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8. Neue Hoffnungen. Eugenie Günther
(1839. 1840.)

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Die „mögliche Heirath,“ welche Robert Blum in dem letzten Briefe an seine Schwester erwähnte, war im Frühjahr 1839 wenigstens soweit aus dem Gebiete eines bloßen hypothetischen Wunsches herausgetreten, als er bereits das Mädchen gefunden zu haben glaubte, das ihn seinem Ermessen nach allein trösten konnte über das so plötzlich vernichtete Liebesglück: das ihm voll ersetzen konnte die Liebe, die er verloren. Dieses Mädchen war die Schwester seines Freundes Dr. Georg Günther, Eugenie Günther.

Sie war geboren in Penig in Sachsen am 13. Februar 1810. Ihr Vater war dort Kattunfabrikant. Er war mit seiner zahlreichen Familie 1820 nach Prag übersiedelt, als technischer Leiter (Factor) einer dortigen Kattunfabrik, hatte sich mit Fleiß und Geschick auch dort zum selbstständigen Fabrikanten gemacht und hatte, als er 1834 starb, ein blühendes Geschäft hinterlassen. Der einzige Sohn Georg, der in allen Facultäten herumstudirt hatte, ohne bis zum Tode des Vaters es zu einer festen Existenz zu bringen, übernahm leider nach dem Willen des Vaters dessen Geschäft und führte es durch Geschäftsunkunde und gutgläubiges Menschenvertrauen binnen kurzer Zeit zum Bankerott. Er und die Schwestern opferten ihr ganzes ererbtes Vermögen, um den Bruch des Hauses den Gläubigern so schmerzlos wie möglich zu machen. Die Mutter folgte dem Vater schon nach zwei Jahren im Tode. Drei der Schwestern heiratheten. Mit seiner älteren Schwester Emilie und der jüngeren Jenny übersiedelte Georg Günther nach Leipzig, wo er, wie bereits erwähnt, in die Redaction der Leipziger Allgemeinen Zeitung bei Brockhaus eintrat.

Eugenie war gut erzogen und belesen, sehr lebhaften Geistes, voller Interesse für alle bewegenden Ideen der Zeit, eine schwärmerische Freundin von Naturschönheiten, von dem innigsten Gemüthsleben erfüllt. Sie war nicht groß, leidlich gebaut, lebhaft und anmuthig in ihren Bewegungen. Das dunkelbraune Haar war auf der Stirn gescheitelt und fiel in langen dichten Locken beinahe bis auf die Schultern; die Stirne schmal, die Nase charactervoll, etwas lang, doch nicht unschön. Der liebliche Mund zeigte, wenn er lächelte, zwei Reihen schöner Zähne. Das ganze tiefe Gemüths- und Seelenleben des Mädchens blickte aber aus den freundlichen braunen Augen. Sie sah weit jünger aus als neunundzwanzig Jahre[28].

Mit ihrem Bruder hatte Eugenie dem Hochzeitsfeste Robert Blum’s mit Adelheid Mey beigewohnt. Schon damals erschien ihr der bedeutende Mann nicht gleichgültig, und ein unbeschreibliches Gefühl, als ob sie ein theures Gut für immer verliere, drückte ihr Gemüth an seinem Hochzeitstage. Als Blum als Wittwer häufig das Haus ihres Bruders aufsuchte, mit dem Eugenie zusammen wohnte, und fast täglich mehrere Stunden in gemeinsamem Gespräch verstrichen, fühlte sie den Bann, den die Vollkraft des Characters, der Reden und Gedanken dieses Mannes auf sie ausübte, immer enger und fester die Freiheit ihrer Neigung und Empfindung umstricken, und um sich mit Gewalt aus diesen drückenden Fesseln zu befreien, trat sie vor ihren Bruder und beschwor diesen, Blum nicht zu trauen, er meine es nicht ehrlich mit ihm, könne es nicht ehrlich meinen[29]. „Der Bruder tobte und schimpfte auf mich,“ schreibt Eugenie später, und – Blum kam tagtäglich wie zuvor. Er kam anfangs nur um Zerstreuung zu finden im Freundesgeplauder – er fand mehr als das. Er ahnte in Eugenie mehr und mehr die Einzige, an deren Seite er wieder glücklich werden könne. Aber er barg diese leise Hoffnung, die ihm der Frühling 1839 brachte, still und verschwiegen in seinem Busen; weder Georg noch Eugenie erfuhren ein Wort. Nur der Klang der Stimme, nur die Augen hatten bis dahin gesprochen.

Aber andere Leute hatten auch Augen und dachten und wußten viel genauer, was den Wittwer Blum zu Günther’s führe, als die jungen Leute selbst es wußten. Hervorragend in dieser Erkenntniß war vor allen die „betrogene“ Mutter der todten Adelheid und sie beeilte sich, in sehr klaren Briefen an ihren Schwiegersohn diesem die Früchte ihrer vernichtenden Menschenbeobachtung angedeihen zu lassen. „Sie schwindeliger Mensch!“ beginnt der zweite dieser Briefe. „Eine zu bedauernde Mutter legt noch einmal die zitternde Hand an die Feder um Ihnen wissen thun zu lassen, daß ich alle Kleidungsstücke, welche Sie noch von meinem verstorbenen Kinde haben, zurückverlange, desgleichen auch die ganze Wäsche und andere (!) Kleinigkeiten, u. s. w. und sämmtliche Hochzeitsgeschenke aus unserer Familie[30]. Denn da Sie nun eine große mariage mit der Tochter eines Factor’s eingehen, so glaube ich kaum, daß diese die Sachen meiner Tochter brauchen wird. O hätten Sie diese Person doch gleich anfangs gewählt, so lebte mein Kind noch und ich hätte noch meine Ruhe und Zufriedenheit! Die betrogene Mutter. I. Rosine Mey.“ Der Brief ist von fremder Hand geschrieben und stilisirt. Dagegen erhielt Robert Blum bald nachher ein unverfälschtes Autograph seiner Schwiegermutter folgenden Wortlauts: „Sie lügenhafter Mensch und Mörder meines Kindes. Das Maaß der Schändlichkeit ist voll gewesen, darum kommt immer noch mehr vor meine Ohren. Sie wollen aufrichtig sein, und gehen mit lauter Lügen um, denn Concert und Theater ist Zeige ihrer Schändlichkeit, denn rechtschaffene Leute, wo Sie die Ursache sein, sie in schlechten Ruf zu bringen und unsres ganzes häusliches Glück zerstören. So sollen sie es auch in Köln erfahren Ihre Aufführung.“

