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Nach einigen endlosen Sekunden jedoch öffnete sich die Tür abermals, und der Staatsminister zog mich ins Haus.

»Das ist mein Schwager, Studienrat Persson. Er ist Lehrer«, ergänzte er überdeutlich und laut, so wie es jüngere Leute gern in Gegenwart von überlebenden Exemplaren der älteren Generation tun, bei denen man von vornherein davon ausgehen kann, daß sie Gehör und Begriffsvermögen nahezu vollständig eingebüßt haben.

»Wie angenehm, Herr Studienrat Persson, Sie kennenzulernen! Willkommen in meinem Hause und willkommen in Ädelsta darf ich Sie wohl auch heißen!«

Sie war in der Tat eine ganz und gar wunderbare, kleine Dame, diese Mommy.

Dünn und zerbrechlich, bleiche Wangen und silbergraues Haar, so stand sie vor mir wie die Urgroßmutter aus einem Märchen. Die feste Stimme und die funkelnden, blauen Augen vermittelten dem urteilsfähigen Beobachter unmißverständlich, daß Senilität die Kommunikation hier nicht behindern würde. Um den schrumpeligen Hals ruhte ein entzückendes, krauseartiges Gebilde, und auf den knöchellangen Rock fiel die Bluse in einer Wolke aus Rüschchen und Plüschchen.

Eben so weit in meinen Beobachtungen gediehen, wurde ich von einem schwanzwedelnden, dackelähnlichen Tier überfallen, das an mir hochzuklettern versuchte, ohne Zweifel in der Hoffnung, nackte, faltige Gesichtshaut abschlecken zu können.

»Aber Pelleman, daß du dich nicht schämst! Ist ja gut, jetzt aber runter mit dir!«

Mommy hatte eingegriffen und den Hund zur Ordnung gerufen, mußte sich jedoch sogleich eines neuen kläffenden Männchens annehmen.

»Mommy! Ist John gekommen? Aber was macht ihr denn bloß da draußen? Wir haben doch schon die Karten ausgegeben!«

»Oh, oh, mein Bruder Adolf glaubt bestimmt, der Apotheker ist da, der vierte Mann beim Bridge«, seufzte Mommy und scheuchte uns mit der unmißverständlichen Handbewegung eines Kindermädchens auf die verärgerte Altmännerstimme zu, deren Besitzer sich jetzt offenbar selbst aufgemacht hatte, um herauszufinden, was sich in seinem Flur abspielte.

»Aber warum ...?«

Die Ähnlichkeit der Geschwister war unschwer zu erkennen.

Der feingliedrige Körperbau, weiter gekrümmt im eisernen Griff der Jahre, der verschrumpelte, kleine, vogelartige Hals, die feste Stimme – alles verriet den gemeinsamen Ursprung. Jedoch Bruder Adolfs funkelnde Augen hinter dem Zwicker waren nicht blau, sondern pfefferkornbraun und nicht sanft, sondern scharf wie das Gewürz selbst.

»Wie belieben?« fragte er und mir war, als hörte ich jemanden diese Worte zum ersten Mal außerhalb der Theaterbühne sagen.

»Das ist mein Bruder, Fabrikdirektor Adolf Lindberg. Darf ich vorstellen, Studienrat Persson aus Stockholm.«

Der alte Mann starrte mich an, nicht besonders erfreut; er sah eher aus, als frage er sich, ob nun auch die Lehrerschaft angefangen habe, bettelnd von Tür zu Tür zu ziehen.

»Und dies hier ist«, fuhr Mommy mit einer Miene fort, die verriet, daß sie das Beste bis zum Schluß aufgespart hatte, »dies hier ist der Junge, von dem ich schon so viel erzählt habe und aus dem ein großer Staatsminister geworden ist!«

Der scharfe Blick des alten Mannes war bedeutend milder geworden. Er schaute richtig freundlich aus, und ich erkannte, daß er zur Gattung der Kriecher gehörte und daß ich mir ganz unnötig Sorgen gemacht hatte. Vergessen waren offensichtlich sämtliche ein Unternehmen hemmenden Maßnahmen und Steuern und vergessen war das jahrzehntelange Gejammer über die Nivellierung, die Ausplünderung und den Raubbau an den Kräften, die den Wohlstand unserer Gesellschaft garantierten. Begleitet von entzückten Glucksern und allerlei großzügigen Angeboten, schickte er sich an, den Gleichmacher und Aussauger von Staatsminister in die gute Stube zu komplimentieren.

