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7. Erstes politisches Wirken. Eigene Häuslichkeit
(1837. 1838)
ОглавлениеSelten hat ein Land in den ersten Jahren seiner constitutionellen Aera so wenig politische Regsamkeit gezeigt, als das Königreich Sachsen. Im Jahre 1831 war die Verfassung gegeben worden. In den andern deutschen Staaten, namentlich in Süddeutschland, waren die ersten Jahre des constitutionellen Lebens für die Betheiligung der Bürger an öffentlichen Dingen die lebendigsten und fruchtbringendsten gewesen. In Sachsen dagegen verhielt sich der Unterthan im ersten halben Jahrzehnt des Verfassungsstaates fast so ruhig und langweilig, wie in den vergangenen Tagen des absoluten Königthums. Mannigfache Gründe wirkten hierfür zusammen. Schon der erste Landtag des neuen Verfassungsstaates hatte eine lebhafte Reaction am Werk gefunden: die Bundesbeschlüsse von 1832 standen in frischer Wirksamkeit, die Presse war noch mehr gefesselt als zuvor, weit wurden die Rechte der Krone, eng diejenigen der Landtage überall ausgelegt. Zudem war den Mißständen, welche in Sachsen die Bewegungen von 1830 hervorgerufen hatten, schon durch die Verfassung im Wesentlichen abgeholfen und das erleuchtete humane Ministerium Lindenau arbeitete eifrigst daran, alle noch unerledigten gerechten Wünsche des Landes auf dem Wege der Gesetzgebung zu befriedigen. Dem Ackerbau wurden die drückenden Lasten abgenommen, eine neue Städte- und Landgemeindeordnung gab den städtischen und ländlichen Gemeinden die Anfänge der Selbstverwaltung. Die ungeheuren Vorrechte des Adels wurden überall zum gemeinen Nutzen beschnitten. Außerordentlich bedeutend und epochemachend sind die Reformen des Rechtslebens, die Sachsen dieser Zeit verdankt. Die Finanzen des Staates erfreuten sich einer blühenden Lage; durchaus loyal gestaltete die Regierung den Ständen die verfassungsmäßige Feststellung und Controle des Staatshaushaltes. Ueberall ergreift die Regierung in diesem Zeitraum die Führung zu Reformen, gestützt durch das bürgerliche, oft auch durch das bäuerliche Element der Kammern, häufig gehindert und fast immer befehdet durch den Adel der ersten und zweiten Kammer. Die Regierung selbst erkennt schon in den ersten Jahren die schweren Fehler des Wahlgesetzes. Streng nach Standes- und Klasseninteressen sind beide Kammern zusammengesetzt. In ungeheurer Mehrheit befindet sich das Element des ländlichen Grundbesitzes. Der schwere Fehler, an dem noch heute die Sächsische Gesetzgebung in allen Zweigen krankt, daß sie von Bauern für Bauern gemacht wird, trat damals besonders grell hervor. Die Intelligenz, der selbstlose patriotische Idealismus fanden kaum Zutritt zur Kammer nach diesem Wahlgesetz, nach dem der Stand den Standesgenossen, und zwar immer aus dem eigenen Wahlkreise (!), wählen mußte. Die Kammerverhandlungen der ersten Jahre nach 1831 zeigen daher fast überall nur Standeshader, höchst selten die Erörterung wichtiger politischer Princip- oder Freiheitsfragen.
Das wurde schon in etwas anders, als das rührige Voigtland, das schon 1831 einen Preßverein nach dem Muster der süddeutschen gegründet hatte, im Jahre 1836 die Abgeordneten Carl Todt (Bürgermeister von Adorf) und von Dieskau (Advocat und Patrimonialrichter aus Plauen) in den Landtag sandte. Sie durchbrachen zum ersten Male die landesübliche Nüchternheit und Genügsamkeit und ließen zum ersten Male im „Landhaussaale“ zu Dresden jenen Ton des schwungvollen, kühnen und rücksichtslosen Liberalismus vernehmen, der bisher nur aus weiter südlicher Ferne nach Sachsen herübergedrungen war. Und wenn auch die beschränkte Bureaukratie und Aristokratie, welcher hauptsächlich die Gegnerschaft dieser jungen Opposition galt, sich über die Kleinheit dieser Fraction vorläufig nur lustig machte, so erweckte doch die Unverzagtheit und Ueberzeugungstreue, das unleugbare Geschick dieser Redner überall im Lande den freudigsten Wiederhall und regte an zur Bildung thätiger, die Opposition im Lande verstärkender politischer Kreise.
Aus dem großen, mehr zufällig zusammengewürfelten Kreise der Leipziger Bekanntschaften hatte Robert Blum allmählich einen kleineren Ring wirklicher Freunde ausgesondert, mit denen er und die mit ihm immer inniger zusammenwuchsen. Harmlose gesellige Heiterkeit hatte die jungen Männer anfangs zusammengeführt. Bald aber wurden die allgemeinen Angelegenheiten der Stadt, des Landes, des großen deutschen Vaterlandes in den Bereich der Verhandlungen gezogen und ernsthaft durchgesprochen; gemeinsam wurde zu wichtigen Tagesfragen Stellung genommen und in bestimmtem Sinne Einwirkung auf die öffentliche Meinung beschlossen, durch die Presse, durch persönliche Agitation in der Bürgerschaft, durch Betheiligung der Freunde an öffentlichen Festen mit patriotischer Tendenz. In diesem engeren Kreise verkehrten die Schriftsteller Hermann Marggraff, Carl Herloßsohn, Th. Hell, der feurige Julius Mosen, so oft er Leipzig berührte, der kenntnißreiche, ruhig erwägende Karl Andree, der joviale gottbegnadete Componist Lortzing und Kapellmeister Stegmeyer, der blinde Dichter Dr. Theodor Apel, der eifrig zur Localgeschichte der großen Völkerschlacht sammelte; sie Alle patriotisch bewegt, wenn auch der practischen Politik ihrer Natur oder ihrer Berufsthätigkeit nach nicht unmittelbar zugewandt. Auf ein unmittelbares politisches Wirken dagegen drängten andere Genossen dieses Freundeskreises: der feurige Dr. Georg Günther, Mitredacteur der Leipziger Allgemeinen Zeitung, nicht minder der von allen Revolutionen hoch begeisterte junge Historiker Burkhardt, der eben an seiner Geschichte der neuesten Zeit arbeitete, lange Jahre das beste Buch dieser Art, bis es durch die archivalischen Forschungen späterer Geschichtsschreiber in Schatten gestellt wurde; außerdem der bescheidene, fleißige und opferfreudige Journalist Carl Cramer; der gelehrte und in allen öffentlichen Dingen eifrig und scharfsinnig thätige junge Privatdocent der Rechte Dr. Schaffrath; die patriotischen jungen Advocaten Dr. Hermann Joseph und Dr. Rudolf Rüder, der formgewandte feine Buchhändler Robert Friese, der bald nachher es wagte, in den „Sächsischen Vaterlandsblättern“ das erste Sächsische Blatt herauszugeben, das, ganz unabhängig von der Regierung[19], die radicalen Wünsche des jungen Deutschlands und des vorgeschrittenen Sächsischen Liberalismus laut werden ließ. Bald, zu Anfang der 40er Jahre, war dieses Blatt die gelesenste politische Zeitung Sachsens, Blum einer der fleißigsten Mitarbeiter desselben.