Nach Empfang dieser Briefe faßte Blum einen raschen Entschluß. Er theilte Freund Günther deren Inhalt mit, und beschwor ihn, die Schwester aus Leipzig zu entfernen, um zu verhindern, daß die wüsten Laute solcher Dissonanzen etwa auch an ihr keusches Ohr drängen. Der Bruder beeilte sich, dem Rathe zu folgen. Jenny erhielt eine Einladung nach Kappel bei Chemnitz von ihrem Schwager Jost; im Hause des Fabrikanten Schnäbeli sollte sie wohnen. Am 5. Mai 1839 wurde die Reise angetreten. Dieser Reise danken wir eine Correspondenz, die ein wahrer Schatz genannt werden kann. Niemals vorher und nachher hat Robert Blum soviel Muße und Neigung gefunden, sein Innerstes so rückhaltlos zu offenbaren, über alle möglichen Fragen der Zeit, wie über die ewigen großen Räthsel des Menschenherzens und Menschendaseins so eingehend sich zu verbreiten wie in diesem Briefwechsel. Darum zeichnet er besser als jeder Versuch eines Dritten Robert Blum’s Charakter, seine Welt- und Lebensanschauung. Doch ist der Stoff ein so überreicher – der Abdruck dieses Briefwechsels allein würde ein dickes Buch füllen – daß der Raum gebieterisch vorschreibt, nur Weniges auszulesen, was für Blum’s Denkweise und Charakter von besonderer Wichtigkeit ist[31].

Bei der Abfahrt der Freundin war der Freund aus naheliegenden Rücksichten nicht zugegen.

Er sandte ihr dagegen an die Post ein Briefchen, in dem es heißt: „Meine Freundin! Sie haben mir ein Recht gegeben auf diese Anrede, als Sie eine ähnliche an mich richteten, und es würde mir sehr weh thun, mich dieses – wenn auch nur geschenkten – Rechtes entäußern zu müssen. So komme ich denn, Ihnen als Freund ein herzliches Lebewohl und eine glückliche Reise zu wünschen. Mögen Sie die frohen und glücklichen Tage rein und ungetrübt genießen, möge der mächtig hervorquellende Lenz in Ihrer Seele ein treues, grünend’ und blühendes Abbild finden und so der Doppelreiz jugendlicher Schöpfung und Empfindung Sie durchglühen und Ihnen die prangende Natur doppelt schön machen – mögen Sie aber auch nach diesem Genusse gesund und heiter zurückkehren und beim Wiedersehen eben so mild und freundlich sein Ihrem Sie herzlich grüßenden R. Blum.“

Dieser Brief mußte natürlich beantwortet werden. Man fuhr damals dreizehn und eine halbe Stunde von Leipzig nach Chemnitz. Es ist daher jedenfalls eine achtbare Leistung, daß Eugenie ihre Antwort noch am Abend ihrer Ankunft zur Hälfte vollendete.

Blum antwortete erst am 14. Mai. „Soll ich mich entschuldigen? Der Civilisationsmensch hat immer eine große Schublade von Entschuldigungen bereit liegen, von denen er bei jeder Pflichtversäumniß dem ersten Besten eine Hand voll ohne Wahl in’s Gesicht wirft. So kann und will ich Sie nicht behandeln, daher kurz: es ging halt nicht! – Daß Sie glücklich angelangt, hat mich herzlich gefreut, mehr noch, daß Sie auch meiner noch gedachten, als eine schöne Natur Sie mit ihren Reizen umgab und Ihrem Geiste eine schöne Feierstimmung mittheilte… Aber ungerecht ist es, daß Sie uns das Trennungsweh vergrößern. Nicht genug, daß Sie uns verlassen haben; nicht genug, daß Sie in den Bergen umhereilen und den ganzen Frühling allein verzehren, Sie beschreiben uns Ihre Genüsse noch so reizend, daß uns Armen, die wir auf der ödesten Fläche des mercantilen Materialismus in dem traurig-dumpfen Gefängnisse einer Stadt eingesperrt sind, der Aufenthalt noch unerträglicher wird. Aber fahren Sie doch fort, Sie erinnern uns wenigstens, daß es draußen noch ein Stückchen Natur giebt; wir wollen sie genießen in Ihrer Schilderung, wie man das Glück genießt in Romanen, wenn man’s im Leben nicht finden kann… Wohnt denn die Freiheit auf den Chemnitzer Bergen? wie der Phantast Schiller geträumt hat; dann bitte ich Sie, senden Sie mir nur eine kleine Quantität derselben. Ich will damit auf den Jahrmärkten umherziehen und sie als die größte Seltenheit der Welt zur Schau stellen. – Wie es mir geht? Nun, ich könnte sagen schlecht und recht! Ich habe sehr viel zu thun. Die Messe über muß man pro patria schwärmen, muß bald mit diesem, bald mit jenem verzweifelnden Provinzialen sich zusammen setzen, Hoffnungen affectiren, wenn auch complete Trostlosigkeit im Herzen wohnt und so die Leute davor bewahren, daß sie nicht ganz versauern. Nach der Messe erschrickt man vor der Arbeit, die sich anhäufte. So war’s nun die letzte Zeit und ich athme jetzt froh auf, daß ich bald etwas Luft sehe und fühle. Er will nun, um „nebenbei auch einmal Luft zu schlucken,“ in den nächsten Tagen in Geschäften nach Dresden reisen, um „zwei Hofräthe und einen sonstigen Esel zu besuchen; indessen hoffe ich auch einige liebe Freunde zu finden“ “ (Porth, Mosen, Th. Hell). Endlich sagt er: „Sie haben Anlage zur Dichterin. Es würde nur auf einen Versuch ankommen, auch der Form zu genügen. Wollen Sie denselben nicht machen? Doch wozu? Die Poesie ist ein weiter Wiesenplan, auf dem tausend Blumen form- und regellos emporschießen, aber sie sind reich an Duft und Farbe und erfreuen und erheben Geist und Auge. Ordnet man sie nach Gattung und Farbe, bindet sie an den Stab der Form und schneidet jeden frisch hinaustreibenden Schößling ab, um der Pflanze die schmächtige Gestalt modernen Geschmackes zu geben, so vernichtet man den schönsten Reiz. Senden Sie also zuweilen ein rein der Natur entkeimtes Blümchen mit einem grünen Hoffnungsblättchen Ihrem dankbaren Freunde Blum.“

