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Abendliche Kletterpartie

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Der Berg, auf dem der Wasserturm stand, war vielleicht zehn bis zwölf Meter hoch und teilweise sehr steil. Die Gemeinde hatte zwar eine Treppe angelegt, aber diese sprach die Drei Asse nicht an.

„Dort“, sagte Assemann. „Da oben ist eine Art Felsabsatz. Wir können dorthin klettern, uns hinsetzen und den Rest von Andys Süßigkeiten aufessen. Dabei könnten wir die Aussicht genießen. Von dort sind es bestimmt nur ein paar Meter bis zum Turm.“

Und dort standen ja ihre Fahrräder.

Assemann kletterte zuerst los, und weil sie Assemann hieß, wählte sie natürlich den schwersten Weg. Ein kurzes Stück war es tatsächlich so, als ob der Felsen sich nach außen bog. Es war sehr schwierig, mit einem Fuß auf einem Felsabsatz und mit einer Hand in einem kleinen Spalt das Gleichgewicht zu halten, während der andere Fuß frei in der Luft hing und die andere Hand sich vorsichtig über die Unebenheiten weitertastete, auf der Suche nach einem Halt.

Andy, der kürzeste der drei, hatte Schwierigkeiten mitzuhalten. Seine Beine schienen manchmal nicht lang genug, um denselben Kletterweg zu schaffen, den die anderen eingeschlagen hatten. Es dämmerte schon, und das machte es noch schwieriger zu entdecken, wo die Unebenheiten und die Risse lagen.

Hätte man sich auf dem Felsabsatz befunden, auf den die Drei Asse zustrebten, hätte man zuerst Assemanns rechte Hand in der Dunkelheit auftauchen sehen. Danach hätte man ihr kurzgeschnittenes Haar und einen Kopf mit Honigkuchenaugen entdeckt. Ein Paar Ohrringe in Silber mit einem grünen Stein hätten angedeutet, daß es sich um ein Mädchen handelt. Danach tauchte ein graues langärmeliges T-Shirt über der Kante auf, im gleichen Augenblick, als sich ein Bein hinüberschwang. Am Ende des Beines saß ein alter, verschlissener Turnschuh. Das gleiche Muster wiederholte sich, aber bedeutend langsamer und vorsichtiger, als Alex sich dem Absatz näherte. Wenn Assemann der Kletteraffe der Drei Asse war, so war Alex ihr einfallsreicher Denker. Er war mager, nicht allzu groß, und sein Kopf war reichlich mit blonden Haaren versehen, die in alle Windrichtungen abstanden. Haare kämmen gehörte nicht zu Alex’ Lieblingsbeschäftigungen. Als Alex sein Bein über die Kante streckte, konnte man sehen, daß er einen blauen Overall und hellblaue Turnschuhe trug. Als auch er den Absatz erreicht hatte, bewegte er sich vorsichtig und überlegte jede Bewegung. Seine Eltern konnten sich kaum daran erinnern, daß das Kind jemals hingefallen sei oder sich verletzt hätte.

Assemann und Alex warteten auf Andy, aber es dauerte noch ein paar Minuten, bis seine rechte Hand über der Kante zu sehen war. Dann folgten die hellen, kurzgeschorenen Haare und das runde Gesicht mit den fröhlichen Augen. Ganz unten im Gesicht saß der Mund, der so gern sang und genauso gern redete. Andy Berg war die Plaudertasche und der Lausebengel der Gruppe. Der Körper war kurz und untersetzt. Als einer seiner Turnschuhe über der Kante auftauchte, war Assemann schon dort und half ihm, indem sie seinen Fuß festhielt. Die Drei Asse hatten ihr Ziel erreicht: einen gemütlichen Platz auf einem Felsabsatz, zehn Meter über dem Boden und anderthalb vom Gipfel entfernt. Sie setzten sich auf den Boden und schauten über die Stadt und ihre vertrauten Gebäude. Dort unten lag Marabous Schokoladenfabrik, und etwas weiter weg schimmerte der Flughafen von Bromma. Ein kleines Sportflugzeug war gerade dabei zu landen, und in der zunehmenden Dämmerung konnte man deutlich die Blinklichter an den Tragflächen sehen.