Es darf nicht wunder nehmen, daß die ersten Schritte in das politische Gebiet, welche dieser Freundeskreis that, der Ermunterung und theilnehmenden Förderung patriotischer Feste galten. Haben wir Deutschen doch noch mehr als zwanzig Jahre später, vom Ausgange der Reaktionszeit 1859 an bis zum Kriege des Jahres 1866 in solchen patriotischen Festen die geeignetste Form gesehen, um vaterländische Gesinnungen und Wünsche auszusprechen und nationalen Sinn in den Massen zu fördern. In dieser Absicht wurde von Blum und seinen Freunden alljährlich das Constitutionsfest gefeiert, zu Schützenfesten angeregt und vor Allem die für den 6. November 1837 projectirte Einweihung des Gustav-Adolph-Denkmals bei Lützen zu einem großartigen vaterländischen Volksfeste gemacht. Selbst ein so rein sächsisches Gemüth wie das Große’s hat in seiner Geschichte Leipzigs mit Rührung bekannt, wie mächtig der Hauch deutschen Geistes an jenem Festtage zu spüren gewesen und daß diese Richtung der Feststimmung vor Allem Leipzig zu danken gewesen sei[20]. Schon wochenlang vorher hatten Blum und seine Freunde in diesem Sinne gewirkt. Wir besitzen eine höchst weihevolle Schilderung des Festes aus Blum’s Feder[21], aus der hier einige der characteristischsten Stellen folgen mögen:
„So ist er denn glücklich vorüber der feierliche Tag, der die Völker zweier Nachbarländer in eine ungewöhnliche Bewegung setzte und im ganzen norddeutschen Vaterlande einen freudigen Anklang fand, oder doch finden sollte. Himmel und Erde schienen sich verschworen zu haben, das Fest zu stören; in Leipzig stürzte am Abend vorher die Brücke zusammen, über welche die ganze Karawane der Theilnehmer ziehen mußte, und am Morgen regnete der Himmel unbarmherzig herab auf den langen Zug der Fahrenden und Gehenden und machte ein so unfreundliches Gesicht, daß man glauben mußte, er wolle allein trauern an diesem Tage. Aber es war nur Verstellung; der Himmel hatte uns eine Ueberraschung vorbehalten und gab ohne Subscription und königliche Beisteuer eine Darstellung des 6. Nov. 1832 aus eigenen Mitteln, denn die Geschichte erzählt uns ja, daß an diesem Tage der Himmel in einen grauen Nebelmantel gehüllt war bis gegen Mittag, und dann erst Licht herabsandte auf die kampfdürstenden Schaaren, daß sie sich erkennen und erfassen konnten… Viele mochten den Sinn der Feier fühlen, für den Gedanken der Religionsfreiheit, der sich an den Schwedenkönig knüpft, begeistert sein; allein an den Ausspruch einer Begeisterung ist die deutsche Menge noch nicht gewöhnt. Hier und da blickte aus dem Gewühl ein Auge gen Himmel oder ins nebelhafte Weite und suchte nach einem Gustav Adolph, wie er der Gegenwart Noth thut.
Ziel- und zwecklos schlenderten wir durch die Straßen, der Dinge harrend, die da kommen sollten. Aber auf dem Markte war plötzlich ein graues Denkmal zu erblicken, ein wanderndes, ein verwittertes Monument vergangener Zeit: der alte, biedere, viel verketzerte, vielgekränkte, aber gewiß ehrwürdige Jahn. Seine Erscheinung erregte Aufsehen und sammelte einen Kreis von Menschen um sich, die ihn mit neugierigen Blicken, wie einen Fremden aus ferner unbekannter Welt anstaunten. Und er ist ein Fremder in unserer Zeit; seine historische Bedeutung, seine öffentliche Existenz knüpft sich an einen Himmelsstrich der Weltgeschichte, der dem unsrigen sehr fern liegt, und dessen Dasein unsere Enkel gar nicht mehr begreifen werden. Jahn ist das Monument des Deutschthums von 1812 und 1813. Mochte dieses Deutschthum abstoßend sein in einigen Formen, unfreundlich in seiner äußern Schroffheit, es war eine Zeiterscheinung voll Kraft und Hoffnung, voll Mark und volksthümlichen Lebens, voll schöner Keime und mächtig schwellender Fruchtknospen; es war begreiflich, daß ein Mann sich dieser Richtung ganz hingab und den geistigen Kern der Sache zur Anschauung brachte durch seine Bestrebungen. Jahn hat das gethan, mit Liebe und Eifer gethan, und seine ganze Individualität daran gesetzt. Das eben ist sein Unglück, daß sein geistiges Sein aufging in diesen Bestrebungen; denn als die Gestalt der Dinge sehr bald sich änderte, als man ihn von sich stieß, er aber auf der eingeschlagenen Bahn beharrte, da verstand ihn bald die Welt nicht mehr und er ward zur Carricatur seiner selber. Das alte Lied vom Franzosenhaß klang inmitten neuer Lebensfluthen wie ein altes Zauberlied in Ossianischer Sprache, das ein grauer Barde vom einsamen Felsen singt, um die Fluth zu beschwören; aber die Fluth will sich nicht mehr bannen lassen, und die Schiffer, die mit neuen Wimpeln segeln, lachen über die alte seltsame Weise. So stand Jahn vereinsamt da im wechselvollen Leben und tappte blindlings umher, um die neuen Zustände zu erfassen, die ihm entschlüpften, weil die Spekulation an die Stelle der That getreten war. Da wurde er Greis aus Verzweiflung, und als eine Ruine vergangenen Lebens wandelte er gespenstisch durch die Gegenwart. So steht er noch da; seine Gestalt, seine männliche Haltung und der kräftige Ausdruck seines Gesichtes repräsentiren die Kraft der That und den eisernen Muth der Hoffnung, indessen sein schneeweißes Haar an den Verfall seiner Epoche gemahnt. Sein silberweißes Bart- und Haupthaar flattert verstreut im Winde, wie die Hoffnungen und Entwürfe von 1813 spielend verweht wurden von dem Zugwinde wankender Menschentreue. Lacht nicht über diese Ruine, Zeitgenossen! Ehrt sie und denkt an unser eigenes Schicksal! Unsere Zeit ist ganz geeignet, das männlich schlagende Herz zu beruhigen in harmlosem Wahnsinn. Wer weiß, ob nicht auch wir stereotyp werden mit unsern Träumen künftiger Weltgestaltungen, ob wir nicht fortphantasiren und an der Speculation hangen bleiben, wenn das Leben erwacht ist zur That. Man soll uns dann nicht verlachen! Es war ja das heiße Herzblut, die schöne Kraft der Jugend und die goldene Hoffnung der Zukunft, womit wir diese Träume gepflegt und genährt.“