Auf die rasche herzliche Antwort der Freundin erwidert er nach seiner Dresdner Reise, wie schwer es ihm werde, seine Empfindung in Worte zu fassen: „Mögen Sie den Vergleich arrogant finden, ich kann nicht anders, als mich mit einer Blume vergleichen, die dasteht auf dem ausgedörrten rauhen Boden der Zeit und des Lebens, versengt ist von brennenden Strahlen schwerer Schicksalsschläge und welk geweht von den Stürmen unserer Verhältnisse. Geben Sie ihr den lebenden Thau, das erquickende Wasser, sie wird die Wollust des neuen Lebens fühlen bis in die äußersten Fasern ihrer Form. Aber sie bedarf Zeit, um die welken Blätter wieder aufzurichten und Ihnen ihren Dank zu bringen in der freudigen Entfaltung ihres neuerweckten Organismus… Ob das Werk es verdient, ob es Ihnen lohnen wird? – wer weiß das vorher bei unserm Thun; wenn die Handlung an und für sich keinen Reiz hätte, so würde wenig Gutes geschehen auf dieser elenden Welt.“ Der Rest des Briefes gilt der Dresdener Reise.

„Von meinen Hofräthen traf ich keinen und kam mit dem bloßen Schreck und einer Visitenkarte davon.“ Dagegen fuhr er mit den Freunden vierspännig nach Tharand. – Wie genügsam war jene Zeit! Man braucht nur seine Worte über die vollendete Leipzig-Dresdener Eisenbahn nachzulesen: „ein großartiges Werk, das Bewunderung verdient, besonders der Tunnel macht einen großartigen Eindruck. In dem Felsengewölbe selbst herrscht die tiefste Nacht, und das Brausen der Maschine und der dahinsausenden Wagen bricht sich schauerlich an der düstern Wölbung. Die Damen, die im Wagen saßen, wurden ordentlich ängstlich! Ich habe auf dem Wege gedacht, daß in der Menschennatur ein gewisses Etwas liegt, was zur Knechtschaft hindrängt, was ihn ebenso sehr fähig und geneigt macht zu tyrannisiren, als tyrannisirt zu werden. Sehen Sie sein ganzes Treiben an, es ist eine fortgesetzte Knechtung der vorhandenen Wesen und Kräfte; er knechtet die Thiere, die Elemente, den Boden und zieht jetzt gar einige schwere eiserne Ringe um die arme Erde. Ueberall ein Ringen nach Vermehrung harter Bande, nirgend, nirgend nach Sprengung derselben, nach Befreiung. Wie sollte der Mensch, der so großartige Dinge vollbringt, nicht augenblicklich das Joch zersprengen können, welches ihn drückt seit Jahrhunderten, wenn er ernstlich wollte. Aber das ist das Schlimme, daß nur so Wenige wollen.“ —

Es ist unschwer zu errathen, was nun folgt, nachdem schon der Anfang dieses Briefes einer unterdrückten Liebeserklärung so ähnlich gesehen. Eugenie schlug dem Freunde vor, nach Amerika zu ziehen, wenn ihm Europa unerträglich geworden. Darauf antwortete er am 14. Juni: „Nein, liebe Jenny, nach Amerika gehen wir nicht, wenigstens nicht, so lange noch ein Fünkchen Hoffnung vorhanden ist, für die Freiheit und einen besseren Zustand des Vaterlandes wirken zu können. Ja, wenn hinten weit in der Türkei die Völker nicht aneinander schlagen, wenn Louis Philipp seine ganze Nichtswürdigkeit durchsetzt; wenn Ernst August[32] triumphirt und, wie sich von selbst versteht, einige Dutzend Nachahmer findet – dann wollen wir wieder davon reden, das heißt, wenn wir dann noch können und nicht füsilirt sind. Das Wirken für die Freiheit, nur die Aussicht, die entfernte Hoffnung dazu, ist äußerst reizend und wohl eines trübseligen Harrens werth. Aber ich glaube nicht, daß das Streben nach dieser einen, allerdings heiligsten Pflicht es ausschließt, daß wir uns das einmal unvermeidliche Harren so angenehm wie möglich machen; ja insofern eine das Herz und den Geist gleichmäßig befriedigende Existenz dazu dient, uns zu veredeln und unsere Kräfte zu stärken und zu entwickeln, so dürfte es nicht bloßer Egoismus sein, wenn wir trachten, uns eine solche Existenz zu begründen. Eine solche fehlt mir, und mein Herz sehnt sich darnach mit aller Inbrunst, sehnt sich hinaus aus dem öden farb- und reizlosen Allein. – Können und wollen Sie’s versuchen, mir einen stillen, freundlichen Tempel der glücklichen, anspruchslosen Häuslichkeit zu bauen und das traulichste Plätzchen darin nach eigener Wahl für sich zu behalten? ihn ganz und gar mit mir theilen, bis uns eine höhere Pflicht hinausruft in das rauhe Leben, oder in das unerforschte Jenseits? – Sehen Sie, wie ich anfing, stand ein langer Brief vor meiner Seele, mit dieser einen gewichtigen Frage aber bin ich erschöpft; ich lege sie Ihnen trocken vor, ohne Schmuck, ohne Commentar. Sie kennen die Verhältnisse, Sie glauben den Menschen zu kennen… Nun harre ich Ihrer Entscheidung entgegen; sagen Sie nein, so thun Sie das kurz, ohne Gründe, ohne Bedenken. Sie wissen, ich habe eine derbe Schule durchgemacht und kann etwas vertragen. Denken Sie dann, ich habe Ihnen einen neckischen Traum erzählt, Sie haben darüber gelächelt und ihn vergessen. Aber darum bitte ich dringendst, stehen Sie mir deßhalb in der Folge nicht ferner als bisher! Lassen Sie, liebe Jenny, nicht zu lange zwischen Hoffnung und Furcht schweben Ihren Robert.“

„Und ich sollte nein sagen?“ beginnt Eugenie am 15. Juni ihre Antwort und schließt mit „Ewig Deine Eugenie“.

