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»Hier ist es doch gemütlich!« stellte der Staatsminister fest und öffnete das Hotelfenster, das zu einem gewaltigen Brandgiebel hinausging. Wo der Putz abgebröckelt war, leuchteten die Ziegel rot. Es sah aus, als hätte die Wand ein Ekzem gehabt.

Ich betrachtete den mickerigen Schreibtisch, die Studie eines unbekannten Meisters über das Martyrium des heiligen Sebastian, an die schmutziggraue Tapete geklatscht wie eine zerquetschte Laus, und den Schrank, in dem bei näherer Untersuchung dürre Drahtbügel und der Mief mehrerer Generationen von Hotelgästen hingen. Unter mir knackte das Bett wie ein schwer beladener Möbelwagen, und ich dachte mir, ebensogut hätte der Staatsminister eine Grabkammer gemütlich nennen können.

»Ich habe auch die umliegenden Zimmer reserviert. Und das hier drüber. Sie stehen die ganze Woche leer. Dann bist du nachts ungestört. Es wird vollkommen ruhig sein.«

Ich kam mir noch mehr wie in einer Grabkammer vor. Ich rutschte nervös auf dem Bett hin und her, das mit einem melancholischen Knirschen antwortete.

Der Staatsminister blätterte in seinem Reiseprospekt.

»In den Tagen, die ich in Harpsund bin, kannst du unendlich viele Dinge hier in der Stadt unternehmen. Die Kirche ist aus dem späten 15. Jahrhundert. Das müßte doch etwas für dich sein.«

Es klang, als glaubte er, wir seien ungefähr gleichen Alters.

»Sie hat einige Krypten von historischer Bedeutung«, fuhr er mit Nachdruck fort. »Und im angrenzenden Parkfriedhof gibt es zwei, nein, drei interessante Gruften!«

Ich seufzte. Mir schien die Gesellschaft eine Tendenz zum Morbiden zu entwickeln. Und noch dazu am Ende eines langen, anstrengenden Tages.

Am Vormittag hatte mich der Staatsminister – der blonde Regierungsvertreter und Vater von fünfzehn Kindern – in die Bastugatan heraufgebracht, anschließend waren wir hinaus zum Eigenheim in Spånga gefahren, wo wichtige Unterlagen liegengeblieben waren. (Früher bewohnte der Staatsminister eine burgartige Villa in Djursholm; die er jedoch kurz nach seiner unerwarteten Beförderung zu räumen gezwungen war. »Ein sozialdemokratischer Staatsminister kann sich einiges erlauben«, hatte der Ministerpräsident bei einem Gespräch unter vier Augen betont. »Ja, wenn ich es recht bedenke, muß ich gestehen, er kann sich im Grunde alles erlauben. Aber in Djursholm wohnen, das geht zu weit. Da ist ganz eindeutig die Grenze. Du darfst umziehen. Nach Spånga vielleicht. Ja, Spånga ist ausgezeichnet. Camilla, Palme, Sträng und Geijer wohnen schon da draußen, du bist also nicht allein. Abends kannst du dann ja immer Schwarzer Peter mit Geijer spielen.«)

Nachdem die Unterlagen gefunden waren und das langwierige wie aufwendige Abschiednehmen von der Gemahlin des Staatsministers – meiner kleinen Schwester – und den zu Hause weilenden Kindern erledigt war, fiel dem Staatsminister ein, daß er in der Staatskanzlei vorbeischauen müsse, um eine Abordnung aus dem nördlichen Norrland zu empfangen, und so verließen wir das Politiker-Ghetto und fuhren gemeinsam zurück in die Innenstadt.

Der Staatsminister parkte den Wagen – ganz bestimmt gegen alle Verkehrsvorschriften – vor der säulenbewehrten Treppe zum Regierungsgebäude und eilte hinauf in sein Kabinett, überließ mich im Auto ständig neuen Überlegungen dessen, wie es einem Menschen mit so seltsamen Begabungen gelungen war, sich so lange in der Regierung zu halten. (Daß seine Berufung darauf beruhte, daß er zu große Galoschen trug, darüber habe ich die geschichtlich interessierte Leserschaft bereits in meiner früheren Arbeit »Der Staatsminister und der Tod« aufklären können.)