Nachdem dann der Festzug und die begeisterte Ovation geschildert ist, welche die Leipziger Studentenschaft dem alten Jahn darbrachte, heißt es weiter: „Der Bischof Dräsecke aus Magdeburg hatte jetzt die geschmückte Kanzel bestiegen und die Seminaristen von Weißenfels sangen eine Motette, worauf der Bischof das Gebet sprach. Dann ward ein von Würkert gedichtetes Festlied gesungen. Der Bischof hielt nun die Weihrede, die, wenn auch nicht das beste Product dieses genialen Kanzelredners, ganz der Feier angemessen, voll erhabener schöner Gedanken, geistreicher Wendungen und tiefer Empfindung war. Historische Erinnerungen und eine treffliche Anwendung der Bibelstellen auf das Denkmal bildeten den Inhalt. Mit wahrhaft begeisternden Worten bereitete der Redner die Enthüllung des Denkmals vor, die auf seinen Wink erfolgte; die Hülle wollte nicht herab, das Monument des edlen königlichen Helden und einer thatkräftigen, lebensrüstigen Zeit hielt sein graues Gewand fest, um nicht enthüllt zu erscheinen vor einer blos denkenden, thatunlustigen Gegenwart. Und der Bischof war der einzige, der es feierlich und freudig begrüßte; die fernen Instrumente schmetterten ex officio einen obligaten Jubel, und die Kanonen riefen ein dumpfes „Willkommen!“ Man hatte das Pulver gespart, oder beim Laden Rücksicht genommen auf das zarte Geschlecht; sie knallten wie eine Windklapper, die ein Knabe sich von Papier faltet. Nicht ein Ruf der Freude, nicht ein Zeichen des Beifalls, der Theilnahme und Erhebung gab sich kund bei der versammelten Menge. Begeisterung und Enthusiasmus standen nicht in der Festordnung, und der Deutsche hält fest am Vorgeschriebenen. Nur eine Lerche flog trillernd über das Monument hin und schmetterte die Jubelhymne der Freiheit durch den weiten Himmelsraum; sie verschwand im unendlichen Dome, wie der Lichtgedanke der That, den Himmel suchend, verschwindet. – Auch die Sonne trat heraus aus ihrem grauen Morgenanzuge und grüßte hellstrahlend das Denkmal eines leuchtenden Menschengestirns; aber sie zog den Schleier bald wieder zu, als sie die kalten Menschenherzen erblickte, die es umstanden.
Eine bunte Menge trieb sich nach der Feierlichkeit um das Monument herum, dasselbe bewundernd, erklärend und kritisirend. Die weite Ebene war bunt bewegt und glich in ihrer wirren Lebendigkeit einem aufgescheuchten Bienenschwarme. Ich hatte mich an den alten Invaliden gedrängt, der freudestrahlenden Blickes dastand in der Volksmenge und mühsam sich aufrecht zu erhalten suchte im wilden Gedränge. Er war sehr glücklich der gute Alte, über seine Versorgung, die ihm monatlich 8 Thlr., freie Wohnung und freies Holz bringt. Hier kann er träumen von Schlachten und Siegen, kann die Gespenster ziehen sehen, Nachts über die Todesebene, bis der Tod ihn zur Ruhe ruft mit dem letzten Zapfenstreiche. Der Alte war besonders sehr glücklich, daß der hochwürdige Bischof auch ihn erwähnt habe in seiner Rede und gesagt: „er solle in der Bewachung des Monuments seine letzte Erdenwache verrichten;“ es war noch Ehrgeiz in seiner Brust, denn er that sich viel darauf zu Gute, daß er der Einzige sei von allen Wächtern, der dieses Fest erlebte. Ich fragte ihn, wo er sein Bein verloren habe? er zeigte nach Leipzig und sagte mit selbstgenügsamem Witz: „dort habe ich’s gesäet, damit es keime und wachse und ich mir neue Beine holen kann, wenn dies eine alt und schwach wird. Ist’s nicht aufgegangen, lieber Herr?“ Armer Mann! begrabe deine Hoffnung, scharre deinen zerrissenen Kranz ein zu deinem Beine; du hast in ein unfruchtbares Feld gesäet. Leipzigs Auen geben die Saaten nicht vervielfältigt zurück, die man ihnen vertraute, sie liegen wie ein Lebendigbegrabener in der stillen Erde und ringen ununterbrochen den furchtbaren Kampf zwischen Tod und Leben. Wenn man einsam dahinwandert über die blutgedüngten Felder, so hört man ihr verzweifeltes Aechzen und das Blut stockt im warmen Herzen, die Nerven durchzuckt es fieberisch, und man möchte die Erstickenden befreien mit Aufopferung des eigenen Lebens. Aber ein böser Zauber hält sie gefangen, und noch ist der Glückliche nicht erschienen, der ihn zu lösen vermag. Gustav Adolf der neuen Zeit, wo weilst Du?“
Im Gegensatz zu der Gleichgültigkeit der Spießbürger Lützens wird dann die schöne Begeisterung der Studenten und Bürger Leipzigs, ihre in Lied und Wort mächtig durchdringende patriotische Feststimmung geschildert. Daß Robert Blum selbst einen der begeistertsten Trinksprüche ausbrachte, verschweigt er bescheiden. Zum Schlusse schreibt er: „Um die Lohe der rings um das Denkmal aufgehäuften Pechfackeln schallte brausend das frohe „Gaudeamus“ als Schlußgesang zu dem lichten Nachthimmel empor. Während desselben stiegen in der Ferne zwei Raketen auf, wahrscheinlich eine Ueberraschung, die die Stadt Lützen ihren Gästen bereitet hatte!“
Die Menge verlief sich, nur der Invalide blieb einsam an dem stillen Denkmal, welches zu wachsen schien in der dunklen Nacht, als ob es emporsteigen wolle zu den Sternen. „Wir bedürfen großer Mahlzeichen, sagte der Bischof Dräsecke, an denen wir ausruhen von großen Thaten und uns ihrer erinnern.“ Dort standen zwei Mahlzeichen vergangener kräftiger Epochen nebeneinander; das eine erhob sich siegend in der Gegenwart, obschon es zwei Jahrhunderte trug; das andere stand nur gespenstig noch aufrecht und wankte, mit nur 24 Jahren belastet, der Vergessenheit zu. Wie verschieden die Ergebnisse der Weltgeschichte sind. Der Himmel lag licht und sternenklar ausgebreitet über der Ebene und der Mond erhellte sie mit freundlichem Lichte; Sternschnuppen flogen durch die stille Nacht und berührten wie tröstende Gottesgedanken das schmerzlich zuckende Herz, tief im Innern neue Hoffnung und Zuversicht erweckend, und in die Seele tönte es wie Engelchöre, welche sangen:
Eine feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen;
Er hilft uns frei aus aller Noth,
Die uns itzt hat betroffen.
Wir wollen ihm vertrauen, dem Gotte der im Himmel thront und in der reinen Brust des Menschen, die nach Licht und Freiheit dürstet.
Ehre sei Leipzigs Bürgerschaft und Universität! sie waren es, die dem Feste den Glanz verliehen, worin es prangte.