„So ist denn mein Loos gefallen, und ich habe den glücklichsten Wurf gethan,“ schreibt Blum am 16. zurück. „Mein Leben hat wieder ein Ziel, mein Streben einen erkannten Zweck, und die Mühen, die täglichen Begleiterinnen meines Lebens, werden süß und leicht in dem Hinblicke auf den Genuß ihrer Frucht…

Ach, und so froh ich bin über Deinen Entschluß, so möchte ich ihn doch auch fast bedauern; nicht allein, daß ich Dir nur die Existenz einer kargen, vielleicht dürftigen Mittelmäßigkeit bieten kann, so verlierst Du bei meinem ernsten (oder soll ich sagen stumpfen?) Sinne, auch die lieblichste, wenn auch flüchtigste Blüthe der Liebe, jenen süßen Champagnerrausch, aus Gefühl und Sinnlichkeit gemischt, der uns kurze Zeit wenigstens in den schönsten Taumel versetzt. Kann Dich die auf wahrhafte Achtung begründete ruhige Liebe, die treueste Sorgfalt für Dein Wohl und die durch die That mehr als durch das Wort sich verkündende Zuneigung des Herzens dafür entschädigen? Diese, liebe Jenny, soll Dir in möglichst reichem Maße zu Theil werden.“

Nachdem er Eugenie dann erzählt hat, wie schmerzlich ihn Frau Mey gequält habe, und daß „ich nur um meinem armen, alten und wirklich biedern Schwiegervater Ruhe zu schaffen, mich gänzlich“ (von Mey’s) „zurückgezogen und bei George Deine Abreise betrieben habe“, fährt er fort: „deßhalb bitte ich Dich auch – nachdem die Vernunft im Kampfe mit dem Herzen den Sieg, wenn auch schwer, errungen – den Sommer über dort zu bleiben. Wahrlich, Du glaubst nicht, welches Opfer ich mir auferlege, indem ich auf Deine Nähe verzichte und mich des Vergnügens beraube, die wenigen freien Stunden, die mir bleiben, mit Dir durch die Felder zu streifen!

So haben wir denn, liebe Jenny, den Grundstein unserer Zukunft gelegt; laß uns vereint daran fortbauen und uns bestreben, unter den tausend unglücklichen Ehen eine glückliche zu bilden! Es scheint mir dies so leicht, da der innige Anschluß an ein anderes Herz dem Menschen unerläßliches Bedürfniß ist, und es nur in seinem Willen liegt, das Band, das die Natur gegeben, so fest wie möglich zu schlingen. Wir wollen mit unbegrenztem Vertrauen, begründet auf Wahrheit und Offenheit, uns entgegenkommen. Sage mir ohne Rückhalt, was Dir an mir mißfällt. Gestatte mir dasselbe und sei dabei der zartesten Schonung gewiß! Du wirst allerdings bei diesem Contracte sehr im Vortheil stehen. Wir wollen unsere Charaktere studiren, unsere Schwächen gegenseitig zu stärken, uns um die schroffen Seiten zu schmiegen suchen und so im eigentlichsten Sinne des Wortes für und in einander leben. Denk’ ich an dieses süße lohnende Geschäft, so möchte ich allerdings den Schluß der vorigen Seite streichen und Dir zurufen: Komm, komm! Indessen ertragen wir’s! Ist es möglich, so sehen wir uns wenigstens einen Tag.

Und nun noch Eins: Dein Geist hat Dich längst darüber erhoben, den Abschluß der Ehe in irgend einer gesetzlichen oder kirchlichen Formel zu suchen; wenn man sich auch diesen, der Convenienz wegen, unterwerfen muß. Das Erkennen und Anschließen der Herzen, das gegebene und empfangene Wort, das ist die Ehe und so ist die unsere geschlossen. So laß mir denn wenigstens die süße Pflicht, für Dich zu sorgen! Betrachte Dich als mein und nimm von mir Deine Bedürfnisse! Du erleichterst dadurch zugleich Deinem – nein unserem Bruder seine Lasten, deren er viele zu tragen hat, wie Du selbst am besten weißt. Also keinen Widerspruch, Weib, ich bin der Herr der Schöpfung und ‚soll Dein Herr sein‘ (die alte Ausgabe mit ‚Narr‘ wird confiszirt). Gehorche!“