Mehrere Versuche, ihn zu entlassen, dürften inzwischen angestrengt worden sein; den letzten hatte man erst kürzlich unternommen – während einer Auslandsreise des Ministerpräsidenten. Ein Kreis führender Rotgardisten war damals zusammengetreten, und man war sich schnell einig gewesen, daß jetzt etwas geschehen mußte. Doch hatte man es für angebracht erachtet – vermutlich um zukünftiger Mythenbildung entgegenzuwirken – zunächst den wahren Wohnsitz des Staatsministers zu klären, eine Frage, die unter seinen Kollegen offenbar Gegenstand vielseitiger Spekulationen gewesen war.

Sie hatten ihn darum, einer nach dem anderen, zu klärenden Gesprächen zu sich gerufen. Aus diesen Unterredungen war der Staatsminister erfrischt und mit klarem Blick hervorgegangen wie ein Kind, das vom morgendlichen Spielen nach Hause zurückkehrte. Die Inquisitoren jedoch waren blaß, verblüfft und mit weit auseinandergehenden Meinungen von dannen gezogen.

Der Industrieminister hatte die Ansicht vertreten, seine alten Bedenken, der Staatsminister sei ein Rechter, hätten sich bestätigt. Der Verteidigungsminister hatte behauptet, er habe eindeutig linksextremistische Neigungen offenbart, während der Bildungsminister rein gar nichts auszusetzen gefunden und auf die Volkspartei getippt hatte. (Ein vierter Minister, der sich im Vorfeld damit gebrüstet hatte, er gedenke schlicht und einfach zu fragen: »Bist du Sozi oder nicht?«, hatte zugeben müssen, daß er im entscheidenden Augenblick nicht den Mumm dazu gehabt hatte. »Ich meine, man fragt doch auch den Bischof nicht, ob er an Gott glaubt!«)

Der Außenminister hatte indessen berichten können, er habe ihm eine Breitseite vor den Bug verpaßt und den Staatsminister frei von der Leber weg gefragt, mit welcher Partei er denn sympathisiere, er jedoch habe die Antwort erhalten: »Ja, was gibt es denn für Parteien?« – »Ich zählte dann«, war der Außenminister fortgefahren, »alle auf, einschließlich der Christdemokratischen Partei und der Allianz für Sittlichkeit und Fortschritt. Als ich damit fertig war, starrte er mich lange an und fragte dann, warum ich die Bauernpartei nicht erwähnt hätte. Er habe, so sagte er, sich doch schon immer der Bauernpartei verbunden gefühlt. Ihm gefiel die Einstellung der Partei zu vielen der kontroversen, aktuellen Fragestellungen und er sympathisiere mit ihrer politischen Ideologie.«

Hier soll eine längere Zeit des Schweigens entstanden sein, während der die Minister sich vermutlich ins Gedächtnis zurückzurufen versuchten, welche politische Ideologie die Bauernpartei vertrat, eine Tätigkeit, die ein gewisses Maß an Konzentration erfordern kann und vorzugsweise unter Schweigen ausgeübt werden sollte. Diese wurde von dem jungen, energischen Staatssekretär unterbrochen, der, außerstande, sich länger zu beherrschen, schrie, ein Sympathisant der Bauernpartei als Innenminister sei untragbar und vor allem ein Bauernparteiler, der praktisch die gesamte Industrie besaß, und daß alles in allem ein Skandal und der reinste Hohn und Spott gegenüber den heiligsten Idealen der Bewegung sei: der allgemeinen Zusatzrente, der Investment-Bank und des Mutterschaftsgeldes, und was würde außerdem der Jugendverband dazu sagen? Der Außenminister hatte in etwas scharfem Ton geantwortet, daß ihn der Jugendverband einen Dreck interessiere und ein Bauernparteiler in der Regierung ganz und gar keinen Skandal bedeute, er selbst habe Zeiten erlebt, da ihr vier davon angehört hätten, wenn auch Hedlund meist nur als passives, korrespondierendes Mitglied fungiert hatte. Darauf hatte der junge, energische Staatssekretär, weiß im Gesicht, entgegnet, daß er, der Außenminister, wohl deshalb so schnell Witterung bekommen habe und nicht nur der Bauernparteiler, sondern »alle alten Knacker« ausgeschaltet werden müßten.