Robert Blum.
P. S. Ich habe das Wichtigste vergessen: es fand durchaus keine Ruhestörung Statt.“
Bald ward der Bürgerschaft Leipzigs Gelegenheit geboten, die patriotischen Gelübde, die an dieser geweihten Stätte dargebracht worden waren, zur That werden zu lassen. Am 17. November 1837 hatten die mannhaften sieben Göttinger Professoren Dahlmann, Albrecht, Gervinus, die Gebrüder Grimm, Weber und Ewald dem Curatorium der Universität einen Protest überreicht gegen die eidbrüchige Verfassungsverletzung des Königs Ernst August von Hannover. Der Protest wurde veröffentlicht und jubelnd in ganz Deutschland begrüßt von Allen, welche Recht und Gesetz und geschworene Eide hoch hielten. Das waren unter dem allgemeinen Molluskenthum, das seit den Bundestagsbeschlüssen von 1832 an der Oberfläche unseres öffentlichen Lebens schwamm, doch einmal sieben ganze Männer! Sie wagten dem eidbrüchigen Verbrecher auf dem Throne zuzurufen: „das ganze Gelingen ihrer Wirksamkeit beruht nicht sicherer auf dem wissenschaftlichen Werthe ihrer Lehren als auf ihrer persönlichen Unbescholtenheit. Sobald sie vor der studirenden Jugend als Männer erscheinen, die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel treiben, ebensobald ist der Segen ihrer Wirksamkeit dahin. Und was würde Sr. Majestät dem Könige der Eid unserer Treue und Huldigung bedeuten, wenn er von Solchen ausginge, die eben erst ihre eidliche Versicherung freventlich verletzt haben.“
In Leipzig namentlich fand der kühne Schritt der Göttinger Sieben wohl den begeistertsten Widerhall. Nur Hamburg und Kiel konnten sich mit Leipzig in thatkräftigem Handeln messen. So rein und naturgewaltig drang von Leipzig die Zustimmung zurück zu Dahlmann und seinen Genossen, daß, als das Schicksal des treuen „Siebengestirns“ sich erfüllt hatte, Dahlmann und Albrecht nach Leipzig ihre Augen und Schritte lenkten, als nach einer neuen Heimath. Doch schon lange ehe es soweit kam, hatte Leipzig gehandelt so kräftig und opferbereit wie keine andere Stadt. Am 7. December gaben die Liberalen Leipzigs den aus der Ständeversammlung heimgekehrten Abgeordneten ein Festmahl, das hauptsächlich Blum angeregt und zu Stande gebracht hatte. Ein kräftiges Tafellied aus seiner Feder wurde gesungen. Hier regte er mit Andern an, eine Adresse an die Sieben Göttinger zu senden. In wenigen kräftigen Worten hob sie das große Verdienst der eidestreuen Männer hervor und erregte bei Dahlmann, an dessen Adresse sie gesandt wurde, besondere Freude. Dabei begnügte sich aber Leipzig nicht. Schon am 9. December erließen hervorragende Kaufleute, Gelehrte, Buchhändler der Stadt einen Aufruf zur Zeichnung von Beiträgen für den Fall, daß „jene biedern Männer ihres Amtes verlustig gehen sollten“ und in den ersten zwölf Stunden schon hatten Reich und Arm, Jung und Alt, Männer und Frauen der Leipziger Bürgerschaft fast tausend Thaler für die Göttinger Sieben gezeichnet. Wenn Robert Blum’s Name unter diesem schönsten Zeugniß fehlt, das der Patriotismus der Leipziger Bürgerschaft in den dreißiger Jahren sich ausstellte, so sprechen doch zahlreiche Beweise dafür, daß er mit der ganzen ihm eigenen Thatkraft für die Sache der sieben Göttinger wirkte. Er hat noch manches Jahr später, als er schon der anerkannte Führer des vorgeschrittenen Liberalismus in Leipzig war, immer, wo es irgend anging, vermieden, seinen Namen an die Spitze zu stellen oder hervorzudrängen, vor Allem deßhalb, weil er sich seiner abhängigen Stellung als Theatersecretair bewußt war und mit Recht annahm, daß in den Augen des Publikums höhere Titel, die Namen gelehrter, reicher oder berühmter Männer mehr wirken würden, als der seine. Aber man braucht nur die Leipziger Allgemeine Zeitung, die Elegante Welt, das vom Abgeordneten Todt herausgegebene Adorfer Wochenblatt, und alle sonstigen Zeitungen jener Tage, auf welche Robert Blum direct oder indirect Einfluß hatte, aufzuschlagen, um zu erkennen, wie begeistert und nachhaltig er die Sache der Göttinger Sieben förderte. Hat doch auch Johann Jacoby, sein getreuer Gesinnungsgenosse, in Königsberg sich an die Spitze der Agitation und Sammlungen für die sieben tapfern Gelehrten gestellt.
Und als dann das Erwartete geschah, und der König seinem Eidbruch den schnöden Rechtsbruch hinzufügte, die sieben Professoren am 11. December ihres Amtes enthob und sie als Verbannte in die weite Welt trieb und dann Dahlmann und nach ihm Albrecht in Leipzig ein Asyl suchten, da hat Robert Blum die armen Vertriebenen öffentlich angeredet und ihnen, umgeben von Hunderten gleichgesinnter schlichter Bürger, die trostreiche Versicherung zugerufen, daß sie nicht zu verzagen brauchten, da das Herz des ganzen deutschen Volkes mit ihnen schlage, das ganze deutsche Volk sie stütze und trage. Das war die erste öffentliche Rede Blum’s: sie galt der Anerkennung opfermuthiger Pflichterfüllung, unbeugsamer Manneswürde, der Brandmarkung rechtloser und eidbrüchiger fürstlicher Willkür.
Wie tief Robert Blum die lebendige Erinnerung an die Frevelthat des Königs von Hannover und den Heroismus der Göttinger Sieben bewahrte, erhellt aus seinen Reden, Briefen und Schriften der folgenden Jahre. Als längst die öffentliche Theilnahme für das Ereigniß und seine Opfer erkaltet war, wies er immer von Neuem darauf hin. Auch das nächste Geburtstagsfest des Königs von Sachsen gedachte er zu diesem Zwecke zu benützen. Er hatte, wie gewöhnlich, den Theater-Festprolog verfaßt. „Es ist des Königs Fest“ heißt es da:
„Des Königs, der, als in den jüngsten Tagen
Ein ferner Sturm das Völkerheil bedroht,
Ein Königliches Wort nur durfte sagen,
Das jeder Sorge, jeder Furcht gebot,
Das seinen Namen weit hinaus getragen
Und anknüpft an der Zukunft Morgenroth,
Das dem Verdienst, dem freien Männerworte
Eröffnet des Asyles heil’ge Pforte.“
„Bezieht sich auf die Aufnahme der Göttinger Professoren,“ hat Blum in einer Anmerkung zum besseren Verständniß Eines Hohen Theater-Ober-Censur-Collegiums dieser Strophe hinzugefügt. Aber gerade diese Deutlichkeit der Anspielung brachte die Strophe zu Fall. Man war in Dresden in banger Sorge über Dahlmann’s Anwesenheit in Leipzig. Selbst der wackere freisinnige Minister Lindenau berief sich ihm gegenüber auf die 1832er Bundestagsbeschlüsse[22]. Nur Albrecht duldete man und stellte man an, da gegen ihn der welfische Rachezorn bei weitem geringer tobte, als gegen den Führer der Sieben. Unter solchen Umständen durfte natürlich die Regierung zu Königs Geburtstag nicht erinnert werden an ihre großen Worte, da die Armseligkeit ihrer Thaten bald aller Welt kund werden sollte.