In einem Briefe vom 30. Juni hatte Eugenie dem Gedanken Ausdruck gegeben, der jeden Ueberglücklichen beschleicht: „Wie, wenn Du diesem Glücke jetzt entsagen müßtest? Es ist ein Wetterstrahl aus heit’rem Himmel, begleitet von einem dumpfen unheilverkündenden Schlag.“ Robert antwortete am 6. Juli: „Unsre Zeit, die mit furchtbarem Drucke nicht allein auf dem öffentlichen Leben lastet, sondern auch mit den Krallen der Tyrannei hineingreift in das Heiligthum der Familie und mit roher Gewalt die zartesten Bande sprengt, ist wohl geeignet, uns mit derartigen Betrachtungen vertraut zu machen. Eugenie, wärst Du ein Weib wie tausend andere, selbst von der besten Sorte, ich würde Dir bei dieser Betrachtung sagen, tritt zurück! Oder ich würde gewaltsam mit Dir brechen oder mich bestreben, Dir unerträglich zu werden. Da mir aber ein gütiges Geschick in Dir nicht blos ein gutes und liebendes, sondern auch ein edles, denkendes und des höchsten Aufschwunges fähiges Weib so unverdient zuführte, so schließe ich Dich mit um so größerer Inbrunst an das Herz und rufe Dir zu: „Laß uns genießen das süße Glück der Stunde; aber laß uns vorbereitet sein, daß die nächste Stunde Alles zertrümmern kann! Laß uns gestählt sein für die Leiden, die da kommen; ja, ich sage fast mit Zuversicht, kommen werden und nie vergessen, daß die neidischen Götter Opfer verlangen, ehe sie der Menschheit ersehnte Güter gewähren. Die Liebe sei uns dann der leuchtende Sterne in dunkler Wetternacht, er schimmert ja durch Gitter und Mauern und verscheucht die Finsterniß. Liebe und Freiheit sei uns ein unzertrennliches Zwillingsgestirn, dem wir folgen, auf welche Bahnen es uns auch führen mag! Du kannst nicht glauben, wie glücklich es mich macht, zu wissen, daß diese Worte in Deinem Herzen wiederklingen, daß Du das starke Mädchen bist, welches sie nicht allein mitzufühlen, sondern auch darnach zu handeln vermag. Der Himmel weiß, warum ich unter allen Männern so bevorzugt bin, Dich gefunden, mir Deine Liebe errungen zu haben. Aber ich bin’s und daß ich’s bin, ist meine Seligkeit.“ “

Diesem Briefe waren einige Geschenke beigefügt. Jenny dankte dafür und schrieb im schmerzlichen Bewußtsein ihrer Armuth: „Du beschenkst mich so reich und ich habe nichts, gar nichts, was ich Dir dagegen bringen kann, nicht einmal das, was man auch nur die bescheidenste Ausstattung eines Mädchens nennen kann.“ Darauf antwortete Robert am 13. Juli in einem langen Briefe, dem das nachstehende Gedicht beilag:

„Du hättest nichts dem Bräutigam zu bieten

An Werth und Schmuck? Das thut mir wahrlich leid;

Man zieht solch’ inhaltleere Menschen-Nieten

Nicht gern in unsrer materiellen Zeit.

Und bringst Du mir nicht Heirathsgut und Schätze

An Silber, Gold und Perlen reichlich ein,

So sag’ ich nach modernem Zeitgesetze:

Laß’ ab von mir mein Kind, es kann nicht sein!


Ja, Silber will ich! Zwar nicht jenes weiße

Und glänzende Metall, das aus dem Schooß

Der Erde holt der Mensch in blut’gem Schweiße,

Damit zu feilschen und zu prunken blos; —

Ich will das Silber innig wahrer Liebe,

Die sich als haltbar, ächt und rein bewährt,

Die selbst der Schicksalswolken bange Trübe

Mit mildem Glanz erhellet und verklärt.


Und Gold will ich! Zwar nicht das vielverfluchte,

Das in der Berge tiefen Gründen ruht;

An das der Menschen Habgier, die verruchte,

Die Seele setzt und Ehre, Recht und Blut; —

Ich will das Gold der felsenfesten Treue,

Das jeder Probe, auch der schärfsten, steht;

Das Gold, das stets im Herzensschacht auf’s Neue —

Wie viel man auch davon verbraucht – ersteht.


Und Perlen will ich! Zwar nicht aus den Tiefen

Des Meers, wo von Dämonen sie bewacht

Den süßen Schlummer des Vergessens schliefen,

Eh’ sie die frevle Gier an’s Licht gebracht.

Ich will die Perlen heiliger Empfindung,

Des Mitgefühls bei Andrer Schmerz und Lust,

Das Sinnbild göttlich-menschlicher Verbindung,

Wie’s thront im Tiefen einer edlen Brust.


Und daß zum Reichthum Reichthum sich geselle,

Biet’ ich Dir – karg zwar – gleiche Mitgift dar;

Wir bergen für des Lebens Wechselfälle

Die Güter auf der Laren Hochaltar. —

Du hast und bringst mir reichlich diese Schätze!

und wüßt’ ich nicht, Du brächtest sie mir ein,

Dann nach dem ewigen Vernunftgesetze

Sagt’ ich: laß ab, es kann, es darf nicht sein!“


Am 19. Juli besuchte er einen Tag die Braut in Kappel. Da die Verlobung noch geheim bleiben sollte, so hatte das junge Paar vor Zeugen strenge gesellschaftliche Förmlichkeit zu beobachten. Diesen Besuch mußte Blum mit siebenundzwanzig Stunden Postfahrt erkaufen. „Jetzt geht’s an die Wühlerei!“ meldete er am 20. Juli nach seiner Rückkehr der Braut. „Gott sei Dank, nun ist doch die ärgste Wühlerei vorüber und man kann wieder athmen,“ schreibt er am 27. Es handelte sich um die Agitation für die Landtagswahlen, welche die Opposition wesentlich verstärkten. v. Dieskau schied zwar aus der Kammer aus. Aber außer Todt trat nun Braun ein (Advocat und Patrimonialrichter), in juristischen und staatswissenschaftlichen Fragen bald der Führer der Opposition, ja sogar bald der stehende Referent der zweiten Sächs. Kammer, 1848 März-Justizminister; außer ihnen ein dritter Voigtländer, Otto von Watzdorf, Vertreter der Ritterschaft, der schon auf dem letzten alten Ständetage von 1830 den überlebten Schrullen seiner Standesgenossen im Sinne moderner Staatsauffassung und Freiheit lebhaft opponirt hatte, ein Mann von eben so großer Unabhängigkeit, als Wohlhabenheit; dann Georgi von Mylau, ein angesehener Kaufherr, 1848 Minister, Vater des heutigen Oberbürgermeisters von Leipzig. Dippoldiswalde sandte den Advokaten Klinger (1848 Bürgermeister von Leipzig), die Oberlausitz den ersten liberalen Staatsbeamten, den Sachsen in der Kammer sah, Hensel.