Der Bildungsminister hatte nun eine längere, vermittelnde Rede des Inhalts gehalten, daß man sich trotz allem nicht ohne weiteres eines Staatsministers entledigen könne, den die Führungsspitze der Bewegung rein intuitiv gewählt hatte. Am Ende der Ausführungen jedoch hatte der Staatssekretär nur gesagt: »Oh, verdammt, war es Intuition? Ich habe immer geglaubt, Erlander habe ihn wegen des Geldes genommen.«

Anschließend war man zur Diskussion der Frage übergegangen, wo man den Staatsminister unterbringen solle, sofern man denn den Staatsminister zu bewegen vermochte, sich von seinem Amt zu verabschieden. Der Unterrichtsminister hatte vorgeschlagen, man könne ihn doch jederzeit in irgendeinem Land zum Botschafter machen, in Ceylon zum Beispiel. Doch der Außenminister hatte Protest eingelegt: »Wir können nicht erst tonnenweise Anti-Baby-Pillen hinschicken und dann einen Botschafter mit fünfzehn Kindern. Das wäre keine überzeugende und konsequente Außenpolitik.«

Der Finanzminister, der sich lange in Schweigen gehüllt hatte, griff an dieser Stelle in die Debatte ein und entgegnete, einzig von Bedeutung sei, daß sich dem Staatsminister nicht die Gelegenheit bieten werde, die direkte Führung seines Industrie-Imperiums selbst in die Hand zu nehmen. Das werde nämlich, und das sei seine feste Überzeugung, schnell das günstige Konjunkturbild verändern und sich langfristig genauso negativ auf unsere Wirtschaft auswirken wie eine umfassende Sozialisierung.

Der Industrieminister hatte hier ein Gesicht gemacht, als sei er von einer Nadel gestochen worden.

»Ich muß doch ganz entschieden darauf bestehen«, war der Finanzminister fortgefahren, »daß er auch in Zukunft unter staatlicher Regie beschäftigt bleiben wird, und das am besten in der Regierung, wo wir ihn ständig im Auge behalten können.«

»Wenn wir Camilla nicht hätten, dann könnte er jederzeit Familienminister werden«, hatte der Außenminister entgegnet. »Familie hat er schließlich. Wie viele Kinder hat er eigentlich?«

Der Industrieminister hatte zur Antwort gegeben, er habe bei ihrer letzten Begegnung fünfzehn Kinder gezählt, könne aber nicht beschwören, daß die Zahl noch ganz aktuell sei.

»Ja, mein Gott, und was für eine Familie er hat!« hatte der Bildungsminister ausgerufen. »Es ist nicht in Worte zu fassen. Ich war diese Woche zum Abendessen bei ihm, und alle fünfzehn Kinder saßen mit am Tisch. Na ja, sitzen ist vielleicht etwas zuviel gesagt. Glaubt mir, schon oft habe ich Jugendlichen gegenüber gestanden, aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Er hat nicht einmal eine Miene verzogen, als ein langhaariger Bengel nach dem Essen Tarzan gespielt hat und mit dem Kronleuchter durch den Fußboden gebrochen und in den Keller abgestürzt ist. ›Wie dunkel es geworden ist!‹ hat er bloß gesagt.«

»Der Mann muß Nerven wie Drahtseile haben«, hatte der Außenminister gemurmelt.