Oben ist schon angedeutet worden, daß die Leipziger Messen Robert Blum auch in rege persönliche Verbindung mit hervorragenden, an öffentlichen Angelegenheiten lebhaft theilnehmenden Männern der Provinz brachten. Die zwanglose gesellige Form des Blum’schen Kreises, persönliche Beziehungen zu dem einen oder andern Mitgliede dieses Kreises führte nach und nach fast alle bedeutenderen Männer der Provinz, die in den Messen oder außerhalb derselben Leipzig berührten, in diesen Kreis: den wackeren Weber Franz Rewitzer aus Chemnitz, die rührigen Fabrikanten Böhler und Mammen aus Plauen im Voigtland, zahlreiche Buchhändler und Verleger aus ganz Deutschland, die Abgeordneten der Sächsischen Kammer Dieskau, Todt, später Braun und zahlreiche Andere, die in den kommenden Jahren eine nicht unbedeutende Rolle in der Geschichte ihres engeren und weiteren Vaterlandes gespielt haben. Mit ihnen allen fast hat Blum die persönlich in Leipzig geknüpften Beziehungen in regem Briefwechsel unterhalten und auf diese Weise stets ein treues, durch die Erweiterung seines Freundeskreises immer umfassenderes Bild von dem politischen Leben der Provinz erhalten.
Das Jahr 1837 sollte nicht scheiden, ohne die Wunde, welche die Untreue der Auguste Forster in Blum’s Herzen zurückgelassen, vollständig zu heilen und ihm das schönste Glück für die Zukunft zu verheißen. Schon im Sommer 1837 meldete er den Seinen nach Köln, daß er ein junges Mädchen kennen gelernt habe, das ihn mächtig anziehe. Im Frühjahr desselben Jahres war er durch einen Freund, Ferd. Mey, in dessen elterliches Haus in Leipzig eingeführt worden. Dieses Haus lag an der Dresdener Straße, unweit des äußeren Grimmaischen Thores, das vierundzwanzig Jahre zuvor die Königsberger Landwehr unter Friccius gestürmt hatte. Noch hafteten überall die Kanonenkugeln der Völkerschlacht in den Mauern der Häuser. Jenseits des Thores, wo das Mey’sche Haus zur Rechten lag, war damals fast Alles noch Garten. Mit der Rückseite stieß das Besitzthum an das üppig-grünende Heiligthum des Johanniskirchhofes. Wer konnte ahnen, daß auch der jungen Liebe, die dort emporkeimte, die Trauerweide des Friedhofes in so furchtbarer Nähe erwachsen sollte!
Ein achtzehnjähriges Mädchen (geboren 1. Mai 1819) war Adelheide Mey, als Robert Blum sie zuerst kennen lernte; in kleinbürgerlichem, leidlich wohlhabendem Hause, unter den Blumen und Bäumen des Vaters war sie aufgewachsen, ein Naturkind, schlicht, offen in allen Empfindungen und Gedanken, gleichgültig fast gegen alle tiefsten Zweifel des Menschenherzens, da keiner dieser Zweifel noch den Frieden ihrer Seele getrübt hatte, bis der geistvolle neue Freund leise tastend ihrem Glauben, ihrer Erkenntniß nachspürte. So zog ihr Wesen, ihre Erscheinung den Vielgeprüften mächtig an, gerade wegen des Gegensatzes ihrer Art und Entwickelung zu der seinen. „Jeder Schritt in das Leben war ihr neu, reizend,“ schreibt Blum später an seine Eltern, „es war mir vorbehalten, sie jeden dieser Schritte zu führen, und ihr freudiges Erwachen zu einer höheren Erkenntniß, zu einem geistigeren Lebensgenusse, war mein süßester Lohn. Auch erhob sie sich in geistiger Beziehung mit jedem Tage; ich sah sie gedeihen unter meiner Leitung wie eine sorgsam gepflegte Blume und freute mich so innig an ihrer immer reicheren Entfaltung.“
Sehr bald schloß sich der Bund der jungen Herzen. Die Eltern und Brüder der Braut waren der Werbung gewogen; der Vater liebte Blum wie seinen besten Sohn, und bis an Blum’s Ende hat der kreuzbrave schlichte Mann große Stücke auf den Schwiegersohn gehalten. Das Bild Adelheids steht vor mir in Lebensgröße; sie ist vom Maler Storck in Oel gemalt, in ihrem blaßblauen Brautkleide, das dunkle Haar kunstlos und kurz in Locken um die Stirn ausgehend, das braune Auge lebhaft, die Lippen üppig, Gesicht und Gestalt lieblich, aber in Nichts ungewöhnlich; doch Maler Storck war kein Schmeichler.
In der Nummer des Tageblattes und der Leipziger Zeitung vom 3. Februar 1838 war die Verlobung des Paares öffentlich angezeigt worden. Am 1. Mai 1839, dem neunzehnten Geburtstage Adelheids, widmete ihr Robert ein Gedicht, das beginnt: „Ein schöner Maitag gab Dir einst das Leben,“ und das endet mit der Frühlingshoffnung des Bräutigams, der in wenig Wochen Gatte werden sollte: „Und unser Leben wird ein Maitag sein.“ Ja – ein Maitag, ein kurzer Frühlingstag, in der That! Um in Leipzig heirathen zu können, mußte der Kölner Robert Blum zuerst in Sachsen staatsangehörig werden. Die einfachste Form hierzu war die Erwerbung eines Grundstückes. Am 20. April bucht er „Kaufgeld für das Haus und Kosten 126 Thlr. 6 Gr.“ Es war eine Breterbude in der Nähe Leipzigs. Am 21. Mai fand die Hochzeit statt. Da gab das ganze Theater dem beliebten Secretär Beweise seiner freundlichen Zuneigung in Versen, Gratulationen, Geschenken. Regisseur Düringer hatte sich in Dichtkunst gewaltig angestrengt. In der ersten Etage des Mey’schen Hauses wohnte das junge Paar seit der Hochzeit.