Mit welchem Maße von „Wühlerei“ Robert Blum an diesem Resultate betheiligt gewesen, erhellt, abgesehen von einer starken Correspondenz mit fast allen den Abgeordneten, die eben genannt wurden, auch aus der Aufnahme, die ihm kurz nachher in Plauen beschieden war. Er war dort, wie er Eugenie vom 27. Juli bis Ende August wiederholt meldet, schon seit Wochen erwartet worden, um Reden in Versammlungen zu halten. Endlich gegen Ende August konnte er sein Eintreffen in Plauen an den jungen Fabrikanten Böhler melden. Ueber den Verlauf dieser Reise berichtet er der Braut am 2. September: „Montag Nachmittag brachte ich in Altenburg damit zu, den dortigen höchst pomadig und schlaraffenartig gewordenen Gesellen derb den Text zu lesen und ihnen das Versprechen größerer Thätigkeit abzunehmen.“ In Plauen kommt er Dienstag früh nach durchfahrener Nacht an. Als er nach Böhler fragt, ist dieser in Frankfurt zur Messe, Blum’s Brief demselben sorgfältig couvertirt nachgesendet worden; v. Dieskau dagegen, der Blum Logis angeboten hatte und von dessen Ankunft nicht unterrichtet war, ist schon halb fünf Uhr früh aufs Land gefahren und kehrt erst Abends zurück. Bis sieben Uhr Morgens werden daher in der „Post“ fünf Tassen schlechten Kaffee’s getrunken und die Wochenblätter der letzten drei Monate, einschließlich der Annoncen gelesen, dann wird Mammen in seiner jungen Häuslichkeit besucht. In Mammens Gesellschaft wird der Tag bis zum späten Nachmittag verbracht. „Ich fand dabei sehr oft Gelegenheit, aus Mammens traulich schöner Häuslichkeit einen Blick hinüber zu werfen in eine Zukunft, die auch mir ein ähnliches Asyl verheißt. Als gegen Abend v. Dieskau zurückkehrte, machten wir, eingedenk unseres schönsten und rührendsten National-Characterzuges zuerst aus, daß wir den Abend zusammen – essen wollten; dabei sollten dann auch die brauchbarsten Leute zusammengerafft, die Angelegenheiten vorläufig besprochen und eine gemeinschaftliche Fahrt etc. nach Adorf etc. auf den nächsten Morgen verabredet werden.“ Da sich indessen noch am nämlichen Abend Blum beim Kegeln den Fuß verdrehte, mußte man nach Adorf und Mühldruff schicken, um Todt, Braun und Watzdorf nach Plauen zu bescheiden; da erfährt man, daß die drei Herren zusammen eine Parthie gemacht haben, von der sie erst Freitag zurückkehren wollen! Dennoch wurde noch am dritten Tage in Plauen großer Kriegsrath über die Taktik des Fortschritts in Sachsen gehalten und dann stieg Blum mit geschientem Bein wieder in die Post nach Leipzig. „Ist es möglich, von allen diesen Dingen abzusehen, schreibt er der Braut, so kann ich sagen, ich habe die Tage höchst angenehm verbracht: ich fand eine Aufnahme, die mich fast stolz machen könnte, wurde von Gastmahl zu Gastmahl im eigentlichsten Sinne des Wortes geschleppt und fand, was mich mehr als Alles freute, einen gesunden reinen Sinn und Bereitwilligkeit zu handeln und zu opfern für das Wahre und Gute.“

Eine noch bedeutsamere „Wühlerei“ hat Blum damals mit Süddeutschland geplant. Es handelte sich anscheinend um die Begründung eines großen liberalen Blattes, an dem alle namhaften liberalen Männer, namentlich die fortschrittlichen Abgeordneten aller deutschen Länder sich durch Beiträge und Rath betheiligen, und das unter Oberaufsicht eines Ausschusses liberaler Vertrauensmänner stehen sollte. Sitz des Unternehmens sollte wie es scheint Mainz sein, die Leitung der vorbereitenden Schritte ruhte in der Hand des altehrwürdigen „Vater Winter“, badischem Abgeordneten zu Heidelberg. Jedenfalls hat auch Adam von Itzstein und der ganze süddeutsche Liberalismus darum gewußt. Indessen geben doch alle Andeutungen, welche die Briefe Blums an seine Braut darüber bieten, noch kein vollständig klares Bild von dem Plan und Umfang des ganzen Unternehmens, das mindestens nebenbei jedenfalls auch auf Gründung eines liberalen Vereins über ganz Deutschland und periodische Wanderversammlungen der Führer abzielte. Offenbar hatte Blum der Braut mündlich am 19. Juli darüber alles Mittheilbare anvertraut und begnügte sich in seinen Briefen nun mit Andeutungen. Wie hoch die Erwartungen gespannt waren, die Blum auf dieses Unternehmen setzte, erhellt am besten aus einem Briefe an Eugenie vom 13. August 1839: „Von Heidelberg habe ich noch immer keine Antwort, was uns sämmtlich sehr verstimmt macht. Ein Project, welches mit unendlicher Mühe eingeleitet wurde, an welches Geld und Zeit und Geist gewendet wurde, wie nicht leicht ein anderes, dessen Folgen unberechenbar schienen und welches wichtiger und bedeutender war, als irgend ein Ereigniß der letzten 6 Jahre (!) – das scheitert an der Unentschlossenheit, Nachlässigkeit oder Zaghaftigkeit der Süddeutschen, die sonst so rüstig und gesund waren. Es ist wirklich entsetzlich und man möchte es verschwören, jemals nur die geringste Anstrengung wieder zu machen. Und als gescheitert betrachte ich es bereits, denn käme auch heute oder morgen die Bestimmung“ (daß die Vertrauensmänner zusammenkommen sollten), „so würde die Ausführung vor Anfang September doch nicht mehr möglich sein. Und dann haben die Leute, die nothwendig waren, keine Zeit mehr. Das Schlimmste ist unzweifelhaft, daß die Leute sich und ihre Sache dabei compromittirt sehen. Denn wer soll in Zukunft noch Vertrauen zu irgend einem Vorschlage haben, wenn dieser mit Pomp und Energie gemachte und eingeleitete zerplatzt wie eine Seifenblase, ohne daß man nur zu sagen weiß, weshalb? Wahrlich, das bischen Vaterlandsliebe wird einem sauer gemacht; lieber Kampf, Verfolgung und Gefängniß, als diese gräßliche Apathie und Gleichgültigkeit! Jene stärken, ermuthigen und erfrischen den Sinn, diese entnerven und erschlaffen die Seele und tödten vollends die letzte Spur von Thatenfreudigkeit und Hoffnung.“