»Wenn der Herr Staatsminister sich hier herein begeben wollen ... Es ist mir eine große Ehre ... Nein, hier entlang, wenn ich bitten darf ... Kann ich Ihnen etwas anbieten? Eine Zigarre vielleicht? Doch bestimmt ein Glas Sherry? Wie belieben? Orangensaft? Mommy, Mommy, wo stehen die Saftflaschen? Aber schnell doch, der Herr Staatsminister möchte unseren Orangensaft probieren! Wenn ich doch nur gewußt hätte ... Nein, in keinster Weise, ich versichere es Ihnen! Wir haben uns nur in kleiner Runde zum Kartenspielen versammelt wie an jedem Samstagabend ... Darf ich Ihnen meinen guten Freund vorstellen, General der Ingenieurstruppen Ygdecrantz – Herr Staatsminister und Leiter des Justizministeriums! Aber die Herren sind sich bestimmt schon bei dem einen oder anderen Kriegsgericht begegnet ... ich meine ... einem Gerichtsprozeß ...«

Der alte Mann zog sich aus der Bredouille, indem er auch mich schnell aufforderte, die generalische, etwas feuchte Hand zu schütteln.

General Ygdecrantz machte nicht den Eindruck eines Generals – nicht wenn man eine uniformierte, schneidige, wettergegerbte Erscheinung erwartete.

Was ich erblickte, war ein schmächtiger, schmalschultriger Zivilist mit einer Haut so weiß wie die eines Adelsfräuleins aus dem 17. Jahrhundert und einem scheuen Zug um die Augen, der bei einem inspizierten Fähnrich oder einem betrügerischen Buchhalter natürlicher gewesen wäre, der unerwartet dem spitznasigen Wirtschaftsprüfer gegenübersteht. Ich gab ihm die Hand und dachte bei mir, ihm war vermutlich in letzter Zeit eine Laus über die Leber gelaufen.

»Seit ich vor zwei Jahren in Pension gegangen bin, wohne ich das ganze Jahr über auf meinem väterlichen Gut, fünf Meilen südlich von Ädelsta. Ich hoffe, Sie werden Zeit finden, mich dort zu besuchen«, entgegnete der General mit dünner Stimme.

Der Fabrikdirektor trippelte weiter auf einen Herrn in den Fünfzigern zu, der sich von seinem Platz am Spieltisch erhoben hatte.

»Und das hier ist mein besonders guter Freund Botschafter Petersén, vorübergehend auf Heimaturlaub von seinem Posten in Pretoria.«

Wenn schon der General nicht den Anstand gehabt hatte, wie ein Militär auszusehen, dann schaute zumindest der Botschafter aus wie ein Diplomat und benahm sich auch dementsprechend. Mit wohlgesetzten Worten begrüßte er uns; er versicherte, als seien wir alte Schulfreunde, daß wir immer gern gesehene Gäste bei ihm und in seinem Hause seien. Und es wurde verbindlich hierhin gelächelt und sich leicht dorthin verneigt. Ausladende Gesten lenkten die Aufmerksamkeit auf das wogende, kohlrabenschwarze Haar, und die Augenlider waren halb geschlossen wie die einer Katze, die in der Sonne döste, und verbargen mit dem anderen Zubehör kunstvoll, was für ein Mensch und wildes Tier in der Tiefe schlummern mochte.

Nachdem der Gastgeber das obligatorische Vorstellungszeremoniell absolviert hatte, konnte er dem Staatsminister von neuem seine ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen lassen.

»Es ist wirklich bedauerlich, daß mein Sohn noch nicht hier ist, ich erwarte ihn erst morgen früh. Er ist sehr beschäftigt, und mein achtzigster Geburtstag ist schließlich erst morgen. Aber der Herr Staatsminister ist ihm sicher schon in Stockholm begegnet, er ist Bankdirektor und seit dem letzten Winter Chef der Provinzbank. Bankdirektor Ejnar Lindberg. Ja, ich dachte es mir! (Der Staatsminister hatte sich geräuspert und geschluckt und wenn man wollte, konnte man das alles positiv auslegen.) Er besitzt einen sehr scharfen Verstand und hat auch außerordentlich schnell Karriere gemacht, der Junge ist kaum fünfundvierzig. Ich weiß noch, wie er schon in der Schule ...«

Der Fabrikdirektor zog an dieser Stelle den Staatsminister zur Seite, einem alternden Löwenmännchen gleich, das sich mit seinem erlesenen Antilopenfilet vom Rudel absondert, und mich überließ man vor dem offenen Kamin mir selbst. Botschafter Petersén, sicherlich seit seinen Tagen als Attaché geübt darin, einsame Gäste aufzuspüren und ihnen zu Hilfe zu eilen, gesellte sich geschmeidig zu mir.