»Nerven wie Drahtseile!« erklang das Echo des Finanzministers. »Da haben wir doch die Lösung! Wir ernennen ihn zum Justizminister. Da kann er die Polizei und den Staatsschutz leiten. Ansonsten braucht er meistens nur Pornographie zu lesen und Gefangene zu begnadigen. Das ist kein sonderlich zentraler Posten. Er hat übrigens gute Meriten, seit er den Mord in den Schären aufgeklärt hat.«

Und so wurde es gemacht.

Nach ein paar Wochen wurde der Staatsminister mit allen Ehrbezeigungen in sein neues Ministerium eingeführt, begleitet von devoten Fanfaren der eigenen Presse und gedämpften Entsetzensschreien der Zeitungen auf seiten der Opposition. Einer der Pioniere der Bewegung erklärte, er habe keinem glanzvolleren Staatsbegräbnis beigewohnt, seit Branting zur letzten Ruhe geleitet wurde, doch der Ministerpräsident hatte im Fernsehen verkündet: »Gegenwärtig ist er vielleicht nicht so ganz ... so ganz firm in der Justiz; aber warten Sie erst einmal ab, innerhalb von 14 Tagen hat er sich zu einem Justizminister gemausert.«

Der Staatsminister hatte nun wieder neben mir Platz genommen und sich in seinem komplizierten System aus Sicherheitsgurten festgezurrt und etwas gemurmelt wie, daß er offensichtlich am Vortag die Abordnung aus dem nördlichen Norrland hätte empfangen sollen; in der Staatskanzlei habe er jedenfalls lediglich eine Abordnung aus dem südlichen Norrland angetroffen, die seines Glaubens erst in einer Woche hätte ankommen sollen. Ich gab der Hoffnung Ausdruck, daß nun endlich die Reise nach Ädelsta losgehen könne, und der Staatsminister bestätigte auch, daß dem so sei, doch ordnete er sich nahezu unverzüglich in die falsche Spur ein. Ein, zwei Runden sausten wir dann um die zentralen Bezirke der Innenstadt, während ich mir den Kopf zerbrach, wer wohl der rechte Mann sei, um dem Polizeiminister den Führerschein zu entziehen. Bei der dritten Runde begannen die Leute, das riesige Auto zu erkennen, und machten sich gegenseitig auf die Karosse aufmerksam, und beim Gustav Adolfs Torg rief eine Gruppe von krausbärtigen, militanten Linken: »So ist der Kapitalismus ...« Erst an einer roten Ampel gelang es dem Staatsminister, sich zur angepeilten Abflußrinne durchzuschlängeln, und danach flossen wir mit dem anderen Unrat aus der Stadt hinaus.

Der Staatsminister, der sich jetzt vollkommen befreit von lästigen Fahrspuren wähnte, lenkte den Wagen immer wieder seltsam diagonal hinüber auf die andere Fahrbahnseite, und das alles, während er mit ausholenden Gesten über das merkwürdige Leben in der Welt der Politik berichtete. Die Fahrer, denen es glückte, sich an uns vorbeizumanövrieren, waren rot im Gesicht – einige auch weiß – und drohten uns mit der Faust. Doch der Staatsminister winkte ihnen zu und referierte dann über die spontane Freundlichkeit der anderen Verkehrsteilnehmer und das Gentleman-Verhalten auf der Straße, das alle Autofahrer einte.

Es ging auf den späten Nachmittag zu, als wir in Ädelsta eintrudelten, in der sörmländischen Idylle, wo ich Landluft schnuppern sollte, während der Staatsminister und seine Kumpane in nur ein paar lächerlichen Meilen Entfernung anläßlich einer Tagung in Harpsund weilten, auf der sie die Gesellschaft umstrukturierten.

Nun saßen wir also in dem Hotelzimmer, ich seufzend auf dem Bett und der Staatsminister im Fenstersturz die makaberen Sehenswürdigkeiten des Ortes verlesend.