Die Mußestunden jener glücklichen Wochen füllte die Arbeit am Theaterlexicon, mit dessen Plan und Vorarbeiten sich Blum schon lange getragen hatte und das nun bald erscheinen sollte. Am 29. Juni 1838 hatten Blum, Herloßsohn und Marggraff mit dem Major Pierer in Altenburg und Carl Heymann „aus Berlin“ als Verleger, einen schriftlichen Verlagsvertrag über das Unternehmen abgeschlossen, das unter dem Titel „Allgemeines Theaterlexicon“ in drei Bänden von höchstens 75 Bogen in Duodez erscheinen sollte. Für den Druckbogen zahlten die Verleger drei Friedrichsd’ors; bei einem Absatz von zwei Dritteln der Auflage, die auf 3500 Exemplare bemessen wurde, sollte noch eine Nachzahlung von 14 Gr. pro Bogen stattfinden. Ursprünglich war statt Marggraff’s Dr. Carl Andree als Mitredacteur in Aussicht genommen. Andree hatte den Plan und die Vorarbeiten wesentlich fördern helfen. Aber seine Berufung nach Mainz hinderte ihn, an der Ausführung des ihm selbst lieben Planes mitzuwirken. Leider führte dieser Vorfall zu einem völligen Bruche mit Düringer, der sich eingebildet hatte, er werde an Andree’s Stelle in die Redaction berufen werden. Den gekränkten Biedermann trieb die Leidenschaft soweit, daß er zusammen mit dem Inspicienten des Leipziger Stadttheaters, Barthels, der nicht einmal orthographisch schreiben konnte, an einem Gegenwerke arbeitete, welches das Theaterlexicon Blum’s und seiner Freunde todt machen sollte. Dieser Plan ist freilich mißlungen. Blum’s Theaterlexicon darf noch heute als ein fleißiges, gründliches, seinen Stoff vollkommen beherrschendes, durchaus ehrenwerthes Werk bezeichnet werden, das zu der Zeit, wo es erschien, zweifellos eine wesentliche Lücke der Literatur ergänzte und auch heute noch für die Geschichte der Theater, namentlich die Theaterzustände vor vierzig Jahren, mit Nutzen gebraucht werden kann. Unter allen schriftstellerischen Arbeiten, die Blum hinterlassen, steht es in unsern Augen am höchsten, weil der Verfasser bei diesem Werke seinen Stoff am vollständigsten beherrschte – während das z. B. in seinem Staatslexicon durchaus nicht der Fall war – und am wenigsten Tendenz hineintrug, vielmehr rein sachlich und mit weiser Objectivität arbeitete. Auch kam dem Werke zu Gute die Mitarbeiterschaft einer großen Anzahl praktischer Kenner der Sache, in deren Herbeiziehung Blum unermüdlich war. Schon bei Abschluß des Verlagsvertrages mit Pierer und Heymann, der seit der Ostermesse 1838 allerdings in den Grundzügen schon verabredet war, hatte die Zahl der Briefe, die Blum in Sachen des Theaterlexicons an die Mitarbeiter geschrieben, bereits vierhundert überschritten.
Die Beziehungen zu Pierer und Heymann und eine lohnende Arbeit, welche Blum unerwartet im August übertragen wurde (die Durchsicht und Correctur eines Lexicons) machten es ihm möglich, nachträglich, gegen Ende August noch eine Hochzeitsreise anzutreten. Diese Reise, mit ihrer langen, achtzehnstündigen Postfahrt und den vielen Gastereien, welche die Freunde in Berlin boten, war bei dem Körperzustand der jungen Gattin ein starkes Wagniß, das leider in der verhängnißvollsten Weise enden sollte. Am 9. September 1838 schrieb Robert Blum darüber an seine „lieben Eltern.“
„Im Juli ersuchten mich unsere Verleger im Interesse unseres Unternehmens und auf ihre Kosten eine Reise nach Berlin zu machen, was ich auch zusagte. Meine Frau war theils ganz verstört, daß ich sie vier bis sechs Tage verlassen solle, anderntheils sprach sie den lebhaften Wunsch aus, mich zu begleiten; doch war sie so vernünftig einzusehen, daß dies bei unsern Verhältnissen nicht anging. Da führte mir der Zufall eine Arbeit zu, die sehr schwierig aussah, aber schnell vollendet sein mußte; ich nahm sie für vierzig Thaler an und vollendete sie in einer Woche Nachts. Dieser Verdienst, an den ich nicht dachte, den ich als gefunden betrachten mußte, veranlaßte mich, meiner Frau die große Freude zu machen, sie mitzunehmen. Mußte die Arme doch den ganzen Tag allein sitzen und ich konnte ihr, bei meinen vielen Arbeiten, so wenig Vergnügen machen. Heute würde ich untröstlich sein, wenn ich ihr diesen Wunsch versagt hätte. —
Am 20. August reisten wir froh und munter ab und Adelheid hatte eine unendliche Freude, als sie die pompöse, riesige Stadt sah. Dienstag und Mittwoch war sie ganz wohl und heiter, Donnerstag bekam sie ein leichtes Erbrechen, was wir jedoch ihren Verhältnissen und dem Umstande zuschrieben, daß sie Vormittags ein Glas Eis gegessen hatte; auch war sie zu Mittag ganz wohl und ließ sich sogar den Champagner trefflich schmecken. Freitags war sie unwohl, hatte Kopfschmerz, Erbrechen, keinen Appetit, und da wir Abends reisen wollten, so fragten wir einen Arzt, ob es nicht besser sei, die Reise um einen Tag zu verschieben. Dieser aber, als er hörte, daß wir von einem Gastmahl zum andern geschleppt worden waren, erklärte ihre Unpäßlichkeit für eine Magenüberladung, die sich von selbst verlieren würde, ehe wir den halben Weg zurückgelegt hätten, und hieß uns muthig reisen. So reisten wir denn Abends ab“ (25. August).
