut darauf trainierte, Meisterkriminelle in ihrer eigenen kriminellen Organisation zu werden.

Jenn hatte es geschafft Tante Coras Klauen für lange genug zu entkommen, um eine brillante und vielversprechende junge Agentin der FBI Verhaltensanalyseeinheit zu werden. Riley war die einzige Person gewesen, der Jenn jemals von ihrer düsteren Vergangenheit erzählt hatte. Riley wusste auch, dass Jenn immer noch ab und zu von Tante Cora hörte und dass die diabolische Frau versuchte, Jenn wieder ihrem Einfluss zu unterwerfen.

Nachdem der Fall gelöst war, hatte Riley ein Päckchen erhalten, dass Jenns Dienstmarke und Waffe, sowie eine weitere rätselhafte Notiz enthielt:


Ich habe es versucht.


Da hatte Riley begriffen, dass Jenn zurück in Tante Coras dunkle Welt gekehrt war. Riley hatte Jenns Marke und Waffe pflichtbewusst an Brent Meredith weitergegeben, der bereits einen Kündigungsbrief von ihr erhalten hatte.

Soweit Meredith wusste, war also Jenns Beziehung zur Verhaltensanalyse vorbei. Er hatte kein Interesse daran herauszufinden, wo sie hin war und wieso. Es war ihm gleich, ob er jemals wieder ihren Namen hören würde.

Aber Riley konnte nicht anders, als zu hoffen, dass sie Jenn vielleicht irgendwie erreichen könnte – ihr vielleicht sogar helfen könnte, sich endgültig von Tante Cora zu befreien.

Riley hatte sich um Hilfe an Van Roff gewandt, weil sie sicher war, dass dieses Rätsel interessant genug war, dass er bereit wäre für dessen Lösung seine beträchtlichen Fähigkeiten einzusetzen.

Und nun meldete er sich bei ihr.

Ich sollte herausfinden, was er zu sagen hat, dachte sie.

Sie wählte Van Roffs Nummer und er hob direkt den Hörer ab.

„Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für Sie, Agentin Paige“, sagte Van.

„Konntest du irgendetwas herausfinden?“, fragte Riley.

„Überhaupt nichts“, sagte Van. „Sie haben erwähnt, dass ich vielleicht irgendetwas in der Personaldatenbank finden könnte – irgendetwas über das Kinderheim, in dem sie aufgewachsen ist.“

Riley nickte und sagte: „Jenn hat mir erzählt, dass darüber etwas in ihren Personalunterlagen stand. Das Kinderheim ist vor langer Zeit geschlossen worden, aber ich dachte, dass vielleicht irgendeine Information darüber dir einen Hinweis darauf verschaffen könnte – “

Van unterbrach sie: „Agentin Paige. Es gibt keine Personalunterlagen. Irgendjemand hat sich in die FBI Files gehackt und Jenn Rostons Personalunterlagen gelöscht. Es ist so, als hätte sie nie für das FBI gearbeitet.“

Riley wurde schwindelig vor Schock.

Van fuhr fort: „Irgendjemand will, dass niemand herausbekommen kann, was mit ihr passiert ist. Und wer auch immer dieser ‚irgendjemand‘ ist, er hat formidable Hacker-Fertigkeiten. FBI Datensätze zu vernichten ist eine ganz schöne Leistung.“

„Was ist mit der Adresse, die ich dir gegeben hatte?“

Riley meinte die Absenderadresse auf dem Päckchen mit der Waffe und der Dienstmarke, das sie bekommen hatte – eine Adresse in Dallas, Texas.

„Die ist erfunden“, sagte Van. „So eine Adresse gibt es nicht. Und ich habe alles versucht, um herauszufinden, ob sie womöglich noch in Dallas ist. Ich kann sie dort nicht finden, oder sonst wo. Es ist so, als sei sie von der Erdoberfläche verschwunden.“

Riley fühlte Resignation.

„Ok“, sagte sie. „Danke, Van.“

„Nichts zu danken.“

Dann fiel Riley etwas anderes ein.

„Van, ich habe dir einige Dinge über Jenn erzählt, die niemand wissen darf. Ich hoffe du wirst –“

Van unterbrach sie mit unpassend fröhlicher Stimme.

„Naja, es war so schön, dass Sie angerufen haben, Agentin Paige. Ich weiß es sehr zu schätzen. Ich freue mich, dass wir in Kontakt bleiben und schauen, wie es einander geht.“

Riley musste etwas lächeln. Sie wusste, dass es Van Roffs Art und Weise war ihr zu sagen, dass dieses ganze Gespräch in seinen Augen nie stattgefunden hatte. Sie konnte sich auf Van immer verlassen, was Geheimnisse betraf.

„Auf Wiederhören, Van“, sagte sie. „Und danke nochmal.“

Sie legte auf und sackte elendig auf dem Bettrand zusammen. Sie dachte an etwas, was Van gerade eben gesagt hatte.

„Irgendjemand will, dass niemand herausbekommen kann, was mit ihr passiert ist.“

Riley hatte den Verdacht, dass dieser „irgendjemand“ Jenn selbst war. Jenn wollte nicht gefunden werden. Und wenn Van Roff sie nicht finden konnte, konnte es unmöglich irgendjemand anderes.

Sie ist weg, dachte Riley. Jenn ist wirklich weg.

Riley kämpfte einen Moment lang gegen ihre Gefühle von Trauer, Wut und Verrat an.

Ich kann nichts dagegen machen, sagte sie sich. Jenn hat ihre eigene Wahl getroffen. Ich habe hier keinen Einfluss.

Gleichzeitig hatte Riley etwas, worauf sie sich freuen konnte. Sie erhob sich vom Bettrand und ging zu ihrem Kleiderschrank, um etwas Schönes zum Anziehen für ihre Verabredung auszusuchen. Während sie in ihrem Schrank stöberte, musste sie darüber lächeln, wie ironisch es war, dass sie heute so gut wie möglich aussehen wollte.

Wie komisch, dachte sie.

Hier war sie nun und versuchte einen Kerl zu beeindrucken, der sie besser kannte, als irgendjemand sie je gekannt hatte.

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