Der Staatsminister vernahm den Seufzer und schaute auf.

»Aber wenn du lieber bei uns in Harpsund sitzen willst, läßt sich das selbstverständlich einrichten. Du könntest als Experte fungieren. Für Schulfragen. Mitunter haben wir beide Flügel voller Experten. Sie bekommen eine Aufwandsentschädigung und haben das Ruderboot zur freien Verfügung.«

Ich streckte mich ein wenig.

»Ja, ich habe immerhin alles in allem mehr als dreißig Jahre Erfahrung als aktiver Lehrer.«

Der Staatsminister sah mich nachdenklich an.

»Erfahrung? Erfahrung ... na ja, das ist zwar nicht schlecht, aber ... ja, du hast nicht zufällig, ähäm, eine ... Vision oder so etwas? Von der Schule der Zukunft, frei von jedem hinderlichen Zwang? Das würde sich wirklich besser machen ...«

Ich verneinte, eine Vision hatte ich nicht zu bieten und mir wurde klar, daß die Zukunft mich eingeholt hatte. Ich beschloß, mich an den Friedhof zu halten. Dort konnte ich zwischen den Gruften wandeln wie ein Toter unter Toten. Frei von Visionen, menschlicher Gemeinschaft und Aufwandsentschädigungen.

Im Eßzimmer des Hotels aß ich zu vorgerückter Stunde – apropos tote Gegenstände – etwas gekochten Dorsch naturell; meine Gedärme waren wie gewöhnlich nach einer Autofahrt mit dem Staatsminister so sehr durchgerüttelt, daß ich das Gefühl hatte, selbst wenige Löffel Eisoße seien eine unzulässige Ausschweifung.

Wir kehrten ins Zimmer zurück, wo der Staatsminister in seinen Betrachtungen über die Gräber des Ortes fortfuhr, während ich die Bekanntschaft mit dem heiligen Sebastian erneuerte.

»Ädelsta!« rief der Staatsminister plötzlich aus wie ein zweiter Archimedes in der Badewanne. »Ädelsta! Aber hier wohnt doch Mommy, meine alte Amme. Ich muß sie besuchen. Komm, wir machen uns gleich auf den Weg!«

Ich kann nicht behaupten, alte Ammen – sei es nun die des Staatsministers oder anderer Leute – übten eine größere Anziehungskraft auf mich aus, aber in diesem Augenblick beschlich mich das Gefühl, ich sollte mich an diesem Abend lieber mit dem Waschen von Leichen befassen als im Hotelzimmer zu bleiben.

So standen wir dann wenige Minuten später auf dem Bürgersteig.

Ich hätte wissen müssen, was dabei herauskommen würde.

Der Staatsminister hatte natürlich weder Adresse noch Namen – Mommy konnte schließlich ebensogut der Name einer Katze sein wie der einer Amme –, und ich kann versichern, daß es außerordentlich beklemmend ist, durch eine Kleinstadt zu wandern im Schlepptau des obersten Wächters des Rechtswesens des Landes, der ohne Unterschied die Entgegenkommenden nach seiner alten Amme befragte.

Am Ende, als er sich erinnerte, daß sie Lindberg hieß und mit ihrem Bruder zusammen wohnte, biß ein Passant an. Ein älterer, vornehmer Herr deutete mit anmutigen Bewegungen seines Spazierstockes den Weg, der unserer war.

»Ein großes, gelbes Haus mit weißen Fensterrahmen, Sie können es gar nicht verfehlen«, schloß er, und ich bedankte mich und dachte, daß er da aber den Staatsminister schlecht kannte.

Wir steuerten bezeichnete Richtung an. Ädelsta erwies sich als eine der Kleinstädte, in denen die Storgatan, die Hauptstraße, sich selbst in den Schwanz beißt und die Seitenstraßen in launischen Mustern frei verstreut lagen.

»Sie ist bei uns gewesen, bis ich in die Schule gekommen bin, dann ist sie ausgezogen, um ihrem Bruder den Haushalt zu führen, nachdem er Witwer geworden war«, erzählte der Staatsminister mit ungewohnten Seufzern der Nostalgie – wenn es denn nicht von der Steigung der Straße kam. »Die Hefewecken, die sie samstags immer gebacken hat, ich habe noch den Duft in der Nase! Sie ist ein paar Mal zu Besuch gekommen, und wir haben uns kleine Briefe geschrieben, aber dann fand ich wohl, ich sei zu groß für so etwas, wie Jungen eben so sind. Ich habe wirklich jahrelang nicht mehr an sie gedacht, bis meine alte Tante letztes Weihnachtsfest gesagt hat: ›Wenn du ohnehin in Harpsund bist, dann kannst du doch auch mal Mommy in Ädelsta besuchend.‹ Hier muß es sein!«

Es war tatsächlich ein großes, auffälliges Haus, eher ein Anwesen, und es schien mir des für die Bewohner etwas besorgniserregenden Typs zu sein, der jederzeit von fanatischen Wahrern des kulturellen Erbes ins Stockholmer Freilichtmuseum Skansen verfrachtet werden konnte. Mansardendach mit altem, geädertem Schiefer; die mit breiten Balken beplankten Wände und gedrechselten Fensterrahmen ergaben eine stattliche Fassade, die durch verschnörkelte Latten verlängert wurde, hinter denen Laubmassen einen schattigen Garten verhießen.

Der Staatsminister steuerte sogleich auf die aus Eichenbohlen gezimmerte Haustür zu, geschnitzt und ehrwürdig wie der Deckel eines Sarges, und ich spürte die übliche Unruhe, die mich befällt, wenn ich ihm auf unangemeldete Visiten in gutbürgerliche Stuben folge, wo er schnell als Störfaktor oder wenigstens als unruhestiftendes Element empfunden werden mußte. (Ich erinnere mich an eine aristokratische Tante, der offensichtlich ein erheblicher Teil der politischen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte entgangen war. Sie befaßte sich eingehend mit der Tätigkeit des Staatsministers. »Ich finde, in letzter Zeit liest man in der Zeitung so seltsame Dinge über dich. Und warum sieht man dich so häufig mit diesem Erlander zusammen? Willst du dir nicht endlich einmal eine ordentliche Arbeit suchen? Ja, du mußt mir verzeihen, daß ich es laut ausspreche, aber manchmal kommt es mir so vor, als wärst du in schlechte Gesellschaft geraten und Sozialist geworden. Deinen Eltern hätte es gar nicht gefallen. Nein, es hätte ihnen wirklich ganz und gar nicht gefallen.«)

Doch der Staatsminister, der Sehnsucht nach seiner Mommy hatte, pochte an und hämmerte mit dem Türklopfer, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß er einem steuerschweren Grundstückseigentümer und seinen dienstbaren Geistern wie der Gehörnte höchstpersönlich vorkommen konnte.

Die Haustür wurde geöffnet, und eine zierliche Dame stand in stummer Verwunderung auf der Schwelle. Doch dann war alles ein einziges Rufen und Umarmen.

Es war die Dame, die schließlich den Clinch auflöste.

»Aber mein Junge, laß dich richtig anschauen! Wie groß du geworden bist! Und auch so elegant! Mein Junge, du bist immer noch der alte, ich habe dich gleich wiedererkannt, obwohl es bestimmt schon an die dreißig Jahre her sein muß. Ja, ich habe dich natürlich in der Zeitung gesehen, aber das ist ja nie dasselbe. Aber wir wollen doch nicht hier draußen herumstehen!«

Und so verschwanden der Staatsminister und die alte Frau durch die Haustür, die wieder ins Schloß fiel, und ich stand, wo ich war, und kam mir vor wie ein Hautlappen, der nach einer gelungenen Operation überflüssig geworden war.

Der Mord in Harpsund

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