Die Krankheit der Frau wird nach der Ankunft in Leipzig, die am Sonnabend Mittag (26. August) erfolgte, immer schlimmer. Ein Arzt und außerdem Professor Braune werden gerufen. Durch energische Mittel wird das Fieber so weit gemildert, daß die Kranke sich bis Mittwoch (29. August) leidlich wohl fühlt. Gegen halb elf Uhr Nachts tritt eine Frühgeburt ein. Obwohl die Hebamme Alles für ungefährlich erklärt, schickt Blum „zum Hofrath Jörg, dem ersten Geburtshelfer Sachsens und hinsichtlich seines Ruhmes von ganz Deutschland, mit dem ich durch seinen Sohn, der mein innigster Freund ist, bekannt bin. Er erklärte, meine Frau wenigstens sehen zu wollen. Beim ersten Anblick nahm er mich bei Seite, erklärte mir, daß die Frau sehr krank sei, und ließ sich ihre Krankheitsgeschichte ganz genau erzählen, prüfte dann alle Recepte, billigte das Verfahren des Professor Braune und verschrieb vier verschiedene Arzneien. Der Hofrath blieb bis ein Uhr“ (Nachts den 30. August) „bei mir, gab selbst die erste Arznei, entließ die Hebamme, gab mir die genauesten Anweisungen und hieß mich jeden Athemzug bewachen. Als ich ihn begleitete und meine Frage wiederholte: ob die Sache lebensgefährlich werden können sagte er: ‚Es thut mir von Herzen leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber es ist schon lebensgefährlich. Wenn sie ruhig bleibt, so haben wir Hoffnung; wird sie unruhig, so hat unsere Kunst ein Ende.‘ Mit welchem Gefühle ich mich nun an’s Bett setzte, könnt Ihr leicht ermessen, nie habe ich ängstlich Secunden und Athemzüge gezählt wie die folgende Stunde. Adelheid war ganz ruhig, nahm ihre Arznei und klagte nur zuweilen mit tiefer Schmerzensstimme: ‚Ach, Robert, mir ist’s sehr schlecht.‘ Gegen halb zwei Uhr schlief sie ein, das Herz schlug weniger stark und ein Hoffnungsblitz zuckte durch meine Seele. So dauerte es fort, die alte Mutter legte sich auf’s Sopha, ich, der ich drei Nächte nicht geschlafen hatte, fühlte mich sehr müde und legte mich um drei Uhr auf’s Bett auf Zureden der Wartefrau, der ich den Befehl gab, mich bei der geringsten Anwandlung von Unruhe, bei jedem stärkeren Athemzuge, zu wecken. Ich war wohl kaum eingeschlummert, als sie mich aufrief. Adelheid war erwacht, die Herzschläge wurden wieder heftig, der Puls zeigte Fieber, sie hatte heftigen Durst und wollte nicht ruhig liegen. Jetzt kannte ich mein fürchterliches Loos, und während mir das Herz brechen wollte, mußte ich mit der scheinbar größten Ruhe für sie sorgen. Gegen vier Uhr wurde das Fieber heftiger, die Unruhe krampfhaft, der Verstand entwich und nur ich war der leitende Faden in ihren Phantasien. Ich ließ Eltern und Brüder wecken, schickte eiligst zu allen drei Aerzten und hielt mit allen Leibeskräften mein leidendes Weib. Den Jammer der Mutter erkannte sie, ohne ihn zu verstehen. Vater und Brüder erkannte sie nicht mehr; mich umklammerte sie fest und bat um Schutz und Hülfe gegen wer weiß welche äußere Dinge; der Todeskampf schien die Gestalt äußerer Anfeindungen für sie angenommen zu haben. Um fünf Uhr kamen die Aerzte zusammen, deliberirten lange, verschrieben noch eine Arznei, legten Senfpflaster hin und wieder; leere Versuche, sie war hin! Um sechs Uhr kam der letzte Krampf, sie hatte Streit mit Jemand in der Theaterloge und drohte, ihren Mann zu rufen. Auf meine Frage, ob sie mich noch erkenne, schlang sie einen Arm heftig um meinen Nacken und sagte: ‚Ich heiße Karoline Blum und mein Mann heißt Robert!‘ Das waren ihre letzten Worte; die Pulse stockten plötzlich, sie hatte ausgelebt und ausgelitten! Das Herz schlug noch heftig bis gegen sieben Uhr, die Lippen zuckten convulsivisch, aber die Seele war entflohen; ein Nervenschlag hatte ihrem Dasein ein Ende gemacht.“
„Ich unternehme es nicht, Euch unsern Jammer zu schildern; wozu soll ich Worte machen über Dinge, die sich nicht beschreiben lassen. Meinen Verlust könnt Ihr selbst abschätzen in seinem ganzen ungeheuren Umfange. Von allen Aussichten, von allen Glücksträumen, die ich mir mit so vielen Mühen, Sorgen und Kosten erworben hatte, ist mir nichts geblieben: das ist die ganze Ernte von dem üppig prangenden Felde meiner Hoffnungen. Was ich im vorigen Jahre so sehnsüchtig zu verlassen wünschte, das öde, einsame, herzlose Junggesellenleben, ich werfe mich jetzt in dasselbe zurück, um den marternden Erinnerungen zu entfliehen, die in meiner zertrümmerten Häuslichkeit mich verfolgen. Ich muß mein schönes freundliches Logis verlassen, denn ich kann keine Ruhe und keinen Arbeitsmuth darin finden und doch muß ich arbeiten, viel, viel arbeiten, wenn ich die drückenden Nachwehen der entsetzlichen Woche verlöschen will… Ach, das Schicksal hat uns fürchterlich betrogen; nur den kürzesten Frühling hat es uns gegeben und dann ungerechter Weise den herbsten Winter folgen lassen. Doch ich will ja nicht klagen.“
„Sonntags den 2. September wurde Adelheid beerdigt; der traurige Fall hatte die Stumpfheit der Menschen ungewöhnlich aufgeregt und Theilnahme erweckt; Sarg und Träger vermochten kaum die Kränze zu fassen, die von allen Seiten geschickt wurden. Schaarenweise waren die Menschen gekommen, sie zu sehen. Ach, sie sah so friedlich still und lieb aus; ihre schönen Brautkleider hatte sie seit der Trauung nicht wieder angezogen, jetzt liegt sie darin im Sarge. Fürchterlicher Wechsel, einmal zur Trauung, einmal im Sarge! und in so kurzer Zeit. – Wir hatten nur drei Wagen angenommen, die der Leiche folgten; aber alle meine Bekannten kamen uneingeladen in eigenen Wagen und es wurde ein langer feierlicher Zug. Auf dem Gottesacker waren Hunderte von Menschen zusammen, das ganze Theaterpersonal stand um das Grab und empfing den Sarg mit feierlichem Gesange; Düringer[23] hielt eine vortreffliche Rede, ein erhebender Chor, von Stegmayer componirt zu diesem Zwecke, folgte darauf und der Geistliche, der uns getraut hatte, sprach den letzten Segen. Dann sank mein armes junges Weib in die Tiefe, aus der sie ewig nie wiederkehrt! Ich habe von alle dem fast nichts bemerkt, denn alle meine Sinne hafteten auf dem schwarzen Sarge und dem tiefen Grabe; aber ganz Leipzig sprach drei Tage lang von dieser Leichenfeier, wie selten eine gesehen wurde. Der oft verketzerte Schauspielerstand hat sich darin ein schönes Monument gesetzt… Es ist dies der bitterste Brief, den ich in meinem Leben geschrieben habe.“
Arbeit die Fülle fand Robert Blum in seinem tiefen Schmerze. Aber Trost gewährte auch sie ihm nicht. Vergeblich suchten die Freunde ihn zu zerstreuen. Bis zu Visionen steigerte sich sein aufgeregter Seelenzustand. Am 24. September und 1. October erschien ihm die Verstorbene und führte lange Gespräche mit ihm, die er niederschrieb[24].