Andy teilte die Süßigkeiten in drei gleich große Häufchen. Als seine Einteilung nicht aufging, verschlang er einfach den Rest. Ein intensiver Tausch der Süßigkeiten folgte. Alex wollte seine Lakritze gegen Weingummi tauschen. Assemann dagegen aß gern Lakritze und saure Drops, mochte aber Weingummis und Schokolade nicht. Nach einer Weile waren alle drei zufrieden, obwohl Assemann wie auch Andy das Gefühl hatten, daß Alex das beste Geschäft gemacht hatte.

Es war ruhig und still. Das Geräusch der wenigen Autos, die durch die menschenleere Stadt kreuzten, erreichte sie hier oben auf dem Felsen nicht.

„Stellt euch vor, wie herrlich die Aussicht vom Turm aus sein müßte“, überlegte Andy. „Vielleicht sollte man jemand bei der Stadtverwaltung anrufen und fragen, ob man einmal mit hinaufgehen dürfte.“

„Ich glaube nicht, daß das geht“, sagte Alex. „Es gibt weder einen Aufzug noch Treppen, sondern nur Leitern. Und natürlich besteht Einsturzgefahr. Deshalb lassen sie niemanden in den Turm hinein.“

„Schade“, sagte Assemann mit vollem Mund, „es muß toll da oben sein.“

„Der Fernsehturm auf Kaknäs ist viel höher“, tröstete Andy. „Und dort sind wir ja gewesen.“

„Der Turm liegt aber nicht in Sundbyberg, du Blödmann. Von dort aus kann man unsere Stadt nicht sehen.“

Das Geräusch eines Autos unterbrach die Stille. Es fuhr über ihnen auf dem Kiesweg zum Wasserturm. Assemann richtete sich etwas auf, stellte ihre Füße auf eine Erhebung und konnte über den Felsenrand spähen.

Ein gelber Mercedes war vor den Wasserturm gefahren und hatte nur fünf oder sechs Meter von der Gruppe entfernt mit dem Kühler zum Abgrund geparkt. Die Scheinwerfer wurden ausgemacht und die Zündung abgestellt. Wieder herrschte Stille.

Die kleine Gruppe wartete auf das Öffnen und Schließen der Autotüren, aber es blieb still.

„Warum steigen sie nicht aus?“ fragte Andy. „Vielleicht knutschen sie.“ Er sprach etwas undeutlich, weil auch er den Mund voll Süßigkeiten hatte.

„Kaum“, antwortete Assemann. „Es sind zwei Männer im Auto.“

Auf dem Vordersitz rechts, den Drei Assen am nächsten, saß ein hagerer Mann mit Schirmmütze und rauchte eine Zigarette. Der Fahrer war rothaarig, etwas größer und von gröberem Wuchs. Der Hagere kurbelte die Fensterscheibe runter und ließ eine Kippe fallen, die nur einen Meter von den drei entfernt landete. Die Glut leuchtete in der Abenddämmerung auf, und eine schmale Rauchsäule fand ihren Weg durch die Luft zu den Kindern.

„Schaut mal die Nummernschilder an“, bat Assemann. „Das Auto muß ausländisch sein. Es hat kein schwedisches Schild.“

„Es ist ein deutsches“, entschied Alex. „Das Auto kommt aus Hamburg. Die Buchstaben H H bedeuten Hansestadt Hamburg. Das habe ich gelernt, als wir vor ein paar Jahren in Deutschland Urlaub machten.“

Wie kommt ein deutsches Auto zum Wasserturm in Sundbyberg? Wenn die Männer Touristen wären, gab es doch bedeutend spannendere Sehenswürdigkeiten in Stockholm als den Ausblick vom Fuße eines Wasserturms in einem Vorort?

Die Drei Asse sanken wieder auf den Felsboden. Die Dunkelheit nahm zu und radierte die Bäume, Büsche und Wege im Park unter ihnen aus. Leise aßen sie ihre Süßigkeiten auf. Andy hatte seine schon aufgegessen und bettelte bei seinen Freunden erfolgreich um Nachschub.

Eine Autotür ging auf. Assemann war schnell auf den Füßen und konnte berichten, daß der hagere Mann aus dem Auto stieg. In gutem Schwedisch, aber mit deutschem Akzent, hörten sie den Mann mit der Schirmmütze sagen:

„Es wirkt ja alles ganz ruhig. Keine Menschenseele weit und breit. Da können wir wohl an die Arbeit gehen.“

Das Abenteuer am Wasserturm

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