So schlimm stand es indessen nicht. Der Heerruf erging freilich erst gegen Ende October an die Getreuen und Blum folgte ihm sofort nach Frankfurt und Mainz. Er konnte dafür der Braut am 3. November von Leipzig nach seiner Rückkehr melden: „Was das Resultat meiner Reise betrifft, so hat dasselbe zwar nicht allen Wünschen entsprochen, aber doch die Erwartungen übertroffen. Es ist zu hoffen, daß bei der Einigkeit zwischen Verlegern und Redacteurs ein tüchtiges Werk zu Tage gefördert werde, wozu einstweilen rüstige Vorbereitungen getroffen werden. Gott gebe seinen Segen.“

Da später die literarisch-politische Unternehmung, die hier beschlossen und rüstig vorbereitet worden sein soll, auch nicht einmal dem Namen nach erwähnt wird, so ist es wahrscheinlich, daß alle die Stellen, die in der Correspondenz Blum’s mit seiner Braut auf ein journalistisches Unternehmen mit Süddeutschland deuten, einfach fingirt sind, und daß es sich bei diesem Unternehmen überhaupt nur darum handelte, eine werkthätige Vereinigung aller entschlossenen Liberalen Deutschlands zu Stande zu bringen. Da dieses Vorhaben nach damaligem Bundesrecht einfach hochverrätherisch war oder wenigstens mühelos als hochverrätherische Verschwörung angesehen werden konnte, so war bei jeder brieflichen Aeußerung über diesen Plan die größte Vorsicht geboten. Dieselbe Vorsicht und ähnliche Fictionen[33] wie hier Eugenie gegenüber, finden sich in allen Briefen Blum’s, welche diese geheime Verbindung betreffen. Was mich aber vor Allem veranlaßt anzunehmen, daß die Frucht dieser Reise nicht der Beschluß und die Vorarbeit für eine liberale Zeitung gewesen sei, sondern die Gründung einer festen Verbindung freisinniger deutscher Männer, vor allem der Abgeordneten, über ganz Deutschland, ist die Thatsache, daß von dieser Zeit an diese Verbindung besteht. Alljährlich treffen sich fortan Winter, Itzstein, Hecker, Johann Jacoby, Heinrich Simon (von Breslau), Robert Blum, Watzdorf, Todt u. A., bald auf Itzstein’s Gut Hallgarten im Rheingau, bald bei Blum in Leipzig, bald in Cassel &c., um gemeinsam die Pläne und Taktik der Genossen und aller liberaler Kammermitglieder in Deutschland für das nächste Jahr zu berathen[34].

Von da ab tritt Blum in ununterbrochene Correspondenz mit den Führern des Liberalismus in Deutschland. Für die Größe und Bedeutung der Aufgaben, die er schon damals in politischer und nationaler Hinsicht sich setzte, giebt daher dieser Briefwechsel mit seiner Braut überraschende Aufklärung.

Speciell der Brief Blum’s vom 3. November ist aber auch interessant wegen der Kulturbilder, die er bietet, sowohl über die damalige Reiseart wie über die Methode und Form, in welcher damals Politik gemacht wurde. „Meine Reise war wirklich mühsam. Nur von hier (Leipzig) bis Naumburg saß ich im Hauptwagen und in einer Ecke, dann ging es um Mitternacht von dort nach Jena in einem Kasten, der wahrscheinlich zu den Zeiten der Folter dazu benutzt wurde, den armen Opfern alle Rippen zu zerbrechen. In Jena war auch kein Rasttag. Von 6 Uhr Morgens an, wo ich ankam, war ich in Beschlag genommen; wir zogen von einem Orte zum andern, betrachteten die Umgegend, die Merkwürdigkeiten (die sieben Wunder Jena’s genannt) und besuchten die wissenschaftlichen und Wohlthätigkeitsanstalten, vulgo Wirthshäuser. Und als wir aus den letztern um Mitternacht von der heiligen Polizei verjagt wurden, öffnete uns eine freundliche Privatwohnung ihre glühweindurchwürzten Räume und hier weilten wir, bis der bestellte Postbeamte um 2 Uhr sagte: Marsch! Dann nahm mich ein eben so schöner und bequemer Wagen auf, in welchem ich nach Weimar gerädert wurde. Von dort aus genoß ich die Wonne der Beiwagen bis Frankfurt, ein treffliches Institut, welches die verpönten Turnanstalten ersetzen könnte; denn wer 8 Tage darin fährt, hat die stärkste Gliederprobe bestanden, die es in der Welt giebt. Und nun werden diese herrlichen Dinger blos stationsweise gegeben, und man wird alle 2–3 Stunden aus- und in einen andern Kasten eingepackt, was besonders in der Nacht höchst angenehm ist. So sah ich denn Frankfurt mit wirklich ungetrübter Freude und machte mir nachher bittere Vorwürfe darüber, daß ich im ersten Augenblicke nicht einmal die Erinnerung an den göttlichen Bundestag in meine frohen Empfindungen gemischt hatte. In Frankfurt ging nun das Jubelleben los. Zwei bekannte Voigtländer[35] grüßten mich gleich bei der Ankunft, Böhler’s Bruder hatte mich schon lange gesucht; mit einigen andern guten Literaten[36] gings nun zu Tische, wobei es wie am Rheine darauf abgesehen ist, zu versuchen, was ein Menschenmagen im äußersten Falle zu ertragen vermag. Dann ging’s fort auf die Promenade, Vergnügungsorte u. s. w., Abends zu Böhler, der uns ein förmliches Festmahl gab, zu dem er die Literaten, die Frankfurt aufzuweisen hat, eingeladen. Kurz, ich sage Dir, ein Leben wie im Himmel. – Freitags früh reisten wir nach Mainz ab, fanden aber in Hattersheim, einem kleinen Neste an der Straße, wo wir nur frühstücken wollten, eine so angenehme Gesellschaft, daß wir uns gefesselt fühlten und – es ist fast unglaublich – bis zum folgenden Tage gegen Mittag weilten und uns höchst angenehm unterhielten. Dann fuhren wir in großer Gesellschaft nach Mainz, begrüßten mit wahrer Seelenfreude den schönen, schönen Rhein und trennten uns von den neuen Freunden nach frohem – und im Gefühle des Scheidens auch trübem – Mahle und betrachteten dann Mainz. Nie im Leben habe ich Theil an einer Gesellschaft genommen, bei der eine solche Herzlichkeit, Innigkeit und Heiterkeit herrschte, wie bei dieser.“