Etwa acht Wochen nach dem Tode der Frau sandte er den Eltern und Schwestern kleine Andenken an die Geschiedene aus deren Nachlaß und schrieb dazu u. A.: „Damit sende ich Euch denn die letzten Zeichen meiner guten Frau und bitte Euch, sie nun nicht mehr erwähnen zu wollen, wie ich es auch nicht mehr thun werde. Ach, es ist sehr schmerzlich, daß man sich das einzige Ueberbleibsel eines grausam zerstörten Glückes, die Erinnerung, auch noch verkümmern muß; aber es ist nothwendig und heilsam. – Ich bin nun ausgezogen[25], wohne in der Nähe des Theaters mit freundlicher Aussicht auf die Promenade und habe freundliche Wirthsleute gefunden. Die Arbeit, deren ich in den letzten sechs Wochen sehr viel hatte, hat mich zerstreut und ich bin ziemlich ruhig. Nur wenn ich das Bild meines armen Weibes – doch ich will ja nicht mehr von ihr reden. – Meine Freunde bemühen sich, mich zu zerstreuen und führen mich häufig fast gewaltsam in Privatgesellschaften; dort bin ich allerdings ein trüber Genosse und wenn der weinfrohe Muth oft das Wohl von Weib und Kindern ausbringt, verkündet sich mein Unglück in unwillkührlichen Thränen; aber häufig fühle ich auch, daß mir die erheiternde Unterhaltung recht wohl thut und mir zu neuer Geschäftigkeit Lust und Muth gibt. Zu den Eltern gehe ich sehr oft, bringe einen Theil meiner freien Abende dort zu und damit wir uns nicht gegenseitig mit trüben Erinnerungen quälen, gebe ich (Schwager) Carl Unterricht im Französischen. So sind meine Tage ein reizloses Einerlei und fließen unersehnt und ungenossen dahin, wie ein seichter Bach. Mein Lexicon ist indessen soweit gediehen, daß in künftiger Woche der Druck des ersten Heftes[26] beginnt.“ In einer Nachschrift heißt es: „Ich lege Euch eine kleine Erzählung von mir[27] zur Unterhaltung bei. Frau R. hat mir einen ganzen Brief voll Glückwünsche geschrieben. Glück und ich!! Ach Gott!“
Wiederum einige Monate später schrieb er der Schwester Gretchen nach Köln, auf deren Vorschlag zu ihm zu ziehen und ihm die Wirthschaft zu führen: „Für den Fall, daß ich wieder heirathen sollte – und dieser Fall ist nicht unwahrscheinlich, da die Häuslichkeit so ganz mit meinen Neigungen übereinstimmt – wer bürgt Dir dafür, daß Du Dich mit meiner Frau verträgst?“ Und bei Aufzählung der Gründe, die ihn veranlaßt hätten, die Wohnung im Hause der Schwiegereltern zu verlassen, sagt er u. A.: „Es hätte mir den Anschein gegeben, als wollte ich mir bei den alten Leuten einen Theil der Erbschaft erschleichen, auf die ich durch den Tod meiner Frau keinen Anspruch mehr habe. Bei einer möglichen Heirath wäre es unendlich schwerer gewesen, mich von ihnen zu trennen, als jetzt. Auch hätten sie für Wohnung und Kost nichts genommen und ich kann mich nicht umsonst ernähren lassen u. s. w. Es ist somit besser, ich bin selbstständig und unabhängig und stehe doch mit den Eltern auf dem besten Fuß.“
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Selbst die Brockhausische Leipziger Allgemeine bezog in den ersten Jahren ihres Bestehens eine große Anzahl offiziöser Mittheilungen. Vgl. Wigand’s Vierteljahrsschrift 1845.
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Große, Geschichte Leipzigs S. 686.
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Zeitung für die elegante Welt, 13., 14., 16. November 1837.
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A. Springer, Dahlmann, 2 Thl. S. 22 fg.
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Damals war der Bruch zwischen den Freunden noch nicht erfolgt.
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Für Spiritisten und andere Menschen, die ungewöhnliche, krankhafte Seelenfunctionen gern zum Gegenstand ihres Nachdenkens machen, lasse ich die wesentlichsten Stellen dieser Niederschrift im Wortlaut folgen. (Die Worte „Er“, „Sie“, sind von mir hinzugefügt.)
Er. „Adelheid, endlich sehe ich Dich wieder!“
Sie. „Endlich? scheint Dir das so lange! Du weißt und ich habe Dir’s gesagt, daß wir uns nur selten, und immer seltener sehen können. Du mußt mich vergessen.“
Er. „Das kann ich nicht. Warum kommst Du nicht öfter? Mußt Du auf ein Glück, auf die Seeligkeit verzichten, wenn Du kommst?“
Sie. „Lieber Robert, die Begriffe von Glück und Unglück sind mit unserer Existenz und ihrer Gestaltung verwachsen. Ich habe keinen Maßstab für Dein Gefühl, Du keinen für das meinige.“
Er. „Kannst Du Dir die Möglichkeit der Vertauschung Deines jetzigen Zustandes mit einem früheren denken?“
Sie. „Ich würde gern noch mit Dir leben und wäre glücklich.“
Er. „Es giebt also eine Fortdauer? Eine Fortdauer mit Bewußtsein?“
Sie. „Robert, Dein Wissen geht nicht über die Grenzen Deiner jetzigen Existenz. Forsche nicht nach Dingen, die jenseits liegen.“
Er. „Um meiner Ruhe willen, gib mir eine bestimmte Antwort! Meine Zweifel können ja Frevel sein.“
Sie. „Dein Zweifel, der in Deiner mangelhaften Natur begründet ist, stört den ewigen Gang der Wesen nicht. Die Skepsis ist eine Frucht der menschlichen Schwäche und der Eitelkeit; sie leugnet die Dinge, die sie nicht begreift, deren Ahnung sie indessen nicht verbannen kann. Laß diese Fragen und wenn es Dich freut mich zu sehen, so grüble nicht die kurze Zeit, die uns vergönnt ist.“
„(Hier ist eine Lücke, nicht unbedeutend in der Zeit, von der ich gar keine Erinnerung habe, als daß wir zusammen verkehrten, traulich und herzlich, doch ohne irgend einen Anflug von Heiterkeit.)“
Er. „Seh’ ich Dich wieder? und wann? – “
Sie. „Du wirst mich wiedersehen.“
Er. „Aber wann? wann?“
Sie. „Das kann ich Dir nicht sagen. Du wirst mich ganz von Dir stoßen, Robert. Du willst wissen, wo Du nur ahnen kannst. Der Versuch zu wissen, zerstört die Ahnung für immer. Ich muß nun fort … Robert, weine nicht! Du weißt ja, daß ich scheiden muß! Wende Dich ab von einer Lebensphase, die nun einmal ganz vollendet ist, und richte Dich auf das Leben, das noch viele Ansprüche an Dich hat.“
„(Hier ist wahrscheinlich eine kleine Lücke; wenigstens ist der Moment wie die Art der Entfernung gänzlich verschwommen. Auf meiner Uhr schlug es Eins, als ich mich sitzend mit nassen Augen im Bett fand. Ein Lichtschimmer war mir aus dem Traume geblieben; als ich ihn verfolgte, war es ein einzelner Stern, der vor dem Fenster stand, woraus hervorgeht, daß meine Augen geöffnet waren.)“
„Niedergeschrieben in der Nacht vom 11. bis 12. November 1838.“ „Erste Erscheinung am 24. September; zweite am 1. October.“
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Von den Schwiegereltern fort.
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Nach § 1 b des Verlagsvertrags 7½ Druckbogen.
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„Die Eroberung von Mantua.“ Zeitung für die Eleg. Welt. Nr. 172–187. (3. bis 15. Sept. 1838).