»Sind Sie schon einmal in Swahililand gewesen?« begann er mit einem untrüglichen Gespür dafür, was sich unverzüglich zu einem zentralen Gesprächsthema entwickeln konnte: Botschafter Petersén und seine Verdienste in fernen Ländern. Er nahm sich auch nicht die Zeit, meine ohnehin vorhersehbare Antwort abzuwarten, ehe er fortfuhr.

»Ich war dort Mitte der sechziger Jahre unser Gesandter. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, drohte dort zu dem Zeitpunkt ein blutiger Stammeskrieg auszubrechen.«

Ich überlegte, ob es als korrekt betrachtet werden konnte, den kausalen Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen in Frage zu stellen, doch noch ehe ich mich zu einer Entscheidung durchgerungen hatte, vertraute er mir an, er sei der einzige Schwede und vermutlich der einzige Nordeuropäer, der fließend Swahili sprach und zudem vier andere der gutturalen Bergdialekte verstand. Ich beglückwünschte ihn, und mit einer unendlich anmutigen Handbewegung führte er einige undiplomatisch widerspenstige Haarsträhnen über dem einen Ohr wieder dem Protokoll zu.

Mommy bot diverse Getränke auf einem Tablett an. Als ich mich hinunterbeugte und nach dem Glas Mineralwasser griff, flüsterte sie: »Wenn mein Bruder Sie fragen sollte, dann sagen Sie, daß die Forstaktien Ihrer Meinung nach bald wieder steigen. Er hat sich in der letzten Zeit darüber Sorgen gemacht. Ja, ich habe meinen Jungen auch darum gebeten. Aber jetzt kommt bestimmt der Apotheker!«

Jemand schlug draußen mit dem Klopfer an die Tür, als gelte es, einen Toten aufzuwecken, was selbst für einen Apotheker zugegebenermaßen ein hochgestecktes Ziel war.

Mommy eilte davon, und schnell drang eine Stimme zu uns herein, auch diese wie klingend Erz.

»Ich muß wirklich um Entschuldigung bitten, daß ich so spät komme! Aber der Doktor hat gerade, als ich losgehen wollte, per Telefon förmlich einen Hagel an Rezepten aufgegeben, mitten in der Sommerhitze scheint sich eine Grippewelle anzubahnen. Förmlich ein Hagel, ich sage es Ihnen. Adolf ist sicher schon ungeduldig? Tja, Beherrschung war noch nie seine Stärke.«

Der hochgewachsene Mann in mittleren Jahren, der Knickerbocker trug, füllte für einen Augenblick den Türrahmen aus und nahm gleichermaßen das ganze Zimmer ein. Der Fabrikdirektor stellte ihn vor als »mein Freund, der Apotheker Karlander«. Ich erinnerte mich, daß der Botschafter als »mein besonders guter Freund« und der pensionierte General als »mein guter Freund« tituliert wurden, und ich dachte mir, daß in diesem Hause Freundschaft mit seltsamer Genauigkeit einer sozialen Stufenleiter folgte. Meine Hand wurde ergriffen und vollkommen von einer muskulösen, haarigen Masse umschlossen, als sei sie eine kleine, wehrlose Pille, die zur Nacht einzunehmen war. Wir unterhielten uns eine Minute, ich erinnere mich jedoch nicht des Inhalts unseres Gesprächs, da meine Gedanken hauptsächlich mit seinen ungewöhnlich spitzen Schneidezähnen beschäftigt waren.

Unter nicht enden wollenden, entschuldigenden Verbeugungen gegen den Staatsminister begann der Gastgeber sodann, seine jetzt vollzählig versammelte Bridge-Runde zusammenzutreiben – der Spieltrieb war offenbar genauso stark entwickelt wie das Bedürfnis, sich mit Titeln zu umgeben. Doch der freigestellte Staatsminister gesellte sich mit glücklicher Miene zu Mommy aufs Sofa. Ich selbst sank in einen weinroten Fauteuil, nachdem ich eine fette Katze fortgescheucht hatte, die sich unter einem gelben, vorwurfsvollen Blick trollte.

In der Bridge-Runde herrschte offensichtlich eiserne Disziplin, da sogar der Botschafter schwieg und allein ein leises Brummeln zu hören war sowie die ein oder andere wohlartikulierte Zurechtweisung des Gastgebers gegenüber dem weniger folgsamen Apotheker. Doch als die erste Partie beendet war, entwickelte der alte Mann abermals einiges an geselliger Aktivität.

»Aber Mommy, meine Liebe, wo hast du nur deinen Kopf, bekommen wir denn heute abend gar keinen Tee? Oh, Entschuldigung, ich habe nicht gesehen, daß der Herr Staatsminister sich mit meiner Schwester unterhält! Nein, kommt nicht in Frage, daß der Herr Staatsminister jetzt geht, ohne Tee. Aber es ist in der Tat bedauerlich, daß der Herr Staatsminister meinen Sohn nicht kennenlernt ...«

Die Karten waren von neuem gemischt und verteilt worden, der Fabrikdirektor jedoch sprach über seinen Sohn, den Bankdirektor, und da mußte offensichtlich die Rücksicht auf das Spiel weichen. Er verbreitete sich über seine Verdienste, hielt sich bei Meilensteinen seiner Karriere auf und schilderte bis ins kleinste Detail Bekanntschaften und Verbindungen innerhalb der tonangebenden Kreise.

Der General war verärgert, das fiel mir sofort auf.

Anfangs schnitt er nur etwas ungeduldige Grimassen vor sich hin und trommelte leicht mit den Fingern auf der Tischplatte, doch bald begann er, Blickkontakt mit seinen Spielkameraden zu suchen. Er starrte sie vielsagend an, verdrehte die Augen und führte sich überhaupt wie ein gelangweilter Schuljunge auf, zur Stille zwar gezwungen, jedoch nicht ganz von einem gestrengen Lehrer unterworfen.

Doch dann schaute der Fabrikdirektor auf, mitten in einer sinnlosen und ausschweifenden Schilderung, wie dem Sohn der Orden des Weißen Löwen dritter Klasse von der Hand des Präsidenten der Republik verliehen wurde. Der General bot gerade dem Botschafter eine seitliche Grimasse dar, die deutlicher als alle Worte sagte: »Mein Gott, wie lange will er sich dabei noch aufhalten?«

Dem alten Mann blieb der Mund offen stehen, er glotzte, bekam die Situation spitz und schoß hoch, blaurot im Gesicht angelaufen und schrie: »Wie belieben? Wie belieben?«

Dann fielen die Wörter, die ich in einen solchen Kreis nicht für möglich gehalten hätte: »Ja, stellt euch vor, ich spreche von ihm! Und das tue ich, weil er ein Thema ist, über das man sprechen kann! Er sitzt zufällig nicht in einer Anstalt wie deine Mißgeburt von Sohn!«

Auch der General hatte sich auf die Hinterbeine gestellt. Er beugte sich über den Tisch zum Fabrikdirektor hinüber, und ich sah, wie ihm die Hände zitterten.

Keine Ahnung, was ich für eine Reaktion von ihm erwartete. Ich glaube, ich hätte ihn verstanden und eine Entschuldigung gefunden, ganz gleich, was er getan hätte – dem Alten eine aufs Maul geben, ihm ins Gesicht spucken oder ganz einfach aus dem Zimmer und dem Haus gehen.

Doch er tat nichts dergleichen.

Er stammelte unverständliches Zeug, sank auf den Stuhl zurück, nahm seine Karten wieder zur Hand und schickte mit belegter Stimme einen Appell an die Herzen.

Der Fabrikdirektor setzte sich ebenfalls. Er fröstelte, mahlte mit den Kiefern und brummelte ein wenig vor sich hin, doch schnell war er wieder beim Spiel, und es folgte eine peinlich genaue Schilderung des sich anschließenden Mittagessens in der Botschaft, nachdem der Orden dem Sohn an die Brust geheftet worden war.

Der General schaute stur auf seine Karten hinunter.

»Wie stark es regnet!«

Mommy hatte sich aus dem Sofa erhoben, stand jetzt hinter ihrem Bruder und strich ihm sanft über die Schultern, als wolle sie ihn besänftigen.

Es regnete tatsächlich, es peitschte geradezu gegen die bleiverglasten Sprossenfenster. Ich bereute meine Unvorsichtigkeit bitterlich, an diesem lauen Sommerabend ohne Mantel aus dem Haus gegangen zu sein.

»Jetzt weiß ich aber, was wir machen!«

Der Fabrikdirektor sprang mit erstaunlicher Spannkraft auf und schoß ans Fenster.

»Der Herr Staatsminister übernachtet hier, ja, der Herr Studienrat selbstverständlich auch. Dann müssen Sie nicht in dieses furchtbare Wetter hinausgehen, werden meinen Sohn kennenlernen und können morgen früh bei der Geburtstagsaufwartung dabeisein. Es ist übrigens schon abgemacht, daß der Botschafter und der General hier nächtigen, sie haben einen beträchtlichen Weg zu ihren Gütern und wollen morgen früh um sechs die Gesangseinlage nicht verpassen. Nein, es macht nicht die geringste Mühe, wir haben so viele Gästezimmer da oben bereitstehen. Nicht wahr, Mommy, meine Liebe, ist Lotta dir nicht heute behilflich gewesen? Ja, das Mädchen war kurz bei mir im Zimmer, hat gezwitschert und Unordnung angerichtet.«

Der alte Mann war zurückgesprungen und packte seine Schwester jetzt zärtlich am Ohr.

»Jetzt setzt du den Tee auf und dann gehe ich das Hotel anrufen und lasse das Gepäck der Herren herüberschicken. Und morgen ißt der Herr Staatsminister hier mit meinem Sohn zu Mittag, hoffe ich. Die Herren werden viel miteinander zu besprechen haben, sie bewegen sich ja beide sozusagen im Zentrum der Macht!«

Mommy jedoch schien nicht richtig zufrieden zu sein. Sie murmelte etwas davon, daß wir es bestimmt sehr viel bequemer in unserem Hotel hätten, doch der alte Mann wiederholte, daß in dem Mauseloch kein Schwein wohnen könne, und ich war geneigt, ihm recht zu geben. Der heilige Sebastian konnte es und womöglich auch der Staatsminister, aber ganz gewiß kein Schwein und ich schon gar nicht.

Und so wurde es gemacht. Kurz nach zehn Uhr entschuldigte ich mich mit der ermüdenden Reise, und Mommy führte mich die knarrende Treppe hinauf in ein nettes Zimmer unter dem Dach mit einer Tapete in großem Blumenmuster und gediegenen, altmodischen Möbeln.

Ich richtete mich für die Nacht ein und der Schlaf kam.

Doch mit dem Schlaf kamen auch die Träume, unerreichbar zwar für die Erinnerung, aber angsteinflößend und böse für den Schlafenden ...

Ich erwachte und dachte, der Regen, der gegen die Fenster trommelte, habe mein Unterbewußtsein gequält und mich schließlich geweckt; es sitzt seit der Kindheit in mir, daß ich mit der Angst aufwache, ich hätte nach dem Spielen bei Tag da draußen etwas vergessen.

Ich schlummerte abermals ein, doch wachte wieder auf und beschloß aufzustehen, um auf die Toilette zu gehen. Ich ließ das Licht im Flur aus, um die ringsum Schlafenden nicht zu beunruhigen, und die Sommernacht war auch nicht so dunkel, daß ich nicht gefunden hätte, wonach ich suchte. Wo war doch jetzt gleich noch der Waschraum? Bei der Treppe, lag er nicht dort?

Ich machte mich auf, und der Teppich schluckte jedes Geräusch der Schritte.

Doch durch die Dunkelheit drang eine tiefe, gepreßte Stimme an mein Ohr, kaum mehr als ein Flüstern, genauso unverständlich, unbestimmbar wie der Traum gerade eben ...

»... es geht nicht anders ... drinnen bei dem verdammten alten Knacker ... Angst, mehr Angst denn je in meinem Leben ... muß jetzt schlafen, morgen ist ein anstrengender Tag ...«

Auf dem Rückweg stand ich für einen Augenblick still im Flur, noch immer vom grellen Licht im Waschraum geblendet, noch immer etwas benommen, wie man eben ist, wenn man zu früh aufwacht und alle Müdigkeit einem noch in Körper und Geist steckt.

Jetzt aber waren keine Stimmen mehr zu hören.

Ich stolperte auf den Lichtkegel zu, der sich dort bildete, wo meine Tür auf den Flur hinausging.

Ich schloß die Tür, lag in meinem Bett und horchte hinaus in die Dunkelheit.

Böse Träume, böse Worte ...

In was für ein Haus war ich nur geraten?

Der Mord in Harpsund

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