„Bekennen muß ich, daß ich bei dieser Gelegenheit auch zuerst einen Anflug von Heimweh empfunden. Als ich den herrlichen Strom sah, noch mehr, als ich am andern Tage (Sonntags) mit dem Dampfschiffe bis Bieberich fuhr, dort die lieben Freunde weiter reisen lassen mußte und bedachte, daß ich binnen 10 Stunden in ihrer Gesellschaft bei meiner alten kranken Mutter, bei meinen Geschwistern und tausend der Erinnerung theuren Gegenständen sein könnte und nun doch den Rückweg antreten mußte – da erfaßte mich ein eigenes Weh, und nie hat mir das Müssen so tief in die Seele geschnitten, als in diesem Augenblicke. Ich mußte mich mit aller Kraft an Dich anklammern, um die wehmüthige Empfindung zu besiegen und nur allmählich, als Dein Wesen und Lieben mir klar und klarer hervortrat, sah ich wieder heiteren Blickes auf den geöffneten Rückweg.“

Genug an diesen Proben.

Eugenie kehrte am 21. December 1839 nach Leipzig zurück. Von da an bis April hört naturgemäß der Briefwechsel fast ganz auf. Weit häufiger und consequenter als dies aus den mitgetheilten Proben gefolgert werden könnte, dringt immer von neuem durch alle Glückseligkeit des neugewonnenen Liebesglückes Blum’s ruhige überzeugte Mahnung, daß er sein Heim nur gründe mit dem Vorbehalte, seine Schuld an das Vaterland abzutragen, sobald dieses rufe.

Er dachte wohl selbst kaum an diesen Vorbehalt, als am 29. April 1840 der Pastor von St. Thekla bei Leipzig seine und seiner Eugenie Hände, und die Hand ihres Bruders Georg mit der Hand der geistvollen Lina Böhme, zusammenfügte. Auch über dem kleinen Häuschen, in dem Blum mit seiner jungen Frau allein wohnte, dem letzten einstöckigen Hause, das zur „kleinen Funkenburg“ an der Frankfurter Straße in Leipzig gehört, und über dem großen Garten, der sich daran schloß, stand nicht eine einzige trübe Wolke ein ganzes Jahr lang und länger. Hier erlebte Robert Blum im Juni 1841 und im September 1842 die ersten Vaterfreuden. Hier sah er seine Herren Jungens mit dem Schäfer bis zum Thore ziehen, und hinter dem Hause auf der großen Wiese die Seiltänzer während der Messen anstaunen und zu den Aprikosenbäumen, die zu stark waren, um geschüttelt zu werden, sprechen: „Bitte bitte!“ Hier wohnte er noch, als sein Name weit über das Weichbild der Stadt hinausgedrungen war.

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Auch von ihr hat Maler Storck Mitte 1840 ein lebensgroßes Brustbild gemalt, welches gleichfalls bekundet, wie wenig diesem Meister die Kunst des Schmeichelns eigen war.

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Noch im Jahre 1848 schrieb Fanny Lewald über Blum, er habe etwas dämonisch Anziehendes in seiner Natur.

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Auch vom Rechtsstandpunkte aus waren diese Verlangen durchaus unbegründet.

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Hier, wie überall, wo nicht das ganze urkundliche Material mitgetheilt werden konnte, bin ich bestrebt gewesen, ohne alle Tendenz und vorgefaßte Meinung dasjenige herauszuheben, was den Mann am besten zeichnet. Namentlich ist nirgendwo etwa eine Aeußerung unterdrückt worden, die ihn und insbesondere seine politischen Ansichten, in einem anderen Lichte erscheinen lassen könnte, als die von mir ausgewählten Aeußerungen Blum’s.

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Der verfassungsbrüchige König von Hannover.

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So schreibt er am 17. Juni 1846 an Johann Jacoby: „Meine Pflicht legt mir auf, Sie zu benachrichtigen, daß die im Mai v. I. beschlossene Familienconferenz im August und zwar auf dem Gute meines alten Onkels Hallgarten bei Oestrich am Rhein“ (bei Adam v. Itzstein), „stattfindet, und Sie einladen, derselben beizuwohnen, oder irgend einen Verwandten zur Theilnahme zu veranlassen. Die Erscheinungen gerade der letzten Zeit haben die Nothwendigkeit eines innigeren und festeren Zusammenhaltes, eines gemeinsamen und gleichmäßigen Handelns dargethan; sofern man – woran ich kaum zweifle – einig darüber ist, daß der bisherige Weg keine Früchte bringt oder verspricht, wird man gemeinsam einen anderen suchen oder den bisherigen fruchtbar machen, vor allen Dingen aber an die Herbeischaffung von Mitteln zur Hebung und Förderung des Geschäfts denken müssen… Die Einrichtung ist so, daß der 8. August als Versammlungstag, der 9. und 10. aber als Berathungstermin bestimmt sind.“

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Auch Th. Flathe, Gesch. v. Sachsen, 3. Band S. 525 gibt dieser Zusammenkunft diese Auslegung.

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Mithin nahmen auch Voigtländer Parteigenossen an der Versammlung Theil.

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Da Böhler’s keine Literaten, sondern Fabrikanten waren, so wird auch hier die S. 136 ausgesprochene Vermuthung bestätigt, daß Alles, was in den Briefen an Eugenie auf literarische Zwecke bei diesem Unternehmen und seiner Theilnehmer hindeutet, fingirt ist.

Robert